(18.11.2013 15:09)WDPG schrieb: [ -> ]Möchte mich hier mal mit der Frage: Wer war schuld am 4. Kreuzzug bzw. an dessen Verlauf beschäftigen:
-Venedig: Das wäre die einfachste Antwort „das geldgierige Venedig“ natürlich. Doch das ganze war mehr eine Entwicklung aus der, der Doge verzweifelt einen lukrativen Ausweg gesucht (und gefunden) hatte. Der geplante Kreuzzug stellte für die Seefahrerer-Republik ein enormes finanzielles Risiko da. Um eine dermaßen große Flotte zu bauen brauchte man jeden verfügbaren Mann, aus diesem Grund musste man den Handel sogar teilweise einstellen. Die Führer des Kreuzzugs mussten das ganze natürlich bezahlen – wohl so das sich für Venedig noch ein Gewinn ausgegangen wäre. Ein weiterer Grund warum Venedig dem Kreuzzug anfangs nicht abgeneigt war, war dessen Zielort, Ägypten. Hätte man sich dort eine bessere Stellung geholt hätte das für die (bessere) Anbindung an zahlreiche Handelsrouten gesorgt, etwas woran man natürlich interessiert war.
Ein reizvolles Angebot also, aber auch ein hohes Risiko, die Kosten waren so hoch das bei „nicht-bezahlen“ der Staatsbankrott gedroht hätte, außerdem hätte man wohl durch das ganze an zahlreichen Handelsorten die bisher aufgebaute Stellung eingebüßt. Doch was machten die Kreuzritter, sie enttäuschten und konnten die Kosten gar nicht tragen (waren an Anzahl zu gering).
Für Venedig also eine schwierige Lage, aus der man irgendwie dann doch mit einem Gewinn herauskommen musste.
-Wo waren eigentlich die anderen Seemächte: Diese Frage stellte ich mir lange, deshalb möchte ich mal kurz darauf eingehen. Nun so viele Seemächte die eine derart große Flotte hätten aufstellen können gab es nicht. Die großen Länder jener Zeit waren (meist aufgrund von inneren Konstellationen) beim Kreuzzug nicht dabei, blieben nur noch Genua, Pisa und Venedig. Genua und Pisa dürften in dieser Zeit gerade einen Konflikt untereinander ausgetragen haben, blieb also nur noch Venedig.
-Die Kreuzritter selbst: Man darf sich das ganze nicht als besonders demokratisches Unternehmen vorstellen. Die Kreuzritter reisten wohl mit den gleichen Motiven wie bei den ersten 3 Kreuzzügen auch. Das Ziel des „kleinen Ritters“ war es Jerusalem zu befreien, die meisten wussten nicht einmal das die Kreuzzugsführer nach Ägypten statt ins „Heilige Land“ wollten. Später erreichte das ganze eine eigene Dynamik, immer wieder sprangen Kreuzritter vom Unternehmen ab, immer wieder protestierte man gegen die Richtung in die sich das ganze Entwickelte, doch man konnte sie nicht wirklich ändern.
-Die Führung des Kreuzzugs: Ging vom Anfang an zu naiv in den Kreuzzug. Man rechnete z.B. mit viel höherer Beteiligung und agierte oft unüberlegt (worüber sich die Venezianer scheinbar sogar oft wunderten). Das Ziel der Kreuzzugsführung war keineswegs vom Anfang an Konstantinopel, es war Ägypten. Von hier aus wollte man wohl die Abtretung der Städte die einst zum Königreich Jerusalem gehörten erreichen, wenn für den einen oder anderen mehr rausschauen würde wars wohl auch recht. Nun stand man da viel zu unüberlegt hatte man den gigantischen Vertrag mit Venedig geschlossen, Venedig verlangt dessen Erfüllung. Doch die Summe (ursprünglich ca. Jahresbudget des Königreich Frankreich, später nicht ganz 2/3 davon) die man stämmen musste war gigantisch – zu gigantisch und so schleppte man sich von Krise zu Krise, moralische Bedenken der „kleinen Ritter“ auf der einen Seite und auf der anderen Seite Venedig das sein Geld zurückverlangt (zurückverlangen musste). Kein Wunder also das man sich dann darauf einließ die Richtung zu Wechseln.
-Der Doge: Oft wird gesagt das Dandolo der scheinbar früher schon mal (als Händler oder Politiker für Venedig) in Konstantinopel war dort sein Augenlicht verlor. Kann sein gesichert ist es nicht – manchmal leitete man daraus die Theorie das er Byzanz deshalb hasste und das ganze als Rache sah. Schwer zu sagen, ich glaube das eher nicht – dafür handelte er zeitweise viel zu Umsichtig und Nachdenklich. Es dürfte nicht er sondern die Kreuzzugsführung gewesen sein, die sehr schnell dafür zu begeistern war Alexios IV Angelos zu unterstützen. Kein Wunder, Dandolo war gut informiert und wusste das der neue Kaiser keineswegs so widerstandslos anerkannt werden würde und manches wohl nicht realistisch war, aber für ihn war es sicherlich dieser lukrative Ausweg, der sich schließlich bot.
-Alexios IV Angelos: Handelte total unvorsichtig mit seinen Versprechungen, aber was hätte er sonst machen sollen? Alexios IV war der Sohn des ehemaligen Kaiser Isaak II Angelos der von seinem Bruder abgesetzt worden war. Auch er wurde wohl im Zuge des Putsches eingesperrt, doch er entkam nach Westen. Das er dort aufgenommen wurde war klar, er war ein sehr gutes Druckmittel im Konflikt mit Byzanz, der immer wieder mal zu Ausbruch kam. Das ein solches irgendwann dann mal ausgespielt wird erscheint logisch. Und die Aussicht einen pro-westlichen Kaiser auf den Thron in Konstantinopel zu haben scheint für mehrere Seiten verlockend. Das Alexios IV seine zu großzügigen Versprechungen machte ist jedoch auch nicht ganz so unlogisch, es war wohl trotz allem nicht so einfach Leute die eigentlich nach Ägypten/Israel wollten in eine andere Richtung zu lenken. Ich vermute außerdem das er die Ressourcen auf die ein byzantinische Kaiser zurückgreifen konnte überschätzte, denn diese waren gewaltig im Schwinden.
-Alexios III Angelos: Wehrte sich viel zu wenig gegen die Gefahr die da aufzog, ein Geheimnis wird der 4. Kreuzzug und auch die Richtung in die er zunehmend ging für ihn wohl nicht gewesen sein. Der Kaiser von Byzanz war über solche Dinge in der Regel schon informiert, doch er bereitete sich kaum darauf vor, was wohl 2 Gründe hatte. Erstens: Alexios III handelte im Zuge seiner Herrschaft immer wieder so, im Gegensatz zu seinem Bruder versuchte er sich kaum gegen den Niedergang von Byzanz zu stellen (verwundernswert das er sich später so stark an den Thron klammerte). Zweitens fehlten ihm die Ressourcen eine starke Verteidigung aufzubauen. Seit Alexios I Komnenos war es enorm wichtig das der Kaiser der starke Mann im Reich war, einer der überall anerkannt wurde, doch das gelang den Angelos-Kaisern nie wirklich. Seit Manuel I Komnenos verfügte man kaum noch über genügend Geldmitteln, etwas was auch deshalb eine große Gefahr darstellte weil Byzanz in dieser Zeit hauptsächlich auf Söldner baute und die mussten bezahlt werden – waren also nicht wirklich ausreichend vorhanden. Byzanz war insgesamt im Niedergang, seine Schwäche wurde von Gebieten am Balkan genutzt um Unabhängig zu werden (darunter Bulgarien) und praktisch überall lauerten Gegenkaiser. Alexios III wurde also oft nicht als der legitime Kaiser gesehen, wie sollte man in diesem Wirwarr eine effektive Verteidigung aufbauen, einer großen Persönlichkeit wäre das vielleicht gelungen, aber das war Alexios III nicht und so kam es schließlich zur ersten Eroberung von Konstantinopel.
Auf diese folgte schon bald die zweite, weil Alexios IV Angelos seine Versprechen nicht erfüllen konnte und auch im Volk sehr schnell verhasst war. Seine Absetzung bot bald wieder einen Kriegsgrund, der neuer Kaiser (Alexios V Dukas) konnte nicht schnell genug eine Verteidigung aufbauen – weshalb Konstantinopel ein zweite mal fiel, diesesmal mit noch verheerenderen Folgen.
Diese Folgen wirkten sich langfristig aus, Byzanz ging schließlich zwar nicht unter war aber doch geschwächt, als Konstantinopel wieder in den Händen byzantinsicher Kaiser war musste der Kaiser (Michael Palaiologos) immer wieder daran arbeiten potentielle Angriffe aus dem Westen abzuwehren, vor allem Karl von Anjou war in dieser Hinsicht sehr aktiv, das führte einerseits zu einer erneuten Ressourcenüberdehnung, andererseits dazu das man den Osten vernachlässige aus dem mit den Osmanen schließlich die Untergangsursache kam. Die Osmanen erlebten einen gigantischen Aufstieg und standen nur etwas mal als 2 Jahrhunderte nach ihren Anfängen als türkisches Kleinfürstentum zum ersten mal vor Wien.
Man sollte ihn also nicht unterschätzen den 4. Kreuzzug, was seine Verursacher betrifft würde ich sagen, den Verursacher gibt es nicht wirklich. Es war eher eine Dynamik die, die Akteure dazu brachten ihn nach Konstantinopel zu lenken und damit auch dem Kreuzzugsgedanken gigantischen Schaden zuzufügen.
Wie nicht anders erwartet, hat Gerald im obigen Abschnitt wieder eine präzise und von fundierten Kenntnissen geprägte Analyse geschrieben. Vor einigen Monaten hatten wir bereits einige Ausführungen zum Thema, insbesondere auch von Gerald, dessen damalige Veröffentlichungen ich hier noch einmal zitiere. Der Grund dafür ist, dass ich damals auch so einiges verfasst habe, dies aber nicht zu Ende geschafft habe und nun als Antwort auf Geralds zwei Veröffentlichungen fertig gestellt habe.
Gedanken zum Vierten Kreuzzug von 1202 bis 1204 und dessen Folgen für die Politik in Europa
Die Ausarbeitung ist recht umfangreich geworden, aber ich möchte der Frage nachgehen, ob die Umleitung der Kreuzfahrer nach Konstantinopel wirklich so zufällig, oder eher gewollt bzw. wohlwollend geduldet war. Als eine zentrale Figur der Ereignisse um den Vierten Kreuzzug betrachte ich neben den venezianischen Dogen auch Papst Innozenz III., dessen Wirken ich im Besonderen untersucht habe.
Im Jahr 1198 begann das Pontifikat von Innozenz III. (1160/61–1216), einem der bedeutendsten Päpste des Mittelalters. Noch im gleichen Jahr rief er zum Kreuzzug auf. Zuerst fand dieser Aufruf wenig Beachtung, vielleicht lag es daran, dass diesem Aufruf kein spektakuläres Ereignis wie die Eroberung von Jerusalem (1187) voranging.
1. Fulko von Neuilly und Theobald III. von Blois, Graf von Champagne
Erst die seit 1199 erfolgte Propaganda des Zisterziensers Fulko von Neuilly († 1202) brachte die Vorbereitungen des Kreuzzuges langsam voran. Der Mönch gewann mit Theobald III. von Blois, Graf der Champagne (1179–1201), einen Verbündeten, der bereit war, die Kreuzfahrer nach Ägypten und von dort ins Heilige Land zu führen. Ob sich dieses Vorhaben um 1200 hätte realisieren lassen, ist fraglich. Zwar bekämpften sich die Ayyubiden in Syrien und Ägypten untereinander oder sie führten Gefechte mit den fast bedeutungslos gewordenen Zengiden aus, doch mit der Machtübernahme von Saladins jüngeren Bruder, as-Adil (1145–1218), in Ägypten im Jahr 1200 setzte sich die wohl stärkste und klügste Persönlichkeit als endgültiger Nachfolger Saladins (1138–1193) durch. Somit wäre ein Kreuzzug um 1200 nach Ägypten sehr riskant gewesen, vor allem auch unnötig, da sich as-Adil um eine moderate Politik gegenüber dem Königreich Jerusalem (und Zypern) bemühte.
Ebenso muss man berücksichtigen, dass der damalige König von Jerusalem, Amalrich von Lusignan (1155/60–1205), die Anwesenheit eines Kreuzfahrerheeres unter Führung Theobalds III in Ägypten, im Nahen Osten oder gar im Heiligen Land oder Zypern nicht gern gesehen hätte. Es wäre sicher zu Reibereien und Konflikten zwischen Theobald und Amalrich gekommen, der sein Amt nur seiner Heirat mit Isabella von Jerusalem (1172–1205) verdankte, die wiederum Witwe von Heinrich II. von Champagne (1166–1197), dem älteren Bruder Theobalds war. Amalrich von Lusignan oder der „starke Mann Jerusalems“ Johann von Ibelin (1177–1236) wären nicht bereit gewesen, einen aus eigenen (bzw. kirchlichen) Mitteln mächtigen Mann wie Theobald, an der Machtausübung im Königreich Jerusalem zu beteiligen. Amalrich war um 1200 stark genug, seine Staaten ohne fremde Hilfe zu beherrschen. Einige, vor allem aus dem Reich angekommene Kreuzfahrer wies er nur an, in den neu gebildeten und von Coelestin III. 1191 bzw. von Innozenz 1198 anerkannten „Deutschen Orden“ einzutreten. Amalrich von Lusignan hatte bereits 1198 einen Waffenstillstand mit al-Adil geschlossen, den er nach der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 ohne politische Schwierigkeiten verlängern konnte.
Es ist deshalb vorstellbar, dass seitens der weltlichen und/oder kirchlichen Würdenträger der Königreiche Jerusalem und Zypern geheime Verhandlungen mit dem Papst stattfanden, mit dem Ziel, den ausgerufenen Kreuzzug zu einem anderen Ort umzuleiten oder zu einer anderen Zeit durchzuführen. Der wichtige Propagandist des Kreuzzuges, Fulko von Neuilly, war seit 1202 tot, er wurde nach seinem Tod der Unterschlagung von Finanzierungsmitteln bezichtigt und galt damit als Unperson. Somit wäre es um 1202 nicht besonders klug gewesen, seine Propaganda fortzusetzen.
Theobald III. wäre von der familiären Herkunft ein geeigneter Führer des Kreuzzuges gewesen. Er war als Sohn Heinrichs I. von der Champagne (1126–1181) und dessen Ehefrau Marie de France (1145–1198) sowohl ein Neffe der englischen Könige Richard Löwenherz und John Ohneland als auch des französischen Königs Philipp II. August. Durch seine Ehe mit Blanka von Navarra († 1229), der Erbtochter von Sancho VI. († 1194), konnte Theobald seine Machtbasis auch auf den Westen Frankreichs erweitern. Des Weiteren war er der jüngere Bruder des 1197 tödlich verunglückten, aber von der Öffentlichkeit hoch geachteten, Königs Heinrich von Jerusalem. Um 1200 war Theobald der mächtigste Mann im Osten Frankreich, vielleicht sogar im gesamten Frankreich. Denn Innozenz III. hatte 1198 über den französischen König aufgrund dessen Bigamie das kirchliche Interdikt ausgesprochen. Dadurch war das politische Handlungsspiel Philipps eingeschränkt.
Innozenz III. förderte Theobald. Die Grafen von Champagne und ihre nahen Verwandten die Grafen von Blois standen seit 1180 in Gegnerschaft zu Philipp, dessen Mutter eine geborene Gräfin von Champagne war. Während der letzten Herrschaftsjahre von Ludwig VII. († 1180) hatte deren Verwandte de facto das Land regiert, Philipp II. (1165–1223) entmachtete den Clan und regierte seitdem allein. Das päpstliche Interdikt war eine direkte Einmischung in die inneren französischen Angelegenheiten, es schwächte das Königtum in seinem Kampf gegen das angevinische Reich (Richard Löwenherz bzw. Johann Ohneland). Der französische Adel konnte sich 1198 noch sehr gut an Philipps wenig heldenhaften Verhalten im Heiligen Land und seiner unter fadenscheinigen Begründungen erfolgten Rückkehr im Jahr 1191 erinnern. Heute würde man sagen, Philipp war ein Realpolitiker, damals dachte man nicht so und Philipp wurde für sein damaliges Verhalten nicht besonders geachtet. Er befand sich also in den Jahren 1198 bis 1201 in einer sehr schwierigen Position, die bei einem erfolgreichen Kreuzzug Theobalds nicht einfacher geworden wäre. Aber er hatte Glück, der frühe Tod seiner Ehefrau Agnes von Andechs-Meranien und Theobalds III. im Jahr 1201, begünstigte schließlich den französischen König. Der Papst hob das Interdikt auf, da Philipp nur noch mit einer Frau verheiratet war.
Interessant ist, dass Philipps Schwester Agnes von Frankreich (1171–1240) nacheinander mit den beiden byzantinischen Kaisern Alexios II. (1167–1183) und Andronikos II. (1122–1185) verheiratet war und später die langjährige Lebensgefährtin von Theodoros Branas war, der wiederum eine wichtige Stütze des lateinischen Kaisers Heinrich von Flandern wurde. Trotz dieser familiären Verbindung zu Byzanz ist nichts über Philipps Einstellung zu den Ergebnissen des Vierten Kreuzzuges bekannt geworden. Zu seiner Schwester bestand jedenfalls keine oder kaum stattfindende Verbindung. Obwohl Philipp II. kein Teilnehmer des Vierten Kreuzzuges war, kann man ihn als Nutznießer der Politik des Papstes und somit indirekt als Nutznießer des Vierten Kreuzzuges sehen. Dank der politischen Konstellationen, die pro-französische Politik, der Tod von potentiellen politischen Konkurrenten wie Theobald III. und Balduin IX. von Flandern oder der Abzug unruhiger Adliger nach Griechenland, muss Philipp bzw. das französische Königtum zu den Gewinnern des Vierten Kreuzzuges zählen.
2. England
Natürlich war das Handeln des Papstes in Frankreich politisch begründet. Sein Handeln beruhte aber weniger auf die Hoffnung, Philipp als Führer des Kreuzzuges zu gewinnen. Ich denke, dass Innozenz III. um 1201/02 begriffen hatte, dass sein nach Ägypten geplanter Kreuzzug nicht so einfach umsetzbar war. Aber er brauchte die Hilfe des französischen Königs (und dieser benötigte die päpstliche Unterstützung) gegen ihren gemeinsamen, widerspenstigen Vasallen König Johann von England (1167–1216). Johann ließ seine erste Ehe mit Isabella von Gloucester († 1217) annullieren, um im Jahr 1200 die damals 12-jährige Isabella von Angoulême (1188–1246) zu ehelichen, die bereits mit Johanns Vasallen Hugo IX. von Lusignan (1163–1219) verlobt war. Beide Handlungen Johanns geschahen trotz des ausdrücklichen Verbots des Papstes, der ja Lehnsherr des König von England war. Weil Johann die Anordnungen des Papstes nicht befolgte, sprach Innozenz III. das kirchliche Interdikt über den englischen König aus. Dieses Interdikt blieb über 10 Jahre bestehen, teilweise wurde es gestärkt durch die Exkommunikation des englischen Königs. Dies führte dazu, dass alle zwischen 1200 und 1210/13 ausgeführten kirchlichen Handlungen (Taufe, Eheschließungen usw.) in England etwas Illegales anhafteten und die Menschen dadurch sehr verunsichert waren. Diese Entwicklung schwächte das englische Königtum und begünstigte den Untergang des Angevinischen Reiches im Jahr 1204, aber auch die Magna Charta von 1215 und die französische Invasion 1217/19 (unter Führung des späteren Königs Ludwig VIII.). 1216, im Todesjahr von König Johann und Papst Innozenz III., befand sich das Königtum in England auf einem Tiefpunkt. Dagegen steht aber, dass Johann bei der Kolonisierung Irlands durchaus erfolgreich war und dass er in Westfrankreich das Herzogtum Guyenne, das aus dem Herzogtum Aquitanien hervorging, als Vasall des französischen Königs behaupten konnte.
Die beschriebenen Ereignisse in England Anfang des 13. Jahrhunderts haben natürlich keine direkte Bedeutung für das Byzantinische Reich gehabt. Sie charakterisieren aber ganz deutlich die Politik von Innozenz III. und dessen Bereitschaft, die (weltliche) Macht des Papsttums auch mit drastischen Maßnahmen durchzusetzen. Damit unterschied sich Innozenz ganz enorm von seinem Vorgänger Coelestin III. (1106–1198), der nach der Gefangenschaft seines Vasallen Richard Löwenherz (1157–1199) im Jahr 1193 das kirchliche Interdikt über Herzog Leopold V. von Österreich (1157–1194) aussprach, weil dieser einen zurückkehrenden Kreuzfahrer gefangen nahm. Letztlich scheiterte aber auch Coelestin mit seinen Bemühungen, die Rückerstattung des Lösegeldes von Kaiser Heinrich VI. oder von Herzog Leopold zu erhalten, dessen früher Tod zu Silvester 1194 als Gottesgericht betrachtet wurde.
Fortsetzung folgt
3. Staufer
Heinrich VI. (1165–1197) konnte das Lösegeld auch nicht mehr zurückzahlen, da er es für die vollständige Eroberung Siziliens und den Sturz seines Rivalen Tankred von Lecce († 1194) aufgebraucht hatte. Coelestin versuchte die Eroberung Siziliens durch die Staufer zu ignorieren, in dem er als Lehnsherr Heinrichs ihm die Anerkennung als König verweigerte. Dies änderte sich auch nicht, als der Kaiser dem Papst vorschlug, einen Kreuzzug in Heilige Land auszuführen. Vielleicht wäre dieser Kreuzzug erfolgreich gewesen, denn nach Saladins Tod im Jahr 1193 waren dessen Brüder und Söhne in interne Machtkämpfe verstrickt, so dass das Reich der Ayyubiden geschwächt war. Aber es ist auch anzunehmen, dass sich Heinrichs Begehren nicht auf das Heilige Land oder den Nahen Osten richtete, sondern auf das Byzantinische Reich ausgelegt war. Ob er nur den Spuren der normannisch-sizilianischen Könige folgte oder gar plante, das westliche und östliche Kaisertum auf seine Person zu vereinen, ist umstritten, aber man kann wohl davon ausgehen, dass Heinrich VI. dies plante. Fakt ist, er gedachte die innerstaatliche Krise in Byzanz, die spätestens seit der Herrschaft Isaak II. Angelos (1155–1204) offenbar wurde, zu seinen Gunsten auszunutzen. Einer Invasion deutscher und normannischer Ritter, geführt von Heinrich, vielleicht noch unterstützt von einer Seemacht wie Venedig, hätten Isaak II. bzw. seit 1195 sein Bruder Alexios III. († nach 1210) nicht widerstehen können. Ungünstig für die Byzantiner war natürlich auch, dass die Normannen 1186 einen Großteil ihrer Flotte zerstört hatten und diese Verluste nicht durch Kauf oder Neubau von Schiffen kompensieren konnten. Heinrich VI. lehnte Isaak II. auch ab, weil er 1189 (möglicherweise in Absprache mit Saladin) Friedrich Barbarossa den Dardanellendurchzug zuerst verweigerte, dann zwar erlaubte, ihn aber immer noch erheblich erschwerte, so dass danach dessen Heer in Kleinasien mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Heinrich hegte persönlichen Groll gegenüber den Byzantinern, er lastete ihnen den Tod seines Vaters und das Scheitern seines Bruders Friedrich von Schwaben vor Akkon im Januar 1191 an.
Heinrichs früher Tod im Jahr 1197 beendete diese ehrgeizige Politik. Seine Witwe Konstanze (1154–1198) bemühte sich danach nur noch, das Erbe ihres Sohnes Friedrich (1194–1250) abzusichern. Dies konnte nur mit Hilfe des Papstes geschehen, der Lehnsherr des Königs von Sizilien war. Diese neue Konstellation kam sowohl dem alten Papst Coelestin III., aber vor allem dem neuen Papst Innozenz III. zugute. Denn Innozenz III. wurde Vormund des neuen minderjährigen Königs von Sizilien. Zwar musste sich Innozenz III. noch mit dem von den Staufern eingesetzten Statthalter Markward von Annweiler auseinandersetzen, aber nach dessen Tod im Jahr 1202 blieb der Papst bis 1208 der einzige tatsächliche Herrscher auf der Insel Sizilien. Es könnte daher möglich sein, dass der Papst in geheimen Verhandlungen dem Kreuzzug nach Konstantinopel zugestimmt hat, seinen Interessen als Regent von Sizilien käme dies auf alle Fälle entgegen. Dagegen konnte sich in Unteritalien der staufische Ministeriale Diepold von Schweinspeunt († 1221) gegenüber den päpstlichen Machtansprüchen bis 1205 behaupten, ehe er in Gefangenschaft geriet und ins welfische Lager wechselte. Diepolds härtester Gegner war übrigens Walter III. von Brienne († 1205), dessen jüngerer Bruder Johann von Brienne († 1237) nacheinander König von Jerusalem (1210–1212), Regent des Königreichs Jerusalem (1212–1225) und lateinischer Kaiser (1231–1237) wurde und dessen älteste Tochter Isabella (1212–1228) im Jahr 1225 die zweite Ehefrau des ehemaligen päpstlichen Mündels Friedrichs II. wurde und 1228 den späteren Kaiser Konrad IV. gebar. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Isabellas Hofdame und Cousine Anaïs von Brienne (1205–1230ff.), eine Tochter Walters III. und der Elvira von Hauteville († 1216), einer Tochter des sizilianischen Gegenkönigs Tankred von Lecce war und einige Jahre als Geliebte Friedrichs an dessen Hofe lebte.
Schwierig dagegen ist, die Politik Philipps von Schwaben (1177–1208) einzuschätzen. Denn die Ereignisse in Sizilien können nicht in seinem Interesse gewesen sein. Die Teilung des Stauferreiches und das Gegenkönigtum des Welfen Otto IV. (1176–1218), einem Neffen der englischen Könige Richard und Johann, schwächten seine Macht erheblich. Seit 1197 war Philipp mit Irene Angela (1172–1208), der Tochter des byzantinischen Kaisers Isaaks II. und Witwe von Roger (1175–1193), des Sohnes von Tankred von Lecce, verheiratet. Dies geschah auf Veranlassung Heinrich VI., der die Ehe seines Bruders sicher als Option für ein Eingreifen in die byzantinische Politik benötigte oder zumindest in Betracht zog. Fest steht, Philipp und auch Otto mussten politisch zwischen dem Papst, dem französischen oder dem englischen König politisch lavieren. Das deutsche Königtum fiel seit 1198 als politische Kraft aus. Es befand sich in einer schwierigen Situation, die vor allem von Innozenz III. genutzt wurde, die machtpolitische Stellung des Papsttums auszubauen bzw. den Kirchenbesitz zu erweitern.
1201 verweilte Bonifatius von Montferrat, einer der späteren Führer des Vierten Kreuzzuges im diplomatischen Auftrag des französischen Königs Philipp II. bei Philipp von Schwaben in Hagenau (Elsass). Da sich zu dieser Zeit auch Irenes Bruder Alexios Angelos (1183–1204) in Hagenau aufhielt, kann man davon ausgehen, dass die politischen Lage in Konstantinopel besprochen und analysiert wurde. Jedenfalls stießen im Dezember 1202 an der Seite des Markgrafen Bonifatius eine Gesandtschaft Philipps von Schwaben und der byzantinische Thronanwärter Alexios Angelos zum Kreuzfahrerheer, das im Vormonat Zadar erobert hatte und nun in der eroberten Stadt überwinterte. Es ist anzunehmen, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt der Entschluss gefasst wurde, das Kreuzfahrerheer nach Konstantinopel umzuleiten. Dass diese außenpolitische Aktivitäten des deutschen Königs nicht vom Papst bekämpft wurden, hat sicher seine Ursache darin, dass die Eroberung Konstantinopels und der damit verbundene Sturz Alexios III. im, zwar aus unterschiedlichen Gründen, aber trotzdem, beiderseitigen Interesse lag.
Die Konstellation, dass einerseits das byzantinische Kaisertum geschwächt war und dass andererseits das deutsche Königtum neutralisiert wurde, wäre wahrscheinlich für jeden Papst verlockend gewesen, sich politisch stärker zu betätigen und seine kirchenpolitischen Vorstellungen umzusetzen. Ich halte es möglich, dass Innozenz den Verlauf des Vierten Kreuzzuges nicht unbedingt gewollt hatte, aber schließlich mit dem Ergebnis – die Eroberung von Konstantinopel und die Entstehung der lateinischen Staaten – zufrieden war, vielleicht im eher fatalistischen Sinne „Gott hat es halt so gewollt“. Immerhin bot sich ihm die Möglichkeit, die Ost- und Westkirche zu vereinigen. Soweit ich informiert bin, wurde keiner der Eroberer und Plünderer von ihm exkommuniziert, es kam kein Einspruch, dass die Venezianer die Quadriga für San Marco aus Konstantinopel raubten und es kam auch kein Einspruch, als Plünderer wie der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk († 1225) mit reicher Beute heimkehrten. Auch wurde der Toten nicht gedacht, immerhin waren ca. 15 % der Bevölkerung von Konstantinopel „Lateiner“ oder „lateinischer Herkunft“, also West- oder Mitteleuropäer.
Ich denke, dass Philipp von Schwaben mit den Ergebnissen des Vierten Kreuzzuges nicht einverstanden war - immerhin betraf es die Familie seiner Frau, die von der politischen Bühne verschwand. Aber er hatte von 1202 bis 1204 genügend eigene politische Probleme zu bewältigen und nicht die Möglichkeiten, diplomatisch oder militärisch einzugreifen. „Gott hat es halt so gewollt“, mag vielleicht auch er gedacht haben.
4. Venedig, Ungarn und Kroatien
Die Republik Venedig und das Königreich Ungarn konkurrierten um die Vorherrschaft des (westlichen) Südosteuropa. Ihre Hauptgegner waren zwar Byzanz und/oder die orthodoxen Reiche der Serben oder der Bulgaren, trotzdem fanden Venedig und Ungarn nicht zu einer gemeinsamen Partnerschaft. Ihre Konkurrenz mussten vor allem die aufstrebenden Adriastädte ausbaden, so z.B. Zadar (Zara), das eigentlich unter Kontrolle Venedigs stand, 1118 von Ungarn erobert wurde, dann wieder von Ungarn abfiel und seitdem zwischen den beiden Mächten oder einer dritten Macht wie dem Ban oder Herzog von Kroatien lavierte. Zwar war Kroatien seit 1102 in Personalunion mit dem Königreich Ungarn verbunden, aber der Ban (Statthalter) von Kroatien betrieb im 12. Jahrhundert eine relativ unabhängige Politik (Suzeränität).
Diese Bans von Kroatien duldeten die Ausbreitung der Bogumilen. Zum Ende des 12. Jahrhunderts wurde die Sprengkraft dieser häretischen Bewegung für die Kirche klar erkannt. So kann man die Eroberung und Plünderung Zadars nicht nur als Klarstellung der Machtansprüche Venedigs gegenüber Ungarn (und Kroatien) sehen, sondern auch als Kampf gegen religiöse Abweichler. Zadar war sicher kein Zentrum der Bogumilen, diese waren relativ gleichmäßig in Südosteuropa verbreitet, fanden aber als Alternative zur katholischen Kirche in den Städten viele Anhänger, so auch in Zadar.
Um 1200 stand Ungarn vor einem Bruderkrieg. Der spätere Andreas II. (1177–1235) bekämpfte seinen älteren Bruder König Emmerich/Imre (1174–1204). Nach dem Tod des Bans von Kroatien einigten sich beide Brüder, der jüngere wurde zum Herzog von Kroatien und Dalmatien ernannt, de facto war dies eine Landteilung. Hinter Andreas II. standen Teile des ungarischen, kroatischen und dalmatinischen Adels und vor allem die Verwandten seiner Frau Gertrud von Andechs-Meranien, deren Familie ursprünglich aus Bayern stammte, aber deren Einfluss über den südlichen Alpenraum bis nach Istrien und Dalmatien reichte. Andreas neigte als Herzog eher zur Unterstützung der Bogumilen, später, als er selbst ungarischer König war, bekämpfte er sie als Häretiker. Der frühe Tod Emmerichs, das Königtum seines minderjährigen Sohnes Ladislaus in den Jahren 1204/05 und die darauf folgenden innerungarische Thronkämpfe begünstigten natürlich die Expansionen Venedigs. Etwas abschweifend möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass Emmerichs Witwe Konstanze von Aragón (1184–1222) infolge päpstlicher Vermittlung 1209 dessen Mündel, den jugendlichen sizilianischen König und späteren Kaiser Friedrich II. (1194–1250) heiratete.
Papst Innozenz III. unterstützte den ungarischen König Emmerich bei dessen Feldzügen gegen die Bogumilen, aber auch bei der Eroberung von Gebieten des orthodoxen Serbiens in den Jahren 1201/02. Die Eroberung serbischer Gebiete durch die Ungarn führte letztlich dazu, dass ein kriegerischer Doge wie Enrico Dandolo (1107–1205) politisch von der venezianischen Handelsoligarchie unterstützt wurde. Enrico Dandolo soll um 1171 die Ausweisung venezianischer Kaufleute aus Konstantinopel selbst miterlebt haben und im Folgejahr als Gesandter der Republik geblendet worden sein. Fremdenhass war nicht nur bei den „Lateinern“ verbreitet, umgedreht hegten die Griechen gegenüber den Fremden aus Westeuropa auch nur Vorbehalte oder Hass, der dann entweder gezielt instrumentalisiert wurde, wie 1171/72 von Manuel I. (1118–1180) oder der sich in spontanen Gewaltaktionen der Volksmassen wie 1182/83 zeigte.
Abschließend möchte ich diesen Abschnitt, mit der Feststellung, dass nicht nur die Eroberung und Plünderung von Konstantinopel wirtschaftliche, politische und religiöse Gründe hatte, sondern auch die Eroberung und Plünderung von Zadar im Jahr 1202 ebenso begründet werden muss. Sie nur als Vorspiel der Eroberung Konstantinopels zu sehen, wird diesem Ereignis nicht gerecht. Aus diesem Grund hätte man nach 1202 die Ereignisse von 1204 voraussehen (oder zumindest ahnen) können. Dem Papst muss man aber zugute halten, dass er sich vom Vorgehen der Venezianer in Zadar distanzierte und das Kreuzfahrerheer deswegen exkommunizierte. Ein nicht unwichtiger Unterschied zu den Ereignissen von 1204. Der schon oben genannte Konrad von Krosigk, Bischof von Halberstadt, reiste 1205 nach Rom, um seine Exkommunikation für die Plünderung Zadars zu lösen. Diese erhielt er, danach reiste er nach Halberstadt, wo er am 16. August 1205 ankam und dieser Tag seitdem jährlich als „Ankunft der Reliquien“ gedacht wird. 1209 musste er sein Amt zurückgeben, da er vor Zadar bereits als Parteigänger der Staufer von Innozenz III. exkommuniziert worden war, und diese Exkommunikation als nicht gelöst betrachtet wurde. Sehr fadenscheinig, aber 1209 zwangen Papst und Welfen den Bischof zum Rücktritt und zu einem gottgefälligen Klosterleben.
Venedig wäre auch bei einem Scheitern des Kreuzzuges eine Seemacht geblieben. Byzanz war zu schwach, um von der Defensive in die Offensive zu gehen. Einerseits lag das an der zum großen Teil zerstörten Flotte durch die sizilianischen Normannen (1186), andererseits hätte sich Byzanz weiterhin mit Bulgarien und Serbien auseinanderzusetzen gehabt. Ebenso ist nicht geklärt, ob es unter den Angelos-Kaisern nicht starken Generälen gelungen wäre, separate Reiche wie das Kaiserreich Trapezunt und das Despotat Epirus zu gründen. Langfristig profitierten die Genuesen mehr von der Eroberung als die Venezianer, die ihren Einfluss nur auf die Kreuzfahrerstaaten ausweiten konnten. (siehe nächster Abschnitt) Die Venezianer wären weiterhin eine Macht geblieben, es hätte bei einem Scheitern des Kreuzzuges sicher zu einer personellen Änderung der Führungsschicht gekommen, aber Venedig hätte weiterhin eine bedeutende Rolle als Handelsmacht gespielt.
5. Die Seemächte
Bis zum Vierten Kreuzzug bzw. der Eroberung Konstantinopels lag der Schwerpunkt der politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten der Republik Genua im westlichen Mittelmeer. Die Genuesen kämpften jahrzehntelang gegen die Pisaner um die Herrschaft über Sardinien und Korsika. Entschieden wurde der Kampf erst nach der Seeschlacht von Melloria im Jahr 1284 zuungunsten der Pisaner, deren politische und wirtschaftliche Bedeutung seitdem sank.
Nach dem die Republik Pisa 1135/37 die Konkurrenzmacht Amalfi ausgeschaltet hatte, kämpfte sie weiter mit der Republik Genua und dem Königreich Aragon um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer, die den Handel mit arabischen oder maurischen Staaten und Städten einschloss. Schwerpunkt der Politik Pisas war die Sicherung der Herrschaft über Sardinien. Seit dem 13. Jahrhundert musste sich Pisa auch mit der Gegnerschaft der aufstrebenden Republiken Florenz, Lucca und Siena auseinandersetzen.
Die Aktivitäten der Genueser im östlichen Mittelmeer begannen erst nach dem Vierten Kreuzzug. 1232 erhielten sie Handelsprivilegien auf Zypern. Nach dem Vierten Kreuzzug verbanden sich die Genuesen mit dem Kaiserreich Nikaia, mit dessen Hilfe Handelsniederlassungen am Schwarzen Meer, am Asowschen Meer, auf der Krim usw. gegründet wurden. 1261 erfolgte die genuesische Gründung in Galata. Die genuesischen Aktivitäten im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer sind erst eine Folge des Vierten Kreuzzuges. Die meisten Handelsniederlassungen mussten im 15. Jahrhundert nach der Eroberung durch die Osmanen geräumt werden, zuletzt Chios im Jahr 1566. Genua blieb meiner Meinung nach ein verlässlicher Partner der Byzantiner, das Bündnis zwischen dem Kaiserreich Nikaia und der Republik Genua trug wesentlich zur Restauration des Byzantinischen Reiches bei.
Die Republik Amalfi erholte sich nach der Eroberung durch Pisa nicht mehr und fiel im 12. Jahrhundert als bedeutende Handelsmacht aus.
Die 1162 gebildete Krone Aragon konzentrierte um 1200 ihre Aktivitäten vor allem auf die Eroberung der Balearen oder sie stellte ihre Flotte im Dienst der Reconquista. Ihr Aufstieg zur Seemacht erfolgte erst im 13. Jahrhundert.
Die Republik Ragusa (Dubrovnik) wurden erst 1191 Handelsprivilegien von Byzanz gewährt. Die Eroberung Zadars befreite Ragusa von einem lästigen Handelskonkurrenten. Nach der Eroberung Konstantinopels unterwarf sich Ragusa den Venezianern, die Stadt blieb selbstständig und agierte als eine Art Juniorpartner der Venezianer. Erst die Pest von 1348 brachte diese Handelmacht zum Erliegen, die ihrer Handelselite beraubte Stadt unterwarf sich 1358 dem ungarischen König.
Fazit dieses Abschnitts: Um 1204 hatten die Venezianer keinen Konkurrenten als Seemacht im östlichen Mittelmeer und in der Adria zu befürchten gehabt. Aber dies hielt nicht lange an. Die Genuesen begannen bald eine kluge Politik als Seemacht im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer zu führen.
6. Bulgarien, Serbien und Albanien
Infolge der byzantinischen Staatskrise gelang es den bulgarischen Brüder Iwan, Peter und Kalojan (Johannes) Asen in den Jahren 1185 bis 1187 die bulgarische Unabhängigkeit zu erneuern und das Zweite Bulgarische Reich zu errichten. Ihre 1185 erwählte Hauptstadt Tarnowo wurde sehr schnell ein kulturelles und religiöses Zentrum. In den Jahren 1197 bis 1207 herrschte über Bulgarien der jüngste Bruder, Zar Kalojan (1170–1207).
Kalojan bekam seine Königskrone 1198 vom Papst verliehen bzw. bestätigt, der sich dadurch erhoffte, dass Zweite Bulgarische Reich der erneuerten katholischen Kirche anzuschließen. Kalojan gelang es, Bulgarien auf Kosten der Nachbarstaaten wie Serbien oder Byzanz zu vergrößern. Dadurch kam es zum Konflikt mit den Kreuzfahrern, den die Bulgaren in der Schlacht von Adrianopel am 14. April 1205 siegreich für sich entscheiden konnten. Die Kreuzfahrer verloren in oder infolge der Schlacht wichtige, führende Persönlichkeiten, wie Balduin von Flandern, Ludwig von Blois oder Enrico Dandolo.
Das noch von Kalojan begründete Bündnis mit Theodor Laskaris (1174–1222), dem ersten Kaiser von Nikaia, war ein wichtige Grundlage für den Untergang des Königreiches Thessaloniki im Jahr 1222 und für die Wiedererrichtung des byzantinischen Reiches im Jahr 1261. Ich denke, dass das bulgarisch-nikaiaische Bündnis beiden Staaten genutzt hatte.
In Serbien herrschten seit 1167 die Nemanjiden, die sich im 13. und 14. Jahrhundert zu der wohl bedeutendsten serbischen Dynastie entwickeln sollte. Vier Angehörige der Familien wurden von Byzanz als Herrscher über Raszien, Diokletien, (beides Gebiete im heutigen Serbien/Montenegro, Zeta (Kernland von Montenegro) und Serbien eingesetzt, nach dem 1165 der gegen Byzanz gerichtete Aufstand der bisherigen Dynastie Uros (Urosevic) scheiterte.
Für diese Ausarbeitung sind nur die serbischen Herrscher interessant. Der erste Herrscher dieser neuen Dynastie, Stefan Nemanija – der Nichtshabende († 1200), regierte bis 1196, trat dann zurück und verbrachte seine letzten Tage in einem Kloster auf Athos. Er war ursprünglich römisch-katholischen Glaubens, konvertierte aber als Herrscher (Großżupan) zum orthodoxen Glauben. Er gilt als Gründer einiger serbischer Klöster. Von 1183 bis 1190 führte er Krieg gegen Byzanz. 1189 unterstützte er die Kreuzfahrer unter Friedrich Barbarossa, gemeinsam eroberten sie Sofia. 1190 griffen Kreuzfahrer, Bulgaren und Serben gemeinsam Byzanz an.
Isaak II. konnte zwar nach dem mit Barbarossa geschlossenen Frieden von Adrianopel (14. Februar 1190) die Serben in einer Schlacht besiegen, die daraufhin Eroberungen wie Sofia an Byzanz zurückgeben mussten, aber die Anerkennung ihrer Autonomie bedeutete praktisch die Unabhängigkeit Serbiens. Stefan Nemanija hatte drei Söhne, der jüngste Sohn war (der Heilige) Sava von Serbien (1175–1236), der maßgeblich zur Verbreitung des orthodoxen Christentums in Serbien und Bulgarien beitrug. 1217 schuf er das erste serbische Gesetzbuch, 1220/21 begründete er die serbisch-orthodoxe Kirche. Er starb im Übrigen in der bulgarischen Hauptstadt Tarnowo.
Seine beiden älteren Brüder waren Vukan († 1208) und Stefan Nemanjic († 1227), der zwar der Zweigeborene war, aber von seinem Vater als Haupterbe eingesetzt war. Vukan bekam nur Raszien und Zeta (de facto Montenegro) und Stefan das restliche Serbien. Vukan neigte zum römisch-katholischen Glauben und verbündete sich mit dem ungarischen König. Stefan dagegen entschied sich für den serbisch-orthodoxen Ritus, er war von 1196 bis 1217 Großżupan und von 1217 bis 1227 König von Serbien. In erster Ehe war er mit Eudokia Angela, der Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios III., seine zweite Ehe schloss er mit Anna Dandolo, einer Enkelin des Dogen und Kreuzfahrers Enrico Dandolo – ich denke, dass diese Ehen als Belege einer nach 1204 geänderten, außenpolitischen Ausrichtung Serbiens angesehen werden können.
Albanien konnte ebenfalls 1190 unter dem einheimischen Adligen Progon seine Eigenständigkeit erlangen. Unter ihm und seinen Söhnen Gjin und Dimitar († 1216) begann die Katholisierung der Albaner. Besonders Dimitar suchte die Unterstützung des Papstes, aber auch die Hilfe der Seerepublik Ragusa (1209), deren Hilfe er vor allem gegen Serbien und das seit 1204 bestehende Despotat Epirus benötigte, die beide Ansprüche auf albanische Gebiete stellten. Nach dem Tod des kinderlosen Dimitars begann der Niedergang dieses albanischen Fürstentums, dessen Reste schließlich 1255 von Karl I. von Anjou (1227–1285) erobert wurde.
Das Despotat Epirus wurde von Michael Angelos Komnenos Dukas († 1215) gegründet und war neben den Kaiserreichen Nikaia und Trapezunt der wichtigste Nachfolgestaat des Byzantinischen Reiches. 1213/14 wurde den Venezianern Korfu entrissen, 1222 war Epirus maßgeblich an der Eroberung des Kreuzfahrer-Königreiches Thessaloniki beteiligt. Das Despotat blieb auch nach der Wiedererrichtung des Byzantinischen Reiches unabhängig und behauptete sich bis 1449 als ein wichtiger Machtfaktor.
7. Balduin IX., Graf von Flandern und Hennegau und seine Familie
Der ursprünglich gedachte militärische Führer des Kreuzzuges Theobald III., Graf von Champagne, verstarb bereits 1201 an den Folgen einer Typhuserkrankung. Ihm „beerbten“ sein Vetter Ludwig von Blois (1171–1205) und vor allem sein Schwager Balduin IX., Graf von Flandern. Über Ludwig von Blois wurde nicht allzu viel berichtet, er verließ zwar Frankreich 1202, bei der Eroberung Konstantinopels war er aber nicht dabei. Er fiel in der Schlacht bei Adrianopel (1205) im Kampf gegen die Bulgaren unter Kalojan. Bemerkenswert an Ludwig ist, dass er bereits 1196 die Leibeigenschaft auf seinen Ländereien abschaffte. Inwieweit das von seinen Erben akzeptiert wurde, weiß ich nicht jetzt aber nicht.
Balduin IX. (1171–1205), Graf von Flandern und als Balduin VI., Graf von Hennegau war ein erfolgreicher Politiker, der sich gegen seine Widersacher durch geschicktes Lavieren behauptete. Er war seit 1186 mit Marie von Champagne (1174–1204) verheiratet, folgte 1194 seiner Mutter in Flandern und 1195 seinem Vater im Hennegau. Dadurch wurde Balduin einer der mächtigsten Herrscher im Nordwesten des Reiches. Allerdings herrschte er nur über einen Teil Flanderns, der andere Teil wurde vom französischen König als Mitgift seiner verstorbenen Ehefrau Elisabeth von Flandern und Hennegau (1170–1190), der Schwester Balduins einbehalten. Aus diesem Grund verband sich Balduin zuerst mit dem englischen König Richard Löwenherz und seit 1198 mit dem deutschen König Otto IV. gegen den französischen König.
1200 schlossen Balduin und Philipp den Frieden von Péronne, in dem Balduins Rückeroberungen bestätigt wurde und Philipp (außer auf das Artois) auf den Besitz ehemaliger Gebiete Flanderns und Hennegaus verzichtete. Dieser Vertrag führte zum Auseinanderbrechen des englisch-flandrischen Bündnisses, was wiederum Philipps Kampf gegen König Johann von England begünstigte. Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages begann Balduin sich für den Kreuzzug vorbereiten. Er erließ zwei Chartas, die eine war ein frühes Strafgesetzbuch, die andere regelte Erb- und Nachfolgefragen. Beide Chartas gelten bis heute als Meilensteine der Rechtsgeschichte von Flandern und Hennegau bzw. von Belgien. Als Regent setzte er seinen Bruder Philipp von Namur (1174–1212) ein.
Schließlich brach er, im Bewusstsein seine politischen und persönlichen Angelegenheiten geregelt zu haben, am 14. April 1202 zum Kreuzzug auf.
Ich denke, zum Zeitpunkt seines Aufbruchs war Balduin überzeugt, dass der Vierte Kreuzzug gegen die Nachfolger Saladins gerichtet war. Wie sonst, wäre es erklärbar, dass er seine Frau Marie aufforderte, nach der Geburt ihres zu erwartenden Kind, ihm ins Heilige Land zu folgen. Marie reiste auch in das Heilige Land, aber nicht über den Weg ihres Mannes über Venedig, sondern über Marseille. Begleitet wurde sie von Johann von Nesle († 1239), der 1203 Teile der flämischen Flotte eigenmächtig ins Heilige Land steuern ließ. Dort erfuhr Marie von der Eroberung Konstantinopels und der Krönung ihres Mannes zum Lateinischen Kaiser. Aber sie sah ihn nie wieder, da sie vor ihrer Überfahrt nach Konstantinopel im Sommer 1204 in Akkon verstarb.
Balduin IX. wurde nach der Eroberung Konstantinopels im April 1204 und der Absage des Dogen Enrico Dandolo zum ersten Kaiser des neu entstandenen Lateinischen Kaiserreiches gewählt. Er gewann die Wahl hauptsächlich nur, weil er umgänglicher und lenkbarer als sein Konkurrent Bonifatius von Montferrat erschien. Als Kaiser baute er das neu erstandene Lateinische Kaiserreich nach westeuropäischem Vorbild auf. Schwierigkeiten machte ihm vor allem sein Konkurrent Bonifatius von Montferrat, der darauf drängte, sein eigenes Reich zu erobern. Deswegen kam es fast zum Krieg zwischen Flamen und Lombarden. Enrico Dandolo schlichtete jedenfalls den Streit, in dem er Montferrat die Herrschaft über das noch zu erobernde Königreich Thessaloniki und den Oberbefehl über das Heer des Lateinischen Kaiserreiches zugestand. Weshalb Bonifatius von Montferrat gerade die zweitgrößte Stadt des untergegangenen Byzantinischen Reiches beanspruchte, wird dann im nächsten Kapitel behandelt.
Während der kurzen Herrschaft Balduins rebellierte die griechische Bevölkerung, die vom bulgarischen Zar Kalojan unterstützte wurde. Am 14. April 1205 kam es zur Schlacht von Adrianopel, in der das Kreuzfahrerheer von den vereinten Griechen und Bulgaren geschlagen wurde. Ludwig von Blois fiel in dieser Schlacht, der greise Enrico Dandolo erlag einige Wochen später seinen Verletzungen und Balduin verstarb einige Monate später als Gefangener im dann nach ihm benannten Balduinturm in der neuen bulgarischen Hauptstadt Tarnowo. Sein Schicksal blieb lange Zeit ungeklärt, so dass um 1225 in Flandern ein falscher Balduin für kurze Zeit politisch erfolgreich war. Heute weiß man, dass Kalojan in einem Brief informierte, dass der erste Kaiser der Lateiner noch im Jahr 1205 in der Gefangenschaft verstarb.
Dies war nicht nur ein herber Verlust für das Lateinische Kaiserreich, sondern auch für die Grafschaften Flandern und Hennegau. Philipp von Namur führte zwar noch die Regentschaft, er wurde jedoch zunehmend gezwungen, die Regierungsgeschäfte an die ältere Tochter zu übergeben. 1210 mischte sich der französische König Philipp II. ein, indem er die beiden Töchter Balduins, Johanna und Margarete, unter seine Aufsicht stellte und den Regenten praktisch entmachtete. Johanna führte eine pro-französische Politik, ihre Gegner waren 1225 bereit, einen falschen Balduin als Herrscher anzuerkennen. Da Johanna 1244 kinderlos starb, folgte ihr ihre Schwester, die wegen ihrer beiden politisch begründeten Ehen als Bigamistin verleumdet wurden und deren Nachkommen aus den beiden Ehen, die verfeindeten Häuser Avesnes und Dampierre, sich erbittert bekämpften und die politische Einheit Flanderns und Hennegaus auflösten.
Die Kreuzfahrer wussten allerdings nicht, dass Balduin in Tarnowo verstarb, für sie blieb er ein Verschollener. Erst im Sommer 1206 entschieden sie sich, Balduins Bruder Heinrich von Flandern (1171–1216) zum neuen Kaiser zu wählen. Heinrich von Flandern gehörte nicht zu den ursprünglichen Führern des Kreuzzuges, er zeichnete sich jedoch bei der Eroberung Konstantinopels durch recht wagemutige, aber erfolgreiche Aktionen aus. Heinrich gelang es, das Bündnis der Griechen und Bulgarien aufzulösen und den Kreuzfahrerstaat im Innern zu festigen. Der Konflikt zwischen den Flamen und den Lombarden wurde geschlichtet, indem Heinrich Agnes († 1208), die Tochter von Bonifatius von Montferrat heiratete. Nachdem Heinrich die Bulgaren unter Zar Boril Asen († 1218) in der Schlacht von Philippopolis (Plovdiv) am 31. Juli 1208 schlug, blieb als wichtigster Gegner nur noch Theodor Laskaris bzw. das Kaiserreich von Nikaia übrig. Außerdem konnte Heinrich seine Stellung nach dem Tod von Bonifatius von Montferrat († 1207) ausbauen, indem es ihm gelang, für den minderjährigen Demetrius von Montferrat (* 1205) seinen jüngeren Bruder Eustach von Flandern († 1216) als Regenten des Königreichs Thessaloniki gegen den Widerstand der lombardischen Ritterschaft durchzusetzen. Ebenso trug die 1208 geschlossene Ehe Eustachs mit einer Tochter des Despoten von Epirus zur Konsolidierung des Lateinischen Kaiserreiches bei.
Während Heinrichs Herrschaft wurden die Besitzverhältnisse der römisch-lateinischen Kirche in Zusammenarbeit mit dem Papst geregelt. Als Oberhaupt für die eroberten Gebiete wurde das lateinische Patriarchat von Konstantinopel gebildet, dessen erster Patriarch ein Venezianer war. Auch dies ist für mich ein Indiz, dass Innozenz III. mit dem Verlauf und dem Ergebnis des 4. Kreuzzuges einverstanden war. Heinrichs Verdienst ist sicher, dass er die Verfolgung griechisch-orthodoxer Kleriker unterband und griechische Adlige und Beamte in seinem Herrschaftssystem einband.
Heinrich war der tatkräftigste lateinische Kaiser. Seine Außenpolitik war einerseits bestimmt durch das Bündnis mit Venedig und dem Papst, andererseits durch sein wechselhaftes, politisches Lavieren zwischen Bulgarien, Serbien, Epirus und Nikaia, so dass ein politisches Gleichgewicht zwischen diesen Staaten entstand. Inwieweit Heinrich politische Beziehungen zu den Rum-Seldschuken, zum Kaiserreich Trapezunt, zu Königin Tamar von Georgien († 1213) oder zu König Leo(n) II. von Armenien († 1219) aufnahm bzw. führte, habe ich bisher nicht ermitteln können. Nicht unwichtig ist, dass Leo(n) 1198 im Auftrag des Papstes vom deutschen Erzbischof Konrad von Mainz († 1200) – einem Wittelsbacher - zum König gekrönt wurde. Dies muss man als klaren Affront gegen die griechisch-orthodoxe Kirche und den byzantinischen Kaiser Alexios III. betrachten.
1216, das Todesjahr Heinrichs, seines Bruders Eustach und des Papstes Innozenz III., bedeutete eine wichtige Zäsur für die Existenz des Lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel. Die näheren Umstände von Heinrichs Tod sind umstritten, möglicherweise ist er von seinen lombardischen Gegnern oder seiner zweiten Ehefrau Maria, einer Tochter des bulgarischen Zaren Kalojan, vergiftet worden. Da seine beiden Ehen kinderlos blieben, fiel das Erbe auf seine Schwester Jolande von Flandern und deren Ehemann Peter von Courtenay.
Peter von Courtenay (1150–1219) entstammte einer Seitenlinie des französischen Könighauses. Er begleitete den französischen König Philipp II. 1190/91 auf den Dritten Kreuzzug, 1209 kämpfte er gegen die Albigenser und 1214 nahm er an der Schlacht von Bouvines teil. Nach seiner Wahl ließ er sich 1217 vom neuen Papst Honorius III. (1148–1227) in Rom krönen. Die Venezianer rüsteten ihn mit einer Flotte aus, mit der Bedingung, die Stadt Durazzo zu erobern. Beim Versuch, Durazzo zu erobern, geriet Peter in die Gefangenschaft des Despoten von Epirus, in der er bis zu seinem Tod verbleiben musste. Er betrat nie den Boden des Lateinischen Kaiserreiches.
Da Peters Schicksal vorerst nicht bekannt war, reiste 1217 seine Ehefrau Jolande († 1219) nach Konstantinopel, um die Regentschaft für ihren Mann zu übernehmen. Sie schloss einen Friedensvertrag mit Theodor Laskaris, dem Kaiser von Nikaia. Nach ihrem Tod blieb der Thron zwei Jahre vakant, ehe ihr Sohn Robert von Courtenay die Herrschaft übernahm.
Ich denke, dass während der Vakanz des Thrones zwischen 1216 und 1221 die Grundsteine für den Untergang des Lateinischen Kaiserreiches gelegt worden sind.
8. Bonifatius I., Markgraf von Montferrat und seine Familie
Nachfolgend wiederhole ich einige meiner Ausführungen vom 25. November 2013 zum Forum-Rätsel, in dem Bonifatius von Montferrat der Gesuchte war.
Markgraf Wilhelm V. von Montferrat († 1191) und seine Ehefrau Judith von Österreich hatten mehrere Kinder, darunter fünf Söhne. Der älteste Wilhelm Langschwert (* um 1140/45) heiratete 1174/75 Sybille (1159–1190), die älteste Tochter des Königs Amalrich I. von Jerusalem († 1174). Er zeugte einen Sohn und starb 1177 an Malaria. Da Sybilles Bruder Balduin IV. (der Leprakranke) 1185 verstarb, folgte ihm Sybilles Sohn als Balduin V., wobei der Kindkönig unter Regentschaft seiner Mutter stand und bereits 1186 Balduin im Alter von ca. 10 Jahren verstarb. Seine Mutter war zu diesem Zeitpunkt schon mit Guido Lusignan († 1194) verheiratet, der deshalb noch im Jahr 1186 neuer König von Jerusalem wurde.
Der zweite Bruder Konrad (* 1146) war wahrscheinlich schon in den 1180er Jahren im Heiligen Land gewesen, diente jedoch auch in Konstantinopel unter Kaiser Isaak II. Im Jahr 1190 wurde er erneut nach Jerusalem gerufen, um als Gatte von Isabella (1172–1205), der jüngeren Tochter Amalrichs, das Königreich anstatt des schwachen und unfähigen Guido zu regieren. Konrad gelang es, sich gegen Guido durchzusetzen, er wurde aber bereits 1192 ermordet. Wer der oder die Täter waren, ist umstritten. Es wird spekuliert, dass es die Assassinen des Alten vom Berge waren, ebenso könnte sich der erste Ehemann der Isabella oder Guido von Lusignan gerächt haben.
Die einzige Tochter von Isabella und Konrad, Maria von Montferrat, wurde 1192 geboren, sie wurde nach dem Tod von Amalrich von Lusignan († 1205), dem vierten Ehemann ihrer Mutter, Königin von Jerusalem und mit Johann von Brienne (1169/74–1237) verheiratet. Ihr einziges Kind war Isabella von Brienne (1212–1228). Maria starb kurz nach der Geburt ihrer Tochter Isabella, die wiederum als junges Mädchen mit Kaiser Friedrich II. verheiratet wurde und ebenfalls kurz nach der Geburt ihres einzigen Kindes Konrad IV. (1228–1254) verstarb. Der Titel König von Jerusalem ging deswegen auf die Staufer über.
Der jüngere Bruder war Rainer von Montferrat (* um 1160). Er wurde mit einer Maria Komnena (* um 1150), Tochter des byzantinischen Kaisers Manuel I. verheiratet. Maria war ca. 10 Jahre älter als Rainer und musste aus verschiedenen Gründen unter die Haube. Ihr Ehemann erhielt deshalb den Titel Caesar zuerkannt, der mit der Themenverwaltung des Gebietes Thessaloniki verbunden war. Während eines Aufstandes im Jahr 1183 (Thronwechsel von Alexios II. auf Andronikus I.) wurden Rainer und Maria von der aufgebrachten Volksmenge in Thessaloniki ermordet.
Ein weiterer Bruder war wahrscheinlich Friedrich, Bischof von Alba.
Bonifatius (* um 1150) war einer der Führer des Vierten Kreuzzuges. Es ist zu vermuten, dass er eine der treibenden Kräfte der Eroberung Konstantinopels war. Der Markgraf war ein Anhänger der Staufer, seit 1170/71 bekämpfte er unter Barbarossa den Lombardenbund und im Jahre 1194 unterstützte er Heinrich VI. bei der Eroberung Siziliens. Nach dem Tod Heinrichs unterstützte er dessen Bruder Philipp 1197 im Thronstreit gegen die Welfen. Politische Erfahrungen sammelte er in der mit seinem Bruder Konrad gemeinsam erfolgten Verwaltung der Markgrafschaft Montferrat und als Mitglied des Regentschaftsrates von Savoyen (1189–1191).
Nach dem Tod Theobalds III. von Champagne († 1201) wurde Bonifatius vom Konzil in Soissons zum neuen Führer des Kreuzzuges gewählt. Dies geschah vor allem auf Initiative des französischen Königs, der den erfahrenen Bonifatius als Gegengewicht zu dem mit ihm verfeindeten Balduin von Flandern favorisierte. Dass Bonifatius als Lombarde von den meisten französischen Adligen unterstützt wurde, wird mit dem guten Ruf der Montferrats begründet. Ein weiterer Verdienst des Markgrafen ist, dass er den französischen König bewog, sich mit Philipp von Schwaben bzw. der Stauferpartei zu verbünden.
Um dieses Bündnis zu festigen, verweilte Bonifatius 1201 bei Philipp von Schwaben auf dessen Pfalz in Hagenau. Dort hielt sich ebenfalls Alexios Angelos (1183–1204) auf, der ein Bruder von Königin Irene und ein Sohn Kaisers Isaak II. war. (siehe oben, Abschnitt „Staufer“) Inwieweit bereits zu diesem Zeitpunkt bei Bonifatius der Entschluss feststand oder erst reifte, den Kreuzzug nach Konstantinopel umzuleiten, ist umstritten. Eine weit verbreitete Ansicht ist, dass Alexios Angelos Bonifatius überzeugte, seinen Onkel Kaiser Alexios III. zu stürzen. Als Gegenleistung versprach er den Kreuzfahrern eine beträchtliche, finanzielle Vorauszahlung und die Aufstellung eines byzantinischen Heeres zur Unterstützung der Kreuzfahrer. Inwieweit er dies einzuhalten gedachte, ist fraglich. Die versprochenen finanziellen Mittel hätte Alexios auch nur durch Enteignung von Adligen und/oder des Klerus aufbieten können.
Fest steht, dass Bonifatius von Montferrat nach der Eroberung Zadars Ende 1202 zum Kreuzfahrerheer stieß. In seiner Begleitung befand sich Alexios Angelos und einige Gesandte Philipps von Schwaben, die dem Kreuzfahrerheer ihre Idee zur Umleitung nach Konstantinopel im Sinne Isaaks II. und seines Sohnes Alexios Angelos vortrugen. Ebenso steht fest, dass Alexios Angelos die politische Situation in Byzanz falsch eingeschätzt hatte oder dass er die Kreuzfahrer ganz gezielt getäuscht hatte. Denn nicht der mit Hilfe der Kreuzfahrer entmachtete Alexios III. wurde als Usurpator angesehen, sondern der an die Macht zurückgekehrte Issak II. bzw. dessen Sohn, der 1203/04 einige Monate als Alexios IV. herrschte, bevor er von Alexios V. (1160–1204), einem Schwiegersohn seines Vorgängers verdrängt wurde.
Da Bonifatius von Montferrat der energischste und eigensinnigste Führer des Kreuzzuges war, wurde nicht er, sondern der moderate Balduin von Flandern zum Kaiser des neu entstandenen Lateinischen Kaiserreiches gewählt. Bonifatius fühlte sich übergangen und zettelte deswegen fast einen Krieg gegen Balduin an. Dieser Streit konnte von Enrico Dandolo geschlichtet, als Ergebnis entstand das (noch zu erobernde) Königreich Thessaloniki, das Bonifatius als Erbe seines jüngeren Bruders Rainer betrachtete, den die Themenverwaltung um 1180 übertragen wurde. Offensichtlich konnte oder wollte Bonifatius nicht verstehen, dass die Themenverwaltung kein Lehen im westeuropäischen Sinn war, sondern ein Amt zur finanziellen Versorgung von Angehörigen der Kaiserfamilie und begünstigter Adliger war. Jedenfalls gelang es ihm, 1204 König von Thessaloniki (als Vasall des Kaisers der Lateiner) und Oberbefehlshaber aller Streitkräfte zu werden. Damit blieb er ein mächtiger Mitstreiter, aber auch Gegenspieler des Kaisers.
Bonifatius war drei Mal verheiratet. Seine erste Ehefrau war die Adlige Elena di Bosco, mit der er drei Kinder hatte. Wilhelm VI. († 1225), Agnes († 1208) und Beatrix. In zweiter Ehe war er nur einige Monate mit Jeanne de Châtillon (um 1160–1204), der Tochter des berüchtigten Abenteurers Rainald de Châtillon (um 1120–1187) verheiratet. Diese Ehe blieb kinderlos. In dritter Ehe vermählte er sich im Jahr 1204 mit Margarethe/Margit/Maria (1175–nach 1233), der Witwe Isaaks II., die wiederum auch Tochter des ungarischen Königs Bela III. († 1196) bzw. Schwester der ungarischen Könige Emmerich/Imre († 1204) und Andreas II./Andras II. († 1235) war. Ihre Mutter Agnes von Châtillon (1154–1184) war außerdem die ältere Schwester der zweiten Ehefrau von Bonifatius, Jeanne von Châtillon. Des Weiteren war Marias Nichte die 1235 heilig gesprochene Elisabeth von Thüringen (1207–1231).
Bonifatius und Maria hatten nur einen Sohn, Demetrius (* 1205). Bereits 1207 fiel der erste König von Thessaloniki nach der erfolgreichen Plünderung eines bulgarischen Klosters Spähern Kalojans in die Hände, die ihm - kurz und entschlossen - enthaupteten und den Kopf als Siegestrophäe zu Zar Kalojan nach Tarnowo bringen ließen. Bonifatius’ Nachfolger wurde sein Sohn Demetrius, der unter die Regentschaft seiner Mutter Maria gestellt wurde. Gegen diese Regelung erhoben sich die lombardischen Ritter, die Maria Ehebruch unterstellten und deswegen Demetrius nicht als Sohn Montferrats anerkannten. Anstatt des Minderjährigen beabsichtigten sie dessen älteren Halbbruder Wilhelm VI. von Montferrat zum zweiten König krönen zu lassen. Maria wandte sich deshalb an Kaiser Heinrich von Flandern, der seinen Bruder Eustach als Regenten einsetzte und Demetrius zum König krönen ließ. Nach dem Tod Heinrichs und Eustachs im Jahre 1216 begann die Eroberung des Königreiches Thessaloniki durch Theodor Laskaris, Kaiser von Nikaia und vor allem durch Theodor Angelos Komnenos Dukas (1180/85–1253), dem Despoten von Epirus, die 1224 vollendet war. Ein Versuch von Wilhelm VI., das Königreich erneut zu erobern, scheiterte 1225.
Bonifatius’ Ur-Urenkelin war Yolande von Montferrat (1273/74–1317), die mit dem byzantinischen Kaiser Andronikos II. (1259/60–1332) verheiratet war. Da mit ihrem Bruder der letzte männliche Vertreter der Markgrafen von Montferrat Anfang des 14. Jahrhunderts kinderlos verstarb, erbte ihr Sohn Theodoros Palaiologos († 1340) die Markgrafschaft Montferrat. Die Markgrafen von Montferrat bildeten seitdem eine Seitenlinie der byzantinischen Dynastie Palaiologos und existierten noch bis in 16. Jahrhundert.
Fortsetzung folgt
9. Innozenz III.
In den bisherigen Abschnitten habe ich mich schon mehrmals mit dem Papst beschäftigt, der für mich eine der Schlüsselfiguren aller politischen Ereignisse (in Europa) zwischen 1198 und 1216 ist. Innozenz III. (vorher Lothar Conti, Graf von Segni) gelang es durch seine Reform der Verwaltung, durch bedeutende Rechtsentscheide und die Bestätigung und Förderung neuer Orden die Führungsstellung der Kirche auszubauen und zu festigen. Ebenso konnte er das Territorium des Kirchenstaates und die Stellung von dessen Hauptstadt Rom beträchtlich ausbauen. Sein Pontifikat kann als Gipfel der päpstlichen Machtentfaltung im Mittelalter angesehen werden. Er betonte den Vorrang des Klerus vor Laien und begriff die Stellung des Papstes als Statthalter Christi auf Erden. Damit wiederholte er den Machtanspruch des Papsttums im Sinne Gregors VII. († 1085) oder Urbans II. († 1099).
Innozenz III. griff in den deutschen Thronstreit ein, er begünstigte abwechselnd die Welfen und Staufer. Zwischen 1200 und 1208 duldete er aus diesem Grund auch das Schisma im Erzbistum Mainz. In Köln setzte Innozenz III. 1205 und 1212 Erzbischöfe ab und wieder ein, weil diese seine Weisungen nicht befolgten oder sich ihm politisch entgegenstellten. Außerdem bekämpfte er seit 1207 den Bremer Erzbischofs Waldemar von Dänemark († 1236), der die Bürger der Stadt Bremen und die Stedinger Bauernschaft gegen die Grafen von Oldenburg unterstützte. Ebenso griff er in Angelegenheiten der Erzbischöfe von Magdeburg oder der Bischöfe von Halberstadt ein. Inwieweit der Papst gezielt Rivalitäten adliger Familien begünstigte, wie z.B. bei Neuverteilung der Macht im Herzogtum Bayern zwischen den Häusern Wittelsbach und Andechs ist schwer einzuschätzen. Deswegen werde ich die Ermordung Philipps von Schwaben, der Abstieg der Andechser und der rasante Aufstieg Ludwigs des Kelheimers (1173–1231) nicht weiter kommentieren.
Der Papst maßregelte außerdem den französischen und den englischen König, in deren politischen Konflikt er schließlich zugunsten der Franzosen eingriff. 1214 griff er in die Rivalitäten der polnischen Herzöge ein, indem er den großpolnischen Herzog Wladyslaw III. Dünnbein (1161–1231) exkommunizierte. Weiterhin bemühte er sich um die Ausbreitung des „lateinischen“ Christentums in Albanien, Bulgarien, Serbien und nach dem Zerfall des Byzantinischen Reiches in dessen lateinischen Nachfolgestaaten. Er behauptete sich als Lehnsherr gegenüber den Königen von Aragon, Ungarn, England oder Sizilien, wo er von 1198/1202 bis 1208 für den minderjährigen König Friedrich regierte. Dagegen hielt sich Innozenz bei Ereignissen, wie die dänische Missionierung in Estland oder den Thronkämpfen in Schweden und Norwegen zurück.
Während des Pontifikats von Innozenz III. nahmen die Armutsbewegungen oder besser Bewegungen, die nach den einfachen Idealen des Christentums strebten, zu. Hierzu gehören einerseits die vom Papst als Häretiker eingeschätzten Gemeinden der Bogumilen, Waldenser oder Albigenser (Katharer), andererseits auch die von ihm instrumentalisierten Bewegungen von Armutspredigern wie Franz von Assisi (1181/82–1226) oder der heilige Dominikus (1170–1221). 1198 stimmte Innozenz III. der Umwandlung des Deutschen Ordens in einen Ritterorden zu, 1204 bestätigte er den Schwertbrüderorden, der 1237 als Livländischer Orden dem Deutschen Orden beitrat. Des Weiteren zeigt auch die spontan entstandene Bewegung von vorwiegend jungen Menschen, der Kinderkreuzzug von 1212, die Religiosität der Zeit an.
Ein besonders dunkles Kapitel der päpstlichen Politik war neben den Ereignissen in England oder den Vierten Kreuzzug der von 1209 bis 1229 stattfindende Albigenserkreuzzug. Innozenz III. mobilisierte über 10.000 Ritter zu Bekämpfung einer christlichen Religionsgemeinschaft, die sich Katharer (griechisch: die Reinen) oder Albigenser (nach der Stadt Albi) nannten. Dabei ist zu beachten, dass die Albigenser Unterstützung durch die Grafen Raimund VI. (1156–1222) und Raimund VII. von Toulouse (1197–1249) fanden, die
Urenkel bzw. Ur-Urenkel von Raimund IV. (1041–1105), einem der Führer des Ersten Kreuzzuges von 1096 bis 1099 waren. Das vorwiegend aus nordfranzösischen Rittern bestehende Kreuzfahrerheer unter Simon IV. von Montfort (1160–1218) bzw. unter dessen Söhnen Guy (1199–1220) und Amalrich VII. von Montfort (1199–1241) bekämpfte äußerst brutal die Katharer, aber auch ihre süd- bzw. westfranzösischen Verbündeten. Raimund VI. von Toulouse wurde auf dem 4. Laterankonzil alle seine Besitzungen aberkannt und diese Simon IV. von Montfort übertragen.
Die Grausamkeiten der Kreuzfahrer führten schließlich dazu, dass sich die bis dato verfeindeten Grafen von Toulouse mit dem König von Aragon bzw. dem Grafen von Provence aus dem Haus Barcelona versöhnten, um gemeinsam gegen die Eindringlinge zu kämpfen. 1213 fiel der aragonesische König Peter II. (* 1176/77) im Kampf gegen Montfort. Dies war eine erstaunliche, politische Wende des Aragonesen, der sich stets den Wünschen des Papstes unterordnete. Peter war z.B. als militärischer Schutzherr des päpstlichen Mündels Friedrich von Sizilien (Kaiser Friedrich II.) auserkoren worden, seine Schwester Konstanze wurde schließlich 1209 dessen Ehefrau und im Jahr 1211 nahm Peter an einem Kreuzzug gegen die Almohaden in Spanien teil. Dass er sich gegen die Kreuzfahrer unter Montfort und dem päpstlichen Legaten Arnaud Amalric († 1225) wandte, ist sicher auch mit seinem Pflichtgefühl als Lehnsherr gegenüber seinen bedrängten Vasallen zu begründen.
Aber es ging nicht nur um Machtpolitik und Religion. Es ging auch um die Vernichtung des Okzidents mit dessen freizügigeren Lebensweise und Frohsinn, mit dessen religiöser Toleranz, mit dessen höfischer Kultur der Troubadoure und letztlich auch wegen den emanzipierten Frauen des Adels. Kurz gesagt, der Albigenserkreuzzug leitete auch die Vernichtung einer Kultur ein, die den kirchlichen Oberen in Rom nicht genehm war. Dies mag wohl ein wichtiger Grund gewesen sein, weswegen sich Herrscher wie Peter II. oder Raimund VI. gegen die Kreuzfahrer und somit gegen den Papst und seinen Verbündeten Philipp II. von Frankreich stellte. Des Weiteren war Raimund VI. mit Johanna (1165–1199), einer Schwester der englischen Könige Richard Löwenherz und Johann Ohneland verheiratet, die wiederum als Witwe des sizilianischen Königs Wilhelm II. (1153–1189) ihren Bruder Richard während des Dritten Kreuzzuges begleitete. Ihr einziger Sohn war der bereits oben genannte Raimund VII. von Toulouse.
Genau wie der Albigenserkreuzzug war auch der Vierte Kreuzzug geprägt aus einer typisch mittelalterlichen Mischung von Familien-, Religions- und Machtpolitik. Für die Umsetzung seiner religiösen Ansichten war Innozenz III. bereit, unzählige Menschen zu töten und Güter zu vernichten. So wie er zuließ, dass Gläubige einer abweichenden, christlichen Religionsgemeinschaft wie die Albigenser bestialisch ermordet wurden, verhielt er sich einige Jahre vorher während des Vierten Kreuzzuges. In der Literatur wird sein Verhalten oft mit dem Entgleiten seiner Führungsrolle erklärt. Ich denke aber, dass ihm der Schutz des Lebens von Christen, die sich nicht der römischen Kirche unterordneten, gleichgültig war. Der Albigenserkreuzzug und der Vierte Kreuzzug sind Paradebeispiele der Intoleranz der römischen Kirche gegenüber nicht-römischen Christen, die vergleichbar mit den Verbrechen der Kreuzfahrer gegenüber islamischen, jüdischen oder heidnischen Glaubens sind.
Innozenz III. lehnte auch die Bewegung der Waldenser ab, die vom Lyoner Kaufmann Petrus Valdes († 1218) gegründet wurde und die aufgrund ihres sozialen Engagements für Arme, Kranke und andere Bedürftige Zuspruch vor allem in den Städten fand. Der Papst erkannte, dass die seit dem 12. Jahrhundert wachsende Bevölkerung in den (oft neu entstandenen) Städten seelsorgerisch anders betreut werden musste als bisher es durch die Klöster und Abteien erfolgte. Aus diesem Grund unterstützte er Armutsbewegungen wie die Franziskaner und Dominikaner, die sich im Gegensatz zu den Waldensern dem päpstlichen Supremat unterwarfen. Franz von Assisi zog z.B. im November 1202 als Soldat der staufischen Stadt Assisi gegen das welfische Perugia, wo er in eine über einjährige Gefangenschaft geriet, aus der er krank und verwirrt nach der Zahlung eines Lösegeldes durch seinen Vater befreit wurde. Doch schon Ende 1204 beabsichtigte Franz im päpstlichen Heer des bereits oben erwähnten päpstlichen Feldherrn Walter III. von Brienne gegen den staufischen Statthalter in Unteritalien, Diepholt von Schweinspeunt, zu ziehen. Dazu kam es aber nicht mehr, Franz fühlte sich während seines Weges von Gott berufen, seine weltliche Existenz gegen ein spirituelles, geistliches und einfaches Leben in einen Orden zu tauschen. Bereits 1209 oder 1210 erhielt der junge Orden der Franziskaner auf Anraten des Kardinals und Papstneffen Hugo von Segni (Gregor IX.) die päpstliche Anerkennung, die 1215 auf dem 4. Laterankonzil offiziell bekannt gegeben wurde. 1228, also nur zwei Jahre nach seinem Tod, sprach Gregor IX. Franz von Assisi heilig. 1235 wiederholte er mit der Heiligsprechung der ehemaligen Landgräfin Elisabeth von Thüringen (1207–1231) seine Würdigung eines asketischen Lebens im Dienste der christlichen Nächstenliebe.
Im Gegensatz zu seinem Vorbild Gregor VII. entfaltete Innozenz III. einen umfangreichen Nepotismus. So förderte er die Laufbahn seines Neffen Hugo Conti, Graf von Segni (1167–1241), der sein wichtigster Mitarbeiter wurde und als Papst Gregor IX. seit 1227 amtierte. Gregor sprach mehrmals den Bann über Friedrich II. aus, im Jahr 1239 exkommunizierte er den Kaiser, mit der Begründung, dass dieser ein apokalyptisches Tier und Ketzer sei. Gregors Zögling war der Genueser Sinibaldo de Fiesci (1195–1254), der seit 1243 als Papst Innozenz IV. amtierte und der den Kampf gegen den Kaiser fortsetzte. Ebenso begünstigte Gregor seinen Neffen Rinaldo Conti, Graf von Segni (1199–1261), der als Papst Alexander IV. die Politik seiner Vorgänger fortsetzte.
10. Gesellschaftliche Folgen des Vierten Kreuzzuges
Der Ausgang des Vierten Kreuzzuges verunsicherte die Bevölkerung, die intuitiv erfasste, dass die Eroberung eines christlichen Landes nicht mit der Bekämpfung des Islams zu tun hatte. Während des frühen 13. Jahrhunderts war der Kreuzzuggedanke neben dem Armutsideal die wichtigste Komponente im gesellschaftlichen Leben der Menschen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Ruf nach einen weiteren, also den Fünften Kreuzzug weiterhin bestand.
Hier erlaube ich mir einen meiner älteren Artikel über den Kinderkreuzzug in überarbeiteter Form einzufügen.
1212 fand der so genannte Kinderkreuzzug statt. Vor ein paar Jahren war es noch üblich von zwei Kreuzzügen zu sprechen, momentan geht man nur von einem Kinderkreuzzug aus. Begründet wird dies damit, dass sich die Ereignisse in Frankreich und Deutschland gegenseitig beeinflusst haben.
Zum Verständnis des Begriffes „Kinderkreuzzug“ sei erklärt, dass es sich bei den Teilnehmern nicht um „Kinder“ im heutigen Sinn handelte. Vielmehr sollte man davon ausgehen, dass es sich um einen „Volkskreuzzug mit relativ vielen jungen Teilnehmern“ (Peter Milster, Die Kreuzzüge. Krieg im Namen Gottes) handelte. Es waren also Jungen und Mädchen, die mindestens im Pubertätsalter waren, nach unserem heutigen Verständnis also Jugendliche oder „Teenies“. Friedrich II., das „Kind von Apulien“ war 16 bzw. 17 Jahre jung, als er 1211 von Sizilien aufbrach, um nach einer strapaziösen Alpenüberquerung 1212 den Kampf gegen seinen Widersacher Otto IV. zu beginnen.
Ebenso darf man nicht vergessen, dass im 13. Jahrhundert Kinder den gleichen Existenzkampf wie Erwachsene führen mussten. Das traf für einen Stauferspross zu, aber hauptsächlich für tausende Namenlose, die am untersten Ende der gesellschaftlichen Pyramide standen und der Willkür der Erwachsenen schutzlos ausgeliefert waren. Diese jungen Menschen litten oft an Hunger und den daraus entstehenden Mangelkrankheiten, viele starben, ehe sie das Erwachsenenalter erreichten.
Die jungen Kreuzzügler wurden von Menschen begleitet, die oft etwas abfällig als „Strandgut der mittelalterlichen Gesellschaft“ bezeichnet werden. Dazu gehörten z.B. Bettler, Diebe, entflohene Mönche und Nonnen, Prostituierte, unverheiratete Mütter u. a. gesellschaftliche Randgruppen. Diese Bevölkerungsschicht, in ihrem bisherigen Lebensbereich gerade nur geduldet, war stets bereit, ihr Leben radikal zu ändern und wurde somit oft genug leichtgläubiges Opfer diverser Heilsversprecher. Erinnert sei zum Beispiel an Peter den Eremiten (oder Einsiedler), der 1096 unabhängig vom offiziellen Kreuzzug einen Volkskreuzzug ins Verderben führte. Und auch an den unseligen Emich von Leiningen, der Teile seines Haufens zu den Pogromen an Juden in Speyer, Worms und Mainz anstiftete.
Richtig ist auch, dass die Kirche nach dem 4. Kreuzzug weiter zur Befreiung der heiligen Stätten aufrief. Diese Kreuzzugsaufrufe richteten sich jedoch nicht nur an Kaiser oder Könige, sondern vor allem an das Volk. Quellenmäßig gesichert sind Prozessionen, die infolge eines Aufrufes von Papst Innozenz III. in Nordfrankreich stattfanden. Uneinigkeit herrscht darüber, ob während dieser Prozessionen für die Befreiung Jerusalems gebetet wurde und/oder zum Feldzug gegen die südfranzösischen Albigenser (Katharer) aufgerufen wurde. Ich selbst neige dazu, dass beides stattgefunden hat. Auf alle Fälle empfing der französische König Philipp II. August den jugendlichen Anführer der Kreuzfahrer, den Hirten Stephan, nicht. Stattdessen schickte er ihn fort, mit der Aufforderung, seine bereits entstandene Massenbewegung aufzulösen. Königliche Beamte setzten daraufhin auch die Auflösung von Massenveranstaltungen durch.
Daraus ist zu erklären, dass dieser französische Kreuzzug wahrscheinlich nicht stattgefunden hat. Sollten Massen von Menschen nach Marseille gezogen sein, so wie später gestrickte Legenden erzählen, müsste dieses Ereignis in der Chronik der Stadt vermerkt sein. Ebenso tauchen die beiden angeblichen Sklavenhändler Guillaume le Porc (Wilhelm das Schwein) und Gautier Sans-Avoir (Walter Habenichts) in keiner weiteren Quelle auf. Es gibt historisch nachweisbar nur einen Ritter Walter Sans-Avoir als Akteur des Volkskreuzzuges von 1096. Von den angeblich in die Sklaverei nordafrikanischer Despoten verkauften Jugendlichen gibt es weder in den europäischen noch in den nordafrikanischen Quellen weiterführende Angaben.
Teile der Kreuzzügler werden sich aufgelöst haben und nach Hause gegangen. Ein Teil der Menschen wird wohl nach Südfrankreich gezogen sein, um sich am Feldzug gegen die Albigenser zu beteiligen oder dort zu leben. Ein großer Teil der Franzosen soll jedoch ins Rheinland gezogen sein, um sich den deutschen Kreuzzugsheer anzuschließen. Dieses Heer bestand vor allem aus Jugendlichen, die sich gegen den Willen ihrer Eltern dem Kreuzzugsheer angeschlossen hatten. Dessen Anführer war der Jugendliche Nikolaus aus Köln, dem es nachweislich gelang, im Sommer 1212 seine Gefolgschaft über die Alpen nach Genua zu führen. Jedenfalls vermerkt die Stadtchronik von Genua im August 1212 die Ankunft von ca. 7.000 Pilgern. Es war jedoch kein Schiffseigner bereit, die mittellosen Neuankömmlinge ins Heilige Land zu transportieren. Nachdem sich die von Nikolaus versprochene Öffnung des Meeres zum Übersetzen ins Heilige Land nicht erfüllte, zerfiel das Heer.
Ein Teil der Jugendlichen heuerte auf einem Schiff an, das bei Sardinien unterging. Andere sollten weiter nach Süden gezogen sein, wo sich ihre Spur verliert. Fest steht, dass von den 12.000 bis 20.000 Kreuzfahrern nur wenige zurückgekehrt sind. Nach dem das Scheitern des Kreuzzuges bekannt wurde, wurden die Eltern des Nikolaus aus Köln von einer aufgebrachten Menge gelyncht.
Papst Innozenz III. soll nach den Ereignissen geäußert haben: „Diese Knaben beschämen uns. Sie ziehen aus, um das Heilige Land zu erobern, während wir schlafen.“ Aus diesem Grund rief er zum 1. November 1215 das 4. Laterankonzil ein, das den Höhepunkt seines Pontifikats markieren sollte.
Auf dem Laterankonzil von 1215 bereitete der Papst einen Kreuzzug unter Leitung der Kirche vor. Eine Reihe von Dekreten regelt die Geldabschöpfung. So muss die Geistlichkeit 5 % ihres Einkommens abführen. Das Konzil verspricht aber auch allen den vollständigen Ablass, die einen Kreuzfahrer auf eigene Kosten entsenden. Damit wurden die kirchenrechtlichen Grundlagen für den Ablasshandel geschaffen, der letztlich zur Reformation führte. Weltliche Herren, die das Kreuzzugsgelübde abgelegt hatten, durften ebenfalls Kreuzzugssteuern fordern. Ob Innozenz III. tatsächlich einen Kreuzzug plante, ist mehr als fraglich. Es wird davon ausgegangen, dass er die Gläubigen mit ihrer Opferbereitschaft an die Amtskirche binden wollte.
Aber nun sind wir schon fast beim 5. Kreuzzug und deswegen beende ich meine Ausführungen.