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Normale Version: Wie deutsch sind die Schweizer?
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Eine schwierige Frage!

Die Schweizer Eidgenossen fühlten sich bis zum Ausgang des Mittelalters dem Reich zugehörig, was allerdings nicht deckungsgleich mit einer "deutschen Identität" ist. Überhaupt sind solche Vokabeln in dieser Zeit mit Vorsicht zu genießen.

Im Hochmittelalter besaßen die Fürstbischöfe von Basel, Genf und Lausanne Reichsstandschaft und waren somit auf den Reichstagen vertreten, ebenfalls die Reichsabtei St. Gallen oder die Reichsstädte Basel, Bern und Zürich. Um die Gotthardstraße für das Reich zu sichern, kaufte König Heinrich VII. 1231 den Grafen von Habsburg, dem bedeutendsten Dynastengeschlecht, die Leute von Uri ab und versprach ihnen die ewige Reichsunmittelbarkeit. 1240 erlangten die Leute von Schwyz ein ähnliches Privileg von Kaiser Friedrich II.

Als 1291 die drei so genannten Waldstätte auf unbefristete Zeit im Ewigen Bund ein Landfriedensbündnis schlossen, wurde das zur Keimzelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Ab hier ändert sich allmählich das Verhältnis zum Reich, denn die Schweizer Reichsstädte treten ab dem 14. Jh. in das Bündnis ein, der Einfluss eines übergeordneten Reichsvogts schwindet.

Im 15./16. Jh. erreichte die Eidgenossenschaft ungefähr ihren heutigen Umfang, das Verhältnis zum Reich kühlte sich immer mehr ab. Ein letzter Unterwerfungsversuch König Maximilians nach der Nichtanerkennung der Reformbeschlüsse des Wormser Reichstags von 1495 durch die Orte scheiterte im Schwabenkrieg 1499. Der Friede von Basel vom 22.9.1499 besiegelte mit dem Verzicht Maximilians auf alle Hoheitsrechte im Bundesgebiet de facto das Ausscheiden der Schweiz aus dem Reich, auch wenn es völkerrechtlich erst 1648 im Westfälischen Frieden dazu kam.

Dass sich die Schweizer als "Deutsche" gefühlt hätten, scheint mir bis zum 16. Jh. eine anachronistische Sichtweise zu sein, nach der völkerrechtlichen Souveränität 1644 setzte sich die Entwicklung einer besonderen schweizerischen Identität verstärkt fort. Heute fühlen sich die Schweizer als eigene Nation mit Schweizer Identität, auch wenn Schwizerdütsch ein alemannischer Dialekt ist.
(11.10.2016 13:45)Dietrich schrieb: [ -> ]Ein letzter Unterwerfungsversuch König Maximilians nach der Nichtanerkennung der Reformbeschlüsse des Wormser Reichstags von 1495 durch die Orte scheiterte im Schwabenkrieg 1499. Der Friede von Basel vom 22.9.1499 besiegelte mit dem Verzicht Maximilians auf alle Hoheitsrechte im Bundesgebiet de facto das Ausscheiden der Schweiz aus dem Reich, auch wenn es völkerrechtlich erst 1648 im Westfälischen Frieden dazu kam.

Das ist ein Mythos der lange Zeit durch die Schulgeschichtsbücher der Schweiz geisterte und heute noch von den Rechtspopulisten behauptet wird. Der Grund für den Schwabenkrieg/Schweizerkrieg war allerdings nicht die Nichtanerkennung von Reichskammergericht und Reichspfennig (das war nicht obligatorisch), sondern der Streit des mit der Eigenossenschaft verbündeten Bündnissystems der drei Bünde (das heutige Graubünden) mit Habsburg um Grenzgebiete im Tirol. Die Reformbeschlüsse von Worms waren fakultativ, auch Holland hat sie nicht angenommen, ohne dass Maximilian jetzt Anstalten gemacht hätte, diese dort (wo er auch Landesherr war) durchzusetzen.

Die Fehde brach tatsächlich wegen Grenzstreitigkeiten im Tirol aus, und zwar ursprünglich nicht zwischen einer vom Deutschen Reich abfallenden Eigenossenschaft und dem Reich, sondern zwischen der Eidgenossenschaft und den drei Bünden einerseits und dem Schwäbischen Bund andererseits. Als Landesherr von Tirol war Maximilian Mitglied des Schwäbischen Bundes. Da er aber gleichzeitig auch Kaiser war, hatte sich eben die Fehde zwischen Eidgenossenschaft und Schwäbischem Bund zu einem Reichskrieg entwickelt.

Der Verzicht auf "Hoheitsrechte" im Bundesgebiet betraf spezifisch habsburgische Besitzansprüche und tangierte Pflichten gegenüber über dem Reich - und auch die unterschiedlichen, im Laufe der Zeiten erworbenen Privilegien der Reichunmittelbarkeit (die auch viele heutige deutsche Städte besassen) nicht im Mindesten.

Die Eidgenossenschaft war - wie im Übrigen auch das umkämpfte Mailand - nach wie vor Bestandteil des HRR und auch die Eidgenossen fühlten sich nach wie vor dem deutschen Kaisertum verpflichtet. Insbesondere die katholischen Orte in den darauf folgenden Reformationskriegen. Die konfesionelle Parteiennahme innerhalb der Eidgenossenschaft erfolgte entlang der im HRR ausbrechenden Fronten (trotz des Gegensatzes zwischen Luther und Zwingli) - Protestanten und Katholiken. Die Eidgenossenschaft im Ganzen verstand sich dabei immer noch als Teil des HRR.

Das Ganze änderte sich wirklich erst in der Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Es war damals das erste Mal, dass Parteinahme und Zusammengehörigkeitsgefühl sich nicht mehr entlang der Konfessionsgrenze entwickelte, sondern der Status als Mitglied des Bundessystems "Eidgenossenschaft" in das Zentrum gerückt wurde.
(11.10.2016 16:03)Aguyar schrieb: [ -> ]Das Ganze änderte sich wirklich erst in der Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Es war damals das erste Mal, dass Parteinahme und Zusammengehörigkeitsgefühl sich nicht mehr entlang der Konfessionsgrenze entwickelte, sondern der Status als Mitglied des Bundessystems "Eidgenossenschaft" in das Zentrum gerückt wurde.

@ Aguyar
Zunächst besten Dank für die zusätzlichen Infos. Smile

Die Frage ist ja, ob sich die Schweizer jemals als "Deutsche" gefühlt haben. Das muss man meines Erachtens verneinen. Bis zum Beginn der Neuzeit gab es kein ausgeprägtes deutsches Bewusstsein, sicher auch nicht in der Schweiz. Eine in dieser Richtung mögliche Entwicklung unterbrach der Austritt der Eidgenossen aus dem HRR durch den Westfälischen Frieden 1644. Damit nahm die Eidgenossenschaft eine ähnliche Entwicklung wie die Niederlande, die überhaupt hinsichtlich einer vom Deutschtum und HRR abgespaltenen Identität mit den Schweizern vergleichbar sind.

Das Wachsen einer spezifisch schweizerischen Identität ist ein langsamer Prozess, dessen Anfang sich nicht genau bestimmen lässt.
Die Schweizerdeutschen Auswanderer verbanden sich im Ausland mit den anderen deutschen Auswanderern z.B. in Russland. Die staatliche Identifikation verlor an Bedeutung, gegenüber der sprachlich-kulturellen Identifikation. Es ist mir oft passiert, das ich Niederländer/Flamen, Schweizerdeutsche für normale Bundesdeutsche gehalten habe.
(11.10.2016 16:16)Dietrich schrieb: [ -> ]Die Frage ist ja, ob sich die Schweizer jemals als "Deutsche" gefühlt haben. Das muss man meines Erachtens verneinen. Bis zum Beginn der Neuzeit gab es kein ausgeprägtes deutsches Bewusstsein, sicher auch nicht in der Schweiz. Eine in dieser Richtung mögliche Entwicklung unterbrach der Austritt der Eidgenossen aus dem HRR durch den Westfälischen Frieden 1644. Damit nahm die Eidgenossenschaft eine ähnliche Entwicklung wie die Niederlande, die überhaupt hinsichtlich einer vom Deutschtum und HRR abgespaltenen Identität mit den Schweizern vergleichbar sind.

Das Wachsen einer spezifisch schweizerischen Identität ist ein langsamer Prozess, dessen Anfang sich nicht genau bestimmen lässt.

Das Wachsen eines nationalen Bewusstseins, egal ob dieses jetzt deutsch, italienisch, französisch, etc... war, geschah doch erst im 19.Jh.

Die Schweizer hatten zu diesem Zeitpunkt aber längst eine stark gefestigte eigene Identität. Die Schweiz war im Gegensatz zur Donaumonarchie kein "Völkerkerker" und hatte nicht gegen innnerstaatliche Zentrifugalkräfte zu kämpfen, im Gegenteil.

Die Welt wurde im 19. Jh. durch diverse Entwicklungen (Dampfmaschine, Aufklärung, Verbeitung von Zeitungen, Alphabetisierung....) "kleiner". Man bekam auch zunehmend mit, was sich außerhalb der umgebenden Dörfer abspielte.
Das schaffte eine Basis für ein breiteres Zugehörigkeitsgefühl, das an die gemeinsame Sprache gekoppelt war.
Zudem hatte sich ein breites, aufgeklärtes Bürgertum gebildet, für das die religiöse Komponente nicht mehr dieselbe Priorität hatte, wie es die letzten Jahrhunderte in der Obeschicht des HRR der Fall gewesen war. Somit war Platz für etwas Neues: Den Nationalstaat. Das Bürgertum war der wichtigste Träger des Nationalstaatsgedanken.

Im Gegensatz zu anderen europäischen Nationen haben sich die Deutschen aber mit der Nationalstaatsbildung - aus einer Vielzahl von Gründen - besonders schwer getan. Viel schwerer als andere europäische Nationen.
Wohin die Großdeutsche Lösung letztendlich führte, weiß man ja. Wobei - und das möchte ich betonen- die Großdeutsche Lösung unter anderen politischen Vorzeichen auch friedlich und für alle Beteiligten positiv hätte ausgehen können. Letztendlich hatte Europa von 1949 bis 1989 sechs (!) Staaten, die ursprünglich zur deutschen Kulturnation zählten: BRD, DDR, Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Luxemburg.

Aber nicht mal Hitler wollte die Deutschschweiz dem Großdeutschen Reich einverleiben, geschweige denn Bismarck.
Als Bismarck 1871 mit Hängen und Würgen die Kleindeutsche Lösung verwirklichen konnte, stand nicht mal Deutschösterreich zur Debatte. Obwohl sich die Deutschösterreicher im Gegensatz zu den Deutschschweizern eindeutig als Bestandteil der Deutschen Kulturnation sahen. Das änderte sich nach 1945 rapide.
Für die Schweizer war 1648 das Jahr der entgültigen Abnabelung von Deutschland (HRR), für Österreich 1945.
Auch die Schweiz ist, so wie wir sie kennen, erst im 19. Jahrhundert entstanden.
1848 hatten sie noch einen solenen Bürgerkrieg. Auch mit den Preussen haben sie zdZ fast noch die "Waffen gekreuzt". Die deutschen 48er Flüchtlinge in der Schweiz mussten sich für den Fall eines "preußischen Krieges" verpflichten Militärdienst zu leisten.
Bei Gottfried Keller ist zu den Innerschweizer "Kleinkriegen" dieser Zeit etliches zu lesen.

Überhaupt hat die Schweiz auch unter Religionsstreitigkeiten noch bis in die jüngste Zeit gelitten.
Vielleicht ist dem einen oder anderen hier ja bekannt warum es zB zwei Basel gibt.

Dann ist der 3nd Titel hier natürlich noch missverständlich, die Welschschweizer sprechen nicht mal einen deutschen Dialekt.
(11.10.2016 19:08)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Das Wachsen eines nationalen Bewusstseis, egal ob dieses jetzt deutsch, italienisch, französisch, etc... war, geschah doch erst im 19.Jh.

Auf die Nationalstaatsbildung trifft das sicher zu.

Ich sprach aber vom Wachsen einer spezifisch schweizerischen Identität, d.h. ein Bewusstsein, das sich von einer "deutschen Identität" abgespalten hatte. Denn eins ist klar: Seit der Neuzeit fühlten sich Menschen als Franzosen, Russen, Engländer oder auch Deutsche. Die Schriftquellen sprechen da eine eindeutige Sprache.
(11.10.2016 19:36)Dietrich schrieb: [ -> ]
(11.10.2016 19:08)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Das Wachsen eines nationalen Bewusstseis, egal ob dieses jetzt deutsch, italienisch, französisch, etc... war, geschah doch erst im 19.Jh.
[...] Denn eins ist klar: Seit der Neuzeit fühlten sich Menschen als Franzosen, Russen, Engländer oder auch Deutsche. Die Schriftquellen sprechen da eine eindeutige Sprache.

Nur wie stark war dieses nationale Zugehörigkeitsgefühl?

Anscheinend nicht sonderlich, sonst wäre es nicht durch die religiöse Komponente (Z.B. 30-jähriger Krieg) bzw durch die Loyalität zu best. Herrscherhäusern marginalisiert worden.
Beispiele:
Der deutsche Rheinbund war Frankreichs Verbündeter und kämpfte an dessen Seite gegen Peußische Landsleute.
Selbst 1866 schossen noch Deutsche auf Deutsche in der Schlacht von Königgrätz.

Im 1. WK hatte Österreich jedoch Probleme, da Slawen nicht motiviert waren, gegen Slawen zu kämpfen, sondern lieber mit fliegenden Fahen die Seiten wechselten.

Es hat ja z.B. seine Gründe, warum die Donaumonarchie Mitte des 19. Jahrhunderts Probleme mit seinen Nationalitäten bekam und nicht schon 100 oder 200 Jahre davor.

Diese Beispiele zeigen ganz deutlich eine entscheidende Entwicklung bzw. Veränderung der nationalen Identität zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert.
(11.10.2016 16:16)Dietrich schrieb: [ -> ]Zunächst besten Dank für die zusätzlichen Infos. Smile

Die Frage ist ja, ob sich die Schweizer jemals als "Deutsche" gefühlt haben. Das muss man meines Erachtens verneinen. Bis zum Beginn der Neuzeit gab es kein ausgeprägtes deutsches Bewusstsein, sicher auch nicht in der Schweiz. Eine in dieser Richtung mögliche Entwicklung unterbrach der Austritt der Eidgenossen aus dem HRR durch den Westfälischen Frieden 1644. Damit nahm die Eidgenossenschaft eine ähnliche Entwicklung wie die Niederlande, die überhaupt hinsichtlich einer vom Deutschtum und HRR abgespaltenen Identität mit den Schweizern vergleichbar sind.

Das Wachsen einer spezifisch schweizerischen Identität ist ein langsamer Prozess, dessen Anfang sich nicht genau bestimmen lässt.

Deine Einschätzung, dass sich die Schweizer nie als Deutsche gefühlt haben, teile ich, insbesondere schon wegen der Existenz von Welschschweizern und Tessinern. Das im Mittelalter und auch noch in der frühen Neuzeit sich auch Deutsche nicht als Deutsche gefühlt haben, würde ich auch unterschreiben - das Zugehörigkeitsgefühl war noch mittelalterlich und damit ständisch, nicht national geprägt. Auch unmittelbar vor der Dreissigjährigen Krieg waren nationalen Ideen noch kaum präsent, die diesbezüglichen Befindlichkeiten deckten sich noch weitgehend mit der konfessionellen Zugehörigkeit.

Geprägt wurde das Schweizer Nationaldenken in der Folge - vor allem zur Zeit Napoleons - durch die vier Landessprachen, welche bei der deutschschweizer Mehrheit das Aufkommen eines "deutschen Nationalgefühls" weitgehend verhinderten. So ist es auch zu Verstehen, dass, zum Mindesten in meiner Jungdzeit, die Schweiz als "Willensnation" bezeichnet wurde (im Gegensatz zur etnischen oder sprachlichen Nation).
Dennoch gab es epochenweise gelegentlich durchaus Minderheiten, die so etwas wie ein deutsches Nationalgefühl entwickelten. Vor allem zur Nazizeit gab es einige Schweizer (nur Deutschschweizer wohlverstanden), die einen Anschluss an Grossdeutschland durchaus befürworteten und die sich als Deutsche oder wahlweise auch als "Germanen" fühlten. Im Volksmund wurden diese Gruppen meist als "Fröntler" (von Front) bezeichnet. Nicht zuletzt deshalb wurde während des 2. Weltkriegs auch ein Welschschweizer und nicht ein Deutschschweizer zum General erannt. (Die Schweiz hat nur einen General, und dies auch nur während Kriegszeiten oder Zeiten mit ausgeprägter militär. Bedrohung).
(11.10.2016 19:26)Suebe schrieb: [ -> ]Auch die Schweiz ist, so wie wir sie kennen, erst im 19. Jahrhundert entstanden.
1848 hatten sie noch einen solenen Bürgerkrieg. Auch mit den Preussen haben sie zdZ fast noch die "Waffen gekreuzt". Die deutschen 48er Flüchtlinge in der Schweiz mussten sich für den Fall eines "preußischen Krieges" verpflichten Militärdienst zu leisten.
Bei Gottfried Keller ist zu den Innerschweizer "Kleinkriegen" dieser Zeit etliches zu lesen.

Überhaupt hat die Schweiz auch unter Religionsstreitigkeiten noch bis in die jüngste Zeit gelitten.
Vielleicht ist dem einen oder anderen hier ja bekannt warum es zB zwei Basel gibt.

Dann ist der 3nd Titel hier natürlich noch missverständlich, die Welschschweizer sprechen nicht mal einen deutschen Dialekt.

Das ist alles richtig. Die Schweiz entstand erst 1848, auch wenn das hier bei uns Einige nicht warhaben wollen. Und auch die regliösen Kriege und Auseinandersetzungen bewegten sich alle auf europäischem Niveau.

Bei den von Dir resp. von Keller zitierten "Kleinkriegen" handelt es sich um sogenannte "Freischarenzüge" der radikalen Liberalen, welche letztendlich massgeblich für die Entstehung der Schweiz von 1848 waren. Dafür mussten die Liberalen aber vorher noch den ebenfalls von Dir zitierten Bürgerkrieg gegen die "Konservativen" (deckungsgleich mit den katholischen Orte) gewinnen. Dieser Bürgerkrieg ist in der hist. Lektüre unter dem Begriff "Sonderbundskrieg" zu finden - der Name bezieht sich auf den Umstand, dass sich katholischen/konservativen Orte mit dem mittelalterlichen "Erzfeind" Habsburg (also Österreich) verbündet hatten.

Der von Dir erwähnte Konflikt mit Preussen ist als sogenannter "Neuenburger Handel" in die Geschichte eingegangen, wobei es um die Zugehörigkeit von Neuenburg, franz. Neuchâtel, ging. Neuenburg war seit dem Spätmittelalter ein Verbündeter der Eidgenossenschaft und im 19. Jahrhundert ein Kanton der Schweiz, gleichzeitig aber auch ein preussisches Fürstentum - die Hohenzollern hatten dieses durch Einheirat irgendwann einmal geerbt (müsste ich jetzt nachsehen, wann das war).

Was aber die Trennung von Basel angeht, so bist Du auf dem Holzweg. Dies war kein religöser Konflikt, denn beide Teile waren reformiert resp. protestantisch. Es war ein eigentlicher Konflikt zwischen Stadt und Land. Die Bewohner der Landschaft fühlten sich in der Regierung untervertreten (was sie auch waren, denn aufgrund der Bevölkerungsanzahl hätten sie die Mehrheit im Rat einnehmen müssen). Zudem wurden die Bewohner der Landschaft in einzelnen Bereichen diskriminiert (welche das im Einzelnen waren, ist mir aber momentan nicht präsent). Hinzu kam, das ein Grossteil der Landschäftler strikte Liberale und Radikale waren, während die städtische Regierungsmehrheit ehre patrizial-monarchistisch eingestellt war (schon aus partikalren Intressen).
(11.10.2016 20:48)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Nur wie stark war dieses nationale Zugehörigkeitsgefühl?

Anscheinend nicht sonderlich, sonst wäre es nicht durch die religiöse Komponente (Z.B. 30-jähriger Krieg) bzw durch die Loyalität zu best. Herrscherhäusern marginalisiert worden.

Es hat ja z.B. seine Gründe, warum die Donaumonarchie Mitte des 19. Jahrhunderts Probleme mit seinen Nationalitäten bekam und nicht schon 100 oder 200 Jahre davor.

Gut erkannt. Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass ich als bekennender Linker in einem Forum einem Rechten bei der Beurteilung historischer Gegebenheiten einmal Recht geben würde.

(11.10.2016 20:48)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Diese Beispiele zeigen ganz deutlich eine entscheidende Entwicklung bzw. Veränderung der nationalen Identität zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert.

Hier würde ich allerdings weitergehen und die für das "nation building" entscheidende Epoche zwischen das 18. und 19. Jahrhundert verkürzen. Vor allem das 16. Jahrhundert war m.E. in seiner Gefühlswelt noch ziemlich mittelalterlich und zudem noch stark konfessionell geprägt.

Die Vorläufer des Nationalsgedankes tauchen, so meine ich, erst im 18. Jahrundert auf, und zwar mit der Aufklärung und deren Folgen wie die Französische Revolution (auf welcher die späteren nationalen bürgerl. Bestrebungen ideel aufbauten) und die Gründung der USA (der erste nicht feudale Staat der Neuzeit).
(11.10.2016 19:08)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Aber nicht mal Hitler wollte die Deutschschweiz dem Großdeutschen Reich einverleiben, geschweige denn Bismarck.

Bismarck bestimmt nicht, Hitler aber schon, wenn dies auch nicht sehr hoch auf seiner Prioritätenliste gestanden hat. Dabei wäre es aber tatsächlich nur um die Deutschschweiz gegeangen. In einem deutschen Geographie-Schulbuch jener Zeit wurde jedenfalls als höchster Berg Deutschlands das Finsteraarhorn (4200 m.) im Berner Oberland angegeben. Also wollte Hitler nich einmal das Wallis (mit der Dufourspitze 4600 m. als höchsten Berg der Schweiz), obwohl der Kanton zu rund einem Drittel deutschsprachig ist.
(12.10.2016 12:46)Aguyar schrieb: [ -> ]
(11.10.2016 19:08)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Aber nicht mal Hitler wollte die Deutschschweiz dem Großdeutschen Reich einverleiben, geschweige denn Bismarck.

Bismarck bestimmt nicht, Hitler aber schon, wenn dies auch nicht sehr hoch auf seiner Prioritätenliste gestanden hat. Dabei wäre es aber tatsächlich nur um die Deutschschweiz gegeangen. In einem deutschen Geographie-Schulbuch jener Zeit wurde jedenfalls als höchster Berg Deutschlands das Finsteraarhorn (4200 m.) im Berner Oberland angegeben. Also wollte Hitler nich einmal das Wallis (mit der Dufourspitze 4600 m. als höchsten Berg der Schweiz), obwohl der Kanton zu rund einem Drittel deutschsprachig ist.

Das mit der Dufourspitze war sicherlich nur ein Versehen im Verlag. Hitler wollte wohl über die Schweiz noch einige Geschäfte mit der Außenwelt abwickeln. Er hat viele opportunistische Entscheidungen getroffen.
(11.10.2016 20:48)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Nur wie stark war dieses nationale Zugehörigkeitsgefühl?

In Frankreich oder England sicher stärker als in Deutschland. Das hängt natürlich mit den unzähligen absolutistischen Kleinstaaten im HRR zusammen. Dort war der Landesfürst die Obrigkeit und von ihm hingen Wohl und Wehe seiner Landeskinder ab. Erst nachdem sich einer als Hesse, Bayer, Schwarzburger, Waldecker, Schaumburger oder Nssauer identifiziert hatte, war er in zweiter Linie Deutscher. Das war in zentralistischen Staaten wie England, Frankreich, Russland oder Spanien anders, obwohl natürlich auch dort landsmannschaftliche Traditionen gepflegt wurden.

(11.10.2016 20:48)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Selbst 1866 schossen noch Deutsche auf Deutsche in der Schlacht von Königgrätz.

Sie mögen aufeinander geschossen haben - aber eine deutsche Identität hatten sie sicherlich. Und darum geht es hier.

(11.10.2016 20:48)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Es hat ja z.B. seine Gründe, warum die Donaumonarchie Mitte des 19. Jahrhunderts Probleme mit seinen Nationalitäten bekam und nicht schon 100 oder 200 Jahre davor.

Das 19. Jh. war das Jahrhundert der erwachenden Nationastaaten. Das heißt aber nicht, dass sich Menschen auch zuvor schon als Franzosen, Spanier, Engländer oder Deutsche fühlten. Alle Quellen zeigen, dass daran kein Zweifel bestehen kann.
Es ist doch sehr verbreitet, das ein Mensch verschiedene Identitäten hat, das z.B. seine Sprachnation nicht in einem Staat vereint ist. Sie können mehrsprachig und von verschiedener Abstammung sein. Er kann zu einer Minderheit o. zur Mehrheit unter bestimmten Gesichtspunkten gehören. Staatsangehörigkeit und Religion sind weitere Identifikationsmerkmale. Im Augenblich definieren sich mehrere südslawische Bevölkerungen über die Religion als Nation. Das kann in 100 Jahren wieder anders sein. Religion ist in Deutschland kein Aspekt von Nation o. Volk. Amerikaner haben ein Staatsbewußtsein und oft auch ein starkes Herkunftsbewußtsein. Sie definieren sich oft auch über die Abstammung, selbst wenn sie die Sprache ihrer Vorfahren nicht mehr sprechen. Viele Menschen, deren Eltern/Großeltern aus der Türkei nach Deutschland kamen, haben auch eine starke Abstammungsidentifikation, die wohl auch stärker ist, als ihre Identifikation mit Deutschland.
(12.10.2016 12:16)Aguyar schrieb: [ -> ]
(11.10.2016 20:48)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Nur wie stark war dieses nationale Zugehörigkeitsgefühl?

Anscheinend nicht sonderlich, sonst wäre es nicht durch die religiöse Komponente (Z.B. 30-jähriger Krieg) bzw durch die Loyalität zu best. Herrscherhäusern marginalisiert worden.

Es hat ja z.B. seine Gründe, warum die Donaumonarchie Mitte des 19. Jahrhunderts Probleme mit seinen Nationalitäten bekam und nicht schon 100 oder 200 Jahre davor.

Gut erkannt. Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass ich als bekennender Linker in einem Forum einem Rechten bei der Beurteilung historischer Gegebenheiten einmal Recht geben würde.

Ist mir umgekehrt auch schon ein paar Mal passiert.Wink
(12.10.2016 15:21)Dietrich schrieb: [ -> ]
(11.10.2016 20:48)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Es hat ja z.B. seine Gründe, warum die Donaumonarchie Mitte des 19. Jahrhunderts Probleme mit seinen Nationalitäten bekam und nicht schon 100 oder 200 Jahre davor.

Das 19. Jh. war das Jahrhundert der erwachenden Nationastaaten. Das heißt aber nicht, dass sich Menschen auch zuvor schon als Franzosen, Spanier, Engländer oder Deutsche fühlten. Alle Quellen zeigen, dass daran kein Zweifel bestehen kann.

Das hab ich ja auch nicht in Abrede gestellt.
Nur war dieses nationale Bewusstsein offensichtlich erst ca. ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. so ausgeprägt, dass es auch politisch wirklich relevant geworden war. Davor wurden Landstriche zwischen Herrschern hin und her gereicht, ohne dass die Nationalität der betroffenen Bevölkerung eine große Rolle gespielt hätte.

Mir ist auch ad hoc kein Fall bekannt, dass es etwas Ähliches wie z.B. die Magyarisierungspolitik der Ungarn nach dem Ausgleich von 1867 bereits im 17. oder 18. Jahrhundert gegeben hätte.
(14.10.2016 05:50)Titus Feuerfuchs schrieb: [ -> ]Mir ist auch ad hoc kein Fall bekannt, dass es etwas Ähliches wie z.B. die Magyarisierungspolitik der Ungarn nach dem Ausgleich von 1867 bereits im 17. oder 18. Jahrhundert gegeben hätte.

Das Streben nach Staaten mit ethnisch homogener Bevölkerung ist ein Kind des 19. und 20. Jh. Mächtige Staaten wie Russland, das Osmanische Reich, das Heilige Römische Reich und die Donaumonarchie waren Vielvölkerstaaten mit einer bunten ethnischen Vielfalt. Diese Vielvölkerstaaten verschwanden alle von der Landkarte, als letzter in Europa Jugoslawien, wo es zu ethnischen Ausrottungsversuchen kam.

Allerdings gibt es bis heute ethnische Minderheiten in zahlreichen Nationastaaten. Das führt häufig zu Problemen wie bei den Katalanen und Basken in Spanien, aber auch zu gelungenen Symbiosen wie bei den Sorben in Deutschland, den Schotten und Iren im UK oder den vier Volksgruppen in der Schweiz. Die Türkei hingegegen ist gewaltsam auf einen ethnisch homogenen Staat aus, nachdem sie (bzw das Osmanische Reich) erst die Armenier zu hunderttausenden umkommen ließ, 1923 etwa 1,1 Millionen Griechen auswies und nun die Kurden mit allen Mitteln bekämpft.
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