(07.04.2014 15:00)913Chris schrieb: [ -> ]Wie seht ihr den Ausgang der Ungarn-Wahl? Orban hat mit seiner Koalition wieder die 2/3-Mehrheit, allein 44,5 Prozent, die Nazis von der Jobbik haben über 20%...was wird aus Ungarn werden?!? Und vor allem - warum?
Wirklich nur Enttäuschung über die bisherige Politik und daher Protestwähler zur Jobbik? Wird Orban noch rechter werden, um der Jobbik Stimmen abzujagen?
VG
Christian
Ich muss schon sagen, dass mich die politische Entwicklung in Ungarn überrascht. Zugegeben, ich war 1989 das letzte Mal in Ungarn, und das ist eben schon eine Weile her, aber aus meinen Erlebnissen und den in den 1980er Jahren geschlossenen Bekanntschaften, habe ich Ungarn als weltoffenes, tolerantes und von freundlichen Menschen bewohntes Land in Erinnerung.
Für mich ist nicht die Wahl Orbans bzw des Fidesz so schockierend, sondern eher das Wahlergebnis der Jobbik-Bewegung. Orban ist es wohl gelungen, sich bei seinen Wählern als Garant der Interessen Ungarns zu etablieren. Er gehört außerdem zum Spitzenpersonal der Europäischen Volkspartei und der Christdemokratischen Internationale an. Beide Gruppierungen vertreten nicht meine politischen Ansichten, aber sie sind demokratische Institutionen. Orban selbst würde ich als nationalkonservativ bezeichnen. Sein politischer Aufstieg in den letzten fünf bis zehn Jahren ist einerseits auch eine Folge des wirtschaftlichen Niedergangs Ungarns, andererseits aber auch der Korruption der politischen Eliten nach Kadar geschuldet, egal ob sie dem sozialistischen oder bürgerlichen Lager zugehörig waren.
Ob Orban weiter nach recht rückt, ist schwer zu sagen. Auszuschließen ist das nicht, denn die FIDESZ sieht in dem linken Lager ihren Hauptgegner. Ein Zweckbündnis Orban mit der Jobbik-Bewegung ist durchaus mal drin. Das wird er aber im Moment wohl nicht brauchen.
Die Ursachen des Wahlverhaltens der ungarischen Wähler liegen meiner Meinung neben den Enttäuschungen über die politische Kaste ganz eindeutig in der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 25 Jahre. Während Staaten wie Polen, Tschechien, Lettland, Estland oder auch die Slowakei von der EU bereits profitieren, sieht das in Ungarn anders aus. Für die Ungarn ist das sehr bitter, hatten doch breite Bevölkerungsanteile dank des so genannten Gulaschkommunismus in den 80er Jahren einen höheren Lebensstandard als die Polen, die Slowaken oder die baltischen Länder, heute bewegen sie sich etwa auf dem Niveau von Bulgarien und Rumänien.
Wenn man will, kann man das Verhalten der Ungarn mit den Russen der Ukraine vergleichen. Beide Bevölkerungsgruppen sind über die letzten 25 verlorenen Jahre enttäuscht und frustriert. Sie sehen weder in der Demokratie noch in der freien Marktwirtschaft ihre Zukunft und tendieren deswegen zu "starken Männern", die Sicherheit garantieren. Unter Sicherheit wird u.a. auch verstanden, dass der noch so kleine Wohlstand mit allen Mitteln erhalten wird.
Die Erfahrung mit Inflationen, Abwertung von beruflichen Abschlüssen oder Aufkauf von Ländereien und Immobilien durch EU-Bürger, sprich vor allem durch Deutsche und Österreicher, lassen viele Ungarn befürchten, im eigenem Land nur noch Bürger zweiter Klasse zu sein. Und dass ein nicht geringer Anteil junger Ungarinnen in Bordellen im EU-Bereich tätig ist, fördert auch nicht den Stolz der Ungarn.
Was Orban unberechenbar, wenn nicht gar gefährlich macht, ist auch, dass er sich als Sprachrohr aller Ungarn sieht. Hier sollte die EU wachsam sein, denn es kann nicht sein, dass ein ungarischer Ministerpräsident sich in slowakische oder rumänische Angelegenheiten einmischt. Viel wichtiger ist jedoch, dass die EU Ungarn stärker wirtschaftlich unterstützt und dass man Ungarn (und andere Osteuropäer) nicht nur als billige Arbeitskräfte sieht. Sollten die Bürger von Ungarn weiterhin das Gefühl haben, in Europa nur zweit- oder drittklassig zu sein, wird Herr Orban solange regieren können, wie er will.