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Normale Version: 150 Jahre SPD
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Statt eines Kommentars zur SPD hier erst mal eine Liste der SPD-Vorsitzenden der Nachkriegszeit:
  • Kurt Schumacher (erster Oppositionsführer, Gegenspieler Adenauers, Gründervater der Bundesrepublik, Ablehnung der SED, prägte das Profil der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik, Vors.1945-1946 (SPD in der brit. Besatzungszone, 1946-1952 SPD in der BRD)
  • Otto Grotewohl (Vors. SPD-Ost 1945-1946, danach Vereinigung der SPD-Ost mit der KPD zur SED)
  • Erich Ollenhauer (1952-1963)
  • Willy Brandt (erster sozialdemokratischer Kanzler in der Bundesrepublik, Ostintegration, Friedensnobelpreisträger, Vors. 1964-1987)
  • Hans-Joachim Vogel (Bundesjustizminister, Regierender Bürgermeister von Berlin, Vors. 1987-1990, Vors. wiedervereinigte SPD 1990-1991)
  • SPD-Ost der Wendezeit: Stephan Hilsberg (1989-1990), Ibrahim Böhme (Febr.-April 1990), Markus Meckel (Interimvors. April-Juni 1990), Wolfgang Thierse Juni-Spet.1990)
  • Björn Engholm (Ministerpräsident von Schleswig Holstein, Vors. 1991-1993)
  • Johannes Rau (Mai-Juni 1993 kommissarischer Vorsitzender nach dem Rücktritt von Björn Engholm, Bundespräsident)
  • Rudolf Scharping (Bundesverteidigungsminister, Kanzlerkandidat, Vors. 1993-1995)
  • Oskar Lafontaine (Vors. 1995-1999, Finanzminister, Kanzlerkandidat, Ministerpräsident des Saarlandes, Vorsitzender der Linken)
  • Gerhard Schröder (Vors. 1999-2004, Bundeskanzler, Ministerpräsident von Niedersachsen, Agenda 2010)
  • Franz Müntefering (Vors. 2004-2005 und Okt.2008-Nov.2009, Superminister, Vizekanzler)
  • Matthias Platzeck (Vors. Nov.2005-April 2006, aus Gesundheitsgründen zurückgetreten, Ministerpräsident von Brandenburg)
  • Kurt Beck (Vors. 2006-2008, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz)
  • Frank-Walter Steinmeier (kommissarisch Sept.-Okt.2008 nach dem Rücktritt von Kurt Beck, Außenminister, Kanzlerkandidat, Oppositionsführer, Vizekanzler)
  • Sigmar Gabriel (Vors. 2009-heute, Ministerpräsident von Niedersachsen, Bundesumweltminister)

Schon auffallend, die ersten 45 Jahre grade mal 4 Vorsitzende der SPD in der BRD, die nächsten 23 Jahre - also knapp die halbe Zeit - sage und schreibe 10 Vorsitzende, davon einer sogar zweimal, im Grunde also 11 Vorsitzende - fast das dreifache der ersten 45 Jahre
Um auf den gleichen "Wechsel-Level" zu kommen, hätte die West-SPD zwischen 1945 und 1990 wahnsinnige 22 Vorsitzende haben müssen!!!
Dass das für eine Partei nicht gut sein kann, ist klar...

Was glaubt ihr, wo liegen die Gründe für diese Veränderung der SPD, weg von einer in sich relativ stabilen Volkspartei hin zu einer - wie drück ich´s aus? - programmlosen Programmpartei?
Allein die Tatsache, dass der SPD ihre Klientel verloren ging (z.T. auch aus eigener Schuld, siehe Agenda 2010, die wahnsinnig schlecht verkauft wurde), kann´s ja wohl nicht sein?

VG
Christian
Dass die Vorsitzenden heutzutage förmlich verbrannt werden, ist kein Wunder. Wo ist die Person mit Charisma wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt? Die Personaldecke ist dünn, wahrscheinlich muss eine Frau wie Hannelore Kraft oder Manu Schwesig ran. Peer Steinbrück ist ein Dinosaurier ohne die Spur einer Chance gegen Angela Merkel. Die SPD hat mit seiner Nominierung so ziemlich das Dümmste was möglich getan...
Vielleicht hat sich Helmut Schmidt geirrt, als er ihn lobte...
Früher oder später musste man Steinbrück zum Zuge kommen lassen, sonst wäre er eventuell so etwas wie ein zweiter Lafontaine geworden.
Und da weder Steinmeier noch Gabriel einander sonderlich trauen, die anderen "SPD-Granden" entweder schon verbrannt waren oder sich die absehbare Niederlage nicht antun wollten (oder sonst der Trias Steinmeier-Steinbrück-Gabriel zu mächtig geworden wären, siehe z.B. Nahles), blieb als drittes Alphatierchen nur noch Steinbrück übrig. Dessen Selbstbewusstsein ist so groß, dass er es sich zutraut(e), Merkel zu schlagen.

Mal abwarten. Meine Vermutung ist, dass er noch einiges aufholen wird, wenn der Wahlkampf in die "heiße Phase" kommt, dass es aber knapp nicht reichen wird. U.a. deswegen, weil es eine niedrige Wahlbeteiligung geben wird, wird es für Merkel knapp werden.

VG
Christian
(29.05.2013 14:15)Arkona schrieb: [ -> ]Dass die Vorsitzenden heutzutage förmlich verbrannt werden, ist kein Wunder. Wo ist die Person mit Charisma wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt? Die Personaldecke ist dünn, wahrscheinlich muss eine Frau wie Hannelore Kraft oder Manu Schwesig ran. Peer Steinbrück ist ein Dinosaurier ohne die Spur einer Chance gegen Angela Merkel. Die SPD hat mit seiner Nominierung so ziemlich das Dümmste was möglich getan...

Wobei die SPD dies durchaus schon mal erlebte.

Ollenhauer hatte auch absolut kein Charisma. Die meisten werden sich nicht mehr an ihn erinnern.
Ausstrahlung wie Grotewohl. Keine.

Bei der West-SPD war die gängige Erklärung für die Ost-Vereinigung, die ja mehr oder weniger schon freiwillig war, dass Grotewohl in einer Gesamt-SPD gegen Schuhmacher nie eine Rolle hätte spielen können, was ihm sehr bewusst gewesen wäre.
(29.05.2013 16:09)Suebe schrieb: [ -> ]Ollenhauer hatte auch absolut kein Charisma. Die meisten werden sich nicht mehr an ihn erinnern.
Ausstrahlung wie Grotewohl. Keine.

Trotzdem fand der Wechsel der SPD von der sozialistischen Arbeiterpartei zur sozialdemokratischen Volkspartei unter ihm statt. Wie lässt sich das mit seinem fehlenden Charisma vereinbaren? Waren das die Leute unter ihm? Zumindest mit seinem Einverständnis haben sie gehandelt!

(29.05.2013 16:09)Suebe schrieb: [ -> ]Bei der West-SPD war die gängige Erklärung für die Ost-Vereinigung, die ja mehr oder weniger schon freiwillig war, dass Grotewohl in einer Gesamt-SPD gegen Schuhmacher nie eine Rolle hätte spielen können, was ihm sehr bewusst gewesen wäre.

Es könnte auch sein, dass er eingesehen hatte, dass gegen die von Moskau tatkräftigst unterstützte KPD keine Chance hatte. Auch waren die SPD-Mitglieder nicht prinzipiell gegen eine SED, sie waren nur dagegen, die Vereinigung jetzt und gleich zu vollziehen.

VG
Christian
(29.05.2013 16:19)913Chris schrieb: [ -> ]
(29.05.2013 16:09)Suebe schrieb: [ -> ]Ollenhauer hatte auch absolut kein Charisma. Die meisten werden sich nicht mehr an ihn erinnern.
Ausstrahlung wie Grotewohl. Keine.

Trotzdem fand der Wechsel der SPD von der sozialistischen Arbeiterpartei zur sozialdemokratischen Volkspartei unter ihm statt. Wie lässt sich das mit seinem fehlenden Charisma vereinbaren? Waren das die Leute unter ihm? Zumindest mit seinem Einverständnis haben sie gehandelt!

(29.05.2013 16:09)Suebe schrieb: [ -> ]Bei der West-SPD war die gängige Erklärung für die Ost-Vereinigung, die ja mehr oder weniger schon freiwillig war, dass Grotewohl in einer Gesamt-SPD gegen Schuhmacher nie eine Rolle hätte spielen können, was ihm sehr bewusst gewesen wäre.

Es könnte auch sein, dass er eingesehen hatte, dass gegen die von Moskau tatkräftigst unterstützte KPD keine Chance hatte. Auch waren die SPD-Mitglieder nicht prinzipiell gegen eine SED, sie waren nur dagegen, die Vereinigung jetzt und gleich zu vollziehen.

VG
Christian

Der gute Parteistratege muss noch lange kein Charisma haben, und umgekehrt.

Zitat:Es könnte auch sein, dass er eingesehen hatte, dass gegen die von Moskau tatkräftigst unterstützte KPD keine Chance hatte. Auch waren die SPD-Mitglieder nicht prinzipiell gegen eine SED, sie waren nur dagegen, die Vereinigung jetzt und gleich zu vollziehen.

in Wiki steht das
Zitat:Laut Aussagen von Zeitzeugen wie Egon Bahr und Jakob Kaiser änderte Grotewohl seine Meinung unmittelbar nach einer Einbestellung zur Sowjetischen Militäradministration (SMAD) nach Karlshorst – von wo er „als ein Verwandelter zurückkehrte“. Jakob Kaiser vermutete, es gäbe in der Braunschweiger Vergangenheit etwas, das Grotewohl erpressbar gemacht hatte.
zu seinem "Meinungsumschwung" und ich glaube Wolfgang Leonhardt hat ähnliches geschrieben.
(29.05.2013 14:53)hpd1311 schrieb: [ -> ]Vielleicht hat sich Helmut Schmidt geirrt, als er ihn lobte...
Och, der olle Helmut soll weiter seine Zigaretten rauchen und hanseatische Altersweisheiten in Talkshows verbreiten, sich aber aus dem 21. Jahrhundert besser heraushalten. Die SPD hat sich eigentlich erledigt, ihre wahren Standpunkte für die sie 150 Jahre gekämpft und geblutet hat, findet man heute bei den Linken.
Bei allen Verdiensten der SPD für die "kleinen Leute" und trotz Politiker wie August Bebel, Kurt Schumacher oder Willy Brandt, darf man eben auch nicht vergessen, dass die SPD Politiker wie Gustav Noske, Otto Grotewohl oder Gerhard Schröder hervorgebracht hat.
Es wäre interessant, was Bebel heute sagen würde. Vermutlich rotiert er im Grab.
(29.05.2013 22:10)Arkona schrieb: [ -> ]Es wäre interessant, was Bebel heute sagen würde. Vermutlich rotiert er im Grab.

Das ist sicher.
(29.05.2013 22:32)Sansavoir schrieb: [ -> ]
(29.05.2013 22:10)Arkona schrieb: [ -> ]Es wäre interessant, was Bebel heute sagen würde. Vermutlich rotiert er im Grab.

Das ist sicher.


Tja, wer weiß.
Politiker sind ein ganz besonderes Volk.
Ich erinnere an Lassalle und sein "eigenartiges" Ende.
(30.05.2013 13:49)Suebe schrieb: [ -> ]Ich erinnere an Lassalle und sein "eigenartiges" Ende.

Sicher ist es ungewöhnlich, dass ein Arbeiterführer einen Hang zu adligen Damen hatte, der ihm letztlich zum Verhängnis wurde. Aber Lassalle war nicht der Initiator des Duells, dies forderte der Vater von Lassalles Freundin, der wiederum den von ihm gewünschten Schwiegersohn aufforderte, seine verlorene Ehre im Duell mit Lassalle wieder herzustellen. In diesem Sinn ist Lassalle nicht nur das Opfer eines Duells geworden, sondern ein Opfer von veralteten Moralvorstellungen (ähnlich wie Puschkin). Der Widerspruch im Wirken Lassalles besteht meines Erachtens in seinem gleichzeitigen Bekennen für die genossenschaftliche oder syndikalistische Organisation der Arbeiterklasse und seine Verehrung für den preußischen Adel.
(29.05.2013 12:56)913Chris schrieb: [ -> ]Schon auffallend, die ersten 45 Jahre grade mal 4 Vorsitzende der SPD in der BRD, die nächsten 23 Jahre - also knapp die halbe Zeit - sage und schreibe 10 Vorsitzende, davon einer sogar zweimal, im Grunde also 11 Vorsitzende - fast das dreifache der ersten 45 Jahre
Um auf den gleichen "Wechsel-Level" zu kommen, hätte die West-SPD zwischen 1945 und 1990 wahnsinnige 22 Vorsitzende haben müssen!!!
Dass das für eine Partei nicht gut sein kann, ist klar...

Was glaubt ihr, wo liegen die Gründe für diese Veränderung der SPD, weg von einer in sich relativ stabilen Volkspartei hin zu einer - wie drück ich´s aus? - programmlosen Programmpartei?
Allein die Tatsache, dass der SPD ihre Klientel verloren ging (z.T. auch aus eigener Schuld, siehe Agenda 2010, die wahnsinnig schlecht verkauft wurde), kann´s ja wohl nicht sein?

Beppe

Doch. Die Agenda 2010 wurde nicht nur schlecht verkauft, sie ist einfach ungerecht und hat zur Verarmung vieler Menschen geführt. Die SPD verlor ihren Ruf, Interessenvertreter des "kleinen Mannes" zu sein. Das Wort "Reform" wird doch heute in Deutschland nur noch mit Einsparungen, Kürzungen, Abbau usw. verbunden. Ein zweiter Grund ist, dass die SPD sich 1990 recht zögerlich zur deutschen Einheit bekannte. Zumindest die Generation von Lafontaine, Schröder und Scharping.

Weiter zurückliegend sind die Gründe, die zum Entstehen der "Grünen" führten. Hier zeigte sich zum ersten Mal (nach Bad Godeberg), dass die relative stabile Volkspartei SPD erste Risse bekam.

Als Gründe sehe ich folgendes:
Die Gesellschaft ist vielfältiger geworden. Ganz einfach ausgedrückt: Ein Volk, geteilt in ein bürgerliches und ein sozialdemokratisches Lager, existiert nicht mehr. Stattdessen besteht die Gesellschaft aus Millionen von Individuen mit unterschiedlichen Interessen, die sich im Auf und Ab des Lebens allein oder mit ihrer Familie und/oder Freunden behaupten müssen. Menschen definieren sich nicht mehr aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder ihrer beruflichen Tätigkeit und den damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen, die mit Hilfe einer Volkspartei durchgesetzt wurden. Sie verfolgen unterschiedliche, individuelle Ziele zum eigenen und/oder gesellschaftlichen Nutzen, aber auch zum Schaden der Gesellschaft. Dafür benötigen sie keine große Volkspartei, stattdessen organisieren sie sich in kleineren Parteien, Interessenverbänden und Netzwerken.

Junge Menschen sind weniger in den Jugendorganisationen der Parteien (also auch der Jusos) zu finden, stattdessen engagieren sie sich bei Organisationen wie Greenpeace usw., oder sie finden ihre Bestätigung in einer vielfältigen (unpolitischen) Subkultur.

Generell hat die Bedeutung von politischen Parteien und vor allem die der klassischen Volkspartei abgenommen. Das ist meines Erachtens eine Folge der wirtschaftlichen Globalisierung. Das letzte Wort haben schließlich die Wirtschaftsmanager. Politiker können sich engagieren für Arbeitsplätze, aber sie stehen dem Verlagern ins billige Ausland hilflos (und wohl auch uninteressiert) gegenüber. Warum sollte deshalb ein Arbeitnehmer oder ein Arbeitsloser SPD wählen? Die kann es auch nicht ändern, dass in Asien billiger produziert wird.

Die Tendenz ist nicht gut. Ganz böse und pessimistisch gesagt: Hoffentlich werden wir die SPD nicht noch zur Verteidigung der Demokratie, des Rechtsstaates und der liberalen Gesellschaft brauchen.
(30.05.2013 23:33)Sansavoir schrieb: [ -> ]
(30.05.2013 13:49)Suebe schrieb: [ -> ]Ich erinnere an Lassalle und sein "eigenartiges" Ende.

Sicher ist es ungewöhnlich, dass ein Arbeiterführer einen Hang zu adligen Damen hatte, der ihm letztlich zum Verhängnis wurde. Aber Lassalle war nicht der Initiator des Duells, dies forderte der Vater von Lassalles Freundin, der wiederum den von ihm gewünschten Schwiegersohn aufforderte, seine verlorene Ehre im Duell mit Lassalle wieder herzustellen. In diesem Sinn ist Lassalle nicht nur das Opfer eines Duells geworden, sondern ein Opfer von veralteten Moralvorstellungen (ähnlich wie Puschkin). Der Widerspruch im Wirken Lassalles besteht meines Erachtens in seinem gleichzeitigen Bekennen für die genossenschaftliche oder syndikalistische Organisation der Arbeiterklasse und seine Verehrung für den preußischen Adel.

Es hätte ja immerhin noch die Möglichkeit gegeben den Vater der Angebeteten + Kamarilla auf die Kirchweih zu laden.

Ein eigenartiges Ende eines Politikers. Einerseits, andererseits überaus bezeichnend.

Was ist das hervorstechendste Merkmal eines Politikers?
In der Sprache der Politik: Stehvermögen!
Was in der Sprache des Wahlvolkes heißen soll: Der fällt 5 mal bei der Wahl für ein angestrebtes Amt durch. Und stellt sich ein 6. Mal zur Wahl!
Ein Verhalten mit dem er sich in jedem anderen Lebensbereich zum "Kasper" machen würde, gilt hier als große Tugend.
Über was soll man sich da auch noch wundern?
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