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Normale Version: Dreyfus Affäre - Sternstunde Französischer Geschichte
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Ich möchte hier ein Thema eröffnen, das meiner Meinung nach zu etwas vom Besten der französischen Geschichte gehört. So etwa die Hälfte der französischen Nation und deren junger Demokratie absolvierte im Kampf um die Gerechtigkeit für den jüdischen Hauptmann Elsässischer Herkunft eine herausragende Reifeprüfung.

Das krasse Fehlurteil durch ein französisches Militärgericht wurde nach einem Kampf, der immer wieder durch Rückschläge gekennzeichet, letztlich nach fast einem Jahrzehnt erfolgreich zu Ende ging.

Als wohl bekanntesten Teil dieser "Affäre" ist der in der Zeitung "Aurore" erschienene offene Brief von Emile Zola an den französischen Präsidenten Felix Faure. Sein vielzitierter Titel: "J´accuse - ich klage an".

Aber es gab auch andere grosse Helden, wie den Oberst Picquart (später General), den Major Forzinetti oder die Gesandten Erich Scheurer-Kaestner oder Léon Blum.

Ich hoffe, dass dieses im Deutschsprachigen Raum vielleicht nicht so bekannte Thema hier auf Interesse stösst.

Was mich fasziniert, ist der Kampf um Gerechtigkeit von einigen Wenigen gegen ein arrogantes und fahrlässiges Establishment, das sich auch durch Vorurteile leiten lässt um dann nachher ein Jahrzeht sein schlampiges und unprofessionelles Verhalten vertuschen zu wollen, anstelle seine Fehler zu korrigieren.

Mich interessiert Eure Meinung. Teilt Ihr meine EInschätzung? Kennt Ihr ähnliche Fälle?

Wenn Ihr ergänzende Fragen habt, nur zu.

Ich hoffe auf eine spannende Diskussion.



Hier einige links zum Einstieg:

http://www.focus.de/wissen/mensch/geschi...42551.html

http://www.dieterwunderlich.de/Dreyfus-affaere.htm

und ein umfassender wiki-Artikel:

http://de.wikipedia.org/wiki/Dreyfus-Aff%C3%A4re
Ich kann mich erinnern, dass wir den mal im Rätsel3D hatten. Weiß allerdings nicht genau, ob es da möglicherweise sogar eine Biographie gibt. Vielleicht wars auch noch im alten Forum ...
Nun ja, ein Rätsel zu Dreyfus Affäre will ich dann morgen oder vielleicht etwas später, um den Mitgliedern Zeit zur Vorbereitung zu geben.
In Deiner Aufzählung fehlen noch Schriftsteller wie Alphonse Daudet oder Emile Zola. Besonders Zola gilt als einer der wichtigsten Kämpfer für die Rehabilitierung von Alfred Dreyfus.

Aber Du hast Recht, diese Affäre zeigte, dass die junge Demokratie bereit war, ihre Errungenschaften gegen antidemokratische Kräfte zu verteidigen. Dies beruht sicher darauf, weil die französische Öffentlichkeit ihre Lehren aus der Geschichte gezogen hatten. Ich denke z.B. an die gescheiterten Revolutionen 1830 und 1848 (hier besonders an Cavaignac und Napoleon III.), aber auch an die gescheiterten Versuche MacMahons, die Republik in eine Militärherrschaft zu verwandeln oder die Boulanger-Affäre von 1887.

Die Institutionen der Dritten Republik boten Mittel und Möglichkeiten, sich für die Rechte des fälschlich beschuldigten Offiziers Dreyfus einzusetzen. Dass dies viele Persönlichkeiten taten, spricht für sie, aber auch für die demokratischen Kräfte. Es darf aber nicht vergessen werden, dass etwa knapp die Hälfte der Franzosen dem Antisemitismus der Militärs beipflichtete oder dass z.B. Zola mit Gewalt mundtot gemacht werden sollte. Ebenso sollte man nicht vergessen, dass die antidemokratischen, nationalistischen und oft auch militaristischen Kräfte während der ganzen Zeit der 3. Republik nie ihre gesellschaftliche Bedeutung eingebüßt haben. So blieb z.B. die Ermordung Jean Jaurés am 31. Juli 1914 ungesühnt.

Trotzdem sehe auch ich die Affäre Dreyfuss als ein wichtiges Ereignis in der französischen Geschichte, es darf aber nicht herausgelöst werden aus den vorherigen und den nachfolgenden Ereignissen. Es zeigt vor allem, dass es in Frankreich während der 3. Republik zwei etwa gleich starke Lager, das demokratische und das eher autoritäre Lager gegeben hat.

An dieser Stelle sollte auch an den zur Dreyfus-Affäre etwa zeitgleich stattgefundenen Skandal um Oscar Wilde in Großbritannien erinnert werden, der zwar andere Ursachen hatte, doch für den Angeklagten den gesellschaftlichen Untergang bedeutete, da sich die Öffentlichkeit nicht für ihn einsetzte.
(23.02.2014 02:16)Sansavoir schrieb: [ -> ]In Deiner Aufzählung fehlen noch Schriftsteller wie Alphonse Daudet oder Emile Zola.

Merci Monsieur Sansavoir pour votre excellente contribution.

Emile Zola hatte ich vergessen zu schreiben (er ist ja der Autor von j´accuse), ich habe ihn dazugefügt, aber eigentlich halte ich andere für gleich wichtig, vor allem ist Forzinetti entscheidend gewesen. Ohne ihn hätte ein unverzichtbares Glied in der Kausalkette gefehlt. Aber es ist eigentlich vielleicht auch nicht so sinnvoll, bewerten zu wollen, wer der wichtigste war - alle waren sie wichtig und verdienen es, einen Ehrenplatz in der französischen Geschichte zu haben, aber Zola ist der bekannteste.

Ich vergleiche die Dreyfus (man beachte nur ein "s") Affäre mit der tschechischen Dreyfus Affäre, die sogenannte "Hilsneriada". Hier wurde ein jüdischer Taglöhner, Leopold Hilsner, verdächtigt, eine mährische Magd und Jungfrau Namens Aněžka (Agnes) Hrůzová ermordet zu haben, und zwar nach dem angeblichen jüdischem Ritualmord. Man muss erwähnen: Hilsner war nicht nur Jude, aber auch Deutscher.

Der Prozess war hanebüchen, unglaubwürdige Zeugenaussagen, aber er wurde zum Tode verurteilt. Kaiser Franz Joseph begnadigte ihn aber, angeblich auf Druck von London und Paris.

Wer sich hier aber für ihn eingesetzt hatte: Tomáš G. Masaryk, zwei Jahrzehnte später erster tschechoslowakischer Präsident und Volksheld. Zu dem Zeitpunkt war er für die allermeisten Tschechen ein Verräter, der einen deutschen Juden in Schutz nahm, der eine tschechische Jungfrau ermordet hatte (es gab zu diesem Thema auch Volkslieder).

Warum schreibe ich das alles? Weil ich einfach als Tscheche leider sagen muss, dass Masaryk bei der Verteidigung von Hilsner so ziemlich allein da stand. Im Vergleich zu Frankreich, wo ja immerhin die Hälfte der Nation sich für Dreyfus eingesetzt hatte. Und die Grenze zwischen den Parteien verlief zwischen den Familien, quer durch die ganze Gesellschaft (siehe Karikatur unten).

In Prag wurde aber Masaryk selbst von seinen Studenten als "Deutschenfreund" ausgepfiffen (er war Uniprofessor). So gesehen muss man kompromisslos sagen: Die tschechische Gesellschaft war noch lange nicht so weit wie die französische, wo immerhin die Hälfte der Gesellschaft auf der Seite des Rechts und der Wahrheit war. Masaryk war einer von den "very few", der die Werte der hussitischen Reformation "die Wahrheit siegt" hochgehalten hat. Am Ende hat er gesiegt, aber es war hart und er war nahezu alleine.

In Frankreich waren die Dreyfusards immerhin die Hälfte der Gesellschaft. Hier dazu die Karikatur:

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:C...supper.jpg

Der Text zum ersten Bild: Ein Familientreffen. Also, vor allem, heute abend wird nicht über Dreyfus gesprochen.

Der Text zum zweiten Bild: Man hat über Dreyfus gesprochen...


Hier eine zeitgenössische Karikatur einer tschechischen Zeitung, die Dreyfus und Hilsner ebenso Zola und Masaryk in einen Topf wirft... und damit, aus heutiger Sicht, ungewollte Selbstironie betreibt.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/co...3%A1dy.JPG

Hier dann noch weiter Links zum Fall Hilsner:

http://www.jewishmuseum.cz/en/apolna.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Hilsner

Dein Beitrag deutet aber meiner Interpretation nach eine weitere richtige Richtung an: Die Spaltung der französischen Gesellschaft ging auch nach dem glücklichen Ausgang der Dreyfus Affäre weiter, wenn wir so wollen bis 1944, vielleicht auch noch weiter, das kann ich jetzt nicht wirklich beurteilen. Das aber würde eigentlich den Titel des Threads insofern bestätigen, dass es sich um die "Sternstunde", also einen ersten Höhepunkt handelt, der nachher nicht mehr überboten wurde.
Da sieht man leider auch, dass der Antisemitismus überall da war.

Und zu der Dreyfus Affäre:

"[..] der höchste Mann im Staate, und der sagte "non", als es 2006, 100 Jahre nach Dreyfus' Rehabilitation, um das Ansinnen ging, Dreyfus - neben Émile Zola - in den Pariser Pantheon zu überführen. Dieses Privileg ist in der realen Welt den Helden der Grande Nation vorbehalten, und Dreyfus war eben nur das Opfer, so die Argumentation"

http://www.bpb.de/apuz/30051/der-fall-dr...lgen?p=all
(13.06.2014 00:52)Regenbogensonne schrieb: [ -> ]Da sieht man leider auch, dass der Antisemitismus überall da war.

Und zu der Dreyfus Affäre:

"[..] der höchste Mann im Staate, und der sagte "non", als es 2006, 100 Jahre nach Dreyfus' Rehabilitation, um das Ansinnen ging, Dreyfus - neben Émile Zola - in den Pariser Pantheon zu überführen. Dieses Privileg ist in der realen Welt den Helden der Grande Nation vorbehalten, und Dreyfus war eben nur das Opfer, so die Argumentation"

http://www.bpb.de/apuz/30051/der-fall-dr...lgen?p=all

Naja, das kann ich aber auch nachvollziehen. Die wahren Helden waren vor allem Emile Zola und Georges Picquart. Mag hart klingen, aber diejenigen, die aus einer komfortablen Situation trotzdem den Heldenmut aufbrachten, sich der Mehrheit oder sagen wir der Obrigkeit entgegenzustellen, ist irgendwie schon mehr.

Und eben: "der Antisemitismus war überall" - ja, aber in Frankreich trat die plusoumoins Hälfte der Nation dem entgegen... da ist ein kleiner oder sagen wir mal grossen Unterschied, eben.
Ja stimmt schon... So habe ich das nicht bereachtet.. Emile Zola hatte leider die Befreiung Dreyfus nicht mehr miterlebt und hatte Mut,... sich dagegenzustellen..

Ja, aber ist einfach unglaublich zu sehen, wie weit der Antisemitismus verbreitet war und man annahm, sie hätten bestimmte Eigenschaften vorzuweisen...

Habe den Teil von Goldhagens Buch durchgelesen, indem er den Antisemitismus im 19 Jhd. in Deutschland beschreibt. Ziemlich erschreckend zu erfahren, dass der Antisemitismus schon so lange fortgeschritten war.


Kannte bisher nicht viel von der Dreyfus- Affäre, sehr interessant und aufjedenfall schön zu sehen, dass sozusagen das Richtige, Gute gesiegt hatSmile Dass es auch Menschen für die Gerechtigkeit gab und sich dafür eingesetzt haben!

LG

Regenbogen
(13.06.2014 01:12)Regenbogensonne schrieb: [ -> ]Ja stimmt schon... So habe ich das nicht bereachtet.. Emile Zola hatte leider die Befreiung Dreyfus nicht mehr miterlebt und hatte Mut,... sich dagegenzustellen..

Ja, aber ist einfach unglaublich zu sehen, wie weit der Antisemitismus verbreitet war und man annahm, sie hätten bestimmte Eigenschaften vorzuweisen...

Habe den Teil von Goldhagens Buch durchgelesen, indem er den Antisemitismus im 19 Jhd. in Deutschland beschreibt. Ziemlich erschreckend zu erfahren, dass der Antisemitismus schon so lange fortgeschritten war.


Kannte bisher nicht viel von der Dreyfus- Affäre, sehr interessant und aufjedenfall schön zu sehen, dass sozusagen das Richtige, Gute gesiegt hatSmile Dass es auch Menschen für die Gerechtigkeit gab und sich dafür eingesetzt haben!

LG

Regenbogen



Le Pen senex hat sich Vorgestern überaus problematisch geäußert.
Danke für die Anmerkung, habe es soeben dazu etwas gelesen.

http://derstandard.at/2000001879578/Offe...use-Le-Pen
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