25.05.2016, 14:26
Ich hoffe, Aguyar, dass es für Dich in Ordnung ist, wenn ich Deinen Beitrag aus dem Jux-Rätsel-Thread hier als Einleitung zitierte. Aber ich finde das Thema um Meisterschützen sehr interessant und eine bessere Zusammenfassung von Tokos und Tells "Verwandten" hätte ich auch nicht geben können. Zudem ist es schade, wenn dieses Posting in der Versenkung des Rätselthreads enden würde.
Ich habe gar nicht gewusst, dass der "gute" Harald "der Harte" als so übler Typ in manchen Sagas rüberkommt.
Was die Nidung-Wieland-Beziehung betrifft, in die auch die Egil-Nidung-Episode, habe ich den Eindruck, dass sich da zwar wirklich nichts "schuldig" bleiben und sich gegenseitig schaden, aber ich hatte beim Lesen auch den Eindruck, dass die beiden Gegenspieler eine gewisse Sympathie für einander haben, und wenn sie das nicht zugeben würden.
Was mich im Drama von Schiller ursprünglich immer ein wenig gewundert hat, war, dass Tell den Apfel ganz "heimlich" hinunterschießt, so nebenbei, während Rudenz gerade Miene macht, auf Gessler los zu gehen. Mir wurde erst später klar, dass das dramaturgische Gründe hatte. Zuseher/innen sind abgelenkt, sodass der Schuss nur simuliert werden kann und Tell gar nicht schießen oder gar treffen muss.
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Interessant ist auch, die "Internationalität" der "Apfelschussgeschichten", obwohl das Motiv ursprünglich ein altnordisches Motiv gewesen sein dürfte.
(14.04.2016 21:48)Aguyar schrieb: [ -> ]Nur zur ergänzenden Info, neben Toko und Tell gab es noch weitere "Apfelschüsse":
Egil und Nidung
Die zweitälteste Erwähnung eines Apfelschusses findet sich im Wielandroman der Dietrichssage, die um 1250 / 1260 als Import aus den höfischen Kreisen des europäischen Kontinents in Bergen aufgezeichnet worden ist. Bei der norwegischen Version des Schützenkunststücks heisst der böse König Nidung, der Meisterschütze Egil. Im Verlauf der Geschichte erscheint Egil, der Bruder von Wieland dem Schmied, am Königshof wo der König erproben will, ob dieser ein so guter Schütze ist, wie das Gerücht sagt. Nidung legt dem dreijährigen Sohn Egils, Eigl, einen Apfel auf den Kopf und verlangt vom Vater, dass er ihn beschiesse. Der Schütze nimmt drei Pfeile und trifft – wie könnte es anders sein – natürlich auf Anhieb sein Ziel. Der König zeigt sich dabei sehr beeindruckt von der Treffsicherheit Egils und nimmt ihm die Antwort, dass bei einem Fehlschuss die königliche Brust das nächste Ziel gewesen wäre, ebenfalls nicht weiter übel. Offenbar hatte der Mann Sinn für Humor.
Heming und Harald III der Harte
Um 1360 entstand ein auf der isländischen Insel Flatey im Breitifjord aufgefundenes grosses Sammelwerk von Erzählungen, die sogenannten Flateyjarbok, in denen sich zwei weitere Meisterschüsse finden worunter einer das absolute Nonplusultra darstellt: der Nuss-Schuss ! Der Schütze der ihn ausführt heisst Heming und lebt unter dem norwegischen König Harald dem Harten (1047 - 1066). Mit diesem äusserst zähen Sportlerkönig muss sich nun Heming auf eine Marathon-Olympiade einlassen. Die beiden messen sich von früh bis spät im Bogenschiessen und Speerwerfen, bis es dem König plötzlich zu dumm wird, von diesem "Naturburschen" ständig besiegt zu werden. Er hängt die Fairplay-Regeln an den Nagel und kehrt plötzlich den bösen Tyrannen hervor. Er befiehlt Heming, eine Nuss vom Haupte seines Bruders zu schiessen. Um die Sache noch etwas zu würzen, droht der dem Schützen bei einem Fehlschuss natürlich ebenfalls mit dem Tod.
Mutig spannt Heming darauf seinen Bogen und bittet den König lakonisch, sich doch neben den Bruder zu stellen, um sich gleich aus erster Hand von seinen Schützenfähigkeiten zu überzeugen. Das ist dem Herrscher aber offensichtlich viel zu gefährlich, denn er zieht es vor, neben Heming und nicht neben dessen Ziel zu stehen. Wie das in solchen Fällen oft zu geschehen pflegt, delegiert er lieber einen seiner Untergebenen zu diesem Himmelfahrtskommando. Seine Furcht war natürlich völlig unbegründet, denn Hemings Hand zittert auch diesmal nicht im geringsten. Ja, er gibt dabei sogar ein Bravourstücken zu besten, das die Forderung des Königs noch weit übertrifft: Er durchbohrt die Nuss nämlich nicht (das wäre für ihn viel zu einfach), sondern schiesst so haargenau zwischen dem Scheitel des Bruders und der Nuss hindurch, dass die Nuss zu Boden rollt und dem Bruder nicht der kleinste Kratzer zugefügt wird. Auch Harald der Harte kann natürlich die Frage nach dem Sinn der restlichen Pfeile, die Heming zu sich steckte, nicht unterdrücken; er erhält die gleiche Antwort wie bisher alle seine Kollegen, was das sportliche Klima zwischen den beiden auch nicht gerade verbessert. Bei der nächsten Disziplin, die nun auf dem Programm steht, einem gefährlichen Wettschwimmen, versucht der königliche Marathon-Olympionike seinen Konkurrenten denn auch unter Wasser zu erstechen, was ihm aber nicht gelingt. Zu guter oder wohl besser zu schlechter Letzt folgt auch hier als Höhepunkt des Mehrkampfes ein Skilauf, bei dem Heming wegen einer erneuten Hinterlist des Königs über eine Felswand abstürzt. Da der Held jedoch ein geweihtes Tuch um den Leib trägt, kann ihm auch diesmal nicht viel passieren. Er bleibt an einem Felsvorsprung hängen und wird durch ein Wunder des Heiligen Olaf gerettet. Aber auch Wunder haben ihren Preis. Olaf (Olaf II der Heilige, 1016 - 1030) ist nämlich der Halbbruder des bösen Königs, und Heming muss dem Heiligen deshalb versprechen, sich nie an seinem Herrscher zu rächen, weshalb die ganze Geschichte schliesslich ebenso wunderbar wie unmotiviert im Sande verläuft.
Eindridi Breitferse und Olaf Tryggvason
Die Überlieferung des Meisterschusses des Eindridi Breiferse entstammt ebenfalls dem nordischen Sagenkreis, trägt aber dabei bereits die ausgeprägten Züge einer christlichen Bekehrungslegende. Im gleichen Flateyjarbok, dass die Sage von Heming enthält, findet sich auch die Geschichte des Grossbauern Eindridi Breitferse, der vom ersten Bekehrerkönig Norwegens, Olaf I Tryggvason (955 - 1000), wiederum mittels eines sportlichen Wettbewerbes zum Christentum bekehrt werden soll. Nach einem Schwimmwettkampf, den der König mit einer List für sich entscheidet, fordert dieser Eindridi auch zum Bogenschiessen heraus. Um ihm zu zeigen, wie mächtig der Gott des Christentums ist, schiesst diesmal der Herrscher selbst einen Brettspielstein vom Haupte eines grossbäuerlichen Neffen. Eindridi, von seiner Mutter und seiner Schwester eindringlich darum gebeten, im wahrsten Sinne des Wortes um Gottes Willen dieses Kunststück nicht auch noch zu versuchen, weigert sich deshalb, den geforderten Meisterschuss zu tun. Als darauf der König auch beim Dolchspiel wahrhaft wunderbare Taten vollbringt, gibt sich Eindridi geschlagen und tritt dem Christentum bei.
William of Cloudesly
In einer Ballade, welche im Jahre 1536 gedruckt wurde, schiesst der Engländer William of Cloudesly vor dem König auf genau zwanzig mal zwanzig Schritte einen Apfel vom Haupte seines Sohnes, wobei er zur Abwechslung diese Probe dem Herrscher sogar selber vorschlägt. Das nicht näher datierte Volkslied des Apfelschusses von Cloudesly ist eine Art Robin-Hood-Ballade, die von den drei Geächteten, in den Wald gegangen Schützen William of Cloudesly, Adam Bell und Clim of the Clough erzählt. Im Verlauf der Handlung wird William gefangen, befreit und zieht dann mit seinen Gefährten zum König, um Gnade zu erbitten. Die Königin erwirkt ihre Begnadigung. Der König erfährt frühere Übeltaten und verlangt Schiessproben. Nach erfolgreichem Abschluss der Schiessproben erklärt William, dass er die Ziele zu gross fände. Die zweite der daraufhin vom Schützen selbst vorgeschlagene Prüfung betrifft den Apfelschuss. William schiesst dabei ebenfalls einen Apfel vom Haupte seines Sohnes und zwar auf die Entfernung von genau zwanzigmal zwanzig Schritt. Unter dem Eindruck von Williams Schiesskunst nehmen der König und die Königin den Geächteten in ihren Dienst, der jedoch mit seinen beiden Gefährten zuvor nach Rom zieht, um Vergebung der früheren Sünden zu erlangen. Das der Vorname von Cloudesly ebenfalls Wilhelm lautete, mag ein Zufall sein.
Henning Wulf und Christian I
Auch an der Elbemündung, in Dammedocht in der holsteinischen Wilstermarsch, muss der Marschenhauptmann und Meisterschütze Henning Wulf das Apfelkunststück Christian I von Dänemark vorführen, das er allerdings schon einige Male zuvor, und stets mit dem Kopf des eigenen Sohnes als Einsatz, ausprobiert hatte. Der König will sich eigentlich nur an einem Paradestück der Schiesskunst ergötzen. Als er jedoch auf die Frage nach den weiteren Pfeilen die übliche, wenig liebenswürdige Antwort bekommt, erklärt er Henning Wulf für vogelfrei, und der Marschenhauptmann wird auch prompt auf der Flucht erschlagen. Problematisch ist diese Legende, die zwei historischen Persönlichkeiten angehängt wurde, weil sie nicht durch eine genau datierbare Handschrift, sondern nur durch ein heute nicht mehr erhaltenes Bild in der Kirche von Wevelsfleht überliefert wurde, das schwierig zu datieren ist.
Punker von Rohrbach
In dem Freischützen Punker aus Rohrbach, heute ein Vorort von Heidelberg, begegnet man dem leibhaftigen Gegenteil des guten Königs Olaf aus der Geschichte von Eindridi Breitferse. Punker schiesst nicht mit Gottes Hilfe wie der fromme König, sondern mit dem Beistand des Teufels diesmal sogar ein Geldstück vom Sohneshaupt. Wie jeder richtige Freischütz hat er nach der Sage an einem Karfreitag während der Messe drei Pfeile in das Kruzifix gejagt. Darauf sind ihm von Teufel täglich drei „sichere“ Pfeile verliehen worden, die ihr Ziel niemals verfehlen. Wo der erste gelandet ist, weiss man bereits. Die übrigen brauchte Punker bei der Belagerung der Burg Lindenbrunn durch den Pfalzgrafen, in deren Verlauf er täglich drei Verteidiger herunterschoss. Dieser Methode mangelte natürlich jede Effizienz, aber sie führte schliesslich doch noch zum Erfolg. Einen der letzten Pfeile verwendete er dazu, seinem Knaben zum Beweis seiner Schützenkunst auf zwanzig Fuss Entfernung eine Münze von der Mütze zu schiessen. Schliesslich nimmt auch Punker ein böses Ende. Im letzten Satz der Sage erfährt man, dass er über Bauern regierte, die er so lange unterdrückte, bis sie ihn eines Tages überfielen und mit Hacken und Schaufeln erschlugen. Enthalten ist die ganze diabolische Geschichte im Hexenhammer
Ich habe gar nicht gewusst, dass der "gute" Harald "der Harte" als so übler Typ in manchen Sagas rüberkommt.
Was die Nidung-Wieland-Beziehung betrifft, in die auch die Egil-Nidung-Episode, habe ich den Eindruck, dass sich da zwar wirklich nichts "schuldig" bleiben und sich gegenseitig schaden, aber ich hatte beim Lesen auch den Eindruck, dass die beiden Gegenspieler eine gewisse Sympathie für einander haben, und wenn sie das nicht zugeben würden.
Was mich im Drama von Schiller ursprünglich immer ein wenig gewundert hat, war, dass Tell den Apfel ganz "heimlich" hinunterschießt, so nebenbei, während Rudenz gerade Miene macht, auf Gessler los zu gehen. Mir wurde erst später klar, dass das dramaturgische Gründe hatte. Zuseher/innen sind abgelenkt, sodass der Schuss nur simuliert werden kann und Tell gar nicht schießen oder gar treffen muss.
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Interessant ist auch, die "Internationalität" der "Apfelschussgeschichten", obwohl das Motiv ursprünglich ein altnordisches Motiv gewesen sein dürfte.