(14.06.2018 15:56)Suebe schrieb: [ -> ] (14.06.2018 14:45)Dietrich schrieb: [ -> ]Ich wusste nicht, dass es überhaupt Sagen um die Reichskleinodien gibt.
Echt?
Das verwirrt mich doch etwas.
Oder ist die "Heilige Lanze" nicht sagenbehaftet?
Selbstverständlich ist sie das - und zwar alle Exemplare davon. Auch schon deshalb, weil alle heiligen Lanzen Relqiuien waren. So war beispielsweise bereits in der ansonsten ganz normalen Lanze Karls des Grossen ein Nagel vom Kreuz Christi eingeschlossen. Dieser Nagel soll bereits vom römischen Kaiser Konstantin dem Grossen, in dessen Besitz sich die Lanze vorher befunden haben soll, eingefügt worden sein. Jedenfalls nahm diese heilige Lanze, auch Mauritiuslanze genannt, seit dem 10. Jahrhundert unter den deutschen Reichskleinodien die erste Stelle ein; noch im 14. Jahrhundert wurde sie bei der Aufzählung der Reichsinsignien noch vor der Reichskrone genannt.
Die in Wahrheit aus dem 7. Jahrhundert stammende, archaisch gedeutete Führungswaffe war durch den deutschen König Heinrich I den Finkler von König Rudolf II von Burgund als Unterpfand künftiger Übertragung Burgunds an das Deutsche Reich als Herrschaftsreliquie erworben resp. erpresst worden. Heinrich I hatte bei dieser Gelegenheit gedroht, er werde, falls er die Lanze nicht erhielte, das Königreich Burgund „mit Feuer und Schwert“ verwüsten. Bischof Liutprand von Cremona schrieb als Chronist voller Naivität dazu, dass Rudolf II das Kleinod nach dieser Drohung persönlich „dem gerechten König“ brachte, „der in gerechter Weise Gerechtes begehrte“.
Durch ihren Bezug zum römischen Kaiser Konstantin galt die Lanze insbesonders auch als Sinnbild des Herrschaftsanspruchs der deutschen Könige und Kaiser über Italien. Am Schaft dieser Lanze soll Heinrich I zudem das schwarze Tuch mit dem goldgestickten Erzengel Michael befestigt und das so entstandene Banner zum Signum des Reichs erhoben haben.. Damit sollen der Überlieferung nach nicht nur die kaiserlichen Farben des Mittelalters Schwarz-Gold geboren, sondern auch der „Deutsche Michel“ geschaffen worden sein.
Gemäss der Legende verdankten sowohl Heinrich I der Finkler 933 bei Riade an der Unstrut als auch sein Sohn Otto I der Grosse 955 auf dem Lechfeld ihre Siege über die Ungarn der Heiligen Lanze. Aus Ottos I Zeit stammt auch die erste Beschreibung der Lanze, verfasst um 961 von Liutprand von Cremona:
„ Die Lanze war anders als die sonstigen Lanzen, nach Art und Gestalt etwas Neues, insofern als das Eisen beiderseits des Grates Öffnungen hat, und statt der kurzen seitwärts gerichteten Zweige erstrecken sich zwei sehr schöne Schneiden bis zum Abfall des Mittelgrates… Und auf dem Dorn den ich vorher den Grat nannte, trug sie Kreuze aus den Nägeln (die durch die Hände und Füsse unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi geschlagen waren)…"
Bereits das Mitführen der heiligen Lanzen auf einem Kriegszug garantierte nach allgemein verbreiteter Ansicht den Sieg, weshalb Otto III auf seinem Zug nach Rom 966 die Heilige Lanze dem Heer voraustragen liess. Im Jahr 1000 schenkte Otto III dem polnischen Herzog Boleslaw I eine Kopie der Lanze, welcher aufgrund dieser Schenkung die Königswürde für Polen ableitete. Heute ist diese Lanze in Krakau ausgestellt.
Der salische Kaiser Heinrich IV liess später einen Bruch der Heiligen Lanze durch eine Silbermanschette reparieren und bei dieser Gelegenheit auf der Manschette auch eine Inschrift anbringen, wonach die Lanze dem heiligen Mauritius, einem Legionär und Märtyrer der zur Zeit des römischen Maximian, Schwiegervater von Konstantin dem Grossen, gehört haben soll. Seit jenem Eingriff wurde die heilige Lanze auch als Mauritiuslanze bezeichnet.
Im 14. Jahrhundert liess Kaiser Karl IV als engagierter Reliquiensammler von dem in der Lanze eingeschlossenen, angeblichen Originalnagel des Heiligen Kreuzes ein Stück für seine eigenen Schätze entnehmen und offenbar zur Kaschierung dieses Eingriffs eine Goldmanschette um die ganze Lanze legen – so jedenfalls wird die auffällige Umhüllung der Lanze gedeutet.
Die Lanze wurde in Prag und Nürnberg aufbewahrt und liegt heute zusammen mit dem gesamten übrigen Reichsschatz in Wien.
Der Reichsschatz selbst – das sogenannte „rich“ – enthielt ebenfalls Reliquien: ein Stück vom heiligen Kreuz, ein Stück vom Strick, mit dem man Christus an die Säule gebunden hatte sowie den Schwamm, dem man ihm am Kreuz gereicht hatte. Es gab auch einen Zahn Johannes’ des Täufers, ein Stück vom Arm der heiligen Anna, der Mutter Marias, und viele Reliquien von Heiligen, darunter zum Beispiel das Schwert des heiligen Mauritius.
Eine noch kostbarere heilige Lanze wurde in Byzanz aufbewahrt. Gemeinhin galt dem Mittelalter diese Lanze als diejenige des heiliggesprochenen römischen Legionärs Longinus, der damit der frommen Legende nach auf Golgotha die Seite des gekreuzigten Jesus durchstossen hatte um dessen Tod zu überprüfen und der später mit der thebäischen Legion den Märtyrertod gestorben sein soll. Der französische König Ludwig IX der Heilige brachte zusammen mit der Dornenkrone und weiteren zahlreichen Reliquien die Spitze dieser Lanze von seinen Kreuzzügen mit nach Hause. Im Jahr 1492 bot Sultan Bayazid II dem Papst Innozenz VIII die ganze Longinus-Lanze an, die nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 in seinen Besitz gelangt war und deren abgebrochene äusserste Spitze die von Ludwig IX nach Paris gebrachte Reliquie gewesen sein soll. Die Lanze befindet sich heute im Petersdom in Rom. Das vordere Ende der Speerspitze aus der Sainte-Chapelle in Paris, welche extra für die mitgebrachten Reliquien Ludwigs IX erbaut wurde, ging in den Wirren der Französischen Revolution verloren.
Ein weiteres Exemplar der Longinus-Lanze wurde im ersten Kreuzzug anlässlich der Belagerung Antiochias durch die Seldschuken aufgestöbert. Ein Mitglied des in Antiochia belagerten Kreuzfahrerheeres, der Bauer Peter Bartholomäus, war massgeblich am Auffinden dieser Lanze beteiligt, indem er erklärte, dass ihm der heilige Andreas im Traum erschienen sei und ihm eröffnet habe, dass sich die bewusste Lanze in der St.Peter Kathedrale von Antiochia befände. Mit guten Gründen darf angenommen werden, dass es sich bei diesem „wundersamen“ Auffinden der heiligen Lanze gewissermassen um eine Art „psychologischer Kriegführung“ gehandelt hat. Jedenfalls motivierte die aufgefundene „Heilige“ Lanze das durch die Belagerung arg in Bedrängnis geratene und demoralisierte Kreuzfahrerheer zum erfolgreichen Abwehrkampf. Noch während des Kreuzzugs wurde die Lanze im April 1099 von Arnulf von Chocques untersucht und als Fälschung erklärt. Ihr Verbleib ist unbekannt.
Eine dritte Ausgabe der Heilige Lanze, an welche ebenfalls der Anspruch erhoben wird, die „echte“ Longinus-Lanze zu sein, mit welcher auf Golgota der Tod Christi festgestellt wurde, soll vom Apostel Thaddäus nach Armenien gebracht worden sein. Diese Lanze wurde in dem im 4. Jahrhundert gegründeten Kloster Geghar, 40 km südöstlich von Eriwan, aufbewahrt. Das Kloster erhielt um 1250 seinen heutigen Namen Geghardavank – „Kloster zur Heiligen Lanze“ – und ist noch heute ein beliebter Wallfahrtsort armenischer Christen. Diese heilige Lanze befindet sich heute in Etschmiadsin bei Eriwan.
PS: Die Achatschale in der Wiener Schatzkammer, die aus dem 4. Jahrhundert stammt, wurde ebenfalls mit dem Gral in Verbindung gebracht. (das gehört jetzt aber wohl in den anderen Thread -
)