Das Römische Reich im Westen ging nicht von heute auf morgen unter, auch im Niedergang gab es immer wieder hoffnungsvolle Momente und auch die eine oder andere Person, die ein Hoffnungsträger für das Reich war.
-Deshalb möchte ich die Frage stellen: Wann war das Reich nicht mehr zu retten?
-Hätten die Hoffnungsträger am Ende des Reichs (also vor allem die im 5. Jahrhundert) Westrom noch Retten können?
-Wenn ja, wer und wie?
-Wenn nein, warum nicht?
Freue mich auf eine interessante Diskussion.
(20.02.2013 22:27)WDPG schrieb: [ -> ]-Hätten die Hoffnungsträger am Ende des Reichs (also vor allem die im 5. Jahrhundert) Westrom noch Retten können?
Um ein paar dieser "Hoffnungsträger" zu nennen:
-Heermeister Stilicho
-(Mit-) Kaiser Constantius III
-Heermeister Aethius
-Kaiser Majorian
-Kaiser Anthemius und
Kaiser Olybrius (er herrschte nur sehr kurz, ohne große Taten, hatte aber wenigstens die Chance gehabt sich vom Einfluss eines übermächtigen Heermeisters zu lösen).
Also wer denkt ihr hätte hier am ehesten eine Chancen gehabt das Römische Reich im Westen noch vor dem Untergang zu bewahren (andere Namen können natürlich auch genannt werden, sind nur Vorschläge) und ab welchem Punkt der Geschichte war es, eurer Meinung zu spät?
Im Augenblick läuft ja eine Filmserie über Spartakus. Es wird deutlich gezeigt, das schon so früh im Römischen Imperium kein "gesunder" Gesellschaftsaufbau mehr existierte.
http://de.wikipedia.org/wiki/Spartacus
Wer sollte in einer Sklavenhaltergesellschaft und in einem Vielvölkerstaat für das Reich militärisch mobilisiert werden? Rom mußte mit einem Söldnerheer und fremden Hilstruppen agieren und mußte immer wieder Aufstände der Untedrückten hinnehmen. Es hätte also vor allem einer Gesellschaftsreform(Revolution) bedurft. Spartacus hätte mit einem erfolgreichen Sklavenaufstand eine grundlegende Reform erreichen können. Dazu hätte er sich territorial etablieren und z.B. Rom einnehmen müssen. Die Sklaverei hätte abgeschafft werden müssen.
Ich bin der Meinung, dass im 5. Jahrhundert die gesellschaftlichen Widersprüche im Weströmischen Reich schon soweit fortgeschritten waren, so dass dessen Untergang nicht mehr aufzuhalten war. Ob dies an der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes lag, bezweifele ich. Dessen Rolle sollte sicher beim Niedergang der Römischen Republik mehr hervorgehoben werden. Denn trotz der Sklavenarbeit erlebte das Römische Reich nach dem Spartakus-Aufstand eine Blütezeit, die allerdings im 5. Jahrhundert schon lange Geschichte war.
Dass es allerdings keine soziale Revolution bzw. dass es nicht ausreichend soziale Reformen gegeben hat, ist auf alle Fälle einer der Gründe des Untergangs Westroms. Der Übergang zum Christentum, die Einführung des Sonntags als arbeitsfreien Tag usw. waren nicht ausreichend, die soziale Grundfrage d.h. Abschaffung der Sklaverei blieb ungelöst. Zwar war die Sklaverei im 5. Jahrhundert nicht mehr die vorherrschende Produktionsweise, aber die soziale Lage eines Kolonen war auch nicht besser, obwohl er de jure Pächter eines Stücks Land war. Inwieweit der Rechtsstatus eines Hirten seit Spartakus sich geändert hat, weiß ich momentan nicht. Meiner Meinung war er auch im 5. Jahrhundert Sklave und sein Status unterschied sich nicht von dem der gehüteten Viehherden, z.B. Rinder.
Der Wohlstand der Städte ging trotz verschärfter Ausbeutung von Bauern, Kolonen, Sklaven oder städtischer Plebejer zurück. Die Massen waren verelendet, Reichtum und Armut polarisierten – auf der einen Seite die Großgrundbesitzer, die den Großteil der erwirtschafteten Einnahmen einbehielten, auf der anderen Seite die Armen, die von Steuerlasten erdrückt wurden. Diese Großgrundbesitzer waren oft nicht mehr bereit, dem Römischen Reich zu dienen. Nicht dass sie dekadent im Luxus schwelgten, aber sie verfolgten eigene Interessen, die im schlimmsten Fall sich gegen das Reich richteten. Man kann deshalb sagen, das fehlende oder mangelhafte Bewusstsein für einen starken Staat führte ebenfalls zum Untergang des Weströmischen Reiches. Inwieweit die Einführung des Christentums zum Verlust römischer Tugenden führte oder sich das Christentum erst nach dem schleichenden Verfall der altrömischen Werte behaupten konnte, ist meiner Meinung nach auch noch nicht richtig geklärt.
Das Reich schrumpfte allmählich, es bildeten sich auf ehemaligen Reichsgebieten germanische Reiche, wie z.B. das Vandalenreich oder das Tolosanische Reich der Westgoten. Das römische Heer wurde zwar zahlenmäßig vergrößert, es besaß jedoch nicht mehr die Kampfkraft vergangener Zeiten, z.B. der frühen Kaiserzeit (etwa von Augustus bis Trajan/Hadrian). Das lag sicher am hohen Anteil nichtrömischer Söldner. Sie wurden jedoch gebraucht, da die inneren und äußeren Konflikte Roms seit dem 3. Jahrhundert einen enormen Blutzoll gefordert hatten. Dies ist ebenfalls ein Grund des Untergangs Westroms, vielleicht sogar der wichtigste.
Infolge der Verheerungen der Hunnen lagen auch viele Felder auf dem Balkan, in Pannonien, Gallien oder Norditalien brach. Sklavenarbeit wurde unrentabel. Freie waren noch ideologisch in der Ächtung körperlicher produktiver Arbeit verhaftet. Ein weiteres Problem war die Entvölkerung der Städte und der Zerfall zentraler Strukturen. Lokale Machthaber (z.B. Bischöfe) beugten sich den gegebenen Machtverhältnissen. Ob das gemeinsame Christentum eine Verbindung zwischen Römern und Germanen schuf, oder der gegenseitige Vorbehalt aufgrund des katholischen und arianischen Bekenntnisses größer war, weiß ich nicht genau einzuschätzen. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass ein städtischer Gallo-Römer die Sicherheit unter einem westgotischen oder später fränkischen König durchaus schätzte.
Ein weiterer Grund des Untergang Westroms lag auch daran, dass 330 die Hauptstadt von Rom nach Konstantinopel verlegt wurde. Konstantinopel wurde das Zentrum des Römischen Reiches, die Eliten lebten dort und der Aufbau der Stadt kostete immense Summen, die woanders fehlten. Gebiete wie Britannien, Gallien, Hispanien wurden entfernte Provinzen.
Spätestens mit dem Beginn der Völkerwanderung war das Schicksal des Weströmischen Reiches besiegelt. Die Niederlage von Valens bei Adrianopel (378) oder die Plünderung Roms durch Alarich (410), aber auch der Rückzug aus Britannien sind eindeutige Ereignisse, die beweisen, dass Westrom sich nicht mehr aus eigener Kraft verteidigen kann. Personifiziert wird dieser Sachverhalt durch den Heermeister Stilicho, der trotz seiner germanischen Herkunft ein loyaler Mann war. Von Ricimer kann man das nicht mehr so absolut sagen. Und deswegen sind Figuren wie Orestes oder Odoaker mehr oder weniger folgerichtig. Und war das Zurücknehmen des Limes in Obergermanien nicht schon im 3. Jahrhundert ein erstes Signal, das auf Verteidigungsdefizite hinwies?
Die alles entscheidende Frage ist jedoch, wieso ging neben dem Weströmischen nicht auch das Oströmische Reich unter? Ein Glücksumstand war sicher der Zerfall des Hunnenverbandes in den 450-er Jahren. Sicher auch, dass die gebürtigen Thraker Marcian und Leo I. fähige Kaiser waren, die Thrakien und Kleinasien behaupteten. Und eben auch, dass Geiserich nicht stark genug war, seine defensive Orientierung gegenüber Konstantinopel aufzugeben und stattdessen die oströmische Hauptstadt zu erobern. Womit wir praktisch zur Lösung obiger Frage kommen, wer hätte eigentlich im 5. Jahrhundert Konstantinopel erobern können?
Wahrscheinlich niemand. Damit schlussfolgere ich, dass das Erobern und Plündern bzw. das Versagen in der Verteidigung von Rom und auch von Ravenna ebenfalls eine Ursache des Untergangs Westroms war.
(21.02.2013 06:02)Sansavoir schrieb: [ -> ]Ich bin der Meinung, dass im 5. Jahrhundert die gesellschaftlichen Widersprüche im Weströmischen Reich schon soweit fortgeschritten waren, so dass dessen Untergang nicht mehr aufzuhalten war.
Damit könntest du recht haben, aber es gab auch immer wieder Momente wo es so aussah als könnte man sich zumindest in einem kleineren Rahmen sich für ein paar Jahrzehnte länger halten.
(21.02.2013 06:02)Sansavoir schrieb: [ -> ]Wahrscheinlich niemand. Damit schlussfolgere ich, dass das Erobern und Plündern bzw. das Versagen in der Verteidigung von Rom und auch von Ravenna ebenfalls eine Ursache des Untergangs Westroms war.
Wobei Ravenna extrem schwer einnehmbar war und es in der Zeit des Römischen Reichs meineswissens auch niemanden gelang es zu erobern.
(24.02.2013 22:12)WDPG schrieb: [ -> ] (21.02.2013 06:02)Sansavoir schrieb: [ -> ]Wahrscheinlich niemand. Damit schlussfolgere ich, dass das Erobern und Plündern bzw. das Versagen in der Verteidigung von Rom und auch von Ravenna ebenfalls eine Ursache des Untergangs Westroms war.
Wobei Ravenna extrem schwer einnehmbar war und es in der Zeit des Römischen Reichs meineswissens auch niemanden gelang es zu erobern.
Stimmt schon. Odoaker gelang es 476, später auch Theoderich. Womit wir beim Streitpunkt wären, war der Untergang Westroms genau im Jahr 476 oder fand er schleichend im 5. (und 6.) Jahrhundert statt.
(24.02.2013 23:46)Sansavoir schrieb: [ -> ] (24.02.2013 22:12)WDPG schrieb: [ -> ]Wobei Ravenna extrem schwer einnehmbar war und es in der Zeit des Römischen Reichs meineswissens auch niemanden gelang es zu erobern.
Stimmt schon. Odoaker gelang es 476, später auch Theoderich. Womit wir beim Streitpunkt wären, war der Untergang Westroms genau im Jahr 476 oder fand er schleichend im 5. (und 6.) Jahrhundert statt.
Bei Odowakar hast du recht. Selbst eine kaum einnehmbare Stadt ist ohne Verteidigung schwach und diese hatte Romulus Augustus wohl nicht mehr zur Verfügung nachdem sein Vater schon zuvor von Odowakar besiegt worden ist, weiß nicht ob man da noch groß belagern musste.
Bei Theoderich war die Sache anders, es gelang ihm meines Wissens eben nicht die Stadt zu erobern. Er kesselte Odowakar ein und konnte sich dann nicht durchsetzen, umgekehrt bestand aber auch keine Chance. Deshalb einigte man sich auf eine gemeinsame Verwaltung Italiens. Theoderich lud im Zuge dessen seinen Ex-Konkurrenten zu einem Festmal ein und lies diesen dort dann töten. So bekam er das ganze Reich unter Ostgotische Kontrolle, nicht durch die Eroberung Ravennas.
Auch Belisar tat sich schwer Witichis in Ravenna zu belagern, gewann schließlich nur durch eine List. Nur bei Narses Eroberung weiß ich nichts das er sich bei Ravenna schwer getan hat.
Ursprünglich meinte ich aber die Zeit bis 476.
Auch wenn man List und Tücke anwendet, am Ende wurde Ravenna doch eingenommen.
(25.02.2013 02:02)Sansavoir schrieb: [ -> ]Auch wenn man List und Tücke anwendet, am Ende wurde Ravenna doch eingenommen.
Stimmt schon, aber eine Eroberung nach einer Belagerung ist etwas anderes.
(21.02.2013 06:02)Sansavoir schrieb: [ -> ]Das Reich schrumpfte allmählich, es bildeten sich auf ehemaligen Reichsgebieten germanische Reiche, wie z.B. das Vandalenreich oder das Tolosanische Reich der Westgoten. Das römische Heer wurde zwar zahlenmäßig vergrößert, es besaß jedoch nicht mehr die Kampfkraft vergangener Zeiten, z.B. der frühen Kaiserzeit (etwa von Augustus bis Trajan/Hadrian). Das lag sicher am hohen Anteil nichtrömischer Söldner. Sie wurden jedoch gebraucht, da die inneren und äußeren Konflikte Roms seit dem 3. Jahrhundert einen enormen Blutzoll gefordert hatten. Dies ist ebenfalls ein Grund des Untergangs Westroms, vielleicht sogar der wichtigste.
Ich sehe das so, die Grenzen zu halten war für Rom wohl immer schwer, vielleicht sogar in der Blütezeit. Man brauchte extrem viele Soldaten um die Rhein-Donaugrenze, sowie die in Persien halten zu können. Die Reichskrise im 3. Jahrhundert verschärfte die Situation noch und das, dass Heer im 4. Jahrhundert war wohl bei weitem nicht mehr so stark wie etwa im 2. Jahrhundert n. Chr.
Die bestehenden Fronten zu halten war also extrem schwer, doch dann kam die Schlacht von Adrianopel, seit der man im Reich noch eine weitere Front hatte, die man immer beachten musste. Außerdem stieg der Druck, Klimaveränderungen, die Hunnen und auch das sich gezeigt hat das Rom nicht mehr so stark war, eventuell auch die Teilung in 2 Teilen, schwächten Rom und stärkten den Druck auf Rom.
Also zusammengefasst: Eine weitere Front und verstärkter Druck auf ein Reich das ohnehin schon schwächer war als früher. Das wurde diesem zuviel. Manche fähige Heerführung und Herrscher fanden vorübergehend Strategien gegen die Lage, doch solche Bemühungen scheiterten langfristig dann immer wieder. Oft mit verheerenden Folgen und oft durch Probleme im Inneren des Reichs.
So erlebte das Reich einen immer stärker werdenden Niedergang, war an den Grenzen teilweise nicht mehr vorhanden und im Zentrum von inneren Problemen und Druck von außen geplagt.
Ist nur ein grober Umriss der Gesamtsituation, das eine oder andere zusätzliche spielte das sicherlich eine Rolle. Der Untergang großer Reich ist fast immer sehr komplex, der von Rom im Westen fast noch etwas komplexer, als der bei manch anderen Reichsuntergängen finde ich.
(25.02.2013 12:16)WDPG schrieb: [ -> ]Ist nur ein grober Umriss der Gesamtsituation, das eine oder andere zusätzliche spielte das sicherlich eine Rolle. Der Untergang großer Reich ist fast immer sehr komplex, der von Rom im Westen fast noch etwas komplexer, als der bei manch anderen Reichsuntergängen finde ich.
Ein weiterer dieser komplexen Faktoren, den man auch nicht ganz unterschätzen sollte ist der Ausfall von Steuergeld und vielleicht auch der Getreideversorgung.
Jeder der beiden Reichsteile hatte seine Getreide und Steuerprovinzen, im Westen war hier vor allem Nordafrika sehr wichtig. Als Nordafrika an die Wandalen fiel verschärfte das die Krise extrem. Hier waren schon zu Cäsars Zeiten die Getreideprovinzen und auch die Provinzen von denen das Geld kam. Geld das extrem wichtig war, denn dieses brauchte man um neue Söldner anwerben zu können, die man brauchte um noch irgendwie die Reichsgrenzen zu verteidigen.
Das Nordafrika in dieser Hinsicht extrem wichtig war, zeigt sich auch bei den Kaisern nach 455, die fähigsten von ihnen versuchten immer wieder Nordafrika zurück zu erobern. Denkt ihr das eine Rückeroberung Nordafrikas zumindest für einige Zeit noch was verändert hätte?
Ich kenne mich mit den Details jetzt ja nicht so aus (deswegen bin ich stiller Mitleser) aber hier drängt sich mir dann doch die Frage auf, woher die neuen Söldner hätten kommen sollen.
Der ganze europäische Kontinent war in Bewegung- wie soll und wo soll man da dann neue Söldner ausheben, selbst wenn das Geld vorhanden wäre? Wie bekommt man sie dorthin, wo man sie braucht? Wer hatte noch genug Übersicht, um jeden dort hin zu bringen, wo er benötigt wurde?
Mein Bild von den letzten Jahren Westroms ist das eines implodierenden Chaoshaufens- was nicht stimmen muss, das Bild ist oberflächlich- aber da frage ich mich doch, wer das alles noch überschauen konnte.
(24.02.2013 23:46)Sansavoir schrieb: [ -> ] (24.02.2013 22:12)WDPG schrieb: [ -> ]Wobei Ravenna extrem schwer einnehmbar war und es in der Zeit des Römischen Reichs meineswissens auch niemanden gelang es zu erobern.
Stimmt schon. Odoaker gelang es 476, später auch Theoderich. Womit wir beim Streitpunkt wären, war der Untergang Westroms genau im Jahr 476 oder fand er schleichend im 5. (und 6.) Jahrhundert statt.
Stimmt absolut, als Odowakar Romulus Augustuls absetzte war das, dass Ende des Römischen Reichs im Westen. Aber das ist nur die Sicht, die wir heute haben. Eine stark vereinfachte Sicht. Schon seit Theodoius I gab es starke Heerführer und schwache Kaiser im Westen.
Ab 455 wurde die Situation noch extrem, das hat wohl 3 Ursachen, erstens das, dass Reich bereits extrem geschwächt war, zweitens das wichtige Steuereinnahmen nicht kamen und drittens das im Prinzip die Legitimation fehlte (bis 455 konnte man wenigstens noch sagen, die Herrscher kamen aus der aktuellen Dynastie).
Heermeister wie Ricimer waren die eigentlichen Herrscher, verzichteten auch mal für kurze Zeiten darauf Kaiser einzusetzen. Der Titel des Kaisers hatte eine eher theoretische Bedeutung bekommen, Herrscher wechselten auch ständig und wie gesagt der Heermeister war stärker als der Kaiser, das dann mal einer kam der sagt, ich brauche den Kaiser nicht, wie es Odowakar machte.
Er sah, wie andere Völker eben auch den Kaiser des Ostens als legitimen, Kaiser an, der jedoch nur eine theoretische Oberhoheit hatte (was ja bei den letzten Kaisern teilweise auch schon so war).
Das andere Völker das auch machten war kein Wunder. Manche wie die Franken sahen sich sogar als eine Art Grenzschützer für Rom. Egal ob Franken, Westgoten, Wandalen oder andere Völker, man muss auch eines sehen, ihre Völker waren oft nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in ihrem Reich die anderen waren Römer. Da kam es gut noch einen Kaiser irgendwo im Hinterkopf zu haben.
Justinian versuchte Rom nochmals zu vereinigen unter der Herrschaft von Konstantinopel. Im Prinzip setzte er damit die Theorie in die Praxis um. Doch diese Politik überforderte die Finanzen von Byzanz. Man könnte es auch so sehen, man hatte das gleiche System wie Westrom hatte und dieses nun nach Überforderung zerstört.
Schon bald stand auch Ostrom vor dem Untergang, wurde aber dann doch gerettet. Bei dieser Krise verlor Byzanz auch bei den anderen Völkern die, die Oberhoheit des Kaisers in Konstantinopel anerkannten sein Ansehen. Spätestens jetzt war Rom als irgendeine theoretische Einheit weg.
Ostrom bestand zwar weiter, hatte aber andere Sorgen, denn man musste nun gegen die aufstrebenden Araber kämpfen. In der Denkweise von Byzanz hatte man diese theoretische Oberherrschaft noch lange, in der des Westens wohl nicht mehr. Auch ein Grund warum man sich in Konstantinopel schwer damit tat einen Westkaiser von den Franken (Karl den Großen) anzuerkennen. Doch man fand dann doch irgendwie eine diplomatische Lösung, Süditalien war auch später noch ein Streitpunkt zwischen den beiden Reichen.
Nun aber zum Ursprung: 476 ist Westrom als eigenes Kaiserreich untergegangen, es war jedoch vorher schon nicht mehr überall vorhanden und auch im Zentrum stark geschwächt. Die Denkweise von römischen Kaiser als (theoretischen) Oberherren verschwand nicht im Jahr 476, sondern eher gegen Ende des 6. Jahrhunderts, Anfang des 7. Jahrhundert und damit verschwand auch Rom. Das die Denkweise noch lange nicht ganz verschwand zeigt sich auch daran dass, das Heilige Römische Reich sich als Nachfolger von Westrom sah, ob es das auch war ist ein anderes Thema.
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Rom "Unmengen Soldaten" brauchte. Gemessen an der Gesamtzahl von 50 Millionen Einwohnern im Reich waren es mal gerade 1% unter Waffen, also auch nicht viel mehr als die Friedensstärke heutiger Armeen und das in einem Riesenreich. Außerhalb der Barbarengrenze bekam ein römischer Bürger zur Kaiserzeit fast nie einen Legionär zu sehen, außer es war gerade wieder mal Bürgerkrieg oder ein Triumphzug fällig. Spartakus konnte sich nur so lange halten, weil man ihm zunächst nur ungeübte Milizen, Polizeitruppen und andere Hobbykrieger entgegen schickte. Sobald mit Crassus die langgedienten Veteranen in Italien eintrafen, war es mit dem Aufstand aus.
(25.02.2013 14:43)Arkona schrieb: [ -> ]Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Rom "Unmengen Soldaten" brauchte. Gemessen an der Gesamtzahl von 50 Millionen Einwohnern im Reich waren es mal gerade 1% unter Waffen, also auch nicht viel mehr als die Friedensstärke heutiger Armeen und das in einem Riesenreich. Außerhalb der Barbarengrenze bekam ein römischer Bürger zur Kaiserzeit fast nie einen Legionär zu sehen, ....
Einerseits bin ich sehr froh das du das erwähnst. Bei Veranstalltungen usw. wird immer so getan als wäre der typische Römer ein Soldat gewesen, das stimmt nicht, da hast du recht.
Aber gebraucht wurden schon relativ große Mengen an Soldaten, auch wenn diese im Vergleich zur Reichsbevölkerung gering sind. Man muss bedenken die Reichsgrenzen waren ja nicht gerade klein, auch wenn der Gegner in der Regel auch nicht Millionen Soldaten zur Verfügung hatte. Diese Menge zu mobilisieren und auch zu bezahlen war wohl nie einfach. Als dann der Gegner im eigenen Reich stand war das wohl ein noch größeres Problem.
Denke das sich meine Überlegung und deine da nicht wirklich wiedersprechen, ein Beispiel: Die Soldatenzahlen die Justinian, aber auch seine Gegner (Wandalen, Ostgoten, Westgoten) im Einsatz hatten waren nicht gerade hoch, dennoch überforderte das Ganze die Finanzen seines Reichs.
(25.02.2013 13:15)WDPG schrieb: [ -> ]Nun aber zum Ursprung: 476 ist Westrom als eigenes Kaiserreich untergegangen, es war jedoch vorher schon nicht mehr überall vorhanden und auch im Zentrum stark geschwächt. Die Denkweise von römischen Kaiser als (theoretischen) Oberherren verschwand nicht im Jahr 476, sondern eher gegen Ende des 6. Jahrhunderts, Anfang des 7. Jahrhundert und damit verschwand auch Rom. Das die Denkweise noch lange nicht ganz verschwand zeigt sich auch daran dass, das Heilige Römische Reich sich als Nachfolger von Westrom sah, ob es das auch war ist ein anderes Thema.
Eigentlich noch viel länger. Auch die Ottonen mussten in Byzanz noch Klinken putzen gehen, damit der Basileus einer Kaiserkrönung in Rom formell zustimmte. Abgebrochen wurde diese Tradition eigentlich erst mit dem Schisma 1054 zwischen Rom und Ostkirche. Auch die ersten Kreuzfahrer unterwarfen sich noch Byzanz und handelten in dessen Auftrag. Dass sie Jerusalem und die Levante dann selbst behielten, anstatt die Eroberungen zu übergeben, ist eine andere Geschichte.
(25.02.2013 15:00)Arkona schrieb: [ -> ]Eigentlich noch viel länger. Auch die Ottonen mussten in Byzanz noch Klinken putzen gehen, damit der Basileus einer Kaiserkrönung in Rom formell zustimmte. Abgebrochen wurde diese Tradition eigentlich erst mit dem Schisma 1054 zwischen Rom und Ostkirche. Auch die ersten Kreuzfahrer unterwarfen sich noch Byzanz und handelten in dessen Auftrag. Dass sie Jerusalem und die Levante dann selbst behielten, anstatt die Eroberungen zu übergeben, ist eine andere Geschichte.
Ich meinte auch eher, den Punkt wo Rom im Alltag der Herrschenden und des Adels noch eine Rolle spielte, war auch örtlich wohl unterschiedlich, gerade in Italien hatte Byzanz noch eine Zeit lang eine gewisse Macht, griff auch im Norden öfter mal mit seiner Flotte ein z.B. im 9. Jahrhundert.
Aber ganz unrecht hast du nicht, in gewissen Bereichen ging der Respekt von Byzanz den man im Abendland noch immer hatte, wohl nach der Schlacht von Manzikert 1071. Das Byzanz vor allem im kulturellen Bereich dem Westen noch immer überlegen war, davon berichten sogar die Kreuzritter, viele von ihnen waren Erstaunt als sie Konstantinopel sahen, kein Wunder welche Europäische Stadt konnte Konstantinopel damals das Wasser reichen?
Dennoch sehe ich die Geschichte mit dem Unterwerfen der Kreuzritter unter Byzanz etwas anders. Erstens zogen diese ja nach einem Hilferuf des Kaisers von Konstantinopel in den Osten und zweitens war es immerhin ehemal byzantinisches Gebiet das man hier gewissermaßen auch in dessen Auftrag zurückeroberte. Außerdem war es gerade bei der Durchquerung Anatoliens wohl recht Hilfreich die Leute des Kaisers auf seiner Seite zu haben.
Und dann war da noch etwas: Für die Kreuzritterstaaten später war es wichtig immer wieder Hilfe von außen zu bekommen, hier bot Byzanz, das ja unter den Komnenen wiedererstarkt war eine Möglichkeit um Hilfe zu erhalten.
Das erst mit dem 4. Kreuzzug diese Stellung von Byzanz weg war, wäre zwar eine logische Schlussfolgerung, würde ich aber nicht behaupten. Die starken Stauferkaiser wie etwa Friedrich Barbarossa haben wohl kaum den Kaiser, des mittlerweile wieder kriselnden Byzanz als Oberherren gesehen.
(25.02.2013 15:19)WDPG schrieb: [ -> ]Das Byzanz vor allem im kulturellen Bereich dem Westen noch immer überlegen war, davon berichten sogar die Kreuzritter, viele von ihnen waren Erstaunt als sie Konstantinopel sahen, kein Wunder welche Europäische Stadt konnte Konstantinopel damals das Wasser reichen?
Keine, auch Rom war längst wieder zum Dorf mutiert. Das Erstaunen übereinander war gegenseitig, man informiere sich mal, was die Kaisertochter Anna Komnenos über die ungehobelten Barbaren aus Westeuropa als Gäste in Byzanz schrieb.
(25.02.2013 15:19)WDPG schrieb: [ -> ]Erstens zogen diese ja nach einem Hilferuf des Kaisers von Konstantinopel in den Osten und zweitens war es immerhin ehemal byzantinisches Gebiet das man hier gewissermaßen auch in dessen Auftrag zurückeroberte. Außerdem war es gerade bei der Durchquerung Anatoliens wohl recht Hilfreich die Leute des Kaisers auf seiner Seite zu haben.
Das hat der Papst sauber eingefädelt, um die Ostkirche wieder botmäßig zu machen. Spätere Kreuzzüge verliefen ja meist über See, woran vor allem Venedig verdiente. Nach Barbarossa versuchte es m.W. kein Heer mehr auf dem Landweg.
(25.02.2013 15:45)Arkona schrieb: [ -> ]Spätere Kreuzzüge verliefen ja meist über See, woran vor allem Venedig verdiente. Nach Barbarossa versuchte es m.W. kein Heer mehr auf dem Landweg.
Stimmt Friedrich Barbarossa war der letzte der den Landweg nahm, kein Wunder, der Balkan war eine unsichere Gegend und Anatolien für die Kreuzritter noch mehr, denn da war die Macht des "verbündeten" Byzanz dahin. Die Rum-Seldschuken blühten auf.
Der Seeweg war da um einiges sicherer.
Gleich im Voraus (bevor ich mich mit dem Thema beschäftige) eine Feststellung: Man darf die Verhältnisse im römischen Reich nicht an dem Zustand während der Zeit der Adoptivkaiser, der Blütezeit des Reiches, messen. Denn diese Zeit des Wohlstands, des Friedens, der Ruhe etc. war nur durch eine Verkettung günstiger Umstände möglich, des Adoptivkaiserprinzips des Nerva und seiner Nachfolger, der Expansionspolitik des Trajan, der Sicherungspolitik des Hadrian (die Trajans Eroberungsdrang nachträglich auf ein nützliches Maß reduzierte) aber auch der glücklichen außenpolitischen Umstände. Deshalb darf man auch die Krisen des römischen Reiches nicht als fortlaufende Zeichen verfehlter Politik sehen, sondern als in der Geschichte völlig natürliche Vorgänge. Die Krise so schwarz zu malen, wie es geschehen ist, würde ich deshalb nicht.
Also: Der Grund für den Untergang Westroms war meiner Meinung nach vor allem politischer Natur, da Westrom ja auch ein politisches Gebilde war. Für den Niedergang des Kaisertums gibt es verschiedene Gründe, für die erfolglose Außenpolitik (Völkerwanderung) und das schlechter werdende Heer auch, etc. Aber gerade letzter Punkt hatte auch Ursachen in gesellschaftlichen Problemen und der finanziellen Verwaltung.
Aber um zum eigentlichen Punkt zu kommen: Das römische Reich wirklich zu retten und eine neue Blütezeit herbeizuführen, wäre vielleicht möglich gewesen, aber unwahrscheinlich. Es ist ja nicht so, dass der Untergang des römischen Reichs der Niedergang eines bestimmten Volkes war, sondern der einer internationalen völkerübergreifenden Macht. Man hatte schon mehrmals versucht, sie zu reformieren, und sie dabei mehr oder weniger völlig umgestaltet, unter Augustus und Diocletian, evtl. auch unter Konstantin dem Großen. Das waren alles Versuche, die Macht, die von der Stadt Rom ausging, unter veränderten Bedingungen zu erhalten. Aber alle Systeme – Republik, Prinzipat und (um den veralteten Begriff zu benutzen) Dominat – scheiterten. Ein neues System hätte an die Stelle eines alten treten müssen, um das römische Weltreich zu erhalten. Tat es aber nicht, in Ermangelung innovativer Köpfe und durchsetzungsfähiger Menschen.
Hierbei muss man hinzufügen, dass die Erneuerung der Macht Roms – je nachdem, in welchem Stadium des Niedergangs sie stattgefunden hätte – doch deutlich schwieriger gewesen wäre als in früheren Zeiten. Außenpolitischer Druck lastete auf dem Reich, innenpolitischer Druck (Gefahr einer Usurpation) auch etc. Das heißt aber noch lange nicht, dass es unmöglich gewesen wäre: Der Mann, der das römische Reich hätte retten können, hätte erstens ein begnadeter Feldherr sein müssen und zweitens ein durchsetzungsfähiger und vernünftiger Reformer: Er hätte einerseits die feindlichen Völker nacheinander besiegen oder auch gegeneinander ausspielen müssen, aber auch als Grundlage dafür andererseits das Räuberunwesen beseitigen, das Heer mit Reichsbewohnern besetzen und für die finanzielle Erholung des Reiches den Beamtenapparat reduzieren müssen, der die große Schwäche des spätantiken Kaisertums war. Er hätte einerseits das Reich zentralisieren müssen, andererseits die Macht auch in entlegenen Gebieten wieder durchsetzen müssen. Und das ganze zeitlich aufeinander abgestimmt und möglichst schnell. Besagter Kaiser hätte meiner Meinung nach vor allem die meisten diokletianisch-konstantinischen Reformen rückgängig machen müssen und zum bewährten Prinzipatssystem zurückkehren müssen. Es hätte einen solchen Mann geben können – außergewöhnliche Herrscher gab es oft genug in der Geschichte. Das Problem war, dass es keinen gab.
Allerdings war eine Rettung Westroms aus meiner Sicht nur bis 410 oder spätestens 450/455 möglich, was einige von dir genannten Hoffnungsträger ausschließt. Die anderen „hätten“ das Reich vielleicht retten können, wenn sie anders gehandelt hätten. Haben sie aber nicht. Deswegen halte ich es für falsch, diese „Was wäre wenn“-Frage an Personen festzumachen.
VG
(24.04.2013 21:05)Maxdorfer schrieb: [ -> ]Die anderen „hätten“ das Reich vielleicht retten können, wenn sie anders gehandelt hätten. Haben sie aber nicht. Deswegen halte ich es für falsch, diese „Was wäre wenn“-Frage an Personen festzumachen.
Ich finde nicht das diese Fragen falsch sind. Bestenfalls wird intensiv über die Personen und ihre Pläne diskutiert oder auch warum sie haben scheitern müssen, schlimmstenfalls eben nicht. Also sicher keine falsche Frage.
Was du aber wohl eher meinst, denke ich ist das eine einzellne fähige Person nur sehr sehr schwer den Untergang von Westrom verhindern hätte können, oder?
Den Sätzen „die anderen „hätten“ das Reich vielleicht retten können, wenn sie anders gehandelt hätten. Haben sie aber nicht“, stimme ich nicht ganz zu. Die erwähnten waren ja oft nicht ganz grundlos „Hoffnungsträger“- oft machten sie viel richtig, waren auf dem Weg zu Erfolgen. Oft waren es nicht ihre Pläne die sie zum scheitern brachten, oder ihr Handeln alleine, sondern äußere Faktoren, die sie nur schwer beeinflussen haben können. Weshalb ich es schon interessant fände ob sich etwas geändert hätte, wenn z.B. Stilicho oder Aethius nicht ermordet worden wären. Oder andere nicht ständig mit einem mächtigen Heermeister Ricimer rechnen hätten müssen, sondern freie Hand gehabt hätten.
Insofern halte ich diese Frage absolut nicht für falsch.
Die Ermordung von Stilicho oder Aethius sind doch Beweise, dass es nicht ausreichend war, einen fähigen Mann an der Spitze des Staates zu haben. Es wären viele fähige Männer (nicht nur im Zentrum, sondern auch in den Provinzen) nötig gewesen, die den Untergang Westroms hätten verhindern können. Es ist vielleicht nur ein historischer Zufall, aber kurz nach der Ermordung von Stilicho (408) und Aethius (453) fanden die Plünderungen von Rom (410, 455) statt. Ich denke, die Gegner Roms (Westgoten, Vandalen) haben die Situation so eingeschätzt, dass nach der Ermordung der beiden Heermeister kein gleichwertiger, fähiger Nachfolger im Amt war.
Eine interessante Frage ist, inwieweit man die Herrschaft Theoderichs des Großen in Italien für die römische Bevölkerung bewerten muss. Er hatte ja zwei Herrschaftsämter, König der Ostgoten und Patricius der Römer. In letzter Funktion herrschte er de jure als Statthalter des (oströmischen) Kaisers über die römische Bevölkerung Italiens. De facto herrschte er über sie wie ein unabhängiger Regent. Kann es nicht sein, das für die römische Bevölkerung die Absetzung des letzten Kaisers ohne Bedeutung war, da es einen Kaiser in Konstaninopel gab, der in Italien erst durch Odoaker und dann Theoderich vertreten wurde. Die Herrschaft Theoderichs gewährte schließlich auch den Römern Sicherheit und Recht und einen gewissen Wohlstand.
Sind nicht der Untergang des Ostgotenreiches im Jahr 534 und die darauf folgenden Gotenkriege verheerender für die Römer Italiens gewesen, als die Absetzung des letzten Kaisers im Jahr 476?
(25.04.2013 01:43)Sansavoir schrieb: [ -> ]Sind nicht der Untergang des Ostgotenreiches im Jahr 534 und die darauf folgenden Gotenkriege verheerender für die Römer Italiens gewesen, als die Absetzung des letzten Kaisers im Jahr 476?
Mit Sicherheit. Erst danach erlebte Italien Rechtsunsicherheit und Zerstörungen.
VG
Christian
(25.04.2013 01:43)Sansavoir schrieb: [ -> ]Die Ermordung von Stilicho oder Aethius sind doch Beweise, dass es nicht ausreichend war, einen fähigen Mann an der Spitze des Staates zu haben. Es wären viele fähige Männer (nicht nur im Zentrum, sondern auch in den Provinzen) nötig gewesen, die den Untergang Westroms hätten verhindern können. Es ist vielleicht nur ein historischer Zufall, aber kurz nach der Ermordung von Stilicho (408) und Aethius (453) fanden die Plünderungen von Rom (410, 455) statt. Ich denke, die Gegner Roms (Westgoten, Vandalen) haben die Situation so eingeschätzt, dass nach der Ermordung der beiden Heermeister kein gleichwertiger, fähiger Nachfolger im Amt war.
Bin mir sogar sicher das es kein historischer Zufall war. Alarichs Westgoten konnten von Stilicho gestoppt werden, mit großen Mühen würde ich sagen. Als Stilicho weg war, war der Weg für die Westgoten frei. Aber nicht nur das, die germanenfeindliche Politik von Stilichos Nachfolgern trieb meineswissens etliche Heeresteile ins Lager Alarichs. Also gute Bedingungen für eine Eroberung Roms.
455 ist es nicht sooo viel anders, vielleicht sogar noch schlimmer. Ich persönlich hätte Aethius schon zugetraut es zumindest zu schaffen, das die Wandalen Rom direkt nicht bedroht hätten. Doch dann wurde er ermordet und kurz danach auch Valentinian III. Dieser war zwar nicht der fähigste, hatte aber zumindest den Bonus des legitimiert seins, was seine Nachfolger nicht hatten. Ein gewaltige innere Schwäche ohne echt starken Mann. Diese Schwäche nutzen die Wandalen für die Eroberung Roms.
(25.04.2013 01:43)Sansavoir schrieb: [ -> ]Sind nicht der Untergang des Ostgotenreiches im Jahr 534 und die darauf folgenden Gotenkriege verheerender für die Römer Italiens gewesen, als die Absetzung des letzten Kaisers im Jahr 476?
Dem würde ich absolut zustimmen, auch aus langfristiger Sicht. Die Gotenkriege überforderten die Ressourcen von Byzanz, etwas was schon sehr bald zum Niedergang dieses Reichs führte. In diesem Zug ging auch der Respekt vor Byzanz verloren. Und noch etwas, das durch die Gotenkriege verwüstete Italien wurde nun (in Folge der Schwäche Ostroms) auch noch gespallten, in langobardische und in byzantinische Teile. Spätestens jetzt war man ganz weit weg davon das Zentrum der Welt zu sein.
(25.04.2013 21:31)WDPG schrieb: [ -> ] (25.04.2013 01:43)Sansavoir schrieb: [ -> ]Sind nicht der Untergang des Ostgotenreiches im Jahr 534 und die darauf folgenden Gotenkriege verheerender für die Römer Italiens gewesen, als die Absetzung des letzten Kaisers im Jahr 476?
Dem würde ich absolut zustimmen, auch aus langfristiger Sicht. Die Gotenkriege überforderten die Ressourcen von Byzanz, etwas was schon sehr bald zum Niedergang dieses Reichs führte. In diesem Zug ging auch der Respekt vor Byzanz verloren. Und noch etwas, das durch die Gotenkriege verwüstete Italien wurde nun (in Folge der Schwäche Ostroms) auch noch gespallten, in langobardische und in byzantinische Teile. Spätestens jetzt war man ganz weit weg davon das Zentrum der Welt zu sein.
(25.04.2013 17:43)913Chris schrieb: [ -> ]Mit Sicherheit. Erst danach erlebte Italien Rechtsunsicherheit und Zerstörungen.
VG
Christian
Sehe ich genauso. Die Zerstörungen während des Gotenkrieges führten zum endgültigen Untergang Westroms, nicht nur des Staates, sondern der gesamten antiken Gesellschaft, und im Nachhinein bekamen die Ereignisse von 476 die Bedeutung zugesprochen, wie sie heute vermittelt werden.
(24.04.2013 22:52)WDPG schrieb: [ -> ]Ich finde nicht das diese Fragen falsch sind. Bestenfalls wird intensiv über die Personen und ihre Pläne diskutiert oder auch warum sie haben scheitern müssen, schlimmstenfalls eben nicht. Also sicher keine falsche Frage.
Was du aber wohl eher meinst, denke ich ist das eine einzellne fähige Person nur sehr sehr schwer den Untergang von Westrom verhindern hätte können, oder?
Den Sätzen „die anderen „hätten“ das Reich vielleicht retten können, wenn sie anders gehandelt hätten. Haben sie aber nicht“, stimme ich nicht ganz zu. Die erwähnten waren ja oft nicht ganz grundlos „Hoffnungsträger“- oft machten sie viel richtig, waren auf dem Weg zu Erfolgen. Oft waren es nicht ihre Pläne die sie zum scheitern brachten, oder ihr Handeln alleine, sondern äußere Faktoren, die sie nur schwer beeinflussen haben können. Weshalb ich es schon interessant fände ob sich etwas geändert hätte, wenn z.B. Stilicho oder Aethius nicht ermordet worden wären. Oder andere nicht ständig mit einem mächtigen Heermeister Ricimer rechnen hätten müssen, sondern freie Hand gehabt hätten.
Insofern halte ich diese Frage absolut nicht für falsch.
Was man auf jeden Fall diskutieren kann, ist die Frage, woran diese Personen denn gescheitert sind.
Aber die Rettung Westroms würde ich nicht an einzelnen Personen festmachen.
(21.02.2013 00:03)WDPG schrieb: [ -> ]-(Mit-) Kaiser Constantius III
Nehmen wir mal als Beispiel Constantius III.:
Er spielte die Usurpatoren um Konstantin III., dessen Unter-, Mit- und Gegenkaiser jeweils gegeneinander aus, er organisierte durch Intrigen und Diplomatie einen Putsch gegen den Gotenkönig Athaulf und schloss mit dessen Nachfolgern ein Abkommen, mit dem die Westgoten in Aquitanien angesiedelt und zu Verbündeten Roms wurden (später kämpften sie für Rom gegen die Vandalen), konnte den Goten die erbeutete Kaiserschwester Galla Placidia wieder abkaufen (die er dann heiratete). Bei seinem frühen Tod 421 hatte er das Reich mehr oder weniger wieder "in Ordnung gebracht", auch wenn einige Gebiete wie Britannien fehlten.
Trotzdem - für eine wirkliche Rettung reichte es bei ihm nicht. Obwohl er auf dem besten Wege war. Möglich, dass, wie von Sansavoir geschrieben, mehrere sehr fähige Persönlichkeiten notwendig gewesen wären, wie auch in der Krisenzeit der Römischen Republik. Obwohl Octavian am bekanntesten ist, wären seine Erfolge ohne seine Mitstreiter (Beispiel Agrippa) und vorherige Machthaber wie Sulla und Caesar nicht möglich gewesen.
(25.04.2013 01:43)Sansavoir schrieb: [ -> ]Eine interessante Frage ist, inwieweit man die Herrschaft Theoderichs des Großen in Italien für die römische Bevölkerung bewerten muss. Er hatte ja zwei Herrschaftsämter, König der Ostgoten und Patricius der Römer. In letzter Funktion herrschte er de jure als Statthalter des (oströmischen) Kaisers über die römische Bevölkerung Italiens. De facto herrschte er über sie wie ein unabhängiger Regent. Kann es nicht sein, das für die römische Bevölkerung die Absetzung des letzten Kaisers ohne Bedeutung war, da es einen Kaiser in Konstaninopel gab, der in Italien erst durch Odoaker und dann Theoderich vertreten wurde. Die Herrschaft Theoderichs gewährte schließlich auch den Römern Sicherheit und Recht und einen gewissen Wohlstand.
Der erste, der das Datum 4. September 476 n. Chr. als Wendepunkt beurteilte, war vermutlich der Abt Eugippius aus Sizilien in seiner Vita des heiligen Severin. Dementsprechend schrieb etwas später Marcellinus Comes in seinem Werk „Chronicon“: „Das Westreich des römischen Volkes, das im Jahr 709 nach Gründung Roms Augustus Octavian als erster beherrschte, ging mit diesem Augustulus unter – nach 522 Jahren aufeinanderfolgender Herrscher. Von da an machten sich die Könige der Goten Rom zu Eigen.“
(zitiert nach: Hans-Peter von Peschke: Das Ende des römischen Reiches! Wendepunkte der Geschichte, Theiss Verlag Stuttgart 2012.)
Allgemein würde ich sagen, dass man vorher schon zu viel Niedergang und zu viel Verfall erlebte und dass man dies auch danach weiterhin immer wieder erlebte, sodass das Jahr 476 nur noch die gegebene Situation sozusagen offiziell machte. Die Macht von Romulus Augustulus wie auch die seines Vaters Orestes war sowieso sehr beschränkt gewesen, sodass man in den meisten Siedlungen vermutlich eher die große Plünderung der nächsten Stadt oder die Besetzung einer großen Domäne durch landhungrige „Barbaren“ als Zäsur betrachtete.
In den späten 70er Jahren sah man es wohl einfach so, dass man vom Kaiser eh nichts mehr mitbekommen hatte und mit Symbolik wie Augustus- und Patricius-Titeln nicht wirklich viel am Hut hatte.
WDPG schrieb:Ein weiterer dieser komplexen Faktoren, den man auch nicht ganz unterschätzen sollte ist der Ausfall von Steuergeld und vielleicht auch der Getreideversorgung. Jeder der beiden Reichsteile hatte seine Getreide und Steuerprovinzen, im Westen war hier vor allem Nordafrika sehr wichtig. Als Nordafrika an die Wandalen fiel verschärfte das die Krise extrem. Hier waren schon zu Cäsars Zeiten die Getreideprovinzen und auch die Provinzen von denen das Geld kam. Geld das extrem wichtig war, denn dieses brauchte man um neue Söldner anwerben zu können, die man brauchte um noch irgendwie die Reichsgrenzen zu verteidigen.
Da hast du Recht, hinzu kommt aber auch als sehr bedeutender Faktor, dass die finanziellen Bedürfnisse des spätantiken Reiches rapide gestiegen waren, da viel mehr Verwaltungsaufwand betrieben und eine fast orientalisch prunkvolle Hofhaltung eingeführt wurde. Wie ich schon geschrieben habe hätte man vor allem auch den Verwaltungsapparat verkleinern müssen, was als Nebeneffekt auch für eine positivere Einstellung in der Bevölkerung gesorgt und das Ausmaß des Räuberunwesens möglicherweise vermindert hätte.
Arkona schrieb:Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Rom "Unmengen Soldaten" brauchte. Gemessen an der Gesamtzahl von 50 Millionen Einwohnern im Reich waren es mal gerade 1% unter Waffen, also auch nicht viel mehr als die Friedensstärke heutiger Armeen und das in einem Riesenreich.
Das Problem war halt, dass man gute Soldaten brauchte, die loyal, einsatzfähig, effektiv waren und gute Taktiken beherrschten. Deshalb hätte man wohl auch nicht nur bessere Soldaten gebraucht, sondern auch bessere Generäle, Offiziere und Feldherren.
Bunbury schrieb:hier drängt sich mir dann doch die Frage auf, woher die neuen Söldner hätten kommen sollen. Der ganze europäische Kontinent war in Bewegung- wie soll und wo soll man da dann neue Söldner ausheben, selbst wenn das Geld vorhanden wäre? Wie bekommt man sie dorthin, wo man sie braucht? Wer hatte noch genug Übersicht, um jeden dort hin zu bringen, wo er benötigt wurde?
Söldner zu bekommen wäre vielleicht gar nicht so schwer gewesen, schließlich hatten sich ja Unmengen an Volksstämmen im römischen Reich angesiedelt. Einfach anwerben, Belohnung in Aussicht stellen, fertig. Das Problem war eben die finanzielle Lage des Reiches, die es nicht erlaubte, viele Söldner anzuwerben. Sie dorthin, wo man sie braucht, zu transportieren, wäre sicherlich auch nicht solch ein Problem gewesen, wenn man fähige Offiziere hatte – und eben die Übersicht über das Reich.
Ich denke, so eine Anarchie herrschte auch wieder nicht. Es gab nun eben viele Barbarenstaaten im Reich, die sich in den Provinzen festsetzten. Es kann natürlich auch sein, dass ich mich täusche, aber die Übersicht über die römischen Provinzen zu behalten war sicherlich nicht viel schwerer als heute die Außenpolitik eines unabhängigen Staates. Beides nicht wirklich einfach, es finden ja immer Entwicklungen statt, aber nicht unmöglich.
Es galt eben, die akuten Probleme schnell in Angriff zu nehmen, um sie effektiv lösen zu können. Wofür es fähige Leute gebraucht hätte, aber wohl keine Übermenschen.
(26.04.2013 20:34)Maxdorfer schrieb: [ -> ] (21.02.2013 00:03)WDPG schrieb: [ -> ]-(Mit-) Kaiser Constantius III
Nehmen wir mal als Beispiel Constantius III.:
Er spielte die Usurpatoren um Konstantin III., dessen Unter-, Mit- und Gegenkaiser jeweils gegeneinander aus, er organisierte durch Intrigen und Diplomatie einen Putsch gegen den Gotenkönig Athaulf und schloss mit dessen Nachfolgern ein Abkommen, mit dem die Westgoten in Aquitanien angesiedelt und zu Verbündeten Roms wurden (später kämpften sie für Rom gegen die Vandalen), konnte den Goten die erbeutete Kaiserschwester Galla Placidia wieder abkaufen (die er dann heiratete). Bei seinem frühen Tod 421 hatte er das Reich mehr oder weniger wieder "in Ordnung gebracht", auch wenn einige Gebiete wie Britannien fehlten.
Trotzdem - für eine wirkliche Rettung reichte es bei ihm nicht. Obwohl er auf dem besten Wege war. Möglich, dass, wie von Sansavoir geschrieben, mehrere sehr fähige Persönlichkeiten notwendig gewesen wären, wie auch in der Krisenzeit der Römischen Republik. Obwohl Octavian am bekanntesten ist, wären seine Erfolge ohne seine Mitstreiter (Beispiel Agrippa) und vorherige Machthaber wie Sulla und Caesar nicht möglich gewesen.
Eigentlich ist dann nicht, wie du ursprünglich geschrieben hast, meine Frage falsch, sondern nur mit Nein zu beantworten - genauer genommen "Nein, ein einzellner dieser Hoffnungsträger hätte nicht viel ändern können", eine Reihe von fähigen Personen (vielleicht) schon.
Constantius III machte etwas was fast alle dieser Hoffnungsträger, am Ende Westroms machten. Sie holten sich Unterstützung von Außen, man könnte auch sagen man spielte mehrere Mächte aus. Ob man damit alle Probleme des Weströmischen Reichs hätte lösen können ist fraglich.
(26.04.2013 20:50)Maxdorfer schrieb: [ -> ]Der erste, der das Datum 4. September 476 n. Chr. als Wendepunkt beurteilte, war vermutlich der Abt Eugippius aus Sizilien in seiner Vita des heiligen Severin.....
Man kann es so sagen, vor allem im Nachhinein gesehen war 476 schon ein wichtiges Datum (wenn man so will ist es ein Meilenstein im Niedergang von vielen), aber es wird gewaltig Überbewertet. Der Niedergang hatte längst vorher eingesetzt, der Kaiser selbst hatte teilweise kaum noch Macht und auch die "mächtigen" Heermeister hatte oft nur noch eine Macht die sich auf Italien und ein paar Teile im südlichen Gallien beschränkte. Die letzten Kaiser hatten über weite Teile ihres "Gesamtreichs" nur noch eine theoretische Herrschaft. Man könnte es so sagen der jeweilige Kaiser herrschte nur noch im Zentrum und selbst dort tobte ein heftiges Durcheinander. Ricimer hatte es schon öfter zwischenzeitlich so gemacht das er für kurze Zeit die Macht ohne Kaiser hatte oder setzte unbedeutende Marionetten wie Livius Severus an die Staatsspitze. Nach 472 gab es auch kaum noch sowas wie eine Zentralarmee im "Zentrum des Reichs", was man auch an den letzten Kaisern sehen kann.
Kurz gesagt: Die Macht des Kasiers im Westen war 476 bereits dermaßen ausgelaugt das es vielen wohl egal war ob es nun einen eigenen Kaiser gab oder ob man den in Konstantinopel als Oberherrn anerkannte. Dieser hatte genauso wie die letzten Westkaiser nur noch sehr wenig Macht über den Westen, hatte mit eigenen Problemen zu kämpfen. Irgendwie stimmt es auch das, dass alte Rom (also die Stadt) viel an Status eingebüßt hat - zum Großteil nicht an die neuen Regierungssitze im Westen, sondern an Konstantinopel.
Ich persönlich würde die Gotenkriege auch nur als ein weiteres bedeutendes Ereignis im Niedergang Roms und auch der "Idee Roms als Oberherrscher" sehen. Das Ostkaisertum unter Justinian I hatte versucht die theoretische Oberherrschaft noch einmal zu einer praktischen Herrschaft umzuwandeln, war auch wegen der Gotenkriege gescheitert - trotz hoher territorialer Erfolge und erlebte bald einen gewaltigen Niedergang. In dessen Zug auch diese "Idee Roms als Oberherrscher" sowie letzte Teile der Strukturen Roms immer mehr ihre Bedeutung verloren.
Anders als das Westreich, das die Krise im 5. Jahrhundert nicht mehr wirklich überwinden konnte, gelang es dem Osten die Krise des 7. Jahrhunderts zu überstehen. Ein nicht zu unterschätzender Grund war eine Person, wenn man so möchte ein Hoffnungsträger namens Heraklaios. Zum Teil weil es ihm und seinen Nachfolgern gelang neue Strukturen aufzubauen, zum Teil weil er ein extrem fähiger Feldherr war, aber natürlich spielten auch hier andere Faktoren eine Rolle z.B. die Uneinnehmbarkeit von Konstantinopel). Zum Teil auch deshalb der Gedanke mit den Hoffnungsträgern. Natürlich kann man die 2 Situationen Westrom im 5. Jahrhundert und Ostrom Anfang des 7. Jahrhunderts aber nur sehr schwer vergleichen.
(27.04.2013 18:16)Maxdorfer schrieb: [ -> ]Söldner zu bekommen wäre vielleicht gar nicht so schwer gewesen, schließlich hatten sich ja Unmengen an Volksstämmen im römischen Reich angesiedelt. Einfach anwerben, Belohnung in Aussicht stellen, fertig.
Wie du selbst schreibst war es eben nicht so einfach. Eine Belohnung konnte für den einzelnen nur Geld oder Land sein. Von ersterem hatte man nicht genug und die Vergabe von Land schadete langfristig dem Reich.
Der Ansatz des Soldatenmangels stimmt schon. Rom hatte im Rhein-Donaugebiet immer eine sehr lang gezogene Grenze und es war so oft mein Eindruck selbst in Blütezeiten alles andere als einfach genügend Soldaten zur Verfügung zu stellen das alles effizient zu verteidigen. Spätestens mit dem Sieg der Westgoten in Adrianopel hatte man neben den bisher schon schwer zu haltenden Grenzen noch eine zusätzliche Front für die man Soldaten brauchte. Etwas was Roms Kräfte in der Spätzeit wohl überforderte. Eigene Soldaten wurden immer weniger und Söldner konnte man natürlich anwerben, aber man musste sie auch bezahlen, etwas was man nicht mehr schaffte. Blieb nur noch eines, das Verschieben von Truppen (zu einen großen Teil Söldner) von der Rheingrenze ins Zentrum um wenigstens Italien zu schützen, wie es Stilicho machte.
(27.04.2013 18:16)Maxdorfer schrieb: [ -> ]Sie dorthin, wo man sie braucht, zu transportieren, wäre sicherlich auch nicht solch ein Problem gewesen, wenn man fähige Offiziere hatte – und eben die Übersicht über das Reich.
Ich denke, so eine Anarchie herrschte auch wieder nicht. Es gab nun eben viele Barbarenstaaten im Reich, die sich in den Provinzen festsetzten. Es kann natürlich auch sein, dass ich mich täusche, aber die Übersicht über die römischen Provinzen zu behalten war sicherlich nicht viel schwerer als heute die Außenpolitik eines unabhängigen Staates. Beides nicht wirklich einfach, es finden ja immer Entwicklungen statt, aber nicht unmöglich.
Der Transport von Truppen dorthin wo man sie braucht, war sicherlich eine logistische Herausforderung, aber nicht wirkich das Problem, so mein Eindruck.
Das Problem sehe ich wo anders: Wenn ich zuwenige Truppen zur Verfügung habe, muss ich überlegen wo ich sie am ehesten brauche, vor allem wenn ich mehrere Fronten zu verteidigen habe. Logisch das man das "Kerngebiet" Italien zuerst schützte. Etwas was für einen Soldatenmangel an anderen Fronten sorgte - etwa an der Rheingrenze. Das nutzten Völker um diese zu überschreiten. Oft versuchte man diese dann als Bündnispartner zu nutzen und gegen andere Völker auszuspielen. Doch egal ob nun Bündnispartner oder feindlich eingefallene (ein Status der ja auch wechselte), es ist kein Wunder das man mit der Zeit zum eigentlichen Machtfaktor in der Region in der man Siedelte und Kämpfte wurde.
Das es vor allem den fähigeren Feldherren des Reichs gelang die angeworbenen Soldaten rechtzeitig zu ihrem Einsatzort zu bringen, zeigt sich auch darin das man sich ja oft über eine Zeit lang wehren konnte. Oft war das Problem das innere (Macht-)Kämpfe diese Bemühungen dann zunichte machten und die Situation noch verschlimmerten.
(29.04.2013 10:53)WDPG schrieb: [ -> ]Das Problem sehe ich wo anders: Wenn ich zuwenige Truppen zur Verfügung habe, muss ich überlegen wo ich sie am ehesten brauche, vor allem wenn ich mehrere Fronten zu verteidigen habe. Logisch das man das "Kerngebiet" Italien zuerst schützte. Etwas was für einen Soldatenmangel an anderen Fronten sorgte - etwa an der Rheingrenze. Das nutzten Völker um diese zu überschreiten.
Und das führte dann immer wieder zu Usurpationen und Machtkämpfen, die mehr als nur die betroffene Region schädigten. Beispiel Konstantin III.*, der 406 in Britannien zum Kaiser erhoben wurde, als germanische Stämme, den Rhein überquerten und sich die römische Herrschaft auf der britischen Insel in einer schweren Krise befand. Als er niedergeschlagen war, war Britannien faktisch unabhängig und wurde von keltisch-germanischen Stämmen beherrscht. Aber gleichzeitig zog seine Usurpation auch Gallien und Spanien in den Krieg hinein und lähmte die Politik des Kaisers Honorius noch mehr, als es schon der Goteneinfall in Italien (Plünderung Roms 410) tat.
* Konstantin III. wurde von Ostrom nie offiziell anerkannt und wird deswegen in den byzantinischen Kaiserlisten nicht geführt. Als Konstantin III. erscheint dort ein anderer Kaiser.
(29.04.2013 10:33)WDPG schrieb: [ -> ] (26.04.2013 20:50)Maxdorfer schrieb: [ -> ]Der erste, der das Datum 4. September 476 n. Chr. als Wendepunkt beurteilte, war vermutlich der Abt Eugippius aus Sizilien in seiner Vita des heiligen Severin.....
Man kann es so sagen, vor allem im Nachhinein gesehen war 476 schon ein wichtiges Datum (wenn man so will ist es ein Meilenstein im Niedergang von vielen), aber es wird gewaltig Überbewertet. Der Niedergang hatte längst vorher eingesetzt, der Kaiser selbst hatte teilweise kaum noch Macht und auch die "mächtigen" Heermeister hatte oft nur noch eine Macht die sich auf Italien und ein paar Teile im südlichen Gallien beschränkte. Die letzten Kaiser hatten über weite Teile ihres "Gesamtreichs" nur noch eine theoretische Herrschaft. Man könnte es so sagen der jeweilige Kaiser herrschte nur noch im Zentrum und selbst dort tobte ein heftiges Durcheinander. Ricimer hatte es schon öfter zwischenzeitlich so gemacht das er für kurze Zeit die Macht ohne Kaiser hatte oder setzte unbedeutende Marionetten wie Livius Severus an die Staatsspitze. Nach 472 gab es auch kaum noch sowas wie eine Zentralarmee im "Zentrum des Reichs", was man auch an den letzten Kaisern sehen kann.
Kurz gesagt: Die Macht des Kasiers im Westen war 476 bereits dermaßen ausgelaugt das es vielen wohl egal war ob es nun einen eigenen Kaiser gab oder ob man den in Konstantinopel als Oberherrn anerkannte. Dieser hatte genauso wie die letzten Westkaiser nur noch sehr wenig Macht über den Westen, hatte mit eigenen Problemen zu kämpfen. Irgendwie stimmt es auch das, dass alte Rom (also die Stadt) viel an Status eingebüßt hat - zum Großteil nicht an die neuen Regierungssitze im Westen, sondern an Konstantinopel.
Im Nachhinein waren die Jahre von 450 bis 500 eine bedeutende Zäsur in der Geschichte Italiens, aber auch ganz Westeuropas, und ganz besonders 476 als symbolträchtiges Ende der bisherigen Ordnungsmacht, des (römischen) Kaisertums. Als bedeutender Einschnitt angesehen wurde es aber damals noch nicht.
Möchte mal zu 2 konkreten Szenarien "was wäre wenn-Fragen" stellen:
-Stilicho hatte die Westgoten ja mehrmals geschlagen, manchmal wird behauptet er hätte sie auch endgültig besiegen können, es aber nicht getan. Was denkt ihr stimmt das? Wenn ja warum, hat er die Westgoten nicht vernichtet? Was hätte das für Auswirkungen auf Westrom und den Verlauf des Niedergangs gehabt?
-Einige der letzten Kaiser (Maiorian, Anthemius) versuchten die Rückeroberung Nordafrikas, nehmen wir mal an es hätte geklappt, hätte man Rom damit Retten können?
(16.08.2013 12:19)WDPG schrieb: [ -> ]-Stilicho hatte die Westgoten ja mehrmals geschlagen, manchmal wird behauptet er hätte sie auch endgültig besiegen können, es aber nicht getan. Was denkt ihr stimmt das? Wenn ja warum, hat er die Westgoten nicht vernichtet? Was hätte das für Auswirkungen auf Westrom und den Verlauf des Niedergangs gehabt?
Es ist richtig, Stilicho schlug im Jahr 402 zweimal die Westgoten unter Alarich. Die Vernichtung eines Volkes war eigentlich kein Ziel eines Kaisers oder Heermeisters im 4. und 5. Jahrhundert gewesen, solche Ideen entstanden erst im 6. Jahrhundert unter Justinian. Stilicho war ganz einfach ein Pragmatiker, nach seinen zwei Siegen waren die Westgoten so geschwächt, dass sie vorerst keine weitere Gefahr darstellten. Eine totale Vernichtung war nicht nötig und vor allem auch nicht ausführbar, da Stilicho mit dem Leben seiner wenigen Soldaten haushalten musste.
405 stießen weitere Germanen über die mittlere Donau oder über die Alpen nach Italien. Stilicho musste gotische und hunnische Söldner anwerben, um diese Germanen abzuwehren. Um diese Zeit muss Stilicho mit Alarich auch einen Vertrag geschlossen haben, in dem er den Westgoten Land auf dem Balkan versprach. Was Stilicho damit bezweckte, ist spekulativ, denn der Balkan wurde von Konstantinopel aus kontrolliert. Wollte Stilicho mit Hilfe der Westgoten den Ostkaiser schwächen oder gar vernichten, so dass die Einheit Roms wieder hergestellt werden konnte? Oder wollte er seinen Verbündeten nur aus Italien haben, aber eben auch noch in der Nähe, um auf dessen Unterstützung schnell zurückzugreifen können?
Fakt ist, dass in der Silvesternacht 406/407 die Rheingrenze fiel und etwa 100.000 Menschen (Sueben, Vandalen, Alanen u.a.) nach Gallien einfielen. Ebenso brachen 407/08 Unruhen in Britannien aus. Stilicho stand de facto vor unlösbaren Aufgaben. Konstantinopel bot keine Waffenhilfe an und Alarich wartete am Ostrand der Alpen, um auf dem Balkan die versprochenen Gebiete zu erobern? Er verhielt sich gegenüber Stilicho wenig kooperativ, warum auch?, und forderte von ihm als Entschädigung 4000 Pfund Gold. Stilicho musste sich zunehmend mit der Gegnerschaft des römischen Senats und des Kaisers auseinandersetzen. Er bot deshalb Alarich einen erneuten Vertrag an, in dem ihm u. a. das Heermeisteramt für Gallien versprochen wird.
Alarich sollte nun im Auftrag des Westkaisers Gallien befrieden, Stilicho selbst wollte nach Konstantinopel ziehen, um die Vormundschaft über den siebenjährigen Kaiser Theodosius II. zu übernehmen. Der weströmische Kaiser Honorius wurde misstrauisch, er befürchtete einen Umsturz. Er ließ deswegen Stilicho verhaften, der wenig später am 22. August 408 hingerichtet wurde. Außerdem wurden Gefolgsleute des ehemaligen Heermeisters ermordet. Der Großteil seiner Anhänger flüchtete jedoch zu Alarich, dessen Heer auf 30.000 Mann anwuchs.
Mit dem Stilichos Tod sah sich Honorius auch nicht mehr an die Vereinbarung mit den Westgoten gebunden. Alarich bekam weder sein Geld, sein Amt oder sein Land. Aus diesem Grund sperrte er den Zugang von Italien nach Gallien, so dass keine römischen Truppen dort passieren können, der Nachschub war empfindlich gestört. Rom lenkte ein, zahlte 5.000 Pfund Gold, 30.000 Silber u. a. an die Westgoten, die sich daraufhin nach Etrurien zurückziehen. Ihre Hauptforderungen, Land und ein Amt für Alarich, wurden nicht erfüllt. Und aus diesem Grund entschloss sich der von Honorius hingehaltene Alarich im Jahre 410 zum Feldzug gen Rom, der mit der bekannten Plünderung und der darauf folgenden Verschleppung vieler Menschen, darunter Galla Placidia endete.
Ich sehe es nicht als Fehler an, dass Stilicho die Westgoten nicht vernichtet hatte. Er brauchte Verbündete sowohl gegen äußere als auch innere Gegner und da erschien ihm Alarich als geeigneter Partner. Stilicho ist letztlich an den Ereignissen in Gallien und Britannien gescheitert. Dass dieser Brandherd für ihn eine höhere Priorität hatte, als z.B. der Landerwerb der Westgoten ist klar. Aber auch, dass seinem Verbündeten Alarich dafür das politische Verständnis fehlte. Richtig war auch, dass Stilicho Alarich als Verbündete Westroms auf den Kriegschauplatz Gallien schickte. Ein Fehler Stilichos war, dass er nicht gemeinsam mit Alarich nach Gallien zog, sondern sich in Konstantinopel um die Vormundschaft des minderjährigen Kaisers bemühen wollte. Als Vormund käme de jure nur dessen Onkel Honorius in Frage und so ist es nicht ganz abwegig, dass Honorius die Usurpation Stilichos befürchtete. Honorius hätte die Bündnispolitik mit Alarich fortführen müssen und ihm Land (egal wo, evtl. in Gallien) und Amt geben müssen.
(16.08.2013 12:19)WDPG schrieb: [ -> ]-Einige der letzten Kaiser (Maiorian, Anthemius) versuchten die Rückeroberung Nordafrikas, nehmen wir mal an es hätte geklappt, hätte man Rom damit Retten können?
Vorerst: Maiorian oder Anthemius wäre die Rückeroberung Nordafrikas nicht gelungen. Sie wären an Geiserich gescheitert.
Aber die Frage heißt ja, hätte bei einer gelungenen Eroberung Nordafrikas Rom gerettet werden können. Auf alle Fälle wäre Italien besser zu sichern gewesen, Rom hätte das westliche Mittelmeer kontrolliert und von Nordafrika aus hätte man ebenfalls die iberische Halbinsel sichern können. Die geostrategischen Voraussetzungen zum Erhalt des Weströmischen Reiches hätten sich verbessert. Die Frage ist, ob Rom genügend Soldaten hätte, dies zu realisieren.
Das Vandalenreich wurde von Rom als Bedrohung empfunden. Das hat einerseits mit der Plünderung Roms von 455 zu tun. Andererseits hatte das neben den kulturellen auch religiöse Ursachen. Geiserich und seine Nachfolger waren eifrige Arianer, die gegen die katholische Obrigkeit rigoros vorgingen. Und in diesem religiösen Gegensatz liegt auch die Unvereinbarkeit zwischen Rom und den Vandalen begründet. Die Vandalen waren deshalb immer ein potentieller Verbündeter irgendeines Gegners Roms und wahrscheinlich trugen sie nach dem Zerfall des Hunnenreiches am meisten zum Untergang Roms bei. Aus diesem Grund sahen sich wohl Maioran und Anthemius gefordert, Nordafrika zu erobern, was aber einerseits aufgrund der Stärke des Vandalenreichs und des politischen Geschicks Geiserich, andererseits aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche und dem fehlenden Personal nicht möglich wäre.
Spekulativ ist natürlich, was wäre geschehen, hätte man sich in Rom ebenfalls für den Arianismus entschieden. Dann hätte evtl. eine Konföderation zwischen Westrom, Vandalen (und später evtl. Westgoten und Franken) bestanden, die sich im ständigen Konflikt mit Konstantinopel befand. Dieser ständige Konflikt hätte beide Staaten bzw. Staatenblöcke auf Dauer geschwächt und irgendwann wären sie leichte Opfer irgendwelcher Invasoren geworden.
(17.08.2013 17:39)Sansavoir schrieb: [ -> ]Es ist richtig, Stilicho schlug im Jahr 402 zweimal die Westgoten unter Alarich. Die Vernichtung eines Volkes war eigentlich kein Ziel eines Kaisers oder Heermeisters im 4. und 5. Jahrhundert gewesen, solche Ideen entstanden erst im 6. Jahrhundert unter Justinian. Stilicho war ganz einfach ein Pragmatiker, nach seinen zwei Siegen waren die Westgoten so geschwächt, dass sie vorerst keine weitere Gefahr darstellten. Eine totale Vernichtung war nicht nötig und vor allem auch nicht ausführbar, da Stilicho mit dem Leben seiner wenigen Soldaten haushalten musste.
Dem kann ich nur Zustimmen, ich denke auch das Stilicho nicht wirklich genügend Soldaten zur Verfügung hatte um die Westgoten wirklich zu Vernichten oder aus dem Reich zu drängen. Zum Teil wird man auch gehofft haben die Westgoten integrieren oder für sich zur Not einsetzen zu können. Was ich auch nicht ganz ausschließen würde ist eine langfristige Überlegung. Vielleicht würde es Stilicho doch gelingen Ost- und Westteil nochmals zu vereinigen (was ihm ja auch vorgeworfen wird, denke aber nicht das dafür der Kaiserthron für ihn oder einen Verwandten nötig gewesen wäre, denke der Posten des Heermeisters beider Reichsteile hätte gereicht) und mit einem vereinten Heer die Westgoten zu schlagen.
Etwas was mich nachdenklich macht ist aber folgende Überlegung, brauchte er nicht die Westgotenbedrohung sogar um seine eigene Machtposition halten zu können? Wenn Stilicho aus diesem Grund so gehandelt hätte, ist er damit gescheitert.
(20.08.2013 13:08)WDPG schrieb: [ -> ]Dem kann ich nur Zustimmen, ich denke auch das Stilicho nicht wirklich genügend Soldaten zur Verfügung hatte um die Westgoten wirklich zu Vernichten oder aus dem Reich zu drängen. Zum Teil wird man auch gehofft haben die Westgoten integrieren oder für sich zur Not einsetzen zu können. Was ich auch nicht ganz ausschließen würde ist eine langfristige Überlegung. Vielleicht würde es Stilicho doch gelingen Ost- und Westteil nochmals zu vereinigen (was ihm ja auch vorgeworfen wird, denke aber nicht das dafür der Kaiserthron für ihn oder einen Verwandten nötig gewesen wäre, denke der Posten des Heermeisters beider Reichsteile hätte gereicht) und mit einem vereinten Heer die Westgoten zu schlagen.
Etwas was mich nachdenklich macht ist aber folgende Überlegung, brauchte er nicht die Westgotenbedrohung sogar um seine eigene Machtposition halten zu können? Wenn Stilicho aus diesem Grund so gehandelt hätte, ist er damit gescheitert.
Dass Stilicho den Posten des Heermeisters für beide Reichsteile anstrebte, ist ein interessanter und vorstellbarer Gedanke. Immerhin fand die Reichsteilung erst im Jahr 395 statt, sie hatte noch nicht die Endgültigkeit, wie sie uns heute erscheint. Für das West- und Ostreich wäre diese Position von Stilicho sicher vom Vorteil. Inwieweit sich die beiden Kaiser damit begnügt hätten, sich auf repräsentative Pflichten zu beschränken, ist eine andere Frage. Denn als Heermeister des gesamten Reiches wäre Stilicho de facto der Herrscher. Obwohl ich nicht gern Parallelen ziehe, aber ein paar Jahrhunderte später, herrschte ein Hausmeier über Neustrien und Austrien, anfänglich unter zwei Merowingerkönigen.
Möglich ist, dass Stilicho die Bedrohung durch die Westgoten gezielt zum Ausbau seiner Machtposition einsetzte. Dies trug sicher auch zu seinem Scheitern bei. Aber um so mehr man sich mit Stilicho beschäftigt, gewinnt man den Eindruck, dass er innerhalb der römischen Oberschicht nur ein Außenseiterdasein fristete. Das lag sicher daran, dass er halbgermanischer Abstammung war. Stilichos Außenseiterrolle war sicher auch eine Ursache für seinen Untergang.
(21.08.2013 01:35)Sansavoir schrieb: [ -> ]Dass Stilicho den Posten des Heermeisters für beide Reichsteile anstrebte, ist ein interessanter und vorstellbarer Gedanke. Immerhin fand die Reichsteilung erst im Jahr 395 statt, sie hatte noch nicht die Endgültigkeit, wie sie uns heute erscheint.
Selbst zu einem späteren Zeitpunkt sah sich Rom nie als ein Ost und ein Westreich im Sinn von 2 Reichen, es gab in der damaligen Denkweise immer nur ein Reich das zu administrativen Zwecken geteilt wurde - ein Prozess der ja schon länger stattfand.
Seit der Zeit der Reichskrise des 3. Jahrhunderts gab es immer wieder Teilungen in Ost- und West und dann auch wieder mal Vereinigungen. Denke schon das Stilicho es in betracht gezogen haben könnte als Heermeister über beide Reiche zu herrschen.
Das der Gedanke Ost- und West zu vereinigen noch bestand zeigt sich auch dadurch das es Theodosius II noch einmal versuchte. Nach dem Tod von Honorius hätte er nochmals beider Reichsteile vereinigen können, wozu es aber nicht kam da es im Westen schnell einen Gegenkaiser (Johannes) gab.
(21.08.2013 01:35)Sansavoir schrieb: [ -> ]Für das West- und Ostreich wäre diese Position von Stilicho sicher vom Vorteil. Inwieweit sich die beiden Kaiser damit begnügt hätten, sich auf repräsentative Pflichten zu beschränken, ist eine andere Frage. Denn als Heermeister des gesamten Reiches wäre Stilicho de facto der Herrscher...
Theodosius II wird meist als eher passiver Kaiser beschrieben. Als er den Kaiserthron bekam war er noch ein Kleinkind. Er hätte sich also (zumindest vorerst) nicht gegen Stilicho gestellt. Honorius war in der gesamten Regierungszeit meist eine Marionette irgendwelcher Mächtigen. Denke zumindest für einige Zeit hätte es funktionieren können.
Wobei natürlich schon die Frage richtig ist, ob sich die Leute am Hof von Konstantinopel langfristig mit einer Herrschaft Stilichos zufriedengegeben hätten.
(21.08.2013 14:17)WDPG schrieb: [ -> ] (21.08.2013 01:35)Sansavoir schrieb: [ -> ]Für das West- und Ostreich wäre diese Position von Stilicho sicher vom Vorteil. Inwieweit sich die beiden Kaiser damit begnügt hätten, sich auf repräsentative Pflichten zu beschränken, ist eine andere Frage. Denn als Heermeister des gesamten Reiches wäre Stilicho de facto der Herrscher...
Theodosius II wird meist als eher passiver Kaiser beschrieben. Als er den Kaiserthron bekam war er noch ein Kleinkind. Er hätte sich also (zumindest vorerst) nicht gegen Stilicho gestellt. Honorius war in der gesamten Regierungszeit meist eine Marionette irgendwelcher Mächtigen. Denke zumindest für einige Zeit hätte es funktionieren können.
Wobei natürlich schon die Frage richtig ist, ob sich die Leute am Hof von Konstantinopel langfristig mit einer Herrschaft Stilichos zufriedengegeben hätten.
Das ist die richtige Frage. Stilicho hätte sich nur behauptet, wenn er auf Dauer politisch und militärisch erfolgreich wäre. Misserfolge hätten seinen Untergang beschleunigt. Aber als Heermeister des gesamten Reiches hätte Stilicho die Abwehrmaßnahmen gegen die in Italien oder Gallien eingefallenen Germanen besser organisieren können. Und er hätte vielleicht auch z.B. den Westgoten Land auf dem Balkan zuweisen können. Ist natürlich alles Spekulation. Fakt ist aber, dass Stilichos Tod am 22. August 408, ein weiter Schritt zum Untergang Westroms war.
Bezüglich der Frage zur Wiedereroberung Afrikas: Ich sehe da keine großen Chancen für das römische Reich; weder für die Wiedereroberung an sich, noch dafür, dass man Afrika überhaupt hätte halten können. Man hätte zwar einen strategisch wichtigen Punkt erobert und die Kornversorgung Roms wieder etwas besser in den Griff bekommen, aber die politische Lage dieser Zeit hätte man damit noch lange nicht verbessert. Es hätte immer noch die vielen germanischen Stämme von allen Seiten gegeben. Die Vandalen hätte man vielleicht vertrieben, aber sicherlich nicht vernichten oder gar ausrotten können, sodass sie weiterhin ein angriffs- und eroberungslustiger Stamm in Nordafrika gewesen wären. Im Prinzip hätte man durch eine Eroberung Nordafrikas selbst im günstigsten Fall ja einfach nur die gleiche Situation wie vor dem Verlust Nordafrikas hergestellt, und auch die war schon nicht gerade rosig. Rom hatte einfach nicht die Möglichkeit, Nordafrika unter Kontrolle zu behalten, weder militärisch, noch strategisch, noch außenpolitisch.
Deshalb hätte auch eine Wiedereroberung Nordafrikas Rom nicht retten können. Es hätte vielleicht eine gewisse Erleichterung der Situation in Italien gebracht, aber dafür auch neue Probleme geschaffen. Es ist einfach so gut wie nicht vorstellbar, dass Rom Afrika auf Dauer hätte halten können - zumal man ja auch noch Italien zu verteidigen hatte.
(25.08.2013 11:43)Maxdorfer schrieb: [ -> ]Die Vandalen hätte man vielleicht vertrieben, aber sicherlich nicht vernichten oder gar ausrotten können, sodass sie weiterhin ein angriffs- und eroberungslustiger Stamm in Nordafrika gewesen wären.
Andererseits: So stabil waren solche Völker dann auch oft nicht, nachdem Belisar Nordafrika für Byzanz erobert hat, verschwanden sich auch von der Bildfläche.