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Normale Version: Böhmen unter Karl IV.
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Im letztmonatigen G/Geschichte Heft ist ein Artikel über Karl IV. . Einen Kaiser mit dem ich mich nie sonderlich befasst habe mit einem Fabel für eine Gegend wo ich zwar bereits war, aber in der ich mich mehr schlecht als recht auskenne.
Im Artikel wurde indirekt die These aufgestellt bzw. die Überlegung geäußert, Karl IV. sei in seinem Selbstverständnis mehr ein König Böhmens, denn ein Kaiser gewesen. Seine Politik scheint also mehr zugunsten Böhmens, als für das ganze Reich gewesen zu sein. Die Goldene Bulle schwächte seinen Kaisertitel zum Beispiel, wohingegen sein durch diese erhaltener Kurfürstentitel als König von Böhmen bestärkt wurde.
Kommen wir zur Frage: Kann man in diesem Zusammenhang also von einem böhmischen Herrschaftsbereich sprechen, welcher das Kaiserreich umfasste? Sozusagen ein Großreich unter böhmischer Führung?
In diese Zeit fällt ja die goldene Epoche Prags (Universitätsgründung, Handelszentrum, Unterstadt), auch war Prag hier Residenzort Karls IV.
Ich freue mich auf eure Meinungen, vielleicht kann dieses Thema ja auch dienen diese besondere Epoche und Gegend ein wenig zu behandeln.
(04.06.2012 00:40)Viriathus schrieb: [ -> ]Kommen wir zur Frage: Kann man in diesem Zusammenhang also von einem böhmischen Herrschaftsbereich sprechen, welcher das Kaiserreich umfasste? Sozusagen ein Großreich unter böhmischer Führung?

Deine Frage ist nicht ganz einfach mit "ja" oder "nein" zu beantworten. Es ist auf alle Fälle richtig, dass zu Zeiten Karls IV. Prag eine besondere Rolle spielte (Universität gegr. 1348, Handel). Prag war nicht nur die bedeutendeste Stadt Böhmens, sondern auch des Reiches. Ich würde sogar behaupten, dass Prag während der Herrschaft Karls (des Friedenskaisers) eine größere Bedeutung als Paris oder London hatte, da beide Städte sich infolge des Hundertjährigen Krieges nicht weiter entwickeln konnte.

Die Bewertung der Goldenen Bulle von 1356 erfolgt ja oft kontrovers. Während im 19. Jh. Karl die Schwächung der Zentralmacht vorgeworfen wurde und er als "Erzstiefvater des Reiches" bezeichnet wurde, wertet man heute die Goldene Bulle als Geburtsstunde des deutschen Föderalismus.

Grundsätzlich muss Karls Herrschaft als König von Böhmen anders bewertet werden als sein Wirken als Kaiser. Zum Königreich Böhmen gehörten neben den eigentlichen Böhmen (einschl. der heutigen Oberlausitz) auch die Markgrafschaft Mähren und seit 1335 bzw. 1348 Schlesien. Karl wuchs zwar am Hofe der französischen Könige auf, kehrte aber 1333 auf Wunsch des böhmischen Adels nach Böhmen zurück. Dort übernahm er während der häufigen Abwesenheit seines Vaters die Aufgaben eines Regenten, so dass er bereits in sehr jungen Jahren Regierungserfahrung besaß. Ein Problem für ihn war, dass in Böhmen und Mähren kein Lehnsrecht westeuropäischen Zuschnitts existierte und diese Länder vom Dualismus König (Markgraf) und Landherren geprägt waren. Deswegen begann Karl, ihn besonders nah stehende Adlige mit wichtigen Ämtern zu betrauen. Damit widersetzte er sich dem Hochadel, der bisher diese Ämter oft innerhalb der eigenen Familie vererbte.

Karls neu ausgestattete Amtsträger wurden mit der Verpflichtung zum Dienst an der gemeinsamen Sache motiviert. Symbolisch sind dafür die Gründung der Universität Prag und der Prager Neustadt (1348) zu nennen. Damit setzte Karl ein Zeichen für den Neuanfang nach der wechselvollen Herrschaft seines Vaters Johann von Luxemburg. Er förderte deshalb gezielt den böhmischen Landespatriotismus und betonte seit seiner Herrschaftsübernahme im Jahr 1346 die Sonder- und Vorrangstellung des Königreiches Böhmen und seiner Nebenländer innerhalb des Heiligen Römischen Reiches.

Karls wichtige Mitstreiter waren Ernst von Pardubitz, Johann von Neumarkt und sein Bruder Johann Heinrich (Jan Jindrich). Erstere unterstützten ihn bei der Kodifikation des Landrechtes, letzterer fungierte als Markgraf von Mähren und loyaler Regent von Böhmen während Karls Abwesenheit. Der wohl von Pardubitz und Neumarkt erarbeitete "Codex Maiestatis nostrae" ("Maiestas Carolina") sollte die Macht des Königs stabilisieren, ohne den König selbst an die Gesetze zu binden und es solllte die Macht der böhmischen Magnaten eingeschränkt werden. Die Vorlage des Gesetzesentwurfs wurde 1355 nicht vom Landtag bestätigt und 1356 musste Karl einen Aufstand der böhmischen Magnatenfamilie Rosenberg niederschlagen. Dies führte dazu, dass Karl und seine Söhne von 1356 bis 1419 keinen Generallandtag der Vertreter aller böhmischen Länder einberief. Inwieweit diese Politik für die Hussitenkriege im 15. Jh. mitverantwortlich ist, würde momentan den Rahmen sprengen. Ebenso gab es 1356 in Böhmen keine Konflikte zwischen Tschechen und Deutschen.

Kommen wir zum Reich: Mit der Goldenen Bulle von 1356 wurde u.a. auch die Wahl zum römisch-deutschen König geregelt. Karl beabsichtigte damit, dass zukünftige Reichsangelegenheiten nicht mehr von ausländischen Mächten gesteuert werden. Dies ist erstaunlich, da seine eigene Wahl vom Papst Clemens VI. und dem französischen König Philipp VI. gefördert wurde und Karl deswegen als Pfaffenkönig galt. Für ihn galt es, die Gefahr eines Gegenkönigtums abzuwenden. Er selbst musste sich als Gegenkönig gegen Ludwig IV. den Bayer behaupten und nach dessen Tod seinen Gegenkönig Günther von Schwarzburg bekämpfen. Und ihm waren sicher die Ereignisse des Interregnums bekannt. Diese Erfahrungen bewogen ihn, eine eindeutige Königswahl durchzusetzen. Damit war er auf die Hilfe der Fürsten angewiesen. Er bestimmte drei geistliche Herrscher (die Erzbischofe von Köln, Mainz und Trier) und vier weltliche Herrscher (König von Böhmen, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen-Wittenberg und den Markgraf von Brandenburg) zu Kurfürsten. Die Festlegung erfolgte einerseits nach traditionellen Ämtern (z.B. wurde der Erzbischof von Trier als Erzkanzler von Burgund bestätigt), andererseits nach persönlichen Machtinteressen (Karl besaß als König von Böhmen selbst eine Kurstimme, sein damaliger Schwiegervater war der Pfalzgraf bei Rhein). Die Habsburger bekamen keine Kurstimme und die bayrischen Wittelsbacher bekamen nur für die Markgrafschaft Brandenburg eine Kurstimme. Damit beabsichtigte Karl die Wahl eines Angehörigen dieser Dynastien zu verhindern oder zumindest zu erschweren. 1373 erwarb Karl die Markgrafschaft Brandenburg, damit besaßen die Luxemburger zwei Kurstimmen.

Man kann schon sagen, dass Karl verschiedene Wege zur Festigung seiner Macht bzw. zur Ausschaltung seiner Konkurrenten im Reich ging. Neben seiner Basis in Böhmen beabsichtigte er in der Mark Brandenburg einen zweiten Pfeiler im Reich aufzubauen. So förderte er z.B. die an der Elbe liegende Stadt Tangermünde als Handelsplatz. Karl verfolgte noch weitere Projekte, die ihm finanziell überforderten. In den 1350-er Jahren förderte er die Entwicklung der Oberpfalz und von ihm erworbene Gebiete in Franken, das sog. Neuböhmen, zur Festigung des Handelsweges Prag-Nürnberg. Dieses Projekt wurde dann zugunsten der Förderung Brandenburgs nicht mehr weiter verfolgt.

Ich denke schon, dass Karl von Böhmen aus die Reichsangelegenheiten kontrollierte und gestaltete. Ihm war aber bewusst, dass er keine Zentralmacht (wie z.B. Otto I. oder Friedrich Barbarossa) durchsetzen konnte. Deswegen war er bereit, Macht abzugeben. Praktisch herrschte zuzeiten Karls eine Oligarchie bestehend aus den Kurfürsten und ein paar mächtigen Dynastien (Habsburger, Wittelsbacher u.a.), wobei Prag als politisches und wirtschaftliches Zentrum gelten kann

Interessant ist auch, dass Karl durch "Erbverbrüderungen" mit dem Erzherzog von Österreich und mit dem König von Ungarn die Idee des späteren Habsburgerreich vorwegnahm. Dagegen erkannte er nicht die vom Herzogtum Burgund ausgehende Gefahr für die Westgrenze des Reiches.

So das war es ersteinmal.
Da können wir ja mit unseren "Ich vermute mal..." - Beiträgen gleich einpacken... Wink
Wahnsinn Sansavoir, richtig genialer Beitrag.

Richtig spannende, weitere Ansätze auch darin, was z.B. Prags Bedeutung in Europa und die Auswahl der Kurfürsten angeht.

Weißt Du übrigens ob Tangermündes heutige Schönheit auf diese Förderung zurückgeht? Ich war zwar nie dort, aber es soll sich ja um die schönste Stadt Sachsen-Anhalts handeln.


Auf jeden Fall DANKE für deine ausführliche Antwort! Smile
(10.06.2012 13:10)Viriathus schrieb: [ -> ]Wahnsinn Sansavoir, richtig genialer Beitrag.

Richtig spannende, weitere Ansätze auch darin, was z.B. Prags Bedeutung in Europa und die Auswahl der Kurfürsten angeht.

Weißt Du übrigens ob Tangermündes heutige Schönheit auf diese Förderung zurückgeht? Ich war zwar nie dort, aber es soll sich ja um die schönste Stadt Sachsen-Anhalts handeln.


Auf jeden Fall DANKE für deine ausführliche Antwort! Smile

Erst einmal danke fürs Lob. Das Stadtbild von Tangermünde ist von der Förderung Karls IV. geprägt. Du hast Recht, Tangermünde ist eine der schönsten Städte Sachsen-Anhalts (neben Quedlinburg)
(10.06.2012 22:16)Sansavoir schrieb: [ -> ][...] Du hast Recht, Tangermünde ist eine der schönsten Städte Sachsen-Anhalts (neben Quedlinburg)
Stimmt Quedlinburg darf man da nicht vergessen!
Auch Naumburg kann man empfehlen finde ich.
Das stimmt. Neben Naumburg kann man auch noch Freyburg/Unstrut oder Wernigerode empfehlen.
(10.06.2012 23:10)Sansavoir schrieb: [ -> ]Das stimmt. Neben Naumburg kann man auch noch Freyburg/Unstrut oder Wernigerode empfehlen.

Die beiden kenne ich noch nicht. Genauso wie das angesprochene Tangermünde und auch Bernburg. Sleepy
Danke auch für diese beiden Tipps.
(10.06.2012 05:17)Sansavoir schrieb: [ -> ]...
Kommen wir zum Reich: Mit der Goldenen Bulle von 1356 wurde u.a. auch die Wahl zum römisch-deutschen König geregelt. Karl beabsichtigte damit, dass zukünftige Reichsangelegenheiten nicht mehr von ausländischen Mächten gesteuert werden. Dies ist erstaunlich, da seine eigene Wahl vom Papst Clemens VI. und dem französischen König Philipp VI. gefördert wurde und Karl deswegen als Pfaffenkönig galt. Für ihn galt es, die Gefahr eines Gegenkönigtums abzuwenden. Er selbst musste sich als Gegenkönig gegen Ludwig IV. den Bayer behaupten und nach dessen Tod seinen Gegenkönig Günther von Schwarzburg bekämpfen. Und ihm waren sicher die Ereignisse des Interregnums bekannt. Diese Erfahrungen bewogen ihn, eine eindeutige Königswahl durchzusetzen. Damit war er auf die Hilfe der Fürsten angewiesen. Er bestimmte drei geistliche Herrscher (die Erzbischofe von Köln, Mainz und Trier) und vier weltliche Herrscher (König von Böhmen, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen-Wittenberg und den Markgraf von Brandenburg) zu Kurfürsten. Die Festlegung erfolgte einerseits nach traditionellen Ämtern (z.B. wurde der Erzbischof von Trier als Erzkanzler von Burgund bestätigt), andererseits nach persönlichen Machtinteressen (Karl besaß als König von Böhmen selbst eine Kurstimme, sein damaliger Schwiegervater war der Pfalzgraf bei Rhein). Die Habsburger bekamen keine Kurstimme und die bayrischen Wittelsbacher bekamen nur für die Markgrafschaft Brandenburg eine Kurstimme. Damit beabsichtigte Karl die Wahl eines Angehörigen dieser Dynastien zu verhindern oder zumindest zu erschweren. 1373 erwarb Karl die Markgrafschaft Brandenburg, damit besaßen die Luxemburger zwei Kurstimmen.
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Zunächst einmal, auch ich finde, diesen Artikel sehr umfassend und interessant. Allerdings gibt es da einige Punkte, die zu hinterfragen wären.

Zunächst einmal - lässt sich wirklich sagen, dass Karl IV. mit der goldenen Bulle die 7 Kurländer und ihre Fürsten selbst bestimmt hat? Fakt ist doch, er schuf keine neuen Kurfürstentümer.

Die jeweiligen Fürsten, die über die 7 Kurländer (nicht nur, die drei geistlichen Fürstentümer, sondern auch die vier weltlichen) herrschten, bestimmten bereits im 13. Jahrhundert als Kurfürsten neben dem Papst die Wahl des Königs (HRR). (Vgl. dazu z. B. Jörg K. Hoensch: Přemysl Otakar II. von Böhmen, 1989)

Mein Eindruck:
Mit der Goldenen Bulle wurden offensichtlich nur bereits bestehende Verfassungsstrukturen verschriftlicht. (Was die wesentlichen Regelungen betrifft, so habe ich den Eindruck, dass vor allem darauf abzielten, Situationen wie die Wahl von 1314 zu verhindern, den die Goldene Bulle verbietet bzw. regelt alles, was damals dazu führte, dass es überhaupt zu einer Doppelwahl kommen konnte.

Gut vorstellbar, dass es Karl IV. gefallen haben wird, dass gewisse Rivalen keine Kurfürsten wurden (und vielleicht ein Grund, mit der Verschriftlichung einverstanden zu sein). Aber das lag offensichtlich daran, dass die Kurländer eben zu dieser Zeit nicht unter der Herrschaft dieser Rivalen waren, nicht aber, weil er sich darum selbst gekümmert hatte.

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(10.06.2012 05:17)Sansavoir schrieb: [ -> ]Interessant ist auch, dass Karl durch "Erbverbrüderungen" mit dem Erzherzog von Österreich und mit dem König von Ungarn die Idee des späteren Habsburgerreich vorwegnahm. Dagegen erkannte er nicht die vom Herzogtum Burgund ausgehende Gefahr für die Westgrenze des Reiches.

Nur eine Überlegung:
War die Gefahr für die ausgehende Westgrenze durch das Herzogtum Burgund, mit der sich seine Nachfolger als Könige / Kaiser (HRR) befassen mussten, zu seinen Lebzeiten wirklich schon vorhersehbar?

Das Reich, über das später Herzöge wie Philipp der Gute oder Karl der Kühne regierten, dürfte zu seiner Zeit erst in Entstehung gewesen sein, und Gebiete wie z. B. das damalige Herzogtum Luxemburg (das Stammland von der Familie Karl IV.) oder Teile der späteren Niederlande kamen erst im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts unter burgundische Herrschaft, also zu einer Zeit, als Karl IV. bereits längst nicht mehr am Leben war.
(13.02.2016 01:08)Teresa C. schrieb: [ -> ]Zunächst einmal - lässt sich wirklich sagen, dass Karl IV. mit der goldenen Bulle die 7 Kurländer und ihre Fürsten selbst bestimmt hat? Fakt ist doch, er schuf keine neuen Kurfürstentümer.
Die jeweiligen Fürsten, die über die 7 Kurländer (nicht nur, die drei geistlichen Fürstentümer, sondern auch die vier weltlichen) herrschten, bestimmten bereits im 13. Jahrhundert als Kurfürsten neben dem Papst die Wahl des Königs (HRR). (Vgl. dazu z. B. Jörg K. Hoensch: Přemysl Otakar II. von Böhmen, 1989)
Mein Eindruck:
Mit der Goldenen Bulle wurden offensichtlich nur bereits bestehende Verfassungsstrukturen verschriftlicht. (Was die wesentlichen Regelungen betrifft, so habe ich den Eindruck, dass vor allem darauf abzielten, Situationen wie die Wahl von 1314 zu verhindern, den die Goldene Bulle verbietet bzw. regelt alles, was damals dazu führte, dass es überhaupt zu einer Doppelwahl kommen konnte.

Das stimmt natürlich alles. Das HRR war eine Wahlmonarchie und nach dem Ableben des alten Königs musste immer wieder ein neuer gewählt werden. Oft wurde der vermeintliche schwächere Kandidat gewählt, der dann mit einer starken Fürstenopposition leben musste. Im schlimmsten Fall existierte sogar ein Gegenkönig, so z.B. nach 1198, 1254, 1314 oder 1346, als Karl selbst der Gegenkönig Ludwigs IV. wurde. Die Existenz eines Gegenkönigs war immer eine Staatskrise des HRR, häufig war dessen Existenz durch die Kriege der zwei Kontrahenten gefährdet.

Mit der Goldenen Bulle von 1356 beabsichtigte Karl solche Krisen des Reiches zu verhindern. Die Anzahl der Kurfürsten wurde auf sieben begrenzt, vier Stimmen von ihnen wurden benötigt, um neuer König zu werden. Karl schuf nicht sieben neue Kurfürstentümer im Sinne einer territorialen Neugliederung, sondern er änderte die rechtliche Situation von sieben Fürsten im Reich. Dieses Kollegium von sieben Kurfürsten entwickelte sich zu einem wichtigen Machtfaktor im Reich. Ich sehe auch eine Kontinuität in der Entwicklung von der Goldenen Bulle von 1220 über die Goldene Bulle von 1356 zur Reichsreform von 1495.
(13.02.2016 01:08)Teresa C. schrieb: [ -> ]Nur eine Überlegung:
War die Gefahr für die ausgehende Westgrenze durch das Herzogtum Burgund, mit der sich seine Nachfolger als Könige / Kaiser (HRR) befassen mussten, zu seinen Lebzeiten wirklich schon vorhersehbar?
Das Reich, über das später Herzöge wie Philipp der Gute oder Karl der Kühne regierten, dürfte zu seiner Zeit erst in Entstehung gewesen sein, und Gebiete wie z. B. das damalige Herzogtum Luxemburg (das Stammland von der Familie Karl IV.) oder Teile der späteren Niederlande kamen erst im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts unter burgundische Herrschaft, also zu einer Zeit, als Karl IV. bereits längst nicht mehr am Leben war.

Es ist natürlich richtig, dass Karl IV. die Entwicklungen im 15. Jahrhundert nicht voraus sehen konnte, insbesondere dass die Grafschaft Luxemburg an die Herzöge von Burgund fiel. Trotzdem sollte man sich westlichen Teil des HRR beschäftigen und Karls Politik entsprechend bewerten. Immerhin ließ er sich 1365 in Arles zum König von Burgund krönen. U.a. erhielt Karl dort die Gebeine des Burgunderkönigs Sigismund, den Karl wohl sehr verehrte und nach dem er seinen 1368 geborenen Sohn benannte, den späteren Kaiser Sigismund.

Eine Frage stellt sich nun, warum ließ sich Karl IV. im Jahr 1365 zum König von Burgund krönen? Die deutschen Könige waren zwar seit 1033 formal auch Könige von Burgund, aber um 1365 war der Einfluss der deutschen Könige im Königreich Burgund (Arelat) sehr gering und in einigen Gebieten fungierte der König von Frankreich als Vikar des Reiches. Eine Antwort darauf ist sicher, dass im Jahr 1361 der letzte kapetingische Herzog von Burgund starb und der französische König Johann II. der Gute – im Übrigen kein wirklich „guter“ Herrscher im doppelten Sinn – das Herzogtum Burgund als erledigtes Lehen einzog und somit sich das Kräfteverhältnis zugunsten Frankreichs änderte. Letztlich blieb aber der französische König erfolglos, die Stände des Herzogtums Burgund widersetzten sich der Einverleibung und 1363 wurde Johanns vierter Sohn Philipp (der Kühne) Herzog von Burgund.

Bereits 1356, nach der verlorenen Schlacht von Maupertuis, erschien der damalige Kronprinz - der spätere französische König Karl V. der Weise auf dem Reichstag zu Metz und huldigte Karl IV. für seine Gebiete, die Dauphiné. Philipp von Rouvres, der letzte kapetingische Herzog von Burgund, leistete ebenfalls auf den Reichstag zu Metz seinen Lehnseid für die Freigrafschaft Burgund (Franche Comté). Dieser Lehnseid galt aber nur für die Person des Herzogs, mit seinem Tod im Jahr 1361 endete der Eid. Sein Nachfolger Philipp der Kühne leistete Karl IV. den Eid nicht mehr.

Meine oben geäußerten Kritik gegenüber Karl IV. leite ich daraus ab, inwieweit er die Neugestaltung des Westraumes mitgestaltete, am Alten festhielt oder sich daran gar nicht oder nur halbherzig beteiligte. Denn es haben sich auf dem Boden des Königreichs neue Herrschaftskomplexe gebildet:

1. Die Schweizer Eidgenossenschaft – die 1291 aus einem Städtebund hervorging und in ihren Widerstand gegen die Habsburger erstarkte. Sie erwirkte 1361 bei Karl IV. eine Erneuerung der Verbriefung ihrer Bundesrechte und ihrer politisch-militärischen Selbständigkeit, die 1386 nach dem Sieg bei Sempach über die Habsburger weiter gefestigt werden konnte.

2. Die Freigrafschaft Burgund (Franche Comte) unterstand zwischen 1156 und 1208 direkt den Staufern und danach den Herzögen von Andechs-Meranien. Nach deren Aussterben im Jahr 1248 geriet die Freigrafschaft unter Kontrolle französischer Magnaten, wie die Grafen von Chalon oder die Herzöge von Burgund. 1295 wurde das Gebiet der französischen Krone unterstellt, es bestand eine Zwitterstellung zwischen Frankreich und dem HRR, die erst 1678 durch Ludwig XIV. beendet wurde. Wie bereits oben geschrieben, unterstellte 1356 Philipp von Rouvres das Gebiet dem römisch-deutschen König.

3. Die Provence begann sich bereits im 12. Jahrhundert aus dem Reichsverband zu lösen und wandte sich der Krone Aragons zu, dessen Herrscher entweder in Personalunion die Grafschaft Provence beherrschten oder von dessen Verwandten beherrscht wurde. 1246 wurde Karl von Anjou durch Heirat Herrscher in der Provence. Die Anjous konnten sich zwar nicht innenpolitisch durchsetzen, behaupteten sich jedoch bis 1481 gegenüber Restaurationspläne des Reichs oder französischen Eroberungsversuchen.

4. Die Dauphiné ging aus dem Südteil der Grafschaft Vienne hervor. 1378 übergab Karl IV. die Dauphiné an den französischen Thronfolger, den späteren Karl VI. den Wahnsinnigen. Welche Gründe ihn dazu bewogen hatten, ist schwer einzuschätzen. Vielleicht wollte er nur seinen Neffen Karl V. unterstützen, indem er die Apanage für dessen Sohn bereitstellte.

5. Savoyen erhielt zwischen 1361 und 1365 die unmittelbare Reichsfreiheit. Dies war eine kluge Maßnahme Karls IV., denn in Zukunft sollte sich Savoyen als ein wichtiger Verbündeter des HRR gegen Frankreich erweisen.

6. Im Herzogtum Burgund konnten 1361/63 die Stände die Übernahme durch Frankreich verhindern. 1363/64 wurde das Herzogtum auf Philipp den Kühnen übertragen. 1369 heiratete Philipp Margarethe von Flandern, die Erbtochter Ludwigs von Maele. Das bedeutete, dass ein neuer Herrschaftskomplex entstehen konnte (und tatsächlich 1384 auch entstand). D.h., dass bereits zu Lebzeiten des 1378 verstorbenen Kaisers ein Staatsgebilde konzipiert wurde, dass aus dem Herzogtum Burgund, den Grafschaften Flandern, Artois und Nevers als Erbe Margarethes und der Freigrafschaft Burgund bestehen würde. Ein Herrscher dieses Gebilde würde dann auf alle Fälle versuchen, seine verschiedenen Länder zu vereinigen. Diese Option war sicher für einen Zeitgenossen schwer zu erkennen gewesen, aber meiner Meinung nach wurde diese ganze Problematik von Karl IV. nicht ernsthaft genug verfolgt. Er ließ im Westen die Dinge laufen, wie sie kamen.
Die Kurfürsten als Kollegium entwickelten sich erst allmählich aus "den Großen" des Reichs, die zur Königswahl berechtigt waren, ein altes germanisches Recht der Adligen, das sich nach und nach auf die relativ wenigen wirklich mächten, "königsnahen" Adligen/Fürsten einengte.
Im hohen Mittelalter wechselte auch die Zusammensetzung des Kurkollegiums ständig, als beständige Faktoren blieben m.W. nur die geistlichen Kurfürsten. Mit der Goldenen Bulle Karls IV. sollte dieser Kreis endgültig festgelegt werden, auch um Uneinigkeiten bei der Königswahl zu vermeiden. Diese Uneinigkeiten entstanden nicht allein dadurch, dass sich die Königswähler uneins waren, sondern oft schon im Vorfeld einer Wahl, wenn es darum ging, wer überhaupt zur Königswahl berechtigt war....
Und der König von Böhmen gehörte sowieso erst zum Kurfürstenkollegum, seit Ottokar II. mächtig genug war, um als wesentliche Kraft im Reich anerkannt zu werden. Was wiederum gut zu meinen vorherigen Ausführungen passt...Wink
(13.02.2016 16:26)Sansavoir schrieb: [ -> ]Bereits 1356, nach der verlorenen Schlacht von Maupertuis, erschien der damalige Kronprinz - der spätere französische König Karl V. der Weise auf dem Reichstag zu Metz und huldigte Karl IV. für seine Gebiete, die Dauphiné. Philipp von Rouvres, der letzte kapetingische Herzog von Burgund, leistete ebenfalls auf den Reichstag zu Metz seinen Lehnseid für die Freigrafschaft Burgund (Franche Comté). Dieser Lehnseid galt aber nur für die Person des Herzogs, mit seinem Tod im Jahr 1361 endete der Eid. Sein Nachfolger Philipp der Kühne leistete Karl IV. den Eid nicht mehr.

Das hätte er aber tun müssen. Die Freigrafschaft Burgund - gelegentlich als Pfalzgrafschaft Burgund bezeichnet - war früher ein Bestandteil des Königreichs Hochburgund gewesen. Die Königreiche Hochburgund und Niederburgund (wie Du geschrieben hast, das Königreich Arleat) waren aber Bestandteile des HRR, unabhängig davon, wer Lehensmann war. Im Gegensatz dazu war das Herzogtum Burgund schon immer ein Bestandteil des französischen Königreichs, und somit ein Lehen des französischen Königs.
(20.02.2016 18:18)Aguyar schrieb: [ -> ]
(13.02.2016 16:26)Sansavoir schrieb: [ -> ]Bereits 1356, nach der verlorenen Schlacht von Maupertuis, erschien der damalige Kronprinz - der spätere französische König Karl V. der Weise auf dem Reichstag zu Metz und huldigte Karl IV. für seine Gebiete, die Dauphiné. Philipp von Rouvres, der letzte kapetingische Herzog von Burgund, leistete ebenfalls auf den Reichstag zu Metz seinen Lehnseid für die Freigrafschaft Burgund (Franche Comté). Dieser Lehnseid galt aber nur für die Person des Herzogs, mit seinem Tod im Jahr 1361 endete der Eid. Sein Nachfolger Philipp der Kühne leistete Karl IV. den Eid nicht mehr.

Das hätte er aber tun müssen. Die Freigrafschaft Burgund - gelegentlich als Pfalzgrafschaft Burgund bezeichnet - war früher ein Bestandteil des Königreichs Hochburgund gewesen. Die Königreiche Hochburgund und Niederburgund (wie Du geschrieben hast, das Königreich Arleat) waren aber Bestandteile des HRR, unabhängig davon, wer Lehensmann war. Im Gegensatz dazu war das Herzogtum Burgund schon immer ein Bestandteil des französischen Königreichs, und somit ein Lehen des französischen Königs.

Ich frage mich nur, ob wir nicht ein wenig zu viel von den Herrschern des Spätmittelalters erwarten.Tongue
(03.03.2016 20:38)Teresa C. schrieb: [ -> ]Ich frage mich nur, ob wir nicht ein wenig zu viel von den Herrschern des Spätmittelalters erwarten.Tongue

Ich finde, dass Karl IV. eine kluge, konzeptionelle Politik betrieb. Deswegen stellt sich für mich die Frage, warum ließ er im Falle Burgund die sonst vorhandene Weitsicht vermissen.

Letztlich ist es erstaunlich, dass nach der Katastrophe der Pest in Europa relativ viele fähige Herrscher gab, sei es Kaiser Karl IV., der ungarische König Ludwig der Große, der englische König Edward III., der französische König Karl V., der Weise, der dänische König Waldemar IV. Atterdag, der polnische König Wladyslaw I. Lokietek, Dimitri Donskoi, der Großfürst von Moskau oder Winrich von Kniprode. Diese Herrscher starben in den 1370er-/1380er-Jahren, ihre direkten Nachfolger hatten oft nicht das gleiche Format.
(04.03.2016 06:32)Sansavoir schrieb: [ -> ]
(03.03.2016 20:38)Teresa C. schrieb: [ -> ]Ich frage mich nur, ob wir nicht ein wenig zu viel von den Herrschern des Spätmittelalters erwarten.Tongue

Ich finde, dass Karl IV. eine kluge, konzeptionelle Politik betrieb. Deswegen stellt sich für mich die Frage, warum ließ er im Falle Burgund die sonst vorhandene Weitsicht vermissen.

Letztlich ist es erstaunlich, dass nach der Katastrophe der Pest in Europa relativ viele fähige Herrscher gab, sei es Kaiser Karl IV., der ungarische König Ludwig der Große, der englische König Edward III., der französische König Karl V., der Weise, der dänische König Waldemar IV. Atterdag, der polnische König Wladyslaw I. Lokietek, Dimitri Donskoi, der Großfürst von Moskau oder Winrich von Kniprode. Diese Herrscher starben in den 1370er-/1380er-Jahren, ihre direkten Nachfolger hatten oft nicht das gleiche Format.

Wahrscheinlich wäre auch zu klären, inwieweit Katastrophen wie die Pest oder Heuschrecken wirklich dank des Einsatzes fähiger Herrscher bewältigt wurden oder einfach einen höheren Maßstab legten, sodass sich wirklich nur fähige Leute in der Herrscherschicht behaupten konnten.

Wobei eines zu fragen wäre - woran messen sich die tatsächlichen Fähigkeiten eines Herrschers bzw. seiner Herrschaft? (Abgesehen davon könnte auch gefragt werden, ob es wirklich nur die Fähigkeiten des Herrschers waren, die entschieden.)

Dass die unmittelbaren Nachfolger nicht das Format hatten - ob das nur die Schuld der Nachfolger war? Sehen wir uns einige deiner Beispiele einmal dazu an:

König Kasimir I., der schon zu Lebzeiten seines Vaters Wladyslaw I. Lokietek mit diesem gemeinsam regiert hatte (und somit ausreichend Erfahrung hatte, als er alleiniger Herrscher wurde), starb nur wenige Jahre nach seinem Vater und hinterließ keinen Sohn. (Da er relativ bald starb, hatte er wohl nicht die Zeit aus den Schatten seines Vaters zu treten.)

König Ludwig der Große, König von Ungarn, der ihn als König von Polen beerbte, hinterließ ebenfalls bei seinem Tod nur zwei Töchter, die zu diesem Zeitpunkt auch noch Kinder waren.

Waldemar IV. Atterdag hatte immerhin mit seiner Tochter, die zum Zeitpunkt seines Todes bereits erwachsen war, eine äußerst fähige Nachfolgerin.

Die Söhne von Karl V., dem Weise, waren zum Zeitpunkt seines Todes noch minderjährig, da wäre auch zu fragen, warum es bei diesen Karl nicht möglich war, eine fähige Regentschaft einzusetzen.

Ähnlich sieht es bei Edward III. aus. Da sein ältester Sohn ein Jahr vor ihm starb, wurde dessen noch minderjähriger Sohn sein Nachfolger. (Übrigens war dessen Nachfolge keineswegs unumstritten.)

Die Nachfolger von Kaiser Karl IV. war zwar volljährig, aber eindeutig noch sehr jung.



(Ich habe jetzt in einem anderen Zusammenhang einen Fall aus dem Bürgertum im 19. Jahrhundert von lokalgeschichtlicher Bedeutung untersucht und dabei festgestellt, dass der Niedergang bereits in der zweiten Generation sich abzuzeichnen begann, also keineswegs wie bisher angenommen wurde, erst nach dessen Tod begann.)

Aus zeitgenössischer Perspektive wäre zu fragen, inwieweit Karl IV. die "burgundische Bedrohung" bereits hätte vorhersehen / erkennen können. Als Nachgeborene haben wir es wesentlich leichter als er, da wir wissen, wie es nach seinem Tod weitergegangen ist.

Wenn allerdings z. B. berücksichtigt wird, dass es im Mittelalter (auch noch im Spätmittelalter) durchaus üblich war, dass die Herrschaft über mehrere Länder, die ein Herrscher vereinigt, gewöhnlich unter dessen Söhnen wieder geteilt wird - warum hätte Karl IV. nicht davon ausgehen sollen, dass dieser burgundische Länderkomplex sich ohnehin wieder von selbst auflöst. (Er selbst hat zwar noch seinen ältesten Sohn zu seinem Nachfolger als König von Böhmen, König im Reich (HRR) und Oberhaupt der Familie gemacht, aber keineswegs Maßnahmen ergriffen, seine beiden anderen Söhne und seine beiden Neffen von der Herrschaft gänzlich auszuschließen.

Dass die Herzöge von Burgund in der Folge immer nur einen legitimen Sohn haben würden, der somit die Herrschaft in allen ihren Ländern ungeteilt übernehmen konnte - hätte Karl IV. das wirklich voraussehen können. Auch die Entwicklung in Frankreich, die wesentlich für die Machtposition der Herzöge von Burgund ausschlaggebend werden sollte - hätte Karl IV. die vorhersehen können. (Immerhin war z. B. auch kaum vorhersehbar, dass König Karl VI. von Frankreich zuletzt vollkommen regierungsunfähig sein würde.)
Du sprichst da einen wichtigen Punkt an, die spätmittelalterlichen Erbfolgeregelungen. Noch war die Primogenitur ja was exotisches, ein Herrscher wie Kaiser Karl IV., der eben nicht alle möglichen Nachfolger bis auf seinen ältesten Sohn von der Nachfolge ausschloß, hat damit vielleicht Streitigkeiten unter den -potentiellen Nachfolgern vermieden, die anderswo - sachsen z.B. zu Zerreißproben führten, die ein Land durchaus auch mal ruinieren konnten..Wink
Ob er so tatsächlich Streitigkeiten vermieden hat? Ein gewisses Glück mag für den späteren Kaiser Sig(is)mund gewesen sein, dass er letztlich seine beiden (Halb-)Brüder und Cousins überlebt hat und damit wenigstens eine Aussicht auf die Nachfolge seines Bruders Wenzels als böhmischer König hatte, die er dann, wenn gleich mit größten Schwierigkeiten antreten konnte.
Zumindest haben sich seine potentiellen Erben nicht schon zu seinen Lebzeiten gegenseitig zerfleischt...und welcher Testamentsverfasser geht davon aus, dass seine Vorgaben, die ja üblicherweise darauf hinauslaufen, dass sich die Erben NICHT zerstreiten, nicht befolgt werden? *grins*
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