Braucht man heute ein neues Ausweispapier, muss man neue Passbilder haben.
Lässt man die anfertigen, habe zumindest ich ein Problem.
Man darf nicht in die Linse grinsen.
Nun hat man einem seit dem Säuglingsalter beigebracht, so bald so ein Fotografierkasten irgenwo auftaucht, hat man zu grinsen.....
Schaut man sich alte Fotografien an, 90 Jahre aufwärts, fällt einem auf, dass eigentlich nur Kinder lächeln.
Die Erwachsenen schauen überaus ernst.
Da muss irgendwo zwischen 1920 und 1930 eine kulturelle Revolution stattgefunden haben.
Seither wird gelächelt, vorher wurde nicht gelächelt.
Hat eine/r der Mitstreiter/innen hierzu irgendwelche Infos, oder Vermutungen?
Stimmt, auf alten Bilder sehen die Ahnen aus wie gemalt. Im Sonntagsstaat mitsamt Eisernem Kreuz...
Ich könnte mir vorstellen, dass das mit der Tugend der Disziplin zu tun hatte. Fotografien waren früher sehr teuer und etwas ganz besonderes, und der lachende Mensch war nicht das Ideal dieser Zeit. Tüchtigkeit, Disziplin und Selbstbeherrschung waren gefragt. Wenn ich mich so an Erzählungen meiner Großtante erinnere, galt ein Mädchen, das viel lachte, als liederlich und ein Mann, der viel lachte, als Halodrian...
Aber bist du dir sicher, was die Zeit anbetrifft? Ich habe mir die alten Bilder meiner Familie angesehen, und abgesehen von Brautleuten auf ihren Hochzeitsfotos lächelt keiner. Als der älteste Bruder meiner Mutter geheiratet hat, gab es ein Familienfoto mit ungefähr 25 Personen. Die einzigen, die lächeln, sind die Brautleute und die Kinder. Alle anderen nicht. Und Großonkel Theo mit seiner Hakenkreuzbinde lächelt nicht mal auf dem Hochzeitsfoto...
Wenn ich mir die Erziehungsbücher aus dieser Zeit durchlese, wundert es mich allerdings, dass tatsächlich noch die Kinder lächeln...
Ich kann mir vorstellen, das Bunbury den Kern getroffen hat. Doch denke ich mir auch, das es eine extrem schlimme Zeit war, besonders in der Zeit des I. WK. Die Menschen hatten viele Sorgen und Nöte, die sie nicht so einfach seelisch abbauten und daher auch kaum lächelten bzw. lachten.
(07.12.2016 20:41)Bunbury schrieb: [ -> ]Fotografien waren früher sehr teuer und etwas ganz besonderes, und der lachende Mensch war nicht das Ideal dieser Zeit.
Ach, unsere Vorfahren werden genauso gelacht haben wie wir, glaubst Du nicht auch?
Aber der erste Teil des Satzes trifft wohl voll zu. Ich meine: Wieviele Fotos von den Menschen bis zum 1.Weltkrieg und früher gab es? Man zog den guten Anzug/das beste Kleid an, die Kosten, der Aufwand und man schoß auch noch keine Fotoserien, in der man verschiedene Fratzen austesten konnte.
Im dritten Reich verlangte wohl vor allem der Adolf gerne beinahe schon an Albernheit grenzende gute Laune in den Wochenschauen. Also zumindest da war der lächelnde Mensch nicht mehr verpönt.
In einem Buch über die Industrialiesierung bei mir ums Eck, sind jede Menge "Belegschaftsfotos" aus den 1860-70-80er Jahren abgebildet, wenn da mal zufällig ein Kind, oder auch Lehrlinge mit auf dem Foto sind, lächeln die, zumindest manchmal.
Die Erwachsenen ernst wie auf einer Beerdigung.
Das habe ich sodann mit Familienfotos abgeglichen, dito.
Nur die Kinder lächeln darauf seltener, waren wohl knapper an der Kandare.
(07.12.2016 21:05)Triton schrieb: [ -> ]Ach, unsere Vorfahren werden genauso gelacht haben wie wir, glaubst Du nicht auch?
Nein, glaube ich nicht.
Ich glaube zwar durchaus, dass das Lachen ein Grundbedürfnis des Menschen ist und jeder es gerne tut, wenn man ihn läßt. Und es gab mit Sicherheit Zeiten, in denen die Menschen herzhaft gelacht haben und das auch genossen haben.
Aber zumindest in steng protestantischen Gemeinden war das Lachen zeitweise verpönt. Und man kann Menschen durchaus konditionieren, dass sie sich das Lachen gewissermaßen "abgewöhnen".
Ich kann mich darüber hinaus noch an die blöden Sprüche meiner Tante erinnern (die wesentlich älter war als meine Mutter), dass ich als Mädchen nicht laut lachen dürfe... weil anständige Mädchen das nun mal nicht tun...
Auch heute noch begegnet mir immer wieder die Auffassung, das laut lachende Frauen ordinär und vulgär sind.
Das gewzungene Lächeln für den Anschein ist dagegen aber heute ein Muss...
Ich las mal, ich weiß nicht mehr wo
, dass die ersten US-Delegationen 41-42 in Russland, den Sowjets, ihren Verhandlungspartnern, wie "grinsende Affen" vorgekommen wären.
Den Russen das US-Amerikanische Dauergrinsen auf den Geist gegangenwäre.
Aber, wenn ich das richtig überlege, hat Triton schon recht, das "Foto-Grinsen" ist in Deutschland älter. Vermutlich schon 20er.
Könnte das damit zusammenhängen, dass immer mehr Linsen auf die Gesichter gerichtet wurden, kein Fotografenbesuch, gewaschen und gestriegelt bis zur Unkenntlichkeit der Ablichtung mehr zuvorging?
Meinst du wirklich? Gab es früher schon "Amateur- Fotografen"? Die Fotografen kamen zwar vielleicht irgendwann ins Haus und man mußte nicht mehr hingehen, aber ich denke, bis zu den 50 er Jahren war es immer mit Kosten verbunden, wenn der Fotograf kam.
Aber mir fällt gerade noch ein anderer möglicher Zusammenhang mit dem Lächeln ein- meine Großmutter lächelte auf Fotos wahrscheinlich einfach deshalb nie, weil sie im Oberkiefer kaum noch Zähne hatte.
Hast du den Zusammenhang mal überprüft? Kronen und Zahnersatz- wann kam das auf? Wann konnte man das Lächeln überhaupt zeigen?
Und wer sich einen Fotografen leisten konnte, der konnte sich wohl auch falsche Zähne leisten...
(08.12.2016 13:39)Bunbury schrieb: [ -> ]Meinst du wirklich? Gab es früher schon "Amateur- Fotografen"? Die Fotografen kamen zwar vielleicht irgendwann ins Haus und man mußte nicht mehr hingehen, aber ich denke, bis zu den 50 er Jahren war es immer mit Kosten verbunden, wenn der Fotograf kam.
Das Fotografieren war bis zur Digital-Fotografie immer mit ganz schönen Kosten belastet.
Aber dank Eastman vulgo Kodak gab es relativ früh schon Apparate für den interessierten Amateur.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kodak
aus dem link
Zitat:Ein Werbeslogan aus Kodak-Box-Zeiten war „You press the button – we do the rest“ („Sie drücken auf den Knopf, wir erledigen den Rest“). Das Unternehmen beteiligt sich am Sponsoring von Fotowettbewerben, Fotoprojekten und Stipendien für angehende Fotografen.
Kodak stellte Rollfilme und ab 1888 auch industriell gefertigte Fotoapparate her, darunter die Kodak Nr. 1, den Brownie sowie später die Instamatic, die auch von Amateuren einfach bedient werden konnte; Kodak machte so die Fotografie in den USA zu einer populären Freizeitbeschäftigung.
In den 50ern war Fotografieren zeitweilig, noch vor dem Auto, des Deutschen liebste Freizeitbeschäftigung. Blenden, Verschlusszeiten und Lichtstärke waren beliebte Stammtischthemen (kann man sich fast nicht mehr vorstelle, war aber so)
Zitat:Aber mir fällt gerade noch ein anderer möglicher Zusammenhang mit dem Lächeln ein- meine Großmutter lächelte auf Fotos wahrscheinlich einfach deshalb nie, weil sie im Oberkiefer kaum noch Zähne hatte.
Hast du den Zusammenhang mal überprüft? Kronen und Zahnersatz- wann kam das auf? Wann konnte man das Lächeln überhaupt zeigen?
Und wer sich einen Fotografen leisten konnte, der konnte sich wohl auch falsche Zähne leisten...
Daran habe ich zuvor auch gedacht, mindestens kann ich mich an eine Bemerkung einer meiner Schwestern erinnern, die Angesichts des verschämten Grinsen mit geschlossenem Mund (auf nem Foto) einer längst verstorbenen Großtante meine, "die hat keinen einzigen ganzen Zahn im Mund gehabt"
... "aber sowas von einem ungewaschen Maulwerk"
......
Ich kannte die Dame nicht mehr.
Also auch das wird ein Grund gewesen sein.
(08.12.2016 12:57)Suebe schrieb: [ -> ]Den Russen das US-Amerikanische Dauergrinsen auf den Geist gegangenwäre.
Von den Amerikanern stammt auch die Erfindung des
CHEEEEEESE, um aus einem neutralen einen grinsenden Ausdruck zu machen. Übrigens, das nur am Rande, erkennt man so ganz genau, ob ein Foto mit Amis drauf gestellt ist oder nicht. Denn der Cheese-Mund und dann auch noch bei mehreren Personen, formt ja nun mal eine eher ungewöhnliche Visage.
Achja, General Patton revanchierte sich für die "grinsenden Affen" mit "mongoloiden Russen".
Meine Mutter, in der Weimarer Republik geboren, hasste ungestellte Bilder. Wenn man (ich) einfach auf den Auslöser drückte, brachte sie das auf die Palme. Bei einem Foto hatte man sich gefälligst von seiner Schokoladenseite zu zeigen und zum Beispiel frontal vor dem Fotografen aufzubauen. Bei uns liegen immer noch Fotoalben mit Unmengen dieser gestellten Szenerien herum. Auch die Geschichte mit dem Stammtischthema Fotographie stimmt auf jeden Fall, man war damals in der Wirtschaftswunderzeit auch bereit, viel Geld dafür auszugeben. Mein Onkel kaufte sich zum Beispiel, es muss so um 1960 gewesen sein, eine der ersten Polaroidkameras und war damit immer im Mittelpunkt des Interesses. Das Ding hat wohl ein kleines Vermögen gekostet und ein Bild dürfte nach Kaufkraft gerechnet so teuer gewesen sein wie heute die billigsten Kameras. Die Bilder waren von unterirdischer Qualität, aber das störte scheinbar niemand.
Ja, so Anfang der 50 er Jahre hätte ich auch gedacht, dass die ersten Freizeitfotografen auf den Plan traten. Ich erinnere mich daran, dass mein Onkel geschätzte 100.000 Dias angefertigt hat. Mein Vater hatte dann auch eine Polaroid, die war natürlich "besser"...
Ich hatte dann eine kleine Kodak Pocket Kamera in der Mittelstufe und wurde damit zum Klassenfotografen...
Das war Zeitweise auch ein Statussymbol, wenn ich mich recht erinnere. "Ja schau mal, wir machen Fotos von jeder Feier, und die Meyers von gegenüber können sich das nur an Weihnachten leisten". oder so ungefähr.
Seltsame Vorstellung, dass der Fotoapparat mal irgendwann das Alter ego zum Tablet war...
Bei der kurzen Durchsicht alter Familienaufnahmen (1900-1920) ist mir noch etwas anderes aufgefallen.
Die meisten Aufnahmen waren ja im Fotostudio, frisch gewaschen, gekämmt, usw. Gesichter wie drei Tage Regenwetter.
aber einige Aufnahmen sind anders. Die Leute stehen vor ihren Häusern, oder schauen aus dem Fenster. Diese Aufnahmen scheinen aber nur zum Teil gestellt zu sein, die Frauen tragen Schürzen die Männer ihre Arbeitskleidung, haben auch mal einen Hammer oder ein anderes Werkzeug in der Hand.
Und auf diesen Aufnahmen wird tatsächlich hin und wieder gelächelt.
... weil den Leuten nicht bewußt war, dass sie fotografiert wurden?
(08.12.2016 21:42)Bunbury schrieb: [ -> ]... weil den Leuten nicht bewußt war, dass sie fotografiert wurden?
doch, das war ihnen den Bildern nach schon bewusst.
Sie schauen zum Fotografen, haben anscheinend ihre augenblickliche Tätigkeit unterbrochen.
Ich vermute mal, die Fotografen, waren ja zu der Zeit alles "Profis", haben davon gelebt, sind, wenn im Studio nichts los war, durch die Lande gezogen und haben die Leute vor ihren Häusern abgelichtet, und vermutlich anschließden versucht, denen die Bilder zu verkaufen.
Da gibt/gab es bei uns eine "Nachbarstadt-Neckerei" deren Hintergrund ich nie verstand.
Dem Sinn nach:
"Wenn du bei einem gewitter durch X-Stadt kommst, wirst du dich wundern, bei jedem Blitz reißen sie die Fenster auf, und schauen raus.
Die Dackel denken sie werden fotografiert."
Erst heute, jetzt und hier, wird es mir klar.
Das hängt mit Sicherheit mit diesen "vor dem Haus-Bildern" zusammen.
Ich danke Euch, Kolleginnen und Kollegen!
(07.12.2016 20:41)Bunbury schrieb: [ -> ]Ich könnte mir vorstellen, dass das mit der Tugend der Disziplin zu tun hatte. Fotografien waren früher sehr teuer und etwas ganz besonderes, und der lachende Mensch war nicht das Ideal dieser Zeit. Tüchtigkeit, Disziplin und Selbstbeherrschung waren gefragt. Wenn ich mich so an Erzählungen meiner Großtante erinnere, galt ein Mädchen, das viel lachte, als liederlich und ein Mann, der viel lachte, als Halodrian...
Aber bist du dir sicher, was die Zeit anbetrifft? Ich habe mir die alten Bilder meiner Familie angesehen, und abgesehen von Brautleuten auf ihren Hochzeitsfotos lächelt keiner. Als der älteste Bruder meiner Mutter geheiratet hat, gab es ein Familienfoto mit ungefähr 25 Personen. Die einzigen, die lächeln, sind die Brautleute und die Kinder. Alle anderen nicht. Und Großonkel Theo mit seiner Hakenkreuzbinde lächelt nicht mal auf dem Hochzeitsfoto...
Wenn ich mir die Erziehungsbücher aus dieser Zeit durchlese, wundert es mich allerdings, dass tatsächlich noch die Kinder lächeln...
Bunbury ist zwar auf der richtigen Spur mit dem besonderen Moment, aber mit Tugend und Disziplin hatte das Nichtlächeln wohl wenig zu tun. Vielleicht mit Verklemmtheit und Aufgeregtsein im weitesten Sinn, etwa wie: uiui, ich werde jetzt beobachtet; oder: ojeoje, jetzt sind dann alle Augen auf mich gerichtet. Ja, früher wurden Photographien auch angeschaut…
Davon abgesehen: auch auf Gemälden wurde gelegentlich gelächelt und sogar auf Skulpturen, blieb jedoch die Ausnahme. Der Grund war die Seltenheit solcher Verewigung. Mit anderen Worten: das Abbild wurde vor allem als Dokumentation verstanden, als Hinterlassenschaft für die Nachwelt. Dies war auch bei Photographien bis zum frühen 20. Jh. so. Ein weiterer prägender Grund war die Belichtungszeit; es ist schwierig, minutenlang zu lächeln, ohne zu zittern. Erst als sie wesentlich kürzer wurde und die Köpfe der Porträtierten nicht mehr gestützt werden mussten, konnte das Lächeln eingefangen werden.
(12.12.2016 23:54)Mashenka schrieb: [ -> ]Dies war auch bei Photographien bis zum frühen 20. Jh. so. Ein weiterer prägender Grund war die Belichtungszeit; es ist schwierig, minutenlang zu lächeln, ohne zu zittern. Erst als sie wesentlich kürzer wurde und die Köpfe der Porträtierten nicht mehr gestützt werden mussten, konnte das Lächeln eingefangen werden.
Das ist keine Erklärung, warum auf dem Hochzeitsfoto meines Onkels außer Brautleuten und Kindern keiner lächelt. Das war Anfang der 50 er, und da dauerte es nicht lange, eine Aufnahme zu machen.
Ich gehe eher davon aus, dass den Fotografierten bewußt war, dass sie ein Dokument für die "Ewigkeit" hinterlassen- und jeder wollte einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen.
Es ist fast unvorstellbar (abgesehen von den Zähnen), dass meine gestrenge Großmutter das Foto herumzeigen und sich dem Gerede der Leute aussetzen würde ("Guck dir mal die Gret´uff dem Photto an- wie die lacht- was hat dann die zu lache, mir san doch all so oorm und hawwe nix. Wie kann die da lache...") Gleiches gilt für meine Tante, die davon besessen war, was wohl die Leut saache däte.. Die hätte im Leben nicht gelächelt auf so einem Foto...
Ich kenne die alten Schabracken noch, sie waren der Schrecken meiner Kindheit. Und sie haben Bilder tatsächlich so kommentiert, auch das gehört zu den Alpträumen meiner frühen Jahre...
(13.12.2016 10:55)Bunbury schrieb: [ -> ]Das ist keine Erklärung, warum auf dem Hochzeitsfoto meines Onkels außer Brautleuten und Kindern keiner lächelt. Das war Anfang der 50 er, und da dauerte es nicht lange, eine Aufnahme zu machen.
Ich gehe eher davon aus, dass den Fotografierten bewußt war, dass sie ein Dokument für die "Ewigkeit" hinterlassen- und jeder wollte einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen.
Es ist fast unvorstellbar (abgesehen von den Zähnen), dass meine gestrenge Großmutter das Foto herumzeigen und sich dem Gerede der Leute aussetzen würde ("Guck dir mal die Gret´uff dem Photto an- wie die lacht- was hat dann die zu lache, mir san doch all so oorm und hawwe nix. Wie kann die da lache...") Gleiches gilt für meine Tante, die davon besessen war, was wohl die Leut saache däte.. Die hätte im Leben nicht gelächelt auf so einem Foto...
Ich kenne die alten Schabracken noch, sie waren der Schrecken meiner Kindheit. Und sie haben Bilder tatsächlich so kommentiert, auch das gehört zu den Alpträumen meiner frühen Jahre...
Das kenne ich auch noch aus meiner Kindheit. Selbst meine Großmutter sah ich auf keinem Bild lächeln. Vielleicht war der Grund, jemand könnte ihr auch dieses womöglich nachreden? Als ich eingeschult wurde, ging meine Großmutter mit mir zum Fotograf, im Arm meiner Schultüte. Ich habe noch immer ihre Worte im Ohr: Ich solle mich anständig benehmen, ordentlich und brav auf dem Stuhl sitzen und den Fotografen anschauen. Auch gelächelt hatte ich nicht.
(13.12.2016 10:55)Bunbury schrieb: [ -> ]dass meine gestrenge Großmutter das Foto herumzeigen und sich dem Gerede der Leute aussetzen würde ("Guck dir mal die Gret´uff dem Photto an- wie die lacht- was hat dann die zu lache, mir san doch all so oorm und hawwe nix. Wie kann die da lache...") Gleiches gilt für meine Tante, die davon besessen war, was wohl die Leut saache däte.. Die hätte im Leben nicht gelächelt auf so einem Foto...
Ich kenne die alten Schabracken noch, sie waren der Schrecken meiner Kindheit. Und sie haben Bilder tatsächlich so kommentiert, auch das gehört zu den Alpträumen meiner frühen Jahre...
Kann Dich da beruhigen, sowas gibt es immer noch. Die haben übrigens die größte Angst davor, ihren Lebenslauf-Narrativ (aus armen Verhältnissen, fleissig, sparsam, vom Schicksal schwer geschlagen) als reines Phantasiegebäude zu entlarven.
(13.12.2016 19:19)Triton schrieb: [ -> ]Kann Dich da beruhigen, sowas gibt es immer noch. Die haben übrigens die größte Angst davor, ihren Lebenslauf-Narrativ (aus armen Verhältnissen, fleissig, sparsam, vom Schicksal schwer geschlagen) als reines Phantasiegebäude zu entlarven.
Ich hatte gedacht, dass sich wenigstens die Lebenslügen heute ein wenig geändert hätten....
(12.12.2016 23:54)Mashenka schrieb: [ -> ]./.
Davon abgesehen: auch auf Gemälden wurde gelegentlich gelächelt und sogar auf Skulpturen, blieb jedoch die Ausnahme. Der Grund war die Seltenheit solcher Verewigung. Mit anderen Worten: das Abbild wurde vor allem als Dokumentation verstanden, als Hinterlassenschaft für die Nachwelt. Dies war auch bei Photographien bis zum frühen 20. Jh. so. Ein weiterer prägender Grund war die Belichtungszeit; es ist schwierig, minutenlang zu lächeln, ohne zu zittern. Erst als sie wesentlich kürzer wurde und die Köpfe der Porträtierten nicht mehr gestützt werden mussten, konnte das Lächeln eingefangen werden.
Da versteckt sich mit Sicherheit ein ganz wichtiger Grund, für das "Nichtgrinsen"
Bei der Sitzung für ein Gemälde spielt die "Belichtungszeit" nun doch überhaupt keine Rolle, bei einer Skulptur noch weniger.
Da wird der Gesichtsausdruck abgebildet, den der Künstler abbilden will.
Und, ich bin mir inzwischen sehr sicher,
alle genannten Gründe, Karies, Belichtungszeit, bis zur Unkenntlichkeit gewaschen, Tugend. Disziplin, Wirkung auf die Ewigkeit usw. usf.
spielten bestimmt mir,
jedoch neben der Person des Aufnehmenden, des Fotografen (vulgo Fotokünstler) spielt das alles die zweite Geige.
Wenn der Fotograf sagt, "jetzt grinst doch nicht wie die Affen"
wenn er sagt, "ihr schaut ja wie drei Tage Regenwetter, jetzt lacht doch auch ein wenig"
entstehen zwei völlig unterschiedliche Bilder.
Eben das Bild, das der FotoKünstler abbilden will. Siehe oben.
Ergo: Die Lösung muss bei den Fotografen gesucht werden.
(13.12.2016 10:55)Bunbury schrieb: [ -> ] (12.12.2016 23:54)Mashenka schrieb: [ -> ]Dies war auch bei Photographien bis zum frühen 20. Jh. so. Ein weiterer prägender Grund war die Belichtungszeit; es ist schwierig, minutenlang zu lächeln, ohne zu zittern. Erst als sie wesentlich kürzer wurde und die Köpfe der Porträtierten nicht mehr gestützt werden mussten, konnte das Lächeln eingefangen werden.
Das ist keine Erklärung, warum auf dem Hochzeitsfoto meines Onkels außer Brautleuten und Kindern keiner lächelt. Das war Anfang der 50 er, und da dauerte es nicht lange, eine Aufnahme zu machen.
Ich gehe eher davon aus, dass den Fotografierten bewußt war, dass sie ein Dokument für die "Ewigkeit" hinterlassen- und jeder wollte einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen.
Es ist fast unvorstellbar (abgesehen von den Zähnen), dass meine gestrenge Großmutter das Foto herumzeigen und sich dem Gerede der Leute aussetzen würde ("Guck dir mal die Gret´uff dem Photto an- wie die lacht- was hat dann die zu lache, mir san doch all so oorm und hawwe nix. Wie kann die da lache...") Gleiches gilt für meine Tante, die davon besessen war, was wohl die Leut saache däte.. Die hätte im Leben nicht gelächelt auf so einem Foto...
Ich kenne die alten Schabracken noch, sie waren der Schrecken meiner Kindheit. Und sie haben Bilder tatsächlich so kommentiert, auch das gehört zu den Alpträumen meiner frühen Jahre...
Dein Einwand ist sicherlich zum Teil berechtigt…, zumindest was die Belichtungszeiten anfangs der 1950-er angeht. In Bezug auf die Wertung der Photographie kann man aber jene Zeiten kaum mit heute vergleichen: das Abbild wurde schließlich entweder in der Wohnung ausgestellt, oder kam in ein Album, das (meist) gerne gezeigt wurde. Im gleichen Album waren häufig auch Lichtbilder von bereits verstorbenen Verwandten, Freunden. Man war sich also durchaus bewusst, dass es sich um die Dokumentation des eigenen Aussehens ging. Außerdem ging es bei Frauen auch um die Dokumentation ihrer Schönheit, sodass die Bilder auch zum erhaschen von Komplimenten dienten, als man selbst nicht mehr so attraktiv war. Hätten denn »die alten Schabracken« ihre Jugendbilder auch nicht gezeigt?
In Gegenden, oder in Kreisen, wo das Photographieren mehr verbreitet war, wurde öfters, resp. früher gelächelt, bzw. das Lächeln erschien den Photographen früher als ein Muss (für ihren Erfolg). Gerade die 1950-er fallen in die Ära intensiver Photoretouchen. Ich habe aus der Zeit zahlreiche private Aufnahmen, inkl. Hochzeitsphotos gesehen, auf denen die Münder vom Photographen nachträglich zum Lächeln gebracht wurden. Vor dem 2. WK sieht man diese Art von Retouchen eigentlich nie. Ich vermute, dass das obligatorische Lächeln aus den USA nach Europa kam, wo bereits in den 1940-ern in den Medien ausgesprochen viel gelächelt wurde (als es in Europa eh nichts zu lächeln gab).
Sicherlich einen großen Einfluss übten auch Modeaufnahmen aus (mit deren Geschichte ich mich mal intensiver beschäftigt habe). Deren Wiege ist in den USA zu suchen und ihre erste Blütezeit in den 1940-ern. Erst als die Schönheiten in den Modeheften lächelten, begann auch Goßmami mit dem Lächeln zu experimentieren…
(13.12.2016 20:54)Suebe schrieb: [ -> ]Ergo: Die Lösung muss bei den Fotografen gesucht werden.
Eigentlich nicht. Auch der Photograph ist dem Zeitgeist unterworfen. Er bittet erst um ein Lächeln, wenn dies auf Lichtbildern zur Mode geworden ist.
(14.12.2016 00:57)Mashenka schrieb: [ -> ]Dein Einwand ist sicherlich zum Teil berechtigt…, zumindest was die Belichtungszeiten anfangs der 1950-er angeht. In Bezug auf die Wertung der Photographie kann man aber jene Zeiten kaum mit heute vergleichen: das Abbild wurde schließlich entweder in der Wohnung ausgestellt, oder kam in ein Album, das (meist) gerne gezeigt wurde. Im gleichen Album waren häufig auch Lichtbilder von bereits verstorbenen Verwandten, Freunden. Man war sich also durchaus bewusst, dass es sich um die Dokumentation des eigenen Aussehens ging. Außerdem ging es bei Frauen auch um die Dokumentation ihrer Schönheit, sodass die Bilder auch zum erhaschen von Komplimenten dienten, als man selbst nicht mehr so attraktiv war. Hätten denn »die alten Schabracken« ihre Jugendbilder auch nicht gezeigt?
Die entscheidende Frage ist- was wollten die Leute dokumentiert haben? Und in den 50 er Jahren war das, zumindest bei verheirateten Frauen auf dem Dorf ganz sicher nicht die Schönheit. Auch Männern ging es nicht um die Schönheit.
Daran, dass bei den alten Schabracken die Schönheit noch ziemlich verpönt war, kann ich mich noch gut erinnern. "Die sah immer zu gut aus, jka wunner, dass des a liederliches Frauenzimmer is."
Nein, zumindest auf dem Dorf war Schönheit nichts, wofür sich Frauen aus den 50 ern bewundern lassen wollten. Tüchtigkeit und Ehrbarkeit galten damals viel mehr. Das war angesehen, und so wollte man erscheinen. So wollte man sich zeigen.
(14.12.2016 00:57)Mashenka schrieb: [ -> ]In Gegenden, oder in Kreisen, wo das Photographieren mehr verbreitet war, wurde öfters, resp. früher gelächelt, bzw. das Lächeln erschien den Photographen früher als ein Muss (für ihren Erfolg). Gerade die 1950-er fallen in die Ära intensiver Photoretouchen. Ich habe aus der Zeit zahlreiche private Aufnahmen, inkl. Hochzeitsphotos gesehen, auf denen die Münder vom Photographen nachträglich zum Lächeln gebracht wurden.
Was sind den "Gegenden und Kreise", in denen das Photographieren mehr verbreitet war? Städtisch? Wohlhabend bürgerlich? Vielleicht macht das nämlich den großen Unterschied... Ziemlich sicher sogar...
(14.12.2016 00:57)Mashenka schrieb: [ -> ]Vor dem 2. WK sieht man diese Art von Retouchen eigentlich nie. Ich vermute, dass das obligatorische Lächeln aus den USA nach Europa kam, wo bereits in den 1940-ern in den Medien ausgesprochen viel gelächelt wurde (als es in Europa eh nichts zu lächeln gab).
Davon gehe ich zwar auch aus, aber ich glaube nicht, dass sich "amerikanische" Moden damals so schnell durchsetzten wie heute. Insbesondere nicht in den Gebieten, die nicht von Amerikanern kontrolliert worden waren. Was nach dem Ende des zweiten Weltkrieg in amerikanisch besetzten Städten Mode war, brauchte mit Sicherheit noch 20 Jahre, bis es sich auch in anderen Gegenden durchsetzte...
Ab Mitte der 60 er Jahre änderte sich das auf breiter Front. Mein Vater war ein erfolgreicher Unternehmer und konnte sich jeden Schnickschnack kaufen- ich habe etliche Aufnahmen von meiner Mutter mit einem eher gequälten Lächeln. Mein Vater hat sie wohl aufgefordet, wie ein Fotomodell zu posieren, was ihr aber genauso offensichtlich gegen den Strich ging, wie er diese Aufnahme genauso wollte...
Die Älteren von uns kennen das vielleicht noch. Der Fotograf im Atelier hinter einer schweren und uralten Plattenkamera zum ängstlichen Kind: "Gleich kommt das Vögelchen raus..."
Ein Besuch beim Fotografen war bei Kindern oft ähnlich unbeliebt wie der Friseur oder gar der Zahnarzt. Kein Wunder, dass die Blagen selten dabei lachten.
Ich war in den 1990ern mal mit meiner damals 12jährigen Tochter in einem Freizeitpark. In der Westerntown wurden kostümiert (braunstichige) Fotos auf die alte Weise gemacht. Automatisch guckten die Leute dann immer ganz ernst und stocksteif ins Bild. Das Resultat kann ich heute noch bewundern.
Ich habe mir heute Nacht zwei Fotobände gegriffen, "Familienalbum" von Franz Hubmann, und Kaisers Zeiten von Rolf Hochhut.
Was mir bei Hubmann sofort aufgefallen ist, je älter die Aufnahmen, zurück bis in die beginnenden 1840er Jahre, desto gelöster die "Aufgenommenen" zB ein Bild des Kronprinzen Ludwig von Bayern mit Braut, beide offensichtlich guter Laune (der spätere Kini Ludwig II.)
Hubmann schreibt dann auch, dass das der grund wäre, dass uns die frühen Daguerrotypien relativ "viel sagen", dass die Bilder halt nicht gestellt wirken, da die damaligen langen Belichtungszeiten dies "verboten" kein Mensch könne 30 Minuten "posieren"
Hubmann,
https://www.zvab.com/buch-suchen/titel/d...nz-hubmann
wusste von was er schrieb.
hier ein link zum Hochhuth
https://www.amazon.de/Kaisers-Zeiten-Bil...B005TJHJG0
Später noch mehr....
Broterwerb.....
Vielleicht gibt es keine einheitliche Lösung....
Wir leben heute in einer vernetzten Welt, in der sich jeder über (fast) alles informieren kann, was er wissen will. Modewellen laufen einmal um die Welt und dergleichen mehr.
Früher war es nicht so. Und deswegen sieht vielleicht jedes Familienalbum anders aus. Ich habe gerade ein Foto gefunden, auf dem alle Matronen gelächelt haben- als sie alle um einen Kinderwagen herumstanden.
Dagegen trifft das, was Arkona sagt auf dem Bild meiner Mutter auf jeden Fall zu- als sie als vierjährige beim Fotografen saß, war das Lächeln doch sehr gequält- sie sieht ziemlich eigneschüchtert aus. Mein Vater sieht auf seinem Foto als junger Mann zwar nett aus, aber er lächelt nicht. usw.
Vielleicht war es von Dorf zu Dorf verschieden. Ich habe mich auch mal gefragt, ob es an der Religion liegen könnte. In den (protestantischen) Dörfern, aus denen meine Eltern stammten, wurde sehr viel weniger gelächelt als in dem Familienalbum meiner Freundin, die aus der katholischen Nachbargemeinde stammte. Aber auch das wäre dann nur ein Punkt von vielen.... Dazu kommt der Aspekt Foto als Statussymbol, die Frage, was auf dem Foto gezeigt wurde und wem das fertige Foto gezeigt werden sollte, sowie natürlich auch die Vertrautheit im Umgnag mit dme Fotoapparat- jemand der das erste Mal fotografiert wird, sieht sicherlich sehr viel ernster aus als jemand, der schon etliche Male abgelichtet wurde.
Möglicherweise spiegeln sich auch geschichtliche und politische Verhältnisse in den Ausdrücken auf den Fotos wieder...
@Suebe: Dir ist doch klar, dass du am Ende eine Abhandlung über alles schreiben mußt, was wir hier zusammentragen
(14.12.2016 13:38)Bunbury schrieb: [ -> ]Vielleicht gibt es keine einheitliche Lösung....
./.
@Suebe: Dir ist doch klar, dass du am Ende eine Abhandlung über alles schreiben mußt, was wir hier zusammentragen
Das sollte man vermutlich, aber wer und wann....?????
Für mich ist aber mal wieder faszinierend, wie im Zusammenspiel Fragen gelöst werden können, die man allein so nie zusammenbekkäme,
dass sich aus Antworten neue Fragen ergeben ist normal. Der Weg ist das Ziel.
Auf alle Fälle
Foren braucht man, Foren dienen der geistigen Fortentwicklung.
zumindest unseres
@Suebe: Das kann ich nur bestätigen, Das Foren zur geistigen Fortentwicklung dienen!!!
Nochmal zurück zu den "ernst blickenden" Fotos.
Meine Großmutter war auch tief religiös. Kann auch sein, das sie auch diese Einstellung hatte, wie Bunbury schrieb. Ich weis es aber mit Sicherheit nicht.
Was ich über die Einschätzung der Photographie als Dokumentation geschrieben habe, ist natürlich nur ein (wenn auch wesentlicher) Aspekt der damaligen Betrachtungsweise.
(14.12.2016 13:38)Bunbury schrieb: [ -> ]Möglicherweise spiegeln sich auch geschichtliche und politische Verhältnisse in den Ausdrücken auf den Fotos wieder...
Natürlich stimmt das. Ebenso spielten die Ernährung (Bauchweh), Stimmungslage (Kopfweh), pers. Ziele (Partnersuche), etc. auch eine Rolle, ob man lächelte. Auch wenn diese Aufzählung etwas unsinnig erscheint, führt sie zu einer weiteren Frage: War man früher weniger bereit, die eigene Verfassung zu überspielen? Gehört heute das Vorspielen von Glücklichsein zum allg. akzeptierten, oder gar verlangten Vehalten?(heutige Bestimmungen zu Passphotos ausgeklammert) Ich würde sagen, ja.
(Vielleicht ist der Egoismus weiter gewachsen, indem man sich mehr und mehr nur von Leuten umgeben will, die glücklich sind. Das würde auch zu einer meiner Lieblingsthesen passen, dass sich der Mensch seit dem MA Schritt für Schritt zum Egomanen entwickelt hat, und dies möglicherweise weiterhin tut.)
(14.12.2016 14:25)Mashenka schrieb: [ -> ]Was ich über die Einschätzung der Photographie als Dokumentation geschrieben habe, ist natürlich nur ein (wenn auch wesentlicher) Aspekt der damaligen Betrachtungsweise.
...
Natürlich stimmt das. Ebenso spielten die Ernährung (Bauchweh), Stimmungslage (Kopfweh), pers. Ziele (Partnersuche), etc. auch eine Rolle, ob man lächelte. Auch wenn diese Aufzählung etwas unsinnig erscheint, führt sie zu einer weiteren Frage: War man früher weniger bereit, die eigene Verfassung zu überspielen?
Nein, das glaube ich nicht. Ich wage hier mal die provokante These, dass es durchaus Bestandteil der deutschen Kultur ist, das eigntliche Befinden zu überspielen. Früher galten nur andere Gemütszustände als erstrebenswert als heute, deswegen mußte man früher anderes überspielen...
(14.12.2016 14:25)Mashenka schrieb: [ -> ]Gehört heute das Vorspielen von Glücklichsein zum allg. akzeptierten, oder gar verlangten Vehalten?(heutige Bestimmungen zu Passphotos ausgeklammert) Ich würde sagen, ja.
Volle Zustimmung. Es wird ja gewissermaßen erwartet, dass man gut drauf ist- und wer es nicht ist, mit dem will man nichts zu tun haben. Wage es bloß nicht auf die Frage "Wie geht es dir" wahrheitsgemäß "es geht so" zu antworten und schon suchen die meisten das Weite. Der eine oder andere wirft dir vor, selbstmitleidig zu sein. Und ganz selten triffst du jemanden, der genug Mitgefühl aufbringt, zu fragen was denn los ist...
(14.12.2016 14:25)Mashenka schrieb: [ -> ](Vielleicht ist der Egoismus weiter gewachsen, indem man sich mehr und mehr nur von Leuten umgeben will, die glücklich sind. Das würde auch zu einer meiner Lieblingsthesen passen, dass sich der Mensch seit dem MA Schritt für Schritt zum Egomanen entwickelt hat, und dies möglicherweise weiterhin tut.)
Die Beobachtung an sich teile ich, aber ich sehe etwas andere Ursachen und Wirkungen. Man meidet die diejenigen, denen es nicht so gut geht nicht deshalb, weil man selbst glücklich sein will, sondern weil sie einen mit der Frage konfrontieren, ob man selbst denn wirklich so glücklich ist wie man tut...
(14.12.2016 16:48)Bunbury schrieb: [ -> ]Nein, das glaube ich nicht. Ich wage hier mal die provokante These, dass es durchaus Bestandteil der deutschen Kultur ist, das eigntliche Befinden zu überspielen. Früher galten nur andere Gemütszustände als erstrebenswert als heute, deswegen mußte man früher anderes überspielen...
Wieso der "deutschen Kultur"? Das ist im angelsächsischen Raum (keep smiling) noch viel ausgeprägter. Und in Ostasien wird bekanntlich immer gelächelt, sonst "verliert man das Gesicht".
Bunbury schrieb:
Volle Zustimmung. Es wird ja gewissermaßen erwartet, dass man gut drauf ist- und wer es nicht ist, mit dem will man nichts zu tun haben. Wage es bloß nicht auf die Frage "Wie geht es dir" wahrheitsgemäß "es geht so" zu antworten und schon suchen die meisten das Weite. Der eine oder andere wirft dir vor, selbstmitleidig zu sein. Und ganz selten triffst du jemanden, der genug Mitgefühl aufbringt, zu fragen was denn los ist...
Darauf antworte ich mal:
Ich selbst habe es schon erlebt, das Menschen von einem erwarten, das er vollkommen ist und fehlerfrei sein sollte. Das ist natürlich wahrer Quark; denn jeder Mensch hat seine Fehler, seine Schwächen und Stärken. Kein Mensch ist fehlerfrei. Aber diese Leute, die Vollkommenheit erwarten - da frage ich mich doch, wie egoistisch man sein muss? He??
Oder wie sieht ihr das?
Mir ist das echt zuviel und so einen Kontakt meide ich gewöhnlich, weil es nix bringt.
(14.12.2016 16:48)Bunbury schrieb: [ -> ]Die Beobachtung an sich teile ich, aber ich sehe etwas andere Ursachen und Wirkungen. Man meidet die diejenigen, denen es nicht so gut geht nicht deshalb, weil man selbst glücklich sein will, sondern weil sie einen mit der Frage konfrontieren, ob man selbst denn wirklich so glücklich ist wie man tut...
Du meinst also lediglich aus Angst vor wahrem Interesse. Nee. Du selbst bemängelst ja auch, wie selten sich jemand für das tatsächliche Befinden erkundet. Diese Aussage hört man häufig. Diese als negativ empfundene Erfahrung reimt sich nicht mit Deiner Aussage, dass man vor der Frage Angst habe, ob man wirklich glücklich sei. Ganz im Gegenteil: man will Interesse erwecken.
Nach Deiner Aussage wollte der Mensch mit dem vorgetäuschten Glück einfach nur Unangenehmes vermeiden, während die Angst (wirklich gefragt zu werden) bliebe. Die Angst jedoch ist etwas, was der Mensch seit eh und je zu vermeiden sucht und auch bekämpft. Das Streben nach Glück bedeutet eigentlich das Streben nach Angstfreiheit.
Der Mensch strebt nach Glück, indem er auch die Angst bekämpft, nicht akzeptiert zu werden. Also lächelt er, wenn dies sein Umfeld verlangt. Meine Antwort auf die Frage, warum dies die Gesellschaft verlangt, wäre: weil deren egomanischen Mitglieder Unglückliche vermehrt aussondern.
Schau Dir doch die Besucherfrequenzen in Altersheimen an und vergleiche die Erkenntnisse mit Deinem Wissen über das frühere Zusammenleben von Familien. Es ist nicht die Angst, gefragt zu werden, was die Menschen zwingt zu lächeln, sondern die Angst, irgendwann verlassen zu werden.
(14.12.2016 17:51)Mashenka schrieb: [ -> ] (14.12.2016 16:48)Bunbury schrieb: [ -> ]Die Beobachtung an sich teile ich, aber ich sehe etwas andere Ursachen und Wirkungen. Man meidet die diejenigen, denen es nicht so gut geht nicht deshalb, weil man selbst glücklich sein will, sondern weil sie einen mit der Frage konfrontieren, ob man selbst denn wirklich so glücklich ist wie man tut...
Du meinst also lediglich aus Angst vor wahrem Interesse. Nee. Du selbst bemängelst ja auch, wie selten sich jemand für das tatsächliche Befinden erkundet. Diese Aussage hört man häufig. Diese als negativ empfundene Erfahrung reimt sich nicht mit Deiner Aussage, dass man vor der Frage Angst habe, ob man wirklich glücklich sei. Ganz im Gegenteil: man will Interesse erwecken.
Nach Deiner Aussage wollte der Mensch mit dem vorgetäuschten Glück einfach nur Unangenehmes vermeiden, während die Angst (wirklich gefragt zu werden) bliebe. Die Angst jedoch ist etwas, was der Mensch seit eh und je zu vermeiden sucht und auch bekämpft. Das Streben nach Glück bedeutet eigentlich das Streben nach Angstfreiheit.
Der Mensch strebt nach Glück, indem er auch die Angst bekämpft, nicht akzeptiert zu werden. Also lächelt er, wenn dies sein Umfeld verlangt. Meine Antwort auf die Frage, warum dies die Gesellschaft verlangt, wäre: weil deren egomanischen Mitglieder Unglückliche vermehrt aussondern.
Schau Dir doch die Besucherfrequenzen in Altersheimen an und vergleiche die Erkenntnisse mit Deinem Wissen über das frühere Zusammenleben von Familien. Es ist nicht die Angst, gefragt zu werden, was die Menschen zwingt zu lächeln, sondern die Angst, irgendwann verlassen zu werden.
Hmmm,
es ist OT, aber ich finde passend.
Das Geschichtchen stammt wohl von Sebastian Blau
https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Eber...ftsteller)
Zitat:Es fragt mich einer, wie es mir geht.
Sage ich, "es geht mir gut", ärgert er sich und wird neidisch, - das will ich nicht.
Sage ich, "es geht mir schlecht" freut er sich, das will ich natürlich auch nicht.
Da wähle ich doch den goldenen Mittelweg und sage einfach:
"Leck mich am Allerwertesten"
Sorry, aber Schwaben sind nun mal direkt.
Wenn ich Euch hier recht verstehe, seid ihr ganz bei Martin Luther:
Zitat:Aus einem verzagten Arrsch wird nie ein fröhlicher Furz kommen.
Die Menschen hatten nix zu lachen, und haben deshalb auch nicht in die Linse gelacht?
Dem widerspricht aber der Fakt, dass es in den ernstesten Foto-Porträt-Zeiten 1890-1914 den Menschen in Mitteleuropa kontinuierlich Jahr für Jahr besser ging.
Dies gilt auch, und speziell (Tenfelde, Ritter, Der Arbeiter im Kaiserreich) für die Arbeiterschaft.
Für einen besonderen Fall halte ich die Kriegsaufnahmen. Vater in Uniform, umrahmt von Ehefrau und den Kindern. Und allen war bewusst, dass es die letzte Aufnahme sein kann. Das heißt, der Fototermin wurde nur deshalb vereinbart.
(14.12.2016 16:58)Arkona schrieb: [ -> ]Wieso der "deutschen Kultur"? Das ist im angelsächsischen Raum (keep smiling) noch viel ausgeprägter. Und in Ostasien wird bekanntlich immer gelächelt, sonst "verliert man das Gesicht".
Deswegen der Deutschen, weil die Briten zum Beispiel nicht gerne ihre wahren Gefühle zeigen, aber nicht so penetrant leugnen, welche zu haben. In Deutschland gilt es seit der Aufklärung als Zeichen geistiger Reife, sämtliche Gefühle zugunsten der Vernunft zu unterdrücken. Das ist fester Bestandteil der deutschen Kultur- was sich auch in der Sprache und den "verkopften" musikalischen und literarischen Werken zeigt.
Und daß alle Ostasiaten immer lächeln, weil man ansonsten das Gesicht verliert, halte ich für ein Gerücht. Ja, Asiaten ist es wichtig, dass sie das Gesicht nicht verlieren, aber das zeigt sich nicht zwangsläufig durch ein Lächeln. In dem Fall hätten sich die ganzen koreanischen Männer in der Nachbarschaft zumindest in diesem Punkt ganz hervorragend integriert. Leider wäre das dann auch der einzige...
(14.12.2016 17:51)Mashenka schrieb: [ -> ]Du meinst also lediglich aus Angst vor wahrem Interesse. Nee. Du selbst bemängelst ja auch, wie selten sich jemand für das tatsächliche Befinden erkundet. Diese Aussage hört man häufig. Diese als negativ empfundene Erfahrung reimt sich nicht mit Deiner Aussage, dass man vor der Frage Angst habe, ob man wirklich glücklich sei. Ganz im Gegenteil: man will Interesse erwecken.
Hä? Wie jetzt? Wer will Interesse wecken? Derjenige, der fragt oder derjenige, der gefragt wird?
(14.12.2016 17:51)Mashenka schrieb: [ -> ]Nach Deiner Aussage wollte der Mensch mit dem vorgetäuschten Glück einfach nur Unangenehmes vermeiden, während die Angst (wirklich gefragt zu werden) bliebe. Die Angst jedoch ist etwas, was der Mensch seit eh und je zu vermeiden sucht und auch bekämpft. Das Streben nach Glück bedeutet eigentlich das Streben nach Angstfreiheit..
Wovor? Von welcher Angst redest du? Welche Angst will der Mensch bekämpfen? Es gibt so viele Ängste...
(14.12.2016 17:51)Mashenka schrieb: [ -> ]Der Mensch strebt nach Glück, indem er auch die Angst bekämpft, nicht akzeptiert zu werden. Also lächelt er, wenn dies sein Umfeld verlangt. Meine Antwort auf die Frage, warum dies die Gesellschaft verlangt, wäre: weil deren egomanischen Mitglieder Unglückliche vermehrt aussondern.
Der Arbeitslose oder die Alleinerziehende wird nicht deshalb Ausgegrenzt, weil man so egomanisch ist und das Unglück nicht sehen will. Der Arbeitslose und die Alleinerziehende werden deshalb aushgregrenzt, weil man tief ins sich Angst hat, selbst mal arbeitslos oder alleinerziehend zu sein. Also schiebt man die Menschen beiseite und mit ihnen die eigenen Ängste... Man kann weiter so tun, als wäre alles heile Welt. Und lächelt.
Und wenn der Arbeitslose oder die Alleinerziehende akzeptiert sein will, dann dürfen sie eines nie tun- sich darüber beklagen, dass sie Nachteile haben, weil sie arbeitslos und alleinerziehend sind. Wenn sie Wert legen auf Gesellschaft, dass müssen sie diejenigen sein, die lächeln... Jammern dürfen nur die, die eigentlich keinen Grund dazu haben...
(14.12.2016 17:51)Mashenka schrieb: [ -> ]Schau Dir doch die Besucherfrequenzen in Altersheimen an und vergleiche die Erkenntnisse mit Deinem Wissen über das frühere Zusammenleben von Familien. Es ist nicht die Angst, gefragt zu werden, was die Menschen zwingt zu lächeln, sondern die Angst, irgendwann verlassen zu werden.
Und warum hat man Angst davor, verlassen zu werden? Weil man tief in seinem Innern davon überzeugt ist, dass man nicht liebenswert ist so wie man ist. Sondern dass man die Erwartungen der anderen erfüllen muss. Und weil man tief in seinem Innern eben spürt, dass man sich damit selbst verleugnet. Und dem stellt man sich nicht. Das ist der große innere Konflikt, der in jedem schlummert. Und dem sich die meisten nun mal nicht stellen wollen...
(14.12.2016 19:15)Suebe schrieb: [ -> ]Die Menschen hatten nix zu lachen, und haben deshalb auch nicht in die Linse gelacht?
In manchen Zeiten wird das sicher so gewesen sein, aber natürlich nicht immer. Manchmal haben gerade die, die nichts zu verlieren hatten, dem Schrecken am lautesten ins Gesicht gelacht.
(14.12.2016 19:15)Suebe schrieb: [ -> ]Dem widerspricht aber der Fakt, dass es in den ernstesten Foto-Porträt-Zeiten 1890-1914 den Menschen in Mitteleuropa kontinuierlich Jahr für Jahr besser ging.
Dies gilt auch, und speziell (Tenfelde, Ritter, Der Arbeiter im Kaiserreich) für die Arbeiterschaft.
Dann ging es den Menschen vielleicht so gut, dass sie sich nicht mehr primär darum Gedanken machten, den nächsten Tag noch zu erleben, sondern schon darum, welchen Eindruck sie bei anderen hinterlassen...
Aber wie gesagt, ich glaube, man kann es wirklich nicht verallgemeinern. Man kann allenfalls Tendenzen ausmachen...
(14.12.2016 17:51)Mashenka schrieb: [ -> ]Der Mensch strebt nach Glück, indem er auch die Angst bekämpft, nicht akzeptiert zu werden. Also lächelt er, wenn dies sein Umfeld verlangt. Meine Antwort auf die Frage, warum dies die Gesellschaft verlangt, wäre: weil deren egomanischen Mitglieder Unglückliche vermehrt aussondern.
Du bringst es auf den Punkt. Letztendlich dürfte es sich dabei um "die Urangst" handeln, aus irgendwelchenr Gründen für die Gemeinschaft nicht mehr von Nutzen zu sein und deshalb aus der überlebenssichernden Gruppe ausgeschlossen zu werden. Das ist nicht einmal ein spezifisch menschliches Verhalten sondern lässt sich auch bei Tieren beobachten.
Dass diese Ängste sich in der Moderne gelegentlich ins Absurde steigern, welches weit über das krampfhafte Lächeln vor der Kamera hinausgeht, lässt sich an der etwas aus der Mode gekommenen "Think-Positive" Maxime demonstrieren. Da wurden ganze Projekte an die Wand gefahren, indem man aufkommende Probleme nicht sachlich lösen wollte sondern allein mit "positivem Denken". Kritik oder nur schon Hinweise auf mögliche Probleme wurden sofort mit dem Argument von "negativem Denken" abgeschmettert.
M.E. nach ist auch die "political Correctness" Ausdruck eines solchen Denkens - ein afrikanischer Freund von mir hat dies so zusammengefasst: "Sie dürften mich jetzt nicht mehr als Neger bezeichnen - eine Wohnung geben sie mir trotzdem nicht"
Der Gipfel dieser Art der Angstbekämpfung wurde m.M. mit den Aussagen einiger betroffener amerikanischer Prominenten erreicht, als diese behautpeten, der Krebs sei das Beste gewesen, was ihnen je wiederfahren sei ...
(15.12.2016 10:01)Aguyar schrieb: [ -> ]Du bringst es auf den Punkt. Letztendlich dürfte es sich dabei um "die Urangst" handeln, aus irgendwelchenr Gründen für die Gemeinschaft nicht mehr von Nutzen zu sein und deshalb aus der überlebenssichernden Gruppe ausgeschlossen zu werden. Das ist nicht einmal ein spezifisch menschliches Verhalten sondern lässt sich auch bei Tieren beobachten.
Ehrlich gesagt, ist das eigentlich ein Armutszeugnis für unsere ach so fortschrittliche Gesellschaft. Was nutzt aller Fortschritt, wenn es uns nicht erlaubt, die Angst zu überwinden, die auch den Tieren zu eigen ist?
(15.12.2016 10:01)Aguyar schrieb: [ -> ]Dass diese Ängste sich in der Moderne gelegentlich ins Absurde steigern, welches weit über das krampfhafte Lächeln vor der Kamera hinausgeht, lässt sich an der etwas aus der Mode gekommenen "Think-Positive" Maxime demonstrieren. Da wurden ganze Projekte an die Wand gefahren, indem man aufkommende Probleme nicht sachlich lösen wollte sondern allein mit "positivem Denken". Kritik oder nur schon Hinweise auf mögliche Probleme wurden sofort mit dem Argument von "negativem Denken" abgeschmettert.
Hinter der ganzen Ideologie vom positiven Denk und auch dem Zwang positiv sein zu müssen, verbergen sich schon wieder ganz altmodische Selbstoptimierungszwänge. Die grundsätzlihce Aussage ist: "Dir geht es nicht gut, weil du etwas falsch machst. Du mußt nur an dir selbst arbeiten und auf die richtige Weise denken, dann wird alles gut und du wirst Erfolg haben." Da höre ich doch schon wieder das alte "Du alter Sünder hast dich nur noch lange genug selbst bekämpft"...
Ich habe vor Jahren, als ich mich mit diesem Thema beschäftigt habe, mal ein Buch von Pierre Franck gelesen. "Die erfolgreichsten Wunschregeln"- grauenvoll. Man muss nur richtig wünschen, schon wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, dann hat man nicht richtig gedacht. Jemand, der sich daran versucht, füllt dem Autor die Kasse- und ihm geht es dafür noch schlechter- "nicht mal richtig wünschen kann ich..."
Noch weiter dahinter geschaut, verbirgt sich der Gedanke, dass jeder, der es nicht schafft, natürlich selbst schuld ist.... Hat aber nichts mit Egomanie zu tun, sondern basiert meistens auf Beziehungsgefelchten ind er Kindheit, in der Kindern oft eingeredet wird, für das Wohlergehen und das Ansehen von Mami und papi verantwortlich zu sein...
(15.12.2016 10:01)Aguyar schrieb: [ -> ]M.E. nach ist auch die "political Correctness" Ausdruck eines solchen Denkens - ein afrikanischer Freund von mir hat dies so zusammengefasst: "Sie dürften mich jetzt nicht mehr als Neger bezeichnen - eine Wohnung geben sie mir trotzdem nicht"
Das formulierte Hagen Rether ähnlich- "Früher haben wir "Zigeuner" gesagt und sie durften bleiben. Heute nennen wir sie "Sinti und Roma" und schieben sie ab."
(15.12.2016 10:01)Aguyar schrieb: [ -> ]Der Gipfel dieser Art der Angstbekämpfung wurde m.M. mit den Aussagen einiger betroffener amerikanischer Prominenten erreicht, als diese behautpeten, der Krebs sei das Beste gewesen, was ihnen je wiederfahren sei ...
Das mag in dem einen oder anderen Fall zutreffen- ich würde da als Gipfel der Angstbekämpfung eher Angelina Jolie bezeichnen, die sich die Bürste amputieren läßt, vorsorglich, damit sie keinen Krebs bekommt...
Dass Krisen- und eine Krebserkrankung ist nun mal eine Krise- durchaus dazu beitragen, dass man sein Leben überdenkt und danach in andere Bahnen lenkt, halte ich dagegen nicht für einen reinen Angstbekämpfungsmechanismus- im Gegenteil. jemand der aus einer Krise gestärkt hervorgeht und sein Leben ändert, dürfte sich seiner Angst gestellt haben.
(14.12.2016 20:27)Bunbury schrieb: [ -> ]Hä? Wie jetzt? Wer will Interesse wecken? Derjenige, der fragt oder derjenige, der gefragt wird?
Du bringst die Sachen etwas durcheinander, Bunbury…
(14.12.2016 20:27)Bunbury schrieb: [ -> ]Der Arbeitslose oder die Alleinerziehende wird nicht deshalb Ausgegrenzt, weil man so egomanisch ist und das Unglück nicht sehen will. Der Arbeitslose und die Alleinerziehende werden deshalb aushgregrenzt, weil man tief ins sich Angst hat, selbst mal arbeitslos oder alleinerziehend zu sein.
Wer redet hier von Arbeitslosen und Alleinerziehenden?
Also nochmals, aufs Wesentliche heruntergebrochen:
1. Die Menschen wollen mehr und mehr nur Glückliche um sich haben. Das hat allein mit dem wachsenden Egoismus zu tun. Es gehört jedoch zu unserer Natur, dass wir uns in glücklicher Umgebung wohler fühlen; das war schon immer so. Aber: früher hat man sich eher die Mühe genommen, sich auch mit weniger glücklichen Mitmenschen abzugeben (z.B. mit den alt gewordenen Eltern zusammenzuleben). Heute, mit dem wachsenden Egoismus, schwindet diese Bereitschaft.
2. Man lächelt, um glücklich zu wirken. Warum? Da man nicht ausgegrenzt werden will.
Ich hoffe, dass nun die beschriebenen Ängste besser dargestellt sind.
Dieses Phänomen erklärt zumindest (für mich jedenfalls), warum sich die Mode, auf Photographien zu lächeln, so lange hält.
.
(15.12.2016 19:05)Mashenka schrieb: [ -> ]./.
Dieses Phänomen erklärt zumindest (für mich jedenfalls), warum sich die Mode, auf Photographien zu lächeln, so lange hält.
.
Ich hatte mal einen Mitarbeiter, Siebenbürger Sachse, Anfangs der 90er nach Deutschland gekommen.
Der gebrauchte immer mal wieder den Begriff
"ein ernster Mann"
womit er einen verläßlichen erwachsenen Menschen meinte.
Ich denke mal in dieser Sprach-Nische hat das "würdige" dreinschauen überlebt.
Interessant übrigens, in den verfluchten zwölf Jahren haben die ganzen kleinen und großen Führer auf den Fotografien den "Duce-Ausdruck" draufgehabt.
Hochgerecktes Kinn, runtergezogene Mundwinkel, "größte Härte" imitierend
schauts mal auf die Bilder ihr werdet sie wiedererkennen.
Mir ist mal ein Bild des "Trotzdem"-Oberst Rudel untergekommen, wie er in den 50ern in Südamerika eine Rede hält, genau die Pose.
Da ist doch das heutige "gewinnende"-Lächeln tausendmal besser.
(15.12.2016 19:05)Mashenka schrieb: [ -> ]Also nochmals, aufs Wesentliche heruntergebrochen:
1. Die Menschen wollen mehr und mehr nur Glückliche um sich haben. Das hat allein mit dem wachsenden Egoismus zu tun. Es gehört jedoch zu unserer Natur, dass wir uns in glücklicher Umgebung wohler fühlen; das war schon immer so. Aber: früher hat man sich eher die Mühe genommen, sich auch mit weniger glücklichen Mitmenschen abzugeben (z.B. mit den alt gewordenen Eltern zusammenzuleben). Heute, mit dem wachsenden Egoismus, schwindet diese Bereitschaft.
2. Man lächelt, um glücklich zu wirken. Warum? Da man nicht ausgegrenzt werden will.
Ich hoffe, dass nun die beschriebenen Ängste besser dargestellt sind.
Psychologie scheint nicht so sehr deine starke Seite zu sein- psychologisch und soziologisch ist das meiste davon, was du schreibst, nicht haltbar. Aber da es hier um Geschichte geht, belassen wir es dabei.
Überhaupt nicht haltbar ist die letzte Aussage:
(15.12.2016 19:05)Mashenka schrieb: [ -> ]Dieses Phänomen erklärt zumindest (für mich jedenfalls), warum sich die Mode, auf Photographien zu lächeln, so lange hält.
Fotos werden nun mal in der Regel (außer von jouralistischen und/ oder professionellen Fotografen) nicht in Situationen gemacht, die alltäglich, langweilig oder traurig sind. Sondern man greift zur Kamera, um besonders glückliche Momente zu dokumentieren, Momente, die man vielleicht auch einfach deshalb festhalten will, weil sie etwas besonderes waren- ein Bild dient heute dazu, diese Erinnerung zu bewahren. Und dazu gehört nun mal ein Lächeln- ob es nun falsch ist oder nicht.
@Suebe: Vielleicht gelingt eine Annäherung die Problematik, wenn man sich über den Wandel in der Motivation des Fotografierens Gedanken macht.
Was soll die Fotografie bezwecken?
Ist sie was offizielles- also sprich das Foto, das man im Freundes- und Verwandtenkreis herumschickt, um sich schöne Weihnachten zu wünschen oder sich für irgendetwas zu bedanken?
Sind es die offziellen Fotos, die eine besondere Situation dokumentieren (Hochzeit, Ordensverleihung, Konfirmation, Beförderung oder so etwas)?
Sind es Fotos, die bei einem offiziellen Anlass entstehen, aber nicht unbedingt den Würdemoment erfassen sollen?
Sind es Schnappschüsse, die bei einer spontanen Aktion zufällig entstehen, weil man gerade die Kamera in Reichweite hat?
Sind es Aufnahmen, weil man sich die Erinnerung an etwas bestimmtes (Urlaub, besonderes Erlebnis) bewahren will.
(15.12.2016 20:33)Bunbury schrieb: [ -> ]Psychologie scheint nicht so sehr deine starke Seite zu sein- psychologisch und soziologisch ist das meiste davon, was du schreibst, nicht haltbar. Aber da es hier um Geschichte geht, belassen wir es dabei.
Aha! Jetzt ist natürlich alles klar…
(15.12.2016 20:33)Bunbury schrieb: [ -> ]Fotos werden nun mal in der Regel (außer von jouralistischen und/ oder professionellen Fotografen) nicht in Situationen gemacht, die alltäglich, langweilig oder traurig sind. Sondern man greift zur Kamera, um besonders glückliche Momente zu dokumentieren, Momente, die man vielleicht auch einfach deshalb festhalten will, weil sie etwas besonderes waren- ein Bild dient heute dazu, diese Erinnerung zu bewahren. Und dazu gehört nun mal ein Lächeln- ob es nun falsch ist oder nicht.
Das erklärt natürlich, warum man früher weniger in die Linse lächelte.
Ich sehe da nur Verweigerung, Durcheinander und Hochmut, weshalb ich in dieser Diskussion mit Bunbury zumindest zu diesem Thema passe.
(15.12.2016 20:33)Bunbury schrieb: [ -> ]Was soll die Fotografie bezwecken?
Ist sie was offizielles- also sprich das Foto, das man im Freundes- und Verwandtenkreis herumschickt, um sich schöne Weihnachten zu wünschen oder sich für irgendetwas zu bedanken?
Sind es die offziellen Fotos, die eine besondere Situation dokumentieren (Hochzeit, Ordensverleihung, Konfirmation, Beförderung oder so etwas)?
Sind es Fotos, die bei einem offiziellen Anlass entstehen, aber nicht unbedingt den Würdemoment erfassen sollen?
Sind es Schnappschüsse, die bei einer spontanen Aktion zufällig entstehen, weil man gerade die Kamera in Reichweite hat?
Sind es Aufnahmen, weil man sich die Erinnerung an etwas bestimmtes (Urlaub, besonderes Erlebnis) bewahren will.
Das m.E. ist der entscheidende Punkt! Unsere Urgroßeltern gingen vielleicht 2-3x im Leben zum Fotografen, das Ganze war also ein besonderes Ereignis und der Gesichtsausdruck entsprach der Würde des Moments.
Die Wende trat ein, als Fotografieren handlich und allgemein erschwinglich wurde.
Casus knaxus war m.E. die Einführung der Leica-Kleinbildkamera samt Rollfilm 1924. Ab da war Fotografieren ein Massenphänomen.
(15.12.2016 21:10)Arkona schrieb: [ -> ]Casus knaxus war m.E. die Einführung der Leica-Kleinbildkamera samt Rollfilm 1924. Ab da war Fotografieren ein Massenphänomen.
"Massenphänomen" halte ich für 1924 leicht übertrieben
aber zumindest hat der Rollfilm der vorher so aufwändigen Prozedur das einschüchternde und vielleicht auch das magische genommen.
Ja, da gebe ich dir recht-da Fotografieren hat seine ehrfurchtgebietende Wirkung verloren und wurde etwas normaleres- das dürfte sich auf jeden Fall auf den Bildern niedergeschlagen haben...
Ich glaube das ist schlicht ein Kulturphänomen
Im 19-Jahrhundert gab man sich ernst und würdevoll -und die Photographie wurde durchaus als Fortsetzung der Porträtmalerei mit anderen Mitteln angesehen
Auf Portraits aber lachte man nicht
Erst mit der Filmindustrie und der Werbung amerikanischer Prägung kam das "Keep smiling " auf- und hielt streng genommen erst nach dem 2.Weltkrieg mit der Verbreitung amerikanischer Kulturelemente Einzug in die allgemeine Massenphotographie
Wenn ich die Familienphotos aus den 30ern und den 50ern vergleiche wird das augenfällig,obwohl es kleinbildkameras schon ab 1925 gab und seit Mitte der 30er auch zumindest eine Balda Juwella, in der Familie war.
Ich vertrete auch die These, dass mit den Erfindungen von Eastman, mit der Leica usw. durch die Fotografieren zum "Volkssport" wurde, der in die Linse Lächelnde zum Hauptfotoobjekt wurde.
Übrigens, der französische Staat hat die Fotopatente von Niepce und Daguerre aufgekauft, und der Menschheit geschenkt. Da man sich der großen Bedeutung bewusst war.
Fakt.
Hätten sich die Nachfolger wie Eastman, Land, Agfa usw. usf. zu ähnlichem hinreißen lassen, das Fotografieren wäre ein halbes Jahrhundert früher Volkssport geworden.
Ich erinnere hier mal nur an den Patentstreit Land ./. Kodak
(16.12.2016 11:28)Suebe schrieb: [ -> ]Ich vertrete auch die These, dass mit den Erfindungen von Eastman, mit der Leica usw. durch die Fotografieren zum "Volkssport" wurde, der in die Linse Lächelnde zum Hauptfotoobjekt wurde.
Mit der Bezeichnung "Volkssport" tue ich mich einfach deshalb schwer, weil weite Teile der Bevölkerung sich 1924 das einfach nicht leisten konnten.
Aber unter denen, die es sich leisten konnte, war es schnell verbreitet.
Auf breiter Basis- also auch bei Arbeitern und Bauern- Volkssport wurde es hierzulande wohl erst mit dem Wirtschaftswunder...
(16.12.2016 11:28)Suebe schrieb: [ -> ]Hätten sich die Nachfolger wie Eastman, Land, Agfa usw. usf. zu ähnlichem hinreißen lassen, das Fotografieren wäre ein halbes Jahrhundert früher Volkssport geworden.
Ich erinnere hier mal nur an den Patentstreit Land ./. Kodak
Ich glaube nicht, dass es so gekommen wäre- es gab ja nicht nur die technologische Entwicklung. Wenn ich mir so die Berichte älterer Verwandter über ihre Jugend angehört habe, ist schwer vorstellbar, dass in Familien, in denen alle Kinder mitarbeiten mußten, Zeit und Geld übrig geblieben wäre, zu fotografieren.
Dass es sich in den 50 er Jahren so durchsetzte, zeigt einfach, dass das genau der richtige Zeitpunkt war- zwei Weltkriege überwunden, aufsteigender Wohlstand, den man auch dokumentieren wollte, zunehmende Leichtigkeit...
Wenn man es sich genau überlegt, passen die Motive, aus denen heraus man Fotos macht, perfekt in die Zeit des Wirtschaftswunders...
Wir sind doch beieinander bunbury
mir ging es um die Kosten.
Die Patentgebühren, die Abschottung durch die Patente hat doch das Fotografieren teuer gemacht.