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Normale Version: War es vielleicht doch ein Mord?
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Lieben wir nicht alle Krimis und haben daher durchaus Interesse, wenn es gilt, sich mit einem historischen Krimi zu befassen?

Am 23. November 1457 starb in Prag Herzog Ladislaus von Österreich, böhmischer und ungarischer König, besser bekannt als Ladislaus Postumus, etwa zwei gute Monate vor seinem 18. Geburtstag. Ladislaus war der einzige Sohn von Herzog Albrecht (V. ) von Österreich (als römischer König Albrecht II.) aus dessen Ehe mit der "ungarischen Königin" Elisabeth. Er war der einzige Enkel von Kaiser Karl IV. und sowohl über die mütterlichen als auch über die väterliche Linie ein Nachfahre von König Rudolf I. Mit ihm endete der Albrechtinische Familienzweig der Habsburger in männlicher Linie, aber auch der Versuch zur "Bildung" einer neuen "habsburgisch-luxemburgischen" beziehungsweise "böhmisch-österreichischen" Linie. Ladislaus war zum Zeitpunkt sienes Todes mit Madeleine von Frankreich, einer Tochter von König Karl VII. verlobt und stand im Begriff diese zu heiraten. Es gab genug Zeitgenossen, die von seinem Tod profitieren sollten.

Eigentlich überrascht es nicht, dass sich schon relativ bald die Vorstellung durchzusetzten, dass Ladislaus vermutlich ermordet worden war. Dabei entwickelten sich auch durchwegs einige abenteuerliche Mordgeschichten, so zum Beispiel, dass Ladislaus von einer Geliebten, die von seiner Absicht Madeleine zu heiraten, nicht begeistert war, getötet wurde, in dem sie ihm eine Haarnadel in die Schläfe stieß, während sie seinen Kopf streichelte. In einer anderen Version wurde dieser Haarnadelmord der Ehefrau von Georg Podiebrad unterstellt. Zeitgenössische Gedichte schildern, wie der unschuldige Jüngling Ladislaus von Georg Podiebrad unbarmherzig erdolcht oder anderswie getötet wird. Etc.

Die Behauptung, dass Ladislaus an der Pest starb, schien dagegen wenig wahrscheinlich, vermutlich, weil nichts von weiteren Pesttoten bekannt ist. (Die rumänisch-deutsche Romanschriftstellerin Liliana LeHingrat hat dieses Motiv in ihrem historischen Roman "Die Blutchronik" (um Vlad Tepes) verwendet. Hier ist es Georg Podiebrad, der dem Arzt persönlich befiehlt, als Todesursache die Pest anzugeben. Dem Hinweis des Arztes, dass das nicht stimmt und nicht glaubwürdig ist, begegnet er damit, dass er so hofft, etwas gegen das Entstehen weiterer Gerüchte, die er für unsinnig hält, tun zu können. (Und vor allem will er seine unschuldige Ehefrau schützen, die bereits - im Roman nebenbei - grundlos verdächtigt wird.)

Inzwischen hat sich nach einer Obduktion, wobei interdisziplinäre Methoden angewandt wurden, zweifelsfrei herausgestellt, dass Ladislaus an einer Form der Leukämie starb, also eines natürlichen Todes und somit eindeutig nicht ermordet wurde. Damit hat sich die "Mordgeschichte" um Ladislaus zumindest für die seriöse Forschung erledigt.

Vor einiger Zeit habe ich das wissenschaftliche Buch "Die Tode der römisch-deutschen Könige und Kaiser (1150-1349)" von Manuel Kamenzin gelesen habe (eine durchaus lohnenden Lektüre). Dort findet sich nicht nur auch eine kritische Hinterfragung der zeitgenössischen Berichte zu den beiden tatsächlichen Morden an den Königen Philipp und Albrecht I. sowie den gewaltsamen Tötungen der Könige Wilhelm und Adolf.

Aber er setzt sich auch kritisch mit Chronistenberichten auseinander, die bei einigen weiteren Königen einen (Gift-)Mord vermuten oder dies sogar so berichten, als wäre es tatsächlich geschehen. (Nach Kamenzin dürfte kein einziger dieser angeblichen Giftmorde tatsächlich ein Mord gewesen sein.) Aber er beschäftigt sich auch ein wenig mit der Frage, warum solche Mordgeschichten überhaupt erfunden beziehungsweise überliefert wurden.

Habt ihr Euch einmal mit einem angeblichen historischen Mordfall aus dem Mittelalter beschäftigt oder ist euch diese Idee in einem Roman oder anderswie untergekommen und wie habt ihr das wahrgenommen?
Ja. Ich könnte mir vorstellen, dass der Jagdunfall von Kaiser Ludwig IV. fingiert war.

Es sind immer die Fragen zu stellen: Wem nutzte der plötzliche Tod eines Herrschers? Und was konnte durch den Tod verhindert werden? Oder was konnte sich nach dem Tod durchsetzen?

Natürlich ist das spekulativ. Herrscher konnten in der Blüte ihrer Jahre von einem Tag auf den anderen an einer Krankheit sterben. Aber definitiv alles ausschließen?
Nicht mittelalterlich:
Der überraschende frühe Tod des (katholischen) Herzogs Karl Alexander von Württemberg führte fast sofort zu Gerüchten der "Geheime Rat" die Ehrbarkeit hätte die Finger im Spiel gehabt.

Joachim Brüser, Herzog Karl Alexander von Württemberg (1684-1737), publiziert am 19.04.2018 in:
Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/ar...r_von.html

wobei er einiges vor hatte, und auch auf den Weg gebracht hatte, was Geheimen Rat und Ehrbarkeit nun tatsächlich schwer gegen den Strich ging.
Man beachte auch die Vorgänge um Joseph Süss Oppenheimer (zuletzt hier im von Flora initiierten Thread)
Auch nicht Mittelalter

Bernhard von Weimar
hatte Breisach am Rhein erobert und wollte es zum Mittelpunkt seines in Gründung befindlichen Herzogtums machen.
Frankreich, Richelieu, reklamierte die Festung für sich.
Weimar lehnte schroff ab, mitsamt der Ehe mit Richelieus Nichte.

Sofort nach seinem plötzlichen Tod war die Rede von Gift auf Veranlassung Richelieus.
(02.02.2022 23:57)Teresa C. schrieb: [ -> ]...Aber er beschäftigt sich auch ein wenig mit der Frage, warum solche Mordgeschichten überhaupt erfunden beziehungsweise überliefert wurden.

Habt ihr Euch einmal mit einem angeblichen historischen Mordfall aus dem Mittelalter beschäftigt oder ist euch diese Idee in einem Roman oder anderswie untergekommen und wie habt ihr das wahrgenommen?

Mich würden die Antworten interessieren, die Kamenzin gegeben hat.

Ich habe mich ja nicht so viel mit mittelalterlichen Mordgeschichten beschäftigt- am meisten mit dem, auf den du dich in deinem Zitat beziehst. Aber das war ja wohl ein tatsächlicher Mord, wenn auch der Täter vermutlich nicht der war, den Shakespear damals behauptet hat.... überhaupt hat Shakespear bestenfalls die Wahrheit der besseren Geschichte geopfert... auch der wahre Macbeth ermordete Duncan nicht aus Heimtücke, sondern die beiden standen sich auf den Schlachtfeld gegenüber und der Geschichte lag ein anderes Thronfolgesystem zu Grunde, als ein englischer Dichter 400 Jahre später kennen konnte, aber das ist wieder ein anderes Thema.
Bei Shakespears Stücken muss man davon ausgehen, dass er seinem Gönner, Jakob I, politisch oppertun sein wollte- und ich nehme an, dass das im Mittelalter häufiges Motiv war.

Mittelalterliche Chronisten machten aus den Vorfahren ihrer Auftrag- und Geldgeber Helden und diskreditierten deren Gegner...

Wenn jemand eines unerklärlichen, plötzlichen Todes starb, gab das immer Anlass zu Spekulationen, und wenn es ein Herrscher war, dann gab es auch immer jemanden, der davon profitierte. Manchmal war die Spekulation dann wohl purer Klatsch, weil man sich einfach nicht vorstellen wollte, dass ein Herrscher von Gottes Gnaden plötzlich verstarb. Manchmal dürfte das Gerücht aber auch der Versuch des Rufmordes gewesen sein...
In historischen Krimis, die im Mittelalter spielen, werden diese beiden Motive jedenfalls häufig in den Raum gestellt, vor allem ersteres. Gott läßt doch den von ihm auserwählten Herrscher nicht einfach so sterben, also muss es ein (Gift)mord gewesen sein.

Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass das häufig der Grund war. Aber dein Autor kommt da vielleicht zu anderen Erkenntnissen...
(04.02.2022 20:05)Bunbury schrieb: [ -> ]Mich würden die Antworten interessieren, die Kamenzin gegeben hat.

Manuel Kamenzin geht in seinem wissenschaftlichen Buch auf verschiedene Aspekte ein. Dabei spielt auch eine Rolle, wie im Mittelalter ein guter Tod aussah, und plötzlich zu sterben, im schlimmsten Fall ohne Beichte, Sterbesakramente etc. galt eindeutig nicht als "guter" Tod. Kamenzin vergleicht auch Chronikberichte, und es ist interessant, zu sehen, wie Chronisten so etwas gelöst haben, wobei allerdings nicht immer eindeutig klar ist, ob es sich um eine Erfindung handelt oder vielleicht Realität war.

1.)
So gibt es zum Beispiel einen Chronistenbericht, nach dem König Albrecht I. bei seiner Ermordung, ehe er starb, noch die Absolution erhielt und das durch keinen geringeren als den Bischof von Speyer. In diesem Fall dürfte ziemlich klar sein, dass das der Chronist wohl erfunden haben wird oder so eine Geschichte im Umlauf war, um davon abzulenken, dass König Albrecht doch ziemlich sicher die kirchlichen Segnungen nicht erhalten hat. Zwar ist Albrecht dadurch, dass er ermordet wurde, weitgehend "entschuldigt" (zumindest kann sein plötzlicher Tod nicht von Gott gewollt gewesen sein), aber die fehlenden Sakramente dürften für die damalige Zeit für Albrechts Anhänger doch ein gewisse Problem bedeutet haben.

Ein Chronist bietet bei seinem Bericht über den Tod von Kaiser Ludwig (IV.) dem Bayern, der auf der Jagd plötzlich tot umfiel und sich dazu noch im Kirchenbann befand, eine Geschichte an, die vielleicht auch nur erfunden ist, aber im Unterschied zu Albrecht und dem Bischof von Speyer zumindest vorstellbar wäre. Ein Bauer, der zufällig alles beobachtet hat berichtet, dass er, als er dem Kaiser helfen wollte, noch mitbekommen hat, dass dieser im Sterben die Jungfrau Maria angerufen hat.

2.)
Für politische Gegner war ein plötzlicher Tod durchaus vorteilhaft für Propaganda. Allerdings auch für die Gegenseite, da Krankheit bei einem Streit um eine Würde oder Amt durchwegs ein Ausschließungsgrund war. Wenn bei mehreren Kandidaten einer während des Kampfes zu kränkeln begann, machte es also durchwegs Sinn, das geheim zu halten, und wenn das mit seinem Tod endete, dürfte sein plötzlicher Tod nur für die, die darüber nicht informiert waren, plötzlich gewirkt haben.

Paradebeispiel dürfte hier der Welfe Heinrich der Stolze sein - einerseits kam sein plötzlicher Tod König Konrad III. äußerst gelegen, konnte er doch als göttliches Zeichen interpretiert werden. Hat Konrad III. ein wenig nachgeholfen?

Ebenso ist es aber vorstellbar, dass Heinrich der Stolze schon länger krank war und seine Anhänger es geheim gehalten haben, weil eben der Kampf noch nicht endgültig entschieden war und er mit einem kranken Heinrich nicht hätte fortgeführt werden können.

Und eine dritte Möglichkeit besteht auch noch: für Konrad III. konnte der plötzliche Tod des Welfen ein göttliches Zeichen sein, wenn er sich aber als Mord herausstellen sollte, war er das jedenfalls nicht mehr.
(Eigene Überlegung angeregt durch den "pumperlgesunden" Heinrich den Stolzen von Sabine Ebert nach Lektüre der als Große Barbarossa-Saga verkauften Buchserie von ihr, die für mich aber weder eine große Saga, noch eine gute Buchreihe war, sondern nur Quatsch beziehungsweise Werbung für die Hebammen-Serie beziehungsweise eine Hebammen-Restl-Verwertung.)

3.)
Nachdem sich der spätere Kaiser Karl IV. zum Gegenkönig hatte wählen lassen (von den Stimmen der weltlichen Fürsten, die er erhielt, bekam er eine von seinem Vater und eine von seinem Großonkel) und gekrönt worden war (vom richtigen Erzbischof, aber am "falschen" Ort (beziehungsweise am inzwischen für "Gegenkönige" üblichen Ort) und ohne die Reichskleinodien), dürfte er zunächst einmal überhaupt nichts unternommen haben, um Ludwig auszuschalten.
Stattdessen musste er erst einmal seinen Vater nach Crézy begleiten und nach seiner Rückkehr ins Reich zusehen, dass er es in aller Heimlichkeit schaffte, in sein Königreich Böhmen zu reisen.
In der Folge hat es den Anschein, dass er dort abwartete, bis sich das Problem mit Kaiser Ludwig von selbst löste, der immerhin zu dieser Zeit bereits über 60 Jahre gewesen sein dürfte.

Über den plötzlichen Tod Ludwigs stammt von ihm eine erste Mitteilung, und da stellt er das so da, als wäre Ludwig gerade im Begriff gewesen, den Kampf gegen ihn aufzunehmen, als ihn ein plötzlicher Tod ereilte. Nach seiner Darstellung ist Ludwig nicht einfach gestorben, sondern sein Tod war von Gott gewollt, um dem Reich einen neuen Krieg um die Krone zu ersparen und zu zeigen, dass Karl der rechtmäßige König ist.

Die Mordgeschichte um den Tod Ludwigs, die einige Chronisten, die pro Ludwig sind, überliefert haben, sieht Kamenzin als eine Gegenpropaganda. Indem sie Ludwigs Tod als Mord darstellen, stellen sie klar, dass sein plötzlicher Tod nicht Gottes Wille und somit auch kein Gottesurteil war. (Denn wenn Gott etwas will, muss der Mensch nicht nachhelfen.)

Nach dieser Mordversion soll ihm eine adlige Dame, in den meisten Versionen eine namenlose Herzogin von Österreich, ein Gift verabreicht haben. Als Ludwig dessen Wirkung zu spüren begann, soll er sich auf die Jagd begeben haben, umso das Gift wieder aus seinem Körper zu bekommen.
Für mich sind zwei Dinge an dieser Geschichte merkwürdig: das Motiv der Herzogin wird nicht genannt (es findet sich auch nicht die Information, dass sie vom Teufel besessen war und somit nach Mittelaltervorstellung gar kein Motiv benötigte) und dass Ludwig auf die Jagd reitet, nachdem er merkt, dass sie ihn vergiftet hat, kommt mir nicht sehr plausibel vor. (Wurde das zu seiner Zeit anders gesehen.)

Kamenzin hält es für vorstellbar, dass eine solche Geschichte auch der Ablenkung diente. Denn durch die Mordgeschichte verlagert sich die Aufmerksamkeit vom Toten auf den angeblichen Mörder oder die angebliche Mörderin und das eröffnet weitere Sichträume, sodass letztlich vom tatsächlichen Todesfall abgelenkt wird.

Spannend ist es, dass sich Kamenzin nicht nur mit Berichterstattung beschäftigt sondern dass er immer wieder auf Parallelen, Zusammenhänge und Unterschiede verweist. So findet sich zum Beispiel einiges, was die Berichterstattung über den Tod von Ludwig dem Bayern betrifft, auch schon bei Friedrich dem Schönen oder Heinrich VII., bei dem die aus damaliger Sicht wohl anrüchigste Mordwaffe eingesetzt wird. So soll er vom Beichtvater mit einer vergifteten Hostie ermordet worden sein.

Allerdings beschäftigt sich Kamenzin nicht nur mit Mord, sondern auch mit einer Reihe anderer Aspekte - Grabstätten (wo wollten die Könige und Kaiser selbst begraben werden), Zeremonien etc. (warum ließ sich Friedrich II. in der Kutte eines Zisterziensers beisetzen), der plötzliche Tod, tödliche Verletzungen (der Schädel des ermordeten König Philipps, der ihm nach den Mitteilungen der Chronisten gespalten wurde, weist jedenfalls nicht diese Verletzung auf - warum behauptet das der Chronist) etc. etc.
(04.02.2022 20:05)Bunbury schrieb: [ -> ]Mittelalterliche Chronisten machten aus den Vorfahren ihrer Auftrag- und Geldgeber Helden und diskreditierten deren Gegner...

Wenn jemand eines unerklärlichen, plötzlichen Todes starb, gab das immer Anlass zu Spekulationen, und wenn es ein Herrscher war, dann gab es auch immer jemanden, der davon profitierte. Manchmal war die Spekulation dann wohl purer Klatsch, weil man sich einfach nicht vorstellen wollte, dass ein Herrscher von Gottes Gnaden plötzlich verstarb. Manchmal dürfte das Gerücht aber auch der Versuch des Rufmordes gewesen sein...

Bei zahlreichen Mordbeschuldigungen oder Gerüchten ist jedenfalls auffällig, dass sehr selten von tatsächlichen Konsequenzen berichtet wird, weder davon, dass sich jemand zumindest vom Verdacht reinigen konnte oder dass Personen als Verleumder oder angebliche Verleumder zur Rechenschaft gezogen wurden.

Vielleicht ist das in vielen Fällen sogar ein Indiz dafür, dass es nur Gerüchte waren. Denn sonst stellt sich doch die Frage, warum wir nichts über Konsequenzen erfahren.

Beim verschiedenen Mordgeschichten ist auffällig, dass das Motiv nicht genannt ist oder dass irgendetwas nicht passt, wie zum Beispiel: der Mord hatte für den Verdächtigen keinen Nutzen oder der Mord hatte für den Verdächtigen zu diesem Zeitpunkt gar keinen Nutzen ...
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