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Normale Version: Wie verlief die Befreiung/Besetzung im Westen normalerweise ab?
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Gemeint sind nicht die schweren Kämpfe linksrheinisch oder im Hürtgenwald sondern die letzten Wochen des Krieges als jeder wusste, dass der Ofen aus ist. Und auch nicht der Osten, wo sich die Wehrmacht noch wehrte, um die Bevölkerung zu schützen.

Es gab einen Volkssturm, Panzersperren, Reste der Wehrmacht, Standgerichte und Kettenhunde, halb Deutschland müsste unterwegs gewesen sein. Sprich: Ziemliches Chaos.

Was also passierte, wenn alliierte Truppen sich einer normalen Kleinstadt/Dorf näherten?

Gab es so etwas wie einen üblichen Ablauf, der beiden Seiten ermöglichte, unbeschadet davonzukommen? Sprich: die Deutschen taten so, als würden sie kämpfen und die Alliierten forderten dann zur Übergabe auf?

Bei mir im Ort wurde ein einzelner, junger Soldat in den letzten Kriegstagen getötet, so richtig warum wusste wohl niemand. Im Nachbarort eine harmlose Frau durchs offene Fenster erschossen, für alle Beteiligten müssen es haarige Momente gewesen sein.
Wie lief das ab?
Unterschiedlich.
Die sich zurückziehende Wehrmacht hat zB im Albvorland Tübingen grob Richtung Süd-Südost an günstigen Stellen eine Kanone mit ein paar Schuss Munition aufgestellt, Protze gleich gar keine dagelassen.
Die Bedienung hat die vorhandene Munition auf die anrückenden Alliierten verschossen und durfte sich dann auch zurückziehen, wenn sie noch lebten. "Auf Abstand halten."
Den Rückzug Richtung Alpenfestung ermöglichen.
An manchen Punkten, wo höhere Stäbe und noch Treibstoff vorhanden waren, gab es richtige, teilweise auch erfolgreiche Durchbruchsgefechte, Bad Dürrheim oder Zwiefaltendorf fallen mir als Beispiel ein. Auch um Donaueschingen hat es noch richtig gefunkt, da waren in der Nacht die erobernden Franzosen noch ein paar Stunden von der Wehrmacht eingekesselt. Auch an der Schweizer Grenze zum Kanton Schaffhausen gab es richtig makabre Szenen.
Sonst aber hat sich die Wehrmacht bei jeder sich bietenden Gelegenheit "aufgelöst". Zwischen Ebingen und Riedlingen hat eine einzige franz. Division an einem Tag über 10.000 Gefangene gemacht.

Die Kreisleiter und Ortsgruppenleiter hatten sich den Parteiposten oft als persönliche "Versicherung" gegen die Ostfront verschafft, also eher auch keine Reservehelden. Der Volkssturm hat sich überwiegend aus WKI Teilnehmern rekrutiert, Männer die sehr genau wussten, dass man mit einer alten Flinte keinen modernen Krieg führen kann, und dass es ein Leben nach Hitler gab.

Gegenbeispiel:
Auf den Truppenübungsplatz Heuberg hat sich ein höherer HJ-Führer aus Heilbronn zurückgezogen. Als er hörte, dass in Meßstetten weiße Fahnen gehisst worden waren.
Ein franz. Vorausabteilung aber am Ort vorbeigezogen war,
fuhr er des Nachts mit ein paar Mann nach Meßstetten "Freikorps Adolf Hitler" und erschoss dort den Altbürgermeister und 2 Gemeinderäte.
(Später wurde er ermittelt und sass in Hechingen in U-Haft wo ihm die Flucht gelang, dies also auch straflos blieb)

Fortsetzung folgt
Ja, das mit den weissen Fahnen heraushängen konnte ins Auge gehen, wenn doch noch jemand auf die Idee kam, mal "vorne" nachzuschauen oder es noch Versprengte auf dem Rückzug gab, vor allem SS durfte man dann nicht in die Quere kommen.

Volkssturm, von Goebbels propagandistisch aufgebläht, war normalerweise genau das Beschriebene. Vernünftige Leute mit Erfahrung, die wussten, was angesagt war. Mein Großvater (EK II im ersten Weltkrieg, Artillerist ohne große Erfahrung im Stellungskrieg) war wohl auch wenig erpicht auf erbitterten Widerstand, ließ ein wenig buddeln und als es soweit war, dann war man eben zu spät gekommen und die Sache war erledigt.

Glaubte man damals wirklich noch an die Existenz einer sogenannten Alpenfestung? Mir ist nämlich auch schon aufgefallen, dass viele hohen Nazis irgendwo auf heute bekannten Alpenhütten gefunden wurden.

Vielleicht hat noch jemand persönliche Erzählungen/Anekdoten seiner Eltern/Bekannten.
Mein Großvater hat zum Beispiel erzählt, dass schon bald nach den Kapitulation Amerikaner ins Haus kamen und wohl offiziell nach Waffen suchten, sich aber mehr für Alkohol und Wertgegenstände interessierten. Mein Großvater verteidigte wohl Hab und Gut recht handgreiflich und laut, sodass Ehefrau und Kinder es mit der Angst zu tun bekamen. Es ging aber alles gut aus und heute nehme ich an, dass die Amerikaner die fehlenden Nazi- und vorhandenen christlichen Requisiten milde gestimmt haben.
(23.08.2016 20:23)Suebe schrieb: [ -> ]Wie lief das ab?
Unterschiedlich.
Die sich zurückziehende Wehrmacht hat zB im Albvorland Tübingen grob Richtung Süd-Südost an günstigen Stellen eine Kanone mit ein paar Schuss Munition aufgestellt, Protze gleich gar keine dagelassen.
Die Bedienung hat die vorhandene Munition auf die anrückenden Alliierten verschossen und durfte sich dann auch zurückziehen, wenn sie noch lebten. "Auf Abstand halten."
Den Rückzug Richtung Alpenfestung ermöglichen.
An manchen Punkten, wo höhere Stäbe und noch Treibstoff vorhanden waren, gab es richtige, teilweise auch erfolgreiche Durchbruchsgefechte, Bad Dürrheim oder Zwiefaltendorf fallen mir als Beispiel ein. Auch um Donaueschingen hat es noch richtig gefunkt, da waren in der Nacht die erobernden Franzosen noch ein paar Stunden von der Wehrmacht eingekesselt. Auch an der Schweizer Grenze zum Kanton Schaffhausen gab es richtig makabre Szenen.
Sonst aber hat sich die Wehrmacht bei jeder sich bietenden Gelegenheit "aufgelöst". Zwischen Ebingen und Riedlingen hat eine einzige franz. Division an einem Tag über 10.000 Gefangene gemacht.

Die Kreisleiter und Ortsgruppenleiter hatten sich den Parteiposten oft als persönliche "Versicherung" gegen die Ostfront verschafft, also eher auch keine Reservehelden. Der Volkssturm hat sich überwiegend aus WKI Teilnehmern rekrutiert, Männer die sehr genau wussten, dass man mit einer alten Flinte keinen modernen Krieg führen kann, und dass es ein Leben nach Hitler gab.

Gegenbeispiel:
Auf den Truppenübungsplatz Heuberg hat sich ein höherer HJ-Führer aus Heilbronn zurückgezogen. Als er hörte, dass in Meßstetten weiße Fahnen gehisst worden waren.
Ein franz. Vorausabteilung aber am Ort vorbeigezogen war,
fuhr er des Nachts mit ein paar Mann nach Meßstetten "Freikorps Adolf Hitler" und erschoss dort den Altbürgermeister und 2 Gemeinderäte.
(Später wurde er ermittelt und sass in Hechingen in U-Haft wo ihm die Flucht gelang, dies also auch straflos blieb)

Fortsetzung folgt

Ja, er wurde tatsächlich niemals wiedergefunden. Südamerika? Legion?

Also weiter.

In Lautlingen hatte der Volkssturm schon demilitarisiert und war nach Hause gegangen.
Die Nachrichft von den Meßstetter Ereignissen verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Meßstetten ist nur wenige Kilometer und ein paar Hundert Höhenmeter entfernt.
"Die wollen die Gräfin holen" hieß es in Lautlingen. Gräfin Stauffenberg, die Mutter der Helden des 20. Juli war wenige Tage zuvor vom Kreisleiter Uhland aus dem Balinger Gefängnis entlassen worden.

Da heben sie in Lautlingen wieder den Volkssturm alarmiert, der die Dorfeingänge besetzte, zum Schutz der Gräfin vor dem Wehrwolf.
So hat die Gräfin Stauffenberg im Schutz von Hakenkreuzarmbinden die letzten Tage des 3. Reiches verbracht.
(23.08.2016 20:55)Triton schrieb: [ -> ]./.

Glaubte man damals wirklich noch an die Existenz einer sogenannten Alpenfestung? Mir ist nämlich auch schon aufgefallen, dass viele hohen Nazis irgendwo auf heute bekannten Alpenhütten gefunden wurden.

./.


Für mich eine der zentralen Fragen für die Wochen der Agonie März-April-Mai 1945:
Warum sind die höheren Chargen immer wieder aus irgendwelchen Einschließungen ausgebrochen, hätten doch ehrenvoll kapitulieren können.
Dass der Krieg unausweichlich verloren war, müsste sich doch bei den höheren am schnellsten rumgesprochen haben.
Alpenfestung - schön und gut, aber dort wäre er ja auch verrloren gewesen, der Krieg.

Waren die zu der Zeit noch der Meinung, bei einer Gesamt-Kapitulation ungeniert nach Hause gehen zu können, wie es in der HLKO, Genfer Konvention etcetera ppa stand?

Eine Frage die mir bis heute noch niemand beantworteten konnte.
(27.08.2016 09:39)Suebe schrieb: [ -> ]Waren die zu der Zeit noch der Meinung, bei einer Gesamt-Kapitulation ungeniert nach Hause gehen zu können, wie es in der HLKO, Genfer Konvention etcetera ppa stand?
Die mit dem halbwegs reinen Gewissen schon. Also die Dönitze oder von Schirachs.

Oder die, die von den Verbrechen der Gegenseite wussten und an den eigenen Straftaten unbeteiligt waren.

Die Alpenfestungsflüchtlinge waren doch die Widerlinge des NS-Regimes, die Streichers, Franks, Kaltenbrunners etc. Von denen konnte man gar nichts erwarten.
Moment,

ich meine was anderes.
Wehrmachtsoffiziere des "Middle Management"
(ich rede hier vom Südwesten, da habe ich Detalkenntnisse, aber anderswo wird es auch nicht anders gewesen sein)
die sind wo noch irgendwas an Sprit und Munition vorhanden war durch die franz. Einschließung gebrochen und quer durch Oberschwaben gen Alpenfestung gezogen.
Das Gebirge haben sie aber in aller Regel nicht erreicht, zuvor war der Sprit dann total aus.

In der Haager Landkriegsordnung steht, dass ein Soldat der bei Ende der Kampfhandlungen sich in Freiheit befindet, ohne weiteres nach Hause gehen kann.
Und vor diesem Hintergrund wäre es überaus interessant zu erfahren, ab wann den Soldaten der Großdeutschen Wehrmacht bekannt war, dass mit dem Ende der Kampfhandlungen definitiv die Kriegsgefangenschaft folgte.
Explizit und unausweichlich.
Das mit der Gefangenschaft wusste doch jeder, aber man wollte lieber in die amerikanische statt in die russische. Und da wäre der Spuk dann schon schnell wieder vorbei.
Und das zu Recht: Was hatte der normale Soldat denn am Ende verbrochen?
(27.08.2016 12:29)Triton schrieb: [ -> ]Das mit der Gefangenschaft wusste doch jeder, aber man wollte lieber in die amerikanische statt in die russische. Und da wäre der Spuk dann schon schnell wieder vorbei.
Und das zu Recht: Was hatte der normale Soldat denn am Ende verbrochen?


woher wusste das ein jeder?
Ich vermute es einfach.
Weil es die Deutschen genauso machten? Für Reparationen schuften? Weil es die Propaganda so verklickerte?

Helmut Schmidt nahm an, dass man die Deutschen nach dem Krieg im besten Fall als Sklaven in Erdlöchern vegetieren lassen wollte und der war bekanntlich nicht auf den Kopf gefallen.
Zu den Alpenfluchten kann ich mir nur denken, dass sich die Betroffenen irgendeine Lösung erhofften, es geisterte doch auch noch das Gespinst herum, die Westalliierten würden sich mit der Wehrmacht zusammentun, um die "mongoloiden" (Patton) Sowjets aus Europa zu vertreiben.
Die Aussagen kenne ich auch.
Andererseits gab es sehr viele, die sich im April 45 auf den Heimweg machten, versuchten sich nach Hause durchzuschlagen.
Ein Tailfinger ist Ende April 45 mit einer Ju 88 auf einer Wiese ein paar Kilometer von des Vaters Haus gelandet, irgendwo bei Nürnberg gestartet und dt. Bodenpersonal und Luftüberwachung beider Seiten genarrt.
Er gedachte so der Gefangennahme zu entgehen.
Ging er halt in franz. statt in US-Gefangenschaft.

Am 7. Mi 45 wurde, ich glaube in Jever, ein Ebinger standrechtlich erschossen, der hatte Tags zuvor seinen Nachtjäger vollgetankt und wollte in die Heimat fliegen. Das Bodenpersonal war zu seinem Pech zu aufmerksam.
Sein Bordschütze, als Befehlsempfänger bekam nur 10 Jahre Zuchthaus verpasst.
(27.08.2016 16:47)Suebe schrieb: [ -> ]Am 7. Mi 45 wurde, ich glaube in Jever, ein Ebinger standrechtlich erschossen, der hatte Tags zuvor seinen Nachtjäger vollgetankt und wollte in die Heimat fliegen. Das Bodenpersonal war zu seinem Pech zu aufmerksam.
Sein Bordschütze, als Befehlsempfänger bekam nur 10 Jahre Zuchthaus verpasst.
Echte Schlaumeier. Jever? Englische Gefangenschaft, die hätte man schon überlebt.

Mir ist noch eingefallen, dass Führer von Kindersoldaten diese oft allein zurückgelassen haben und gestiftet sind. Begründung: Die werden eh gleich nach Hause geschickt, ich nicht!
Also wussten die Älteren schon, dass nichts ist mit einfach Feierabend machen.

Führte dann bekanntlich zu den traurigen Vorfällen mit den Hitlerjungs, die noch sinnlos hops gingen.
(27.08.2016 17:40)Triton schrieb: [ -> ]./.

Mir ist noch eingefallen, dass Führer von Kindersoldaten diese oft allein zurückgelassen haben und gestiftet sind. Begründung: Die werden eh gleich nach Hause geschickt, ich nicht!
Also wussten die Älteren schon, dass nichts ist mit einfach Feierabend machen.

Führte dann bekanntlich zu den traurigen Vorfällen mit den Hitlerjungs, die noch sinnlos hops gingen.

Da hätten wir regional Reutlingen.
Reutlingen wurde französisch besetzt.
Da hat ein Parteiführer dann gemeint noch Ragnarök spielen zu müssen.
Und hat von Pfullingen aus noch mehrere Infanterieangriffe gestartet, die teilweise bis in die Reutlinger Innenstadt vordrangen.
Wehrmacht, Volkssturm und Wehrwölfe. Also mehr oder weniger alles Kindersoldaten.
Bilanz ca. 60 Tote.

Die ganze Sache hatte aber einen weiteren tragischen Nachklapp. Ein franz. Soldat kam bei einem Motorradunfall ums Leben. Die Franzosen sind "durchgedreht" und ließen Geiseln erschießen (das ist aber eine andere Geschichte) ein Schreiner, stadtbekannter Nazigegner, war gerade auf dem Rathaus verhandelte über die Herbeischaffung von Särgen für die toten deutschen Kindersoldaten. Und wurde da zufällig vor Ort als Geisel erschossen.
Der Film "Die Brücke" über solche Ereignisse unterstelle ich als bekannt.

Der Film endet damit, dass die beiden Überlebenden "Kinder" das ankommende Brückensprengkommando verjagen.

Was ein weiteres insgesamt noch viel schlimmeres Detail aus den letzten Kriegswochen anspricht.
Die Wehrwölfe, Hitlerjugend die bei Kämpfen noch ums Leben kamen, sind ein vielgeschildertes Detail, fallen aber "eigentlich" nicht ins Gewicht. Denn es waren wirklich eher Ausnahmen.

Was die Wehrmacht aber in den letzten Wochen an Brücken gesprengt hat, geht auf keine Kuhhaut.
Die hatten noch viel zu viel Sprengstoff.
Unmittelbar nach dem krieg wirkte sich dies aber für die Bevölkerung richtig fürchterlich aus. Nicht nur, dass der Verkehr dadurch vollends unmöglich wurde.
Das Hauptproblem war, dass die ganzen Versorgungsleitungen, Strom, Gas, Wasser, Abwasser auch Telefon an den Brücken befestigt waren, und auf die Art und Weise für Monate ausfielen.
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