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Normale Version: Naturkatastrohpen als Katalysator für Kulturen?
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Um 2200 v.Chr. herrschte in Ägypten und Mesopotamien eine offenbar verheerende Dürre. Als Folge dieser Dürre wurde die Sahara endgültig zur Großwüste, das ohnehin geschwächte Alte Reich in Ägypten brach zusammen, ebenso endeten das Reich von Akkad und die Stadtkulturen der Levante, Nomaden wie die Israeliten, die syrischen Amoriter oder auch die iranischen Gutäer wanderten in die Flussregionen Ägyptens und Mesopotamiens.
Erst nach einigen hundert Jahren leben in der Levante die Städte wieder auf, bildet sich von Theben ausgehend das Mittlere Reich Ägyptens und das Altassyrische Reich in Mesopotamien sowie das Reich der Hethiter in Anatolien, aber auch auf Kreta entstanden um 2000 v.Chr. die ersten Paläste.

Zufall?

Im Schwarmeergebiet wird angenommen, dass eine plötzliche Meeresspiegelhebung durch den Durchbruch des Bosporus ein entscheidender Faktor bei der Ausbreitung der jungsteinzeitlichen Kulturen nach Europa war.
Bei den Maya lassen sich ähnliche Zusammenhänge zwischen langandauernden Dürren und dem Zusammenbruch der Hochkultur feststellen, in Indien ebenso.

Danach begann eine jeweils auf der älteren Kulturstufe aufbauende, aber auch ganz neue Entwicklung.

Könnte es sein, dass solche Naturkatatrophen generell nicht nur als Akte der Zerstörung, sondern auch als Katalysatoren für neue Entwicklungen angesehen werden sollten?
Habt ihr weitere Beispiele für katalytisch wirkende Naturkatastrophen?

VG
Christian
(25.01.2014 13:37)913Chris schrieb: [ -> ]Könnte es sein, dass solche Naturkatatrophen generell nicht nur als Akte der Zerstörung, sondern auch als Katalysatoren für neue Entwicklungen angesehen werden sollten?

Da könnte etwas dran sein. Vielleicht ein universell geltendes Prinzip der Natur, dessen Dialektik nicht sofort erkennbar ist.

Zerstörung und Tod einerseits, Neues und Leben erschaffen auf der anderen Seite ...

Der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier und lebt am liebsten mit regelmäßigen Geschehnissen und liebgewonnenen tradierten Abläufen. Zwar alles friedlich und toll, letztlich aber auch Stagnation.

Durch bestimmte plötzliche Ereignisse kommt ein Bruch der Regelmäßigkeit und man muß sein Leben gänzlich neu organisieren. Möglicherweise muss man zwangsläufig die Form der Gewinnung von Nahrungsmitteln gänzlich neu konzipieren. Dabei kommen vielleicht neue natürliche Gegebenheiten zum Zug, aber vielleicht auch neue Ideen, die es ohne den Bruch durch die Katastrophe, wahrscheinlich schwer gehabt hätten sich durchzusetzen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse hätten es so schnell nicht zu gelassen, die natürlichen Verhältnisse es nicht erfordert - denn für Veränderungen braucht es auch Mut und Risikobereitschaft, was umso leichter fällt, wenn man auf irgendeine Art dazu gezwungen ist, z.B. durch eine Katastrophe.

Es entwickelt sich eine neue Lebensweise, eventuell unter Nutzung neuer bis dahin unbekannter Ressourcen, die u.U. zu einer völlig neuen Leistungsfähigkeit dieser neuen Gesellschaft führen kann - im günstigen Fall sogar zu nie erreichten Hochkulturen.

Waldbrände, Steppenbrände z.B. vernichten Unmengen an Biomasse, sind aber gleichzeitig wieder fruchtbare Basis für neue Vegetation und nachfolgende Fauna.
Selbst der Brand von Rom im Juli 64 n.Chr hatte im Nachhinein sein Gutes - die Stadt wurde moderner, schöner und sicherer (ganz im groben)

Ähnlich sieht das bei Kriegen aus. Trotz all des Sterbens und des Leids, was durch Krieg verursacht wird, hat er - wenn auch nicht immer an der selben geographischen Stelle - oftmals eine wirtschaftliche, kulturelle und auch technologische Konjunktur im Schlepptau.


Tja, vielleicht ein, nicht wirklich belegbares, universelles Naturprinzip ...?
Ein Naturprinzip würde ich es nicht nennen. Dann müßte ich bei dem Gedanken, wie die Welt heute aussieht, auf den Gedanken kommen, daß eine Katastrophe, die mindestens die halbe Erdbevölkerung auslöscht, eigentlich von Vorteil wäre, weil danach ja die nächste Blüte kommt...

nein, ich denke, daß der Gedanke zu kurz greift.
Eine Katastrophe von außen wird immer erst einmal eine Veränderung erzwingen, aber nicht immer ebnet das den Weg für eine neue Hochkultur oder Blüte.
Manchmal gibt es eine kurze Erschütterung, eine kurze Weile ist alles anders, aber nach einiger zeit hat man sich arrangiert und alles gleitet wieder in gewohnte Bahnen. Und machmal sorgt es dafür, daß ein bestehendes System zusammenbricht.

Vermutlich hängt das von drei Dingen ab:
1. die soziale Komponente: In welchem Zustand waren die Gesellschaftlichen Systeme, bevor die Katastrophe kam und wie können sie darauf reagieren.
2. die zeitliche Komponente: Handelt es sich bei der Naturkatastrophe um eine langanhaltende Beeinträchtigung wie z.B. eine langanhaltende Dürre oder um eine kurzfristige Katastrophe wie einen Vulkanausbruch.
3. die relative Komponente; Wie groß ist der Anteil der Kultur, der unmittelbar betroffen ist?

Stabile Kulturen durchaus die Angewohnheit, kurz, heftige Naturkatastophen wie Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüche fast unbeschadet zu überstehen, selbst wenn ein recht großer Teil betroffen ist. Sie schlingern ein bißchen, ein paar Jahre wird es eng- aber ein stabiles Gefüge fängt das wieder auf. (Wenn Rom nach einem verheerend Brand wieder neu aufgebaut wird, würde ich das nicht unbedingt als eine durch eine Katastophe hervorgerufene kulturelle Änderung bezeichnen...)
Die Liste von kurzen Naturkatatrophen, die keine großen kulturellen Veränderungen nach sich gezogen haben, ist dementsprechend sehr viel länger als diejenige, die das getan haben.

Wenn eine kurze Naturkatastrophe eine bestehende Kultur zerstört, dann in der Regel wohl eher eine, die ohnehin schon deutliche zerfallserscheinungen zeigte und der Naturgewalt dann nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Eine Ausnahme ist hier natürlich, wenn durch die Naturkatastrophe eine Klutur fast vollständig ausradiert wird. Aber auch da entwickelt sich dann in der Regel nichts neues mehr- allenfalls wird der "Platz" freigemacht für etwas neues.

Bei langanhaltenden Dürren ist das anders. Sie bedrohen langfristig die Existenzgrundlage und werden Menschen immer wieder auf den Gedanken bringen, von dort, wo sie leben wegzuziehen, dorthin, wo es besser ist.
Nur leben dort oftmals schon andere- und der rege Austausch von Ideen und Gedanken (auch wenn es erst mal zum Blutvergießen kommt) führt zu einer neuen Kultur. Da würde ich aber jetzt nicht wirklich die Dürre als Auslöser sehen.

Auslöser ist immer der höchst menschliche Drang, von dort, wo es nicht mehr zum Leben reicht, wegzuziehen, bis man einen Ort findet, der bessere Bedingungen verspricht...
(25.01.2014 23:06)Bunbury schrieb: [ -> ]Bei langanhaltenden Dürren ist das anders. (...)
Auslöser [des Wegziehens bzw. Wanderns] ist immer der höchst menschliche Drang, von dort, wo es nicht mehr zum Leben reicht, wegzuziehen, bis man einen Ort findet, der bessere Bedingungen verspricht...

Du würdest also langandauernde und kurzzeitige Katastrophen trennen. Macht Sinn. Der Vesuv zerstörte zwar Pompeij, aber nicht das Römische Reich. Thera zerstörte zwar Akrothiri, aber nicht Kreta, jedenfalls nicht so, dass die minoische Kultur sofort am Ende gewesen wäre. Einzelne Katastrophenwinter im 14.Jh. führten nicht zu weiträumigen Veränderungen in Mitteleuropa, die Pest schon.

Wanderungen werden auch dadurch ausgelöst, dass es den Menschen an einem Ort zu gut geht und sie sich zu sehr vermehren. Die Überbevölkerung wandert dann ab, kommt in Kontakt mit anderen oder bringt eine überlegene Kultur mit und so wird durch den Kontakt zweier Kulturen oder den Transport einer Kultur in eine Region mit anderen Lebensumständen eine neue Kultur entstehen.

Bei Katastrophen - länger dauernden - müsste man aber eher von einem Vakuum ausgehen, das von außen her wieder gefüllt wird. Als die Minoer geschwächt waren, übernahmen die Mykener das Ruder. Die 2200v.Chr.-Dürre brachte dem Alten Reich und Akkad den Untergang, anschließend war mehrere hundert Jahre im Prinzip nichts - in der Levante findet man z.B. in dieser Zeit Horizonte in den Tells, bei denen primitive Häuser auf gestampfter Erde standen, darüber und darunter aber ansehliche Steinhäuser - Danach finden wir in Ägypten Theben statt Memphis als Hauptstadt, in Mesopotamien die Altassyrer und in der Levante die Kanaaniter/Phönizier und noch ein bisschen später in Anatolien die Hethiter.

VG
Christian
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