Forum für Geschichte

Normale Version: Wie wurden die Rumänen romanisiert?
Sie sehen gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
Der Themeneröffnung vorausgegangen ist folgende Diskussion:
(05.10.2013 15:25)Harald schrieb: [ -> ]Dakien hat sich nicht selbst romanisiert, auch wenn das die Rumänen ärgert. Die Rumänen stammen von Hirten ab, die aus dem früheren Jugoslawien über die Donau weg in das unbewohnte, von Goten, Hunnen, Awaren und Ungarn verwüstete Land einwanderten und entlang des Karpatengürtels hausten.

(05.10.2013 18:38)913Chris schrieb: [ -> ]Das ist eine These. Eine andere lautet, dass genügend romanisierte Daker nach dem römischen Abzug zurückgeblieben waren und als Substrat immer zahlreich geug waren, um Neuankömmlinge aufzusaugen und ihrerseits zu romanisieren.
Eine dritte These lautet, dass Flüchtlinge aus dem romanisierten Dakien nach Süden mit den römischen Truppen mitzogen und später wieder zurückwanderten. Dabei nahmen sie auch ihre romanisierte Kultur und Sprache hin und wieder zurück.

(05.10.2013 20:01)Harald schrieb: [ -> ]Die 2. und 3. These stammt von den Rumänen selbst, die nicht von primitiven, kulturlosen Hirten abstammen wollen. Die 1. These haben die Ungarn verbreitet, die daran interessiert sind. Die 3. These ließe sich mit der 1. vereinbaren. Die 1. These ist plausibel und wohl als die herrschende Meinung zu betrachten.

VG
Christian
(05.10.2013 18:38)913Chris schrieb: [ -> ]Das ist eine These. Eine andere lautet, dass genügend romanisierte Daker nach dem römischen Abzug zurückgeblieben waren und als Substrat immer zahlreich geug waren, um Neuankömmlinge aufzusaugen und ihrerseits zu romanisieren.
Eine dritte These lautet, dass Flüchtlinge aus dem romanisierten Dakien nach Süden mit den römischen Truppen mitzogen und später wieder zurückwanderten. Dabei nahmen sie auch ihre romanisierte Kultur und Sprache hin und wieder zurück.

(05.10.2013 20:01)Harald schrieb: [ -> ]Die 2. und 3. These stammt von den Rumänen selbst, die nicht von primitiven, kulturlosen Hirten abstammen wollen. Die 1. These haben die Ungarn verbreitet, die daran interessiert sind. Die 3. These ließe sich mit der 1. vereinbaren. Die 1. These ist plausibel und wohl als die herrschende Meinung zu betrachten.

Dann frag ich mich nur, woher dann der romanische Dialekt kam, aus dem sich das Rumänische entwickelte? Und - nachdem der ganze Balkan romanisiert gewesen ist - warum sich dieser Dialekt nur in Rumänien bzw. in der Walachei und dem Fürstentum Moldau halten konnte?
Reicht es, wenn eine Bevölkerung aus "kulturlosen" Hirten (was auch Hirten niemals sind) Vulgärlatein spricht? Reicht es, dass dieses offenbar besondere Hirtenvolk sämtliche Ein- und Durchwanderungen von Hunnen, Awaren, Slawen, Ost- und Westgoten, Bulgaren, Ungarn irgendwie übersteht (das würde das Volk dann tatsächlich zu etwas Besonderem machen, nachdem überall im übrigen Balkan und im übrigen heute slawisch bevölkerten und auch sprachlich beherrschten Südosteuropa das romanische Element untergegangen bzw. verschwunden ist)?

Um eine Sprache in dem Umfang zu erhalten, dass ein Millionenvolk diese Sprache auch nach 2000 Jahren noch spricht, braucht´s Schriftkultur, Literatur. Wie hätten das diese von dir postulierten Hirten machen sollen?
Das Fürstentum Walachei (von den Bewohnern übrigens schon "Land Rumänien" genannt") und damit die Möglichkeit einer städtischen und klösterlichen Literatur entstand erst im 13.Jh...

VG
Christian
Noch etwas ist mir eingefallen:

Wenn der Name "Walachen" von den benachbarten Germanen stammt, dann kommt dafür eigentlich nur ein Zeitfenster in Frage: Als die Germanen in Nachbarschaft zu den Vorfahren der Rumänen lebten. Und das war im frühen Mittelalter, als an der Donau und in der heutigen Ukraine Germanen lebten, v.a. Goten.
Nachdem die Walachen zum Teil bis heute eine Art der Transhumanz pflegen und auch über den ganzen Balkan verstreut lebten, dürften sie sehr mobil gewesen sein. Aber wenn sie in Nachbarschaft zu Germanen lebten und diese eine Spezialbezeichnung für sie entwickelten, die zu den Bezeichnungen passt, die Germanen in ganz Europa für Romanen fanden, dann mussten diese Frührumänen/-walachen im Donauraum in konzentrierter Form vorhanden gewesen sein. Das alte Dakien und die spätere Walachei müssen diese Räume konzentrierten Auftretens der Spätdaker/Dako-Rumänen/Frührumänen gewesen sein.

Als Wanderhirten (die allerdings nur über kurze Strecken wanderten, sich gleichwohl über den ganzen Balkan verbreiteten, was für ihre zahlenmäßige Stärke spricht) konnte die Walachen den verschiedenen kriegerischen Einfällen diverser Völker vielleicht besser ausweichen wie seßhafte Bevölkerung und sich so auch ihren Dialekt erhalten, bis es möglich wurde, mit der Gründung der Fürstentümer Walachei und Moldau sich wieder in einem staatlichen Gebilde zu sammeln.

Diese ganzen Gedankengänge sprechen m.E. für die von Harald oben so bezeichnete "Theorie 3".

VG
Christian
Wir haben auch noch keine richtige Lösung dafür, wo die ostgermanische Bevölkerung "verschwunden" ist, wenn nur ein Teil in den Westen wanderte und die wenigen Krimgoten auch nicht die Erklärung sind.
Der größte Teil der Ostgermanen z.B. der zahlreichen Lugier/Bastarnen/Wandalen muß assimiliert worden sein. Die Erklärung, das sie vor allem romanisiert und gräzisiert wurden und als Romanen und Griechen auf dem Balkan blieben, wäre relativ einleuchtend. Der Rest müßte dann slawisiert und tartarisiert worden sein, vor allem in der ursprünglichen Heimat und bei einer Flucht vor den Hunnen nach Norden bzw. beim Verbleiben unter direktem hunnischen Einfluß.
(06.10.2013 18:08)Paul schrieb: [ -> ]Wir haben auch noch keine richtige Lösung dafür, wo die ostgermanische Bevölkerung "verschwunden" ist, wenn nur ein Teil in den Westen wanderte und die wenigen Krimgoten auch nicht die Erklärung sind.

Die verschwinden ja "nur" aus der archäologischen Perspektive. Da, wo vorher die Ostgermanen saßen, treten "plötzlich" Elbgermanen auf, in Böhmen etwa oder an der mittleren Donau. Und zwar ungefähr zur gleichen Zeit, als die Hunnen ihr Reich mit Mittelpunkt in der ungarischen Tiefebene aufgebaut haben. Dass da ein Zusammenhang besteht, erscheint logisch. Nur welcher Zusammenhang das ist, das wissen wir nicht.
Wir können vermuten, dass die Stämme von den Hunnen entweder vernichtet oder - wahrscheinlicher - in andere Stämme integriert worden sind. Rätselhaft bleibt trotzdem, wohin die verschwunden sind. An das heutige Rumänien könnte man da schon denken, allein es fehlt der Nachweis. Die müssten ja noch ein, zwei Generationen lang ihr kulturelles Erbe irgendwie gepflegt bzw. beibehalten haben.
Goten und Vandalen wanderten ab und nahmen zahlreiche andere Stämme wie die Gepiden in ihre Reihen auf, die fortan auch unter dem Label Goten bzw. Vandalen liefen. Aber allein dadurch können Rugier, Skiren, Heruler, Gepiden, Lugier, usw. nicht so vollständig verschwunden sein.
Oder doch?

Nach dem Untergang des Rugierreichs 488 ziehen die Überlebenden mit den Ostgoten nach Italien und werden dort wohl assimiliert. Damit verschwinden die Rugier 488 aus der archäologischen Überlieferung an der Donau.
Die Lugier waren wohl identisch mit einem Teilstamm der frühen Vandalen. Sie werden mit diesen Richtung Afrika gezogen sein, wenn sie nicht schon früher als eigener Stamm in den Vandalen aufgegangen sind.
Die Heruler haben sich vielleicht als gotische Vasallen am Schwarzen Meer gebildet, vielleicht aber auch erst mit der Gründung eines eigenen Reichs an der mittleren Donau. Als dieses Reich 508 von den Ostgoten zerschlagen wurde, zerstreuten sich die Heruler, bildeten um Belgrad noch einmal ein Reich von Ostroms Gnaden und gingen dann wohl in den Slawen auf. Ein Verschwinden der Heruler aus der archäologischen Dokumentation um 500 herum ist also ebenfalls logisch. Den Stamm als solchen gab es noch eine Zeitlang, er mag einen Beitrag auch zu den entstehenden Rumänen beigetragen haben, schon möglich.
Die Skiren als Volksstamm waren schon vor der Zeit Odoakers, des berühmtesten Skiren, als "eigenständiger" Stamm - soweit man dies von den germanischen "Stämmen" der Völkerwanderungszeit überhaupt sagen kann - in anderen Völkern wie den Ostgoten aufgegangen.
Auch die Bastarnen - eventuell gar keine Ost-, sondern Elbgermanen - gingen in den verschiedenen auf dem Balkan siedelnden und wandernden Völkern auf, nachdem sie von ihren traditionellen Siedlungsplätzen zwischen Karpaten und Donaumündung - also in nachbarschaft zu den Dakern - durch Goten und Sarmaten vertrieben worden waren.
Die Gepiden unterliegen 567 letztmalig den Langobarden, ein Großteil zieht anschließend mit den Langobarden nach Italien und wird dort assimiliert, ein anderer Teil bleibt vor Ort und wird von den Awaren assimiliert, ein dritter Teil geht auf den oströmischen Balkan und wird dort assimiliert. Auch hier ist ein gewisser, unbestimmbarer Beitrag zur Bildung der Rumänen denkbar sowie ein Verschwinden aus der archäologischen Dokumentation um 570 herum völlig logisch.
Die Geschichte der Burgunder ist hnireichend bekannt, durch ihre Wanderung an den Rhein verschwinden auch sie aus der Archäologie des Donauraums.

Im Ganzen gesehen muss also wie du richtig gesagt hast von einem Verschwinden der Ostgermanen und einer (Teil-)Assimilation in andere Germanenstämme, in romanisierte Balkanstämme, in Hunnen, Awaren etc. und in Slawen ausgegangen werden. Ausgangspunkt ist jeweils die Zerstörung eines ihrer Reiche, die meist im mittleren Donauraum verortet werden müssen, Zeitpunkt des Verschwindens insgesamt zwischen ca. 450 und 550 n.Chr.

Welche Rolle die Ostgermanen bei der Entstehung der Rumänen spielten, bleibt spekulativ. Da die Walachen/Rumänen aber schon zuvor ein Wanderhirtendasein plfegten, und sich auch an ihrer Sprache nichts Großartiges änderte, dürfte dieser ostgermanische Anteil ethnologisch gesehen recht klein gewesen sein, wenn er überhaupt existierte.
Einzig die Bezeichnung "Walachen" wird wohl aus dieser Zeit des direkten Kontakts zwischen an der Donau siedelnden Ostgermanen und romanisierten Bewohnern des ehemaligen Dakiens bzw. Moesiens und Thrakiens stammen, also spätestens um 500 herum entstanden sein.

VG
Christian
Meine Kenntnisse bezüglich Rumäniens sind sehr gering....

Vor vielen Jahren kannte ich jedoch einen Siebenbürger, einst Professor und einer der Erzieher des letzten rum. Königs.
Der erzählte mir, dass die rumänische Schriftsprache (Hochsprache) ein Konstrukt wäre, "konstruiert" im 19. Jahrhundert mit sehr vielen Lehnworten aus dem französischen.
Die lateinischen Wurzeln wären durchaus nachweisbar, im modernen Rumänisch aber höchstens mit rudimentärer Bedeutung.

Ich habe jetzt mal "gegooglet", aber was da zu finden ist, scheinen mir die üblichen I-Net Balkan-Heldensagen zu sein.

Wobei ich annehme, dass mich "mein Professor" einst nicht kpl. verkohlt hat. Nachfragen kann ich natürlich nicht mehr.
Nur mal schnell eine Klarstellung: die "kulturlosen Hirten" stammt nicht von mir, sondern von den Ungarn, die selber mal Hirten gewesen sind.
Jetzt muß ich erstmal die letzten Beiträge lesen.
Die einen romanischen Dialekt sprechenden Hirten kamen wahrscheinlich aus Serbien und angrenzenden Ortschaften, denn im heutigen Bulgarien hätten sie vermutlich die griechische Sprache angenommen. Im Balkangebiet gibt es noch andere kleine Minderheiten mit romanischen Dialekten wie z.B. die Zinzaren.
Das heutige Rumänien war menschenleer, wohl kein Landstrich ist so von der Völkerwanderung betroffen worden. Deshalb hat ja auch der ungarische König den Deutschritterorden mitsamt den Siebenbürger Sachsen zur Besiedlung ins Land gerufen. Die einwandernden Rumänen konnten sich ungehindert vermehren und ausbreiten.
(07.10.2013 17:15)Harald schrieb: [ -> ]Die einen romanischen Dialekt sprechenden Hirten kamen


No ja,
das Sardische soll dem Lateinischen noch am ähnlichsten aller lebenden Sprachen sein.
Und was machen die Sarden?
Sie sind gesuchte Hirten in ganz Italien.

Soooo arg diffamierend ist dieser Beruf nun wirklich nicht.
Hat das jemand behauptet?
(07.10.2013 22:45)Harald schrieb: [ -> ]Hat das jemand behauptet?

No jo,

das
(07.10.2013 12:11)Harald schrieb: [ -> ]Nur mal schnell eine Klarstellung: die "kulturlosen Hirten" stammt nicht von mir, sondern von den Ungarn, die selber mal Hirten gewesen sind.
Jetzt muß ich erstmal die letzten Beiträge lesen.

hatte ich halt so interpretiert.
Aber wir könnten mal über die kulturellen Leistungen von Graf Dracula diskutieren. Der hatte übrigens ungarische Freunde bis hinauf zu König Mattias Corvinus.
(08.10.2013 12:24)Harald schrieb: [ -> ]Aber wir könnten mal über die kulturellen Leistungen von Graf Dracula diskutieren. Der hatte übrigens ungarische Freunde bis hinauf zu König Mattias Corvinus.

Die Rolle der walachischen Fürsten bei der Erhaltung des Walachischen/Rumänischen darf nicht unterschätzt werden, auch nicht die Verdienste der Fürsten von Moldau. Während Serben, Ungarn und andere von den Osmanen erobert wurden, wurden Walachei und Moldau "nur" Tributfürstentümer.

Ob jetzt allerdings wegen ihrer strategischen Unwichtigkeit (?) oder wegen ihrer Wehrhaftigkeit (?), kann ich ad hoc nicht beurteilen.

Waren die beiden Fürstentümer vielleicht gar die Entstehungsorte des modernen Rumänischen?

VG
Christian
(08.10.2013 14:34)913Chris schrieb: [ -> ]Die Rolle der walachischen Fürsten bei der Erhaltung des Walachischen/Rumänischen darf nicht unterschätzt werden, auch nicht die Verdienste der Fürsten von Moldau. Während Serben, Ungarn und andere von den Osmanen erobert wurden, wurden Walachei und Moldau "nur" Tributfürstentümer.

Ob jetzt allerdings wegen ihrer strategischen Unwichtigkeit (?) oder wegen ihrer Wehrhaftigkeit (?), kann ich ad hoc nicht beurteilen.

Waren die beiden Fürstentümer vielleicht gar die Entstehungsorte des modernen Rumänischen?

VG
Christian


Walachisch
Bei uns, noch mehr in der Schweiz, sind die "Welschen" bis heute die Franzosen.
(08.10.2013 14:54)Suebe schrieb: [ -> ]Walachisch
Bei uns, noch mehr in der Schweiz, sind die "Welschen" bis heute die Franzosen.

Ist überall so, wo Germanen und Romanen aufeinander trafen. Das geht offenbar so weit, dass einige slawische Völker, z.B. die Polen, die Bezeichnung ihrerseits übernommen haben, um die Italiener zu bezeichnen.

Teilweise - v.a. in Süddeutschland - wurden damit auch Keltoromanen bezeichnet bzw. generell andersstämmige Nachbarvölker (z.B. evtl. Wales).

Tante Wiki meint, der Begriff gehe zurück auf eine keltische (!) Wurzel, die "Volk" bedeutet habe und aus der z.B. auch das Wort "Gallier" entstanden sei. Der Eigenbegriff der (gallischen?) Kelten für sich selber wäre dann von den Nachbarn übernommen worden, auf alle Kelten ausgeweitet worden, dann von den Germanen wieder verengt worden auf "südliche Nachbarvölker" und dann wieder ausgeweitet worden auf "Romanen".

VG
Christian
(08.10.2013 14:34)913Chris schrieb: [ -> ]
(08.10.2013 12:24)Harald schrieb: [ -> ]Aber wir könnten mal über die kulturellen Leistungen von Graf Dracula diskutieren. Der hatte übrigens ungarische Freunde bis hinauf zu König Mattias Corvinus.

Die Rolle der walachischen Fürsten bei der Erhaltung des Walachischen/Rumänischen darf nicht unterschätzt werden, auch nicht die Verdienste der Fürsten von Moldau. Während Serben, Ungarn und andere von den Osmanen erobert wurden, wurden Walachei und Moldau "nur" Tributfürstentümer.

Ob jetzt allerdings wegen ihrer strategischen Unwichtigkeit (?) oder wegen ihrer Wehrhaftigkeit (?), kann ich ad hoc nicht beurteilen.

Waren die beiden Fürstentümer vielleicht gar die Entstehungsorte des modernen Rumänischen?

VG
Christian

Ich denke, dass die Fürstentümer Walachei und Moldau als Pufferstaaten gegen Ungarn und vor allem gegen Polen-Litauen und später gegen Russland dienten. Ein Grund, warum die Osmanen die Walachei und Moldau nicht erobern konnte und sich letztlich "nur" mit Tributen zufrieden geben mussten, liegt auch daran, dass z.B. Vlad II. und Vlad III. Tepes ("Graf Dracula") ungarische Unterstützung hatten oder Stefan der Große von Polen-Litauen protegiert wurde. Dies ist sicher auch die Ursache, dass während des 15. und 16. Jahrhundert de facto ständig Thronkämpfe herrschten und die meisten Fürsten sich nur wenige Jahre halten bzw. auch mehrmals den Thron erkämpfen konnten, wie z.B. Vlad III., der 1448, 1456 bis 1462 und 1475/76 herrschte.

Ob er (Vlad III.) wirklich bedeutender für die rumänische Geschichte als seine Konkurrenten war, kann ich schlecht beurteilen. In der Literatur finden sich Bewertungen vom grausamen Despoten bis zum geschickt taktierenden Politiker, der die Unahängigkeit der Walachei erhalten konnte.
Es muss auf alle Fälle zwischen Legende und Wahrheit bei ihm unterschieden werden und dies ist aufgrund der Überlieferungen (auch ohne Bram Stoker) ziemlich schwierig. Ich denke, dass z.B. ein Herrscher wie Stefan der Große und seine lange, de facto unabhängigere Herrschaft (1457–1504) über die Moldau - trotz des Verlustes der Küstengebiete - nachhaltiger für das spätere Rumänien war.

Für die Osmanen war sicher bedeutend, dass sie während der Herrschaft von Radu den Schönen, dem Bruder Vlads III., erkannten, dass sie die Walachei auch indirekt über einen willigen Fürsten beherrschen konnten und dies seitdem durch geeignete Kandidaten umzusetzen versuchten.
Im Gegensatz zu Vlad Tepes Regierungszeit war die von Radu den Schönen (1462–1474, 1475) eine friedlichere Zeit, aber auch Radu ist eine historische Persönlichkeit, bei der man zwischen Legende und Wahrheit unterscheiden muss.

Richtig sicher kontrollierten die Osmanen die Donaufürstentümer wohl erst seit Anfang des 18. Jh. mit Hilfe phanariotischer bzw. griechischer oder griechisch-stämmiger Hospodare. Und dies eigentlich nur bis ca. 1820/21 - also bis zum Beginn der (vorerst noch gescheiterten) rumänischen Unabhängigkeitsbewegung unter Alexander Ypsilanti (Grieche - kurzzeitig Hospodar) und Tudor Vladimirescu.
Das seit langem kontrovers diskutierte Problem im Hinblick auf die rumänische Ethnogenese ist, ob es eine dako-romanische Kontinuität gab. Damit verbunden ist die entscheidende Frage, ob die Entstehung des Volks im Raum des heutigen Rumänien auf der Basis der romanisierten Daker erfolgte, oder ob Balkanromanen nach dem 6. Jh. von außen zuwanderten.

Eine dako-romanische Kontinuität verfocht besonders die Forschung des sozialistischen Rumäniens und auch heute vertreten rumänische Historiker wohl mehrheitlich diese Hypothese. Aber auch die Migrations-Hypothese hat ihre Verfechter, besonders außerhalb Rumäniens. Angesichts der dünnen und unbefriedegenden archäologischen und schriftlichen Quellenlage kann jedoch keine Seite einen abgesicherten wissenschaftlichen Beweis für die eine oder andere Theorie für sich beanspruchen.

Die beiden Ansätze lauten - ganz kurz gefasst - wie folgt:

1. Abgelehnt wird eine dakisch-romanische Kontinuität mit dem Hinweis, dass eine Romanisierung der Daker in nur 170 Jahren - so lange währte die römische Präsenz in der Provinz Dakien - nicht erfolgt sein könnte. In einer so kurzen Zeitspanne sei auch anderswo keine Bevölkerung romanisiert worden, in Britannien hätten nicht einmal über 300 Jahre dazu ausgereicht. Ferner wird darauf verwiesen, dass es in der Provinz Dakien keinerlei archäologisch nachweisbare romanische Kontinuität gibt und die archäologische Überlieferung am Ende des 4. Jh. abreißt. Auch sind kaum dakische oder romanische Ortsnamen in Siebenbürgen - der Raum der römischen Provinz Dakien - überliefert, wie überhaupt die rumänische Sprache nur ein ganz geringes dakisches Substrat aufweist.

Als Folge vertreten die Verfechter der Migrationstheorie die Hypothese, dass der Raum des heutigen Rumänien durch Kriege, durchziehende Völker und Verwüstungen stark entvölkert war und nach dem 6. Jh. Balkanromanen von außerhalb in Rumänien einsickerten, sich in abgelegene Gegenden zurückzogen und als Wanderhirten zur Transhumanz übergingen. Diese Bevölkerungsschicht ist urkundlich seit dem 10. Jh. als Vlachen oder Walachen bekannt, was auch der Name ihres hochmittelalterlichen Herrschaftsgebietes ist: Fürstentum Walachei.

2. Die dako-romanische Kontinuitätstheorie geht davon aus, dass die Daker weder bei der Eroberung Dakiens durch die Römer noch durch die ab dem 5. Jh. durchziehenden Gepiden, Awaren, Ungarn und Petschenegen vernichtet wurden. Nach dieser Hypothese zog sich die dakisch-romanische Mischbevölkerung aus der Ebene ins Gebirge zurück, überdauerte als transhumante Viehzüchter, bewahrte dabei ihr Balkanlatein und wird ab dem 10. Jh. als Vlachen in den Quellen genannt. Es wird zudem darauf hingewisen, dass immerhin rund 100 dakische Wörter als Substrat im Rumänischen zu finden sind.

Angesichts der dürftigen Quellenlage fällt es schwer, sich für die eine oder andere Hypothese zu entscheiden, denn beide Varianten liegen im bereich des möglichen. Es gibt inzwischen auch schon Theorien, die beide Hypothesen miteinander zu verbinden suchen, doch bleibt die rumänische Ethnogenese bis heute in vielen Bereichen unklar.
Ist ja bei vielen Mischvölkern so, nicht nur bei den Rumänen. Ich nenne z.B. die Sachsen und die Bayern... Wink

Endgültige Klarheit wird man in keinem dieser Fälle erlangen, allenfalls +/- stichhaltige Vermutungen und Thesen. Irgendwann entscheidet man sich für eine These, die gilt dann eine Zeitlang als "wahr", bis man wieder Gegen"beweise" findet...

Ist halt so in der Geschichtsschreibung.

VG
Christian
(22.10.2014 16:18)913Chris schrieb: [ -> ]Endgültige Klarheit wird man in keinem dieser Fälle erlangen, allenfalls +/- stichhaltige Vermutungen und Thesen. Irgendwann entscheidet man sich für eine These, die gilt dann eine Zeitlang als "wahr", bis man wieder Gegen"beweise" findet...

Ist halt so in der Geschichtsschreibung.

VG
Christian

Das ganze hat natürlich auch eine bis heute aktuelle politische Dimension, weshalb die Ethnogenese unter Ungarn und Rumänen umstritten ist.

Die Ungarn behaupten, die Rumänen wären erst im 11. Jh. nach Rumänien eingwandert (also Migrations- Hypothese). Damit wollen sie ihren Anspruch auf Siebenbürgen bekräftigen, denn danach waren die Ungarn als erste in Transsylvanien und nicht die Rumänen.

Man kennt solche territorialen Ansprüche, die historisch unternauert werden, besonders aus der Zeit des Nationalismus und natürlich heute noch in anderen Weltgegenden.
Fällt jetzt noch irgendjemand irgendwas geistreiches ein? Oder schließen wir das Thema wieder?
(22.10.2014 18:43)Harald schrieb: [ -> ]Fällt jetzt noch irgendjemand irgendwas geistreiches ein? Oder schließen wir das Thema wieder?

Warum sollte das Thema "geschlossen" werden?
Das frage ich mich auch. Selbst wenn man nicht unmittelbar zu einem finalen Ergebnis kommt, ist es doch wichtig und sinnvoll, die vorhandenen Informationen und vorläufigen Erkenntnisse zu betrachten, auf Plausibilität hin zu überprüfen und mögliche neue Interpretationen herauszuarbeiten.
(23.10.2014 15:27)Avicenna schrieb: [ -> ]Das frage ich mich auch. Selbst wenn man nicht unmittelbar zu einem finalen Ergebnis kommt, ist es doch wichtig und sinnvoll, die vorhandenen Informationen und vorläufigen Erkenntnisse zu betrachten, auf Plausibilität hin zu überprüfen und mögliche neue Interpretationen herauszuarbeiten.

Die Hypothesen zur Ethnogenese der Runänen beschäftigen bis heute nicht nur rumänische, sondern auch viele andere Historiker. Zum einen ist es natürlich interessant zu erforschen, ob die Vorfahren der Rumänen schon immer in Dakien saßen und eine romanische Kontinuität bis heute haben; oder ob sie erst seit dem 10./11. Jh. als (einen ostromanischen Dialekt sprechende) Walachen von Süden her in ihr heutiges Siedlungsgebiet eingewandert sind. Diese Frage berührt entscheidend auch das Selbstverständnis der heutigen Rumänen.

Dahinter steht die ganz grundsätzliche und bis heute nicht endgültig beantwortete Frage: Was geschah nach der Landnahme der Südslawen mit der seit Jahrhunderten romanisierten Balkanbevölkerung? Repräsentieren die heutigen Aromunen und die Walachen ihre Reste? Und wie konnten sie sich gegenüber den Slawen behaupten?
(23.10.2014 19:32)Dietrich schrieb: [ -> ]Repräsentieren die heutigen Aromunen und die Walachen ihre Reste? Und wie konnten sie sich gegenüber den Slawen behaupten?

1. Frage: Ja
2. Frage: Die Aromunen und Walachen lebten in den Gebirgen, die Slawen eher in den Ebenen und an den Rändern der Gebirge.
(23.10.2014 23:25)Sansavoir schrieb: [ -> ]
(23.10.2014 19:32)Dietrich schrieb: [ -> ]Repräsentieren die heutigen Aromunen und die Walachen ihre Reste? Und wie konnten sie sich gegenüber den Slawen behaupten?

1. Frage: Ja
2. Frage: Die Aromunen und Walachen lebten in den Gebirgen, die Slawen eher in den Ebenen und an den Rändern der Gebirge.

Die Frage war eher rhetorisch gestellt, denn in der Tat muss man annehmen, dass die Aromunen und Walachen die altbalkanische romanisierte Restbevölkerung repräsentieren.

Nach der Eroberung des Balkan durch die Südslawen wurde die romanisierte Bevölkerung größtenteils von den Slawen assimiliert und verlor sowohl die eigene Sprache als auch ihre ethnische Identität.

Ein anderer kleinerer Teil zog sich in unzugängliche Bergregionen zurück und betrieb eine halbnomadische Wanderweidewirtschaft (Transhumanz). Es ist erstaunlich, dass diese Bevölkerungsgruppen - Walachen und Aromunen - über Jahrhunderte und bis heute ihre ethnische Identität und Sprache bewahrten.

Die Aromunen sprechen eine romanische Sprache, die dem Rumänischen eng verwandt ist. Aufgrund ihrer Sitze in Nordgriechenland und Makedonien sieht sich ein Teil der Historiker in seiner Hypothese bestätigt, dass Rumänien von dort aus etwa seit dem 10./11. Jh. neu besiedelt wurde. Die Aromunen wären danach lediglich der Rest einer größeren, vormals zusammenhängenden romanischen Besiedlung im Süden des Balkans.
Eine Abstammung der Rumänen von romanisierten Dakern ist angesichts der kurzen Zeit, in der Dakien römisch war, äußerst unwahrscheinlich. Zum Vergleich: Britannien war ein paar Jahrhunderte römisch und weder die Briten noch die Bretonen wurden romanisiert.
Eine Besiedlung der Walachei von südlich der Donau her ist auch unwahrscheinlich. Dort lebende Völker waren wahrscheinlich gräzisiert, bis die bulgarische Eroberung kam. Bleibt eine Einwanderung aus Jugoslawien. Diese ist hingegen plausibel.
Siebenbürgen war tatsächlich nachgewiesenermaßen unbewohnt und wurde von Ungarn (Szekler) und Deutschen besiedelt. Rumänen wanderten erst später ein und blieben eine Minderheit.
Dakien ist nicht gleich Dakien. An der Donau mag die Romanisierung sogar in der "kurzen" Zeit geklappt haben, aber im Hinterland, dem noch heute teilweise unwegsamen Bergland nördlich der Donau, hatten die Römer andauernd mit Aufständen zu kämpfen. Unwahrscheinlich, dass unter diesen Umständen eine Romanisierung in Gang gekommen ist...

VG
Christian
(27.10.2014 15:36)Harald schrieb: [ -> ]Eine Abstammung der Rumänen von romanisierten Dakern ist angesichts der kurzen Zeit, in der Dakien römisch war, äußerst unwahrscheinlich. Zum Vergleich: Britannien war ein paar Jahrhunderte römisch und weder die Briten noch die Bretonen wurden romanisiert.

Das ist das zentrale Argument von Gegnern der romanisch-dakischen Kontinuitätstheorie. Zunächst ist festzuhalten, dass die Römer Dakien bereits im Jahr 271 aufgaben und nicht nur ihre Streitkräfte zurückzogen, sondern auch alle römischen Bürger evakuierten. Bereits im 4. Jh. ist jede Regung römischer Kultur in Dakien erloschen und es finden sich auch keine archäologischen Überreste, die auf ein Fortbestehen römischer Kultur hindeuten. Später gibt es zahlreiche Ethnien wie Goten, Gepiden, Awaren oder Bulgaren, die die Existenz einer romanisierten Bevölkerung unwahrscheinlich machen.

(27.10.2014 15:36)Harald schrieb: [ -> ]Eine Besiedlung der Walachei von südlich der Donau her ist auch unwahrscheinlich. Dort lebende Völker waren wahrscheinlich gräzisiert, bis die bulgarische Eroberung kam. Bleibt eine Einwanderung aus Jugoslawien. Diese ist hingegen plausibel.
Siebenbürgen war tatsächlich nachgewiesenermaßen unbewohnt und wurde von Ungarn (Szekler) und Deutschen besiedelt. Rumänen wanderten erst später ein und blieben eine Minderheit.

Von wo aus die Besiedlung der Walachei durch Walachen bzw. eine romanisierte Bevölkerung erfolgte, ist umstritten. Der Historiker Gottfried Schramm setzt sich für ein Einsickern solcher Bevölkerungsgruppen von Süden her ein, also aus dem Raum des heutigen Bulgarien. In diesem Zusammenhang verweist er auf zahlreiche Quellen, die eine walachische Bevölkerung und sogar walachische Territorien in Bulgarien belegen, sodass für ihn diese Herkunft wahrscheinlich ist: Gottfried Schramm: Ein Damm bricht. Die römische Donaugrenze und die Invasionen des 5.–7. Jahrhunderts im Lichte von Namen und Wörtern, München 1997

Es mag aber sein, dass auch aus dem Raum des einstigen Jugoslawiens eine walachische Zuwanderung erfolgte, die möglicherweise eher Siebenbürgen/Transsylvanien zum Ziel hatte. Wie auch immer: Das würde bedeuten, dass Rumänien erst spät von Bevölkerungsgruppen außerhalb seiner heutigen Grenzen besiedelt wurde, also die Migrationshypothese zutreffen würde.
Referenz-URLs