Hallo an alle Geschichtsinteressierte
,
ich habe eine weitere Frage, und zwar ähneln sich denn nicht theoretisch Hannah Arendts These und Goldhagens?
Sie spricht von der Banalität des Bösen und behauptet, dass alles aus normalen Deutschen geschah, die in solch einer Situation kamen und sozusagen deren Gewissen ausschalten und sich durch das totalitäre System entlasten...? Am Beispiel Eichmanns.
Und er behauptet ja auch, dass alle ganz gewöhnliche Deutsche waren... die Täter und deren Motivation aus Überzeugung....
LG
Regenbogen
Wir werden diese oder ähnliche Fragen nicht annähernd sinnvoll diskutieren können ohne eine entsprechende fundierte psychologische Rückendeckung.
(11.06.2014 01:09)Regenbogensonne schrieb: [ -> ]Hallo an alle Geschichtsinteressierte,
ich habe eine weitere Frage, und zwar ähneln sich denn nicht theoretisch Hannah Arendts These und Goldhagens?
Sie spricht von der Banalität des Bösen und behauptet, dass alles aus normalen Deutschen geschah, die in solch einer Situation kamen und sozusagen deren Gewissen ausschalten und sich durch das totalitäre System entlasten...? Am Beispiel Eichmanns.
Und er behauptet ja auch, dass alle ganz gewöhnliche Deutsche waren... die Täter und deren Motivation aus Überzeugung....
LG
Regenbogen
Ich bin kein besonderer Experte weder für Arendt noch für Goldhagen, aber ich sehe da eigentlich recht grosse Unterschiede.
Hannah Arendt schildert ja Eichmann als Karrieristen, der ohne grosse Überzeugungen handelt, einfach so, wie es gerade der Karriere gut tut.
Der eliminatorische Antisemitismus sehe ich da ganz wo anders, demnach hätte Eichmann wie die meisten anderen Deutschen aus Überzeugung gehandelt, dass die Juden eben eliminiert werden müssen.
Die These von Goldhagen unterstellt zwar, so das auf wiki richtig steht (ist immer Vorsicht geboten), dass die meisten Deutschen "schlecht über die Juden dachten" (also nicht unbedingt die Elimination verlangten), sie aber auch nicht verhinderten wie auch sich den anderen Diskriminierungen nicht in den Weg stellten.
Ich selbst bin da näher bei Hannah Arendt. Zum einen halte ich sie für jemand, der besser differenzieren kann als Goldhagen. Natürlich gab es Antisemiten aller Schattierungen, aber ob sie in der Mehrheit waren, würde ich bezweifeln.
Die meisten waren sehr autoritätsgläubig, das konnte Vertrauen in die Regierung sein, später dann einfach Angst, oder Gleichgültigkeit.
Karrieristen gibt es in jedem System und Sadisten auch. Die wiederum eignen sich für die Drecksarbeit. Totalitäre Systeme bedienen sich gerne solcher Leute.
Stimmt auch wiederum... So habe ich es nicht gesehen. Dann wäre der größte Unterschied- Die Überzeugung. Bei Hannah Arendt müssen sie nicht überzeugt sein und machen einfach seine Arbeit und "gehorchen" dem Regime( vlg. Autoritär) und bei Goldhagen handeln sie überzeugt mit der Ideologie.
Was mich auch interessiert, ist, dass Goldhagen betont, dass er gegen der These des Kollektivschulds ist, aber wenn er behauptet, alle "ganz gewöhnlichen Deutschen" hätten Schuld an dem Holocaust und der e.A. sei eben die besondere Kraft....
Und es wichtig sei, die Motivation der Mörder/Täter zu erfahren, und sie in dem Fall natürlich unterschiedlich hohe Strafen verdient hätten. Man solle alles induviduell betrachten.
So kommt es mir trotzdem so vor, als würde er der Kollektivschuld zustimmen....?
LG
Regenbogen
Naja, er wird auf wiki so zitiert:
„Die Vorstellung einer Kollektivschuld lehne ich kategorisch ab.“[12] Was die Individuen angeht, kommt er allerdings zu dem Ergebnis, dass „die Zahl der Deutschen, die kriminelle Handlungen [d. h. Verbrechen an Juden] begangen haben, enorm hoch“ gewesen sei.
Also, er gibt nicht allen die Schuld (was Kollektivschuld bedeuten würde), aber sagt, die Zahl derjenigen, die individuelle Schuld tragen, enorm hoch gewesen sei.
Achso
Ok, Dankeschön für die Erklärung!
Und aber was ich sehr interessant finde ist, die Frage nach der Schuld- wie viel wussten die Deutschen...
Darüber hatte ich einen extra Thread eröffnet, aber was hier zu passt, die Frage wie viele von Ausschwitz wussten ist ungenau und einige bauhaupten soweit, dass sie nichts mitbekamen.. etc.
Aber wie kann es sein, dass sogar Einige aus dem Ausland wie z.B. Hannah Arendt 1942 davon wussten?
Das hatte sie in einem Interview mit Günter Gaus geäußert.
Fand ich sehr interessant.
LG
Regenbogen
Ich glaube, der durchschnittliche Deutsche konnte nicht viel wissen - wissen in dem Sinn, dass er belastbare und überprüfbare Fakten hatte. Offiziell wurde in der gleichgeschalteten Presse nichts verlautbart.
Diejenigen, die unmittelbar damit zu tun hatten, dürften nahezu ausschliesslich darüber geschwiegen haben. Alle anderen konnten nur spekulieren. Gerüchte dürfte es viele gegeben haben.
Dass Hannah Arendt vom Holocaust wusste, ist nicht so überraschend. Sie war für die jüdische Zeitung in deutscher Sprache in New York tätig (Aufbau); schon 1942 wurden jüdische und alliierte Kreise von Jan Karski vom Holocaust unterrichtet. Im Gegensatz zu vielen Alliierten dürfte sie den Berichten von Karski geglaubt haben.
http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Karski
Danke für den Link. Wirklich schade.., dass damals die zb. USA Karski nicht geglaubt haben, obwohl er so viel riskiert hatte und alles stimmte.....
Und was ich auch interessant finde, ist, dass Goldhagen Christopher Browning mit seinem Buch "ganz normale Männer" kritisiert. Aber mir kommt es so vor (und habe es auch mehrmals gelesen) dass Goldhagen auf die These von Browning aufbaut...mit dem Polizeibetaillone.... aber warum behauptet dann Goldhagen , dass Browning "unwissenschaftlich" gearbeitet hätte etc.
Des Weiteren würde mich interessieren, wie Ihr Götz Aly im Vergleich zu Hannah Arendt sieht
.
In Bezug zu deren "Thesen". Hannah Arendt mit ihrem sehr bekannten Buch - Eichmann...
Und Alys Deutung zum Auslöser/ Grund für den Holocaust- der zusammenhängend mit dem Antisemitismus...
LG
Regenbogen
Jetzt wirscht aber langsam anspruchsvoll, Mädel. Aber gut. Wir wollen uns gegenseitig intellektuell beüben. Hier ein link zur Vorbereitung:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bu...29052.html
Vielleicht suchen wir noch weitere links und konfrontieren uns morgen mit unseren Erkenntnissen.
Einstweilen gute Nacht.
Danke, also was mir sofort aufgefallen ist bzw. eine Ähnlichkeit sah- war der Bezug zu Goldhagen.
Goldhagen äußert ja, dass der Antisemitismus konstant ist je nach dem es deutlicher hervorkommt als andere Male...
Und zB. behauptet er, dass kurv vor dem Ende des 19 Jhd. der Antisemitismus nicht deutlich erscheint, da Deutschland sich mit der Außenpolitik beschäftigt hat.. und alle Augen darin gerichtet waren. Vorher aber wurde der Antisemitismus durch antisemitische Parteien in der Politik getragen. Sodass auch in den konservativen Parteien ein Punkt der "Judenhass" war. (Und der zweite Teil des 19 Jhd. entwickelte den "neuen" Antisemitismus weiter, sodass der Begriff Rasse im Spiel kommt... Ausgrenzung der Juden- Seien keine Deutschen etc)
Und genau soetwas ähnliches sagt auch Götz Aly.
"1918 sei ein Antisemitismus „mit Urgewalt“ hervorgebrochen, der im Kaiserreich „weithin unter der Oberfläche gehalten“ worden sei. Demnach waren die Integration der Juden, das kulturelle Prestige des jüdischen Großbürgertums, die Erfolglosigkeit der Antisemitenparteien nur Oberflächenphänomene, bloßer Schein, der Judenhass dagegen die Wahrheit über die Deutschen"
Schon der erste Satz... "weiterhin unter der Oberfläche" gehalten...?
Und wie steht Ihr zur Götz Behauptung, dass die Sozialdemokraten diesen sogenannten Neid begonnen haben..?
LG
Regenbogen
(13.06.2014 14:10)Regenbogensonne schrieb: [ -> ]Und genau soetwas ähnliches sagt auch Götz Aly.
"1918 sei ein Antisemitismus „mit Urgewalt“ hervorgebrochen, der im Kaiserreich „weithin unter der Oberfläche gehalten“ worden sei. Demnach waren die Integration der Juden, das kulturelle Prestige des jüdischen Großbürgertums, die Erfolglosigkeit der Antisemitenparteien nur Oberflächenphänomene, bloßer Schein, der Judenhass dagegen die Wahrheit über die Deutschen"
Schon der erste Satz... "weiterhin unter der Oberfläche" gehalten...?
LG
Regenbogen
Wo genau steht dieser Satz bei Aly?
Ich würde es gerne im Zusammenhang lesen.
Zitat:Und wie steht Ihr zur Götz Behauptung, dass die Sozialdemokraten diesen sogenannten Neid begonnen haben..?
Nö, behauptet Götz Aly nicht (der von Berlichingen sowieso nicht)
Aly schreibt, dass es bei so gut wie allen Parteien bis zu der KPD hin und wieder Antisemitische Äußerungen gibt.
Wer sind die Gründerurväter der SPD?
Antwort: Marx und Lassalle, die, per se, keinen Neid auf Juden "begonnen haben können".
"Obwohl die Judenfeinde den Widerruf der staatsbürgerlichen Gleichheit wollten und der Marxismus zur jüdischen Weltanschauung gestempelt wurde, hält Aly den Sozialdemokraten vor, sie hätten das „Gift des Neides“ ausgestreut und dadurch „der Gewalt ungewollt Vorschub geleistet“. Dieser kausale Nexus ist nun umgedrehter Ernst Nolte: Hitler als Speerspitze der ewigen Linken! „Mit den kollektivistischen Begriffen Klasse, Klassenkampf, Klassenhass und Klassenfeind gewöhnten Sozialisten ihre Anhänger an ein politisches Denken und Handeln, das die Eindeutigkeit der Freund-Feind-Optik bevorzugte.“ Mit keinem Wort erwähnt Aly die Wurzeln der sozialdarwinistischen Doktrin vom Kampf ums Dasein in der liberalen politischen Ökonomie."
(13.06.2014 15:46)Regenbogensonne schrieb: [ -> ]"Obwohl die Judenfeinde den Widerruf der staatsbürgerlichen Gleichheit wollten und der Marxismus zur jüdischen Weltanschauung gestempelt wurde, hält Aly den Sozialdemokraten vor, sie hätten das „Gift des Neides“ ausgestreut und dadurch „der Gewalt ungewollt Vorschub geleistet“. Dieser kausale Nexus ist nun umgedrehter Ernst Nolte: Hitler als Speerspitze der ewigen Linken! „Mit den kollektivistischen Begriffen Klasse, Klassenkampf, Klassenhass und Klassenfeind gewöhnten Sozialisten ihre Anhänger an ein politisches Denken und Handeln, das die Eindeutigkeit der Freund-Feind-Optik bevorzugte.“ Mit keinem Wort erwähnt Aly die Wurzeln der sozialdarwinistischen Doktrin vom Kampf ums Dasein in der liberalen politischen Ökonomie."
Bitte genaue Quellenangabe, "Titel, Kapitel, Seite,"
ich will es selbst nachlesen.
Danke.
(14.06.2014 19:03)Regenbogensonne schrieb: [ -> ]http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bu...29052.html
jetzt?
ja.
Der FAZ-Artikel zeigt nachhaltig auf, dass die Historiker-Zunft Aly nicht mag.
Mehr ist daraus leider nicht herauszulesen.
Zur SPD: Aly schreibt in den 3 Seiten zur SPD, dass der Diktus
"Antisemitismus ist der Sozialismus der Idioten"
in der SPD Allgemeingut gewesen wäre, zigmal nachzuweisen wäre.
In der FAZ-Rezension ist kein Wort darüber.
Aly schreibt, dass Paul Singer
http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Singer...litiker%29
Parteiintern "Judenpaule" genannt wurde,
was als Ehrenname gemeint und als solcher verstanden wurde.
(Bei Paul Singers Beerdigung 1911 war rund 1 Million auf den Füssen)
In der FAZ kein Wort davon. Lediglich der Halbsatz vom "versehentlich"....
Achso, okaay, danke!
LG
Regenbogen