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Portugal – Ein Land am Rande Europas - Druckversion

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RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Renegat - 02.08.2012 11:08

(02.08.2012 10:54)Arkona schrieb:  
(02.08.2012 10:32)Renegat schrieb:  Mission fand höchstens an den Küsten statt.
Der Drang, das Innere des afrikanischen Kontinents zu erforschen und zu erobern, kam erst im 19. Jhd auf.
Du hast offenbar meinen Link nicht beachtet, sonst würdest du das nicht behaupten.
Du hast offenbar überlesen, dass ich von der westafrikanischen Küste schrieb und die geht nicht bis zum Kongo, dein Link ist mit Kongo betitelt, deshalb habe ich ihn nicht gelesen.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Suebe - 02.08.2012 12:21

(02.08.2012 10:19)Arkona schrieb:  Zur Zeit der großen Entdecker eindeutig ja, nur in groben Zügen waren die Routen allgemein bekannt. Da schlummert sicher noch manche Überraschung in portugiesischen Archiven oder im Vatikan.

In Lissabon ist wohl Ende des 18. Jahrhunderts bei einem Erdbeben das "Zentrale Seefahrtsarchiv" abgebrannt.

Ich kenne das alles leider nur der Spur nach, aber es fasziniert mich sehr.
Mal sehen. was ich hier für Infos bekomme.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Arkona - 02.08.2012 12:57

(02.08.2012 11:08)Renegat schrieb:  
(02.08.2012 10:54)Arkona schrieb:  Du hast offenbar meinen Link nicht beachtet, sonst würdest du das nicht behaupten.
Du hast offenbar überlesen, dass ich von der westafrikanischen Küste schrieb und die geht nicht bis zum Kongo, dein Link ist mit Kongo betitelt, deshalb habe ich ihn nicht gelesen.
Ja klar doch - so kann man es auch sehen, um Recht zu behalten. Smile
Tatsache ist, dass lange vor den Afrikaforschern des 19. Jahrhunderts Portugal ziemlich detaillierte Kenntnisse vom Landesinneren hatte und sogar diplomatische Beziehungen zu entwickelten christianisierten Staatsgebilden Afrikas unterhielt. Als Livingstone und Stanley kamen, war davon freilich nichts mehr übrig.

Die Portugiesen engagierten sich auch, was kaum jemand weiß, im Hochland von Äthiopien, wo ein Sohn Vasco da Gamas umkam.
http://de.wikipedia.org/wiki/Cristov%C3%A3o_da_Gama
Es dauerte 80 Jahre bis der nächste Europäer, wieder ein Portugiese, den Tanasee erneut sah.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 03.08.2012 23:40

Die erste Republik (1910-1926)

1910 wurde in Portugal die erste Republik ausgerufen. Eine Militärrevolte hatte die konstitutionelle Monarchie gestürzt. Als eine der ersten Nationen Europas führte Portugal die Republik ein, ihre Ziele waren vor allem antiklerikal, nationalistisch und kolonialistisch geprägt. Außerdem sollte die Abhängigkeit von England bekämpft werden. Vor allem die Kirche bekam die Neuerungen zu spüren. Portugal hatte ein Antiklerikalismus gepackt: Priester wurden ermordet, Klöster geplündert und zerstört. Die Regierung verurteilte dies zwar, ging aber dennoch antiklerikal vor. So verwies man zum Beispiel Jesuiten des Landes oder schaffte kirchliche Feiertage ab. Auch die Situation der Arbeiter verbesserte sich nur geringfügig und es kam zu Aufständen.
Ernste Probleme bekam die Republik schließlich durch dauernde Regierungswechsel. Innerhalb von 15 Jahren Republik kam es zu 44 Regierungswechseln. Der erste Weltkrieg trug zur Destabilisierung bei.
Am 28. Mai 1926 wurde die Regierung schließlich durch einen Militärputsch ihres Amtes enthoben.



Übrigens: Es sind teilweise interessante Ähnlichkeiten zu Deutschland finde ich. Es ist erstaunlich, dass die frühen Republiken Europas mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Steppenwolf - 04.08.2012 10:54

(03.08.2012 23:40)Viriathus schrieb:  Die erste Republik (1910-1926)

1910 wurde in Portugal die erste Republik ausgerufen. Eine Militärrevolte hatte die konstitutionelle Monarchie gestürzt. Als eine der ersten Nationen Europas führte Portugal die Republik ein, ihre Ziele waren vor allem antiklerikal, nationalistisch und kolonialistisch geprägt. Außerdem sollte die Abhängigkeit von England bekämpft werden.

Muss man vor diesem Hintergrund den deutsch/britischen Teilungsplans der portugisieschen Kolonien sehen?


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Arkona - 04.08.2012 11:09

(04.08.2012 10:54)Steppenwolf schrieb:  Muss man vor diesem Hintergrund den deutsch/britischen Teilungsplans der portugisieschen Kolonien sehen?

Nun mal nicht so dubios. Für alle. Welcher Plan?


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Annatar - 05.08.2012 13:48

(04.08.2012 11:09)Arkona schrieb:  
(04.08.2012 10:54)Steppenwolf schrieb:  Muss man vor diesem Hintergrund den deutsch/britischen Teilungsplans der portugisieschen Kolonien sehen?

Nun mal nicht so dubios. Für alle. Welcher Plan?
Er meint den Angola-Vertrag:
Wikipedia schrieb:Verhandlungen über ein britisch-deutsches Bündnis führten aber schon 1898 zum sogenannten „Angola-Vertrag“: Für den Fall, dass Portugal Geld brauchen sollte, vereinbarten Deutschland und Großbritannien eine gemeinsame Anleihe, für welche die portugiesischen Kolonien als Pfand vorgesehen waren. Im Falle der erwarteten Zahlungsunfähigkeit Portugals sollte dann Zentralangola (Innerangola) an Großbritannien, hingegen Nord-, Süd- und Westangola an Deutschland fallen (ebenso Nord-Mosambik und Portugiesisch-Timor an Deutschland, Süd-Mosambik an Großbritannien). Deutschland verzichtete dafür auf die Unterstützung der Buren in deren Kampf gegen Großbritannien.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Angolas#Inbesitznahme_und_Abgrenzung_des_Hinterlands
Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Mittelafrika#Angola-Vertrag

Dieses Abkommen war allerdings mit dem Vertrag von Windsor zwischen Portugal und England wieder hinfällig.
http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Windsor_%281899%29


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Suebe - 06.08.2012 12:28

(05.08.2012 13:48)Annatar schrieb:  :
Wikipedia schrieb:Verhandlungen über ein britisch-deutsches Bündnis führten aber schon 1898 zum sogenannten „Angola-Vertrag“: Für den Fall, dass Portugal Geld brauchen sollte, vereinbarten Deutschland und Großbritannien eine gemeinsame Anleihe, für welche die portugiesischen Kolonien als Pfand vorgesehen waren. Im Falle der erwarteten Zahlungsunfähigkeit Portugals sollte dann Zentralangola (Innerangola) an Großbritannien, hingegen Nord-, Süd- und Westangola an Deutschland fallen (ebenso Nord-Mosambik und Portugiesisch-Timor an Deutschland, Süd-Mosambik an Großbritannien). Deutschland verzichtete dafür auf die Unterstützung der Buren in deren Kampf gegen Großbritannien.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Angolas#Inbesitznahme_und_Abgrenzung_des_Hinterlands
Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Mittelafrika#Angola-Vertrag

Dieses Abkommen war allerdings mit dem Vertrag von Windsor zwischen Portugal und England wieder hinfällig.

http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Windsor_%281899%29

Nö.
Man hat sich 1913 "wieder" geeinigt.
Zitat:In den deutsch-britischen Verhandlungen zur Aufteilung der portugiesischen und belgischen Afrikabesitzungen gab es erste konkrete Pläne. Im Juli 1913 einigten sich die Partner, für den Fall finanzieller Schwierigkeiten Portugals, auf den Anspruch Deutschlands auf Angola, außer dem Grenzgebiet zu Nordrhodesien, sowie auf Sao Tomé und Principe, während England Mosambik bis zum Lugenda beanspruchte



RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 06.08.2012 20:00

Salazarismus und Estado Novo
Die Militärregierung berief den Volkswirtschaftlehre-Professor António de Salazar zum Finanzminister. Diesem wurden weitreichende Kompetenzen zugestanden, mit denen es ihm gelang, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Wegen seiner erfolgreichen Politik und guten Beziehungen zu Militärs und Politikern wurde er 1932 zum Regierungschef ernannt.
Im neuen Staat („Estado Novo“) lag die Macht beim Ministerpräsidenten sowie beim Regierungschef. Unter dem bis 1968 regierenden Salazar wurde Portugal zur Diktatur. So wurden zum Beispiel Pressefreiheit, Opposition, Meinungsfreiheit und Streikrecht abgeschafft. Unter Salazars Nachfolger Marcello Caetano hatte der Estado Novo noch bis 1974 Bestand. Zu dieser Zeit trägt sich auch die von Lídía Jorge beschriebene Geschichte des Studenten in Paris zu (vgl. Jorge S. 183).


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Annatar - 07.08.2012 19:16

(06.08.2012 12:28)Suebe schrieb:  Nö.
Man hat sich 1913 "wieder" geeinigt.
Zitat:In den deutsch-britischen Verhandlungen zur Aufteilung der portugiesischen und belgischen Afrikabesitzungen gab es erste konkrete Pläne. Im Juli 1913 einigten sich die Partner, für den Fall finanzieller Schwierigkeiten Portugals, auf den Anspruch Deutschlands auf Angola, außer dem Grenzgebiet zu Nordrhodesien, sowie auf Sao Tomé und Principe, während England Mosambik bis zum Lugenda beanspruchte
Wusste ich nicht. Wie doppelmoralisch ist das denn ??


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Arkona - 07.08.2012 19:19

Zitat:Wikipedia schrieb:Verhandlungen über ein britisch-deutsches Bündnis führten aber schon 1898 zum sogenannten „Angola-Vertrag“: Für den Fall, dass Portugal Geld brauchen sollte, vereinbarten Deutschland und Großbritannien eine gemeinsame Anleihe, für welche die portugiesischen Kolonien als Pfand vorgesehen waren. Im Falle der erwarteten Zahlungsunfähigkeit Portugals sollte dann...
(07.08.2012 19:16)Annatar schrieb:  
(06.08.2012 12:28)Suebe schrieb:  Nö.
Man hat sich 1913 "wieder" geeinigt.
Wusste ich nicht. Wie doppelmoralisch ist das denn ??

Vielleicht verteilt man zur Zeit gerade auch schon die Ägäische Inselwelt. Big Grin


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Sansavoir - 07.08.2012 21:52

(06.08.2012 20:00)Viriathus schrieb:  Salazarismus und Estado Novo
Die Militärregierung berief den Volkswirtschaftlehre-Professor António de Salazar zum Finanzminister. Diesem wurden weitreichende Kompetenzen zugestanden, mit denen es ihm gelang, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Wegen seiner erfolgreichen Politik und guten Beziehungen zu Militärs und Politikern wurde er 1932 zum Regierungschef ernannt.
Im neuen Staat („Estado Novo“) lag die Macht beim Ministerpräsidenten sowie beim Regierungschef. Unter dem bis 1968 regierenden Salazar wurde Portugal zur Diktatur. So wurden zum Beispiel Pressefreiheit, Opposition, Meinungsfreiheit und Streikrecht abgeschafft. Unter Salazars Nachfolger Marcello Caetano hatte der Estado Novo noch bis 1974 Bestand. Zu dieser Zeit trägt sich auch die von Lídía Jorge beschriebene Geschichte des Studenten in Paris zu (vgl. Jorge S. 183).

Hallo Viriathus,
hattest nicht Du auch eine Kurzbiografie über Marcello Caetano im Forum von G/Geschichte erstellt. Könntest sie ja dann hier einstellen. Sorry, wenn ich das irgendwas verwechselt haben sollte.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 09.08.2012 20:13

(07.08.2012 21:52)Sansavoir schrieb:  Hallo Viriathus,
hattest nicht Du auch eine Kurzbiografie über Marcello Caetano im Forum von G/Geschichte erstellt. Könntest sie ja dann hier einstellen. Sorry, wenn ich das irgendwas verwechselt haben sollte.

Hatte ich. Habe die allerdings nicht mehr Sad


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 09.08.2012 20:35

Kolonialkrieg

Nachdem die Wirtschaftsbeziehungen zu den afrikanischen Kolonien Mozambique und Angola nach dem zweiten Weltkrieg zunächst positiv verliefen, kam es in den sechziger Jahren zu Aufständen.
Deren grausame Bekämpfung sorgte für zunehmende internationale Isolation, die Erfolglosigkeit und hohe Kosten sorgten innenpolitisch für eine Entfremdung des Militärs vom Regime.
Schon 1961 hatte Portugal seine Besitzungen in Indien verloren. Nach der Nelkenrevolution wurden die Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Maxdorfer - 10.08.2012 08:21

(09.08.2012 20:13)Viriathus schrieb:  
(07.08.2012 21:52)Sansavoir schrieb:  Hallo Viriathus,
hattest nicht Du auch eine Kurzbiografie über Marcello Caetano im Forum von G/Geschichte erstellt. Könntest sie ja dann hier einstellen. Sorry, wenn ich das irgendwas verwechselt haben sollte.

Hatte ich. Habe die allerdings nicht mehr Sad

Hier ist sie:

"Marcello Caetano machte unter Salazars Regime Karriere. Er war unter anderem Minister für die Kolonien. Nach dem Tod Salazars wurde er zu dessen Nachfolger ernannt, versuchte den Estado Novo weiterzuführen und wirkte zwischen 1968 und 1974. Noch gar nicht lange her.

Er führte den Kolonialkrieg, der ohnehin grausam seitens Portugal geführt, mit noch härterer Hand weiter. Portugal hatte zu dieser Zeit noch Mosambique und Angola als Kolonien in Afrika. Pikant an diesem Krieg, er war aus Sicht Portugals a) erfolglos und b) extrem teuer. Mehr als die Hälfte des Staatshaushalts (!!!) gingen für den Krieg drauf. Nun hatte unter anderem der Kolonialkrieg aber Portugal international isoliert. Insgesamt hatte sich das Militär vom Regime entfernt.
1974 wurde dann nahezu unblutig geputscht. Nelkenrevolution wurde dieses Ereignis später genannt, weil die putschenden Soldaten vielfach Nelken in ihre Gewehrläufe und an ihre Hemden steckten.
Caetano ging nach Madeira und Brasilien ins Exil."


Erraten hat das Rätsel im Forum-Spiel Scifi (Frage 146)

http://www.g-geschichte.de/forum/weltgeschichte/2912-interessante-geschichtliche-personen-andere-5.html#post97282


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Sansavoir - 10.08.2012 19:25

Siehste, es findet sich alles wieder. Smile


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 14.08.2012 18:22

Nelkenrevolution und der Weg nach Europa

Am 25. April 1974 putschte das Militär erfolgreich und unblutig gegen Salazars Nachfolger. Dieser Putsch wird auch als Nelkenrevolution bezeichnet. Nach einer zunächst kommunistisch orientierten Politik, bestätigten am 25. April 1975 die Bürger Portugals in den ersten freien Wahlen die neue Verfassung.
Das erste Wahlergebnis zeigte nur eine geringe Zustimmung für die Kommunisten, dagegen eine hohe für die Sozialisten. Portugal ging also einen gemäßigten Weg.
Der Weg Portugals nach der Nelkenrevolution kann als sehr erfolgreich bezeichnet werden, da ein klarer Bruch zum früheren Regime stattfand.
Durch diese Annäherung an den Westen Europas, die später durch eine Verfassungsänderung noch verstärkt wurde, entwickelte sich also eine Regierungsform, die es möglich machte, dass Portugal 1986 in die EU eintrat.
Die Folgen und Chancen dieses Eintritts beschreiben sowohl Jorge, als auch Schlör in ihren Veröffentlichungen.


Damit endet die grobe Skizzierung der portugisieschen Geschichte. Es folgt noch eine genauere Auseinandersetzung mit dem Judentum in Portugal, Portugal als Exodus Europas, sowie Europas Einfluss auf Portugal!
Ich hoffe die Geschichtsserie stieß auf Interesse.
Das kommende ist eigentlich jenes was mich besonders interessierte bei der vorliegenden Arbeit!


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 16.08.2012 22:08

Das Judentum in Portugal

Joachim Schlör erwähnt in seinen Reisenotizen, dass in der spanisch-portugiesischen Grenzregion ein Projekt zur Wiederherstellung der alten jüdischen Aljamas, also der alten jüdischen Viertel, geplant sei. Infolge dieser Beobachtung sieht er eine starke Verknüpfung jüdischer Geschichte mit Europa: „[…] Portugal: Endstation einer großartigen Geschichte des sephardischen Judentums, das sich von da an über Europa verteilt.“ (Schlör, 38). Die Verfolgung im Zuge der Inquisition brachte es mit sich, dass sich viele Juden im fünfzehnten Jahrhundert von ihrer iberischen Heimat lösten und in ganz Europa verteilten. Dies schuf eine Verbindung zu anderen Orten der jüdischen Geschichte. (vgl. Schlör, 38).

Ich möchte hier einen kleinen Überblick über den Verlauf der Verfolgungen und das damalige Leben der spanischen und portugiesischen Juden geben.

Die Geschichte des Judentums in Spanien und Portugal beginnt schon früh während der Entwicklung Portugals zu einem eigenen Königreich und der Reconquista. In den von den Christen zurückeroberten Städten kam es zu Ansiedlungen jüdischer Versammlungen und Gemeinden (vgl. Korst, 38).
Die Iberische Halbinsel war schon zur Zeit der Maurenherrschaft eine angenehme Heimat für die Juden gewesen (vgl. Czermak, 73). Nun wurden ihr Talent und der hohe Bildungszustand benötigt, um das neu erworbene Land sinnvoll zu organisieren. Es gab in den folgenden Jahren durchaus friedliche Zusammenarbeit auf religiöser als auch auf intellektueller Ebene (vgl. Czermak, 73). Der Einfluss der Juden ging wegen ihrer wirtschaftlichen und bürokratischen Bedeutung soweit, dass die Herrschenden ihre schützende Hand über die Juden hielten (vgl. Czermak, 74).
Das änderte sich mit dem zunehmenden Einfluss der Kirche auf den Staat. Es kam zu Zwangstaufen beziehungsweise zu freiwilligen Taufen. Diese Neuchristen waren ausgezeichnet ausgebildet und besetzten rasch wichtige Positionen im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichem Leben (vgl. Czermak, 74). Auch gegen diese Konvertiten richtete sich nun die Inquisition und es kam zu grausamen Verfolgungen. Der Gipfel wurde in Spanien im Jahr 1492 erreicht, in dem nahezu sämtliche Juden zur Emigration gezwungen wurden (vgl. Czermak, 75).
Viele der Fliehenden zogen nach Portugal, dessen König ihnen Offerten eröffnet hatte. Doch infolge des innenpolitischen Drucks der christlichen Bevölkerung und des stärker werdenden spanischen Einflusses (vgl. Beiträge oben) kam es auch in Portugal zu Aufforderungen zur Taufe. Im Jahr 1496 musste Portugals König dann endgültig die Vertreibung der Juden veranlassen (vgl. Bernecker und Pietschmann, 36). Nach einer Seuche in Lissabon kam es 1506 zu einem Pogrom gegen die getauften Neuchristen. Es wurden zweitausend (!) Konvertiten verbrannt (eine unfassbare Zahl und Gausamkeit). Dieses Ereignis veranlasste erneut viele Juden zur Emigration (vgl. Bernecker und Pietschmann, 36; Czermak, 76). Die Inquisition wurde am 12. Oktober 1536 auch in Portugal eingeführt.

Es wird hier ein weiteres Mal deutlich, wie weit religiöser Fanatismus gehen kann. Im zwanzigsten Jahrhundert kam es zur Rückkehr einiger Juden nach Portugal und im Jahr 1904 wurde die heutige Synagoge in Lissabon gebaut. Es bleibt zu hoffen, dass dem Judentum im neuen Jahrtausend, dem Zeitalter der europäischen Verständigung, eine bessere und friedlichere Geschichte in Europa zukommt.




Ich bitte die etwas amateurhafte Quellenarbeit zu verzeihen, die Grundlage dieser Beiträge ist einige Jahre alt.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 25.08.2012 16:03

Ich starrte auf das Schiff. Es lag ein Stück vom Quai entfernt, grell beleuchtet, im Tejo. Obschon ich seit einer Woche in Lissabon war, hatte ich mich noch immer nicht an das sorglose Licht dieser Stadt gewöhnt. In den Ländern, aus denen ich kam, lagen die Städte nachts schwarz da wie Kohlegruben, und eine Laterne in der Dunkelheit war gefährlicher als die Pest im Mittelalter. Ich kam aus dem Europa des zwanzigsten Jahrhunderts.

Das Schiff war ein Passagierdampfer, der beladen wurde. Ich wußte, daß es am nächsten Abend abgehen sollte. Im harten Schein der nackten elektrischen Birnen wurden Ladungen von Fleisch, Fisch, Konserven, Brot und Gemüse verstaut; Arbeiter schleppten Gepäck an Bord, und ein Kran schwang Kisten und Ballen so lautlos herauf, als wären sie ohne Gewicht. Das Schiff rüstete sich zur Fahrt, als wäre es eine Arche in der Sintflut. Es war eine Arche. Jedes Schiff, das in diesen Monaten des Jahres 1942 Europa verließ, war eine Arche. Der Berg Ararat war Amerika, und die Flut stieg täglich. Sie hatte Deutschland und Österreich seit langem überschwemmt und stand tief in Polen und Prag; Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen, Oslo und Paris waren bereits in ihr untergegangen, die Städte Italiens stanken nach ihr, und auch Spanien war nicht mehr sicher. Die Küste Portugals war die letzte Zuflucht geworden für die Flüchtlinge, denen Gerechtigkeit, Freiheit und Toleranz mehr bedeuteten als Heimat und Existenz.
Wer von hier das gelobte Land Amerika nicht erreichen konnte, war verloren. Er mußte verbluten um Gestrüpp der verweigerten Ein- und Ausreisevisa, der unerreichbaren Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen, der Internierungslager, der Bürokratie, der Einsamkeit, der Fremde und der entsetzlichen allgemeinen Gleichgültigkeit gegen das Schicksal des Einzelnen, die stets die Folge von Krieg, Angst und Not ist. Der Mensch war um diese Zeit nichts mehr; ein gültiger Pass alles.




Mit diesen Zeilen, die dem Anfang von Erich Maria Remarques Roman "Die Nacht von Lissabon" entnommen sind, leite ich das nächste Thema ein. Europa als Exodus Europas.
Eindrucksvoller und realistischer als Remarque, der selber aus Europa fliehen musste, kann man die Lage wohl nicht beschreiben. Für mich ist dieser Start einer der eindrücklichsten, den ich je in einem Roman gelesen habe.
Der ganze Roman ist ein eindrucksvolles Bild von einem Flüchtling zur Zeit in der das Dritte Reich Europa mit Krieg überzog.


RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 25.08.2012 16:04

Die Peripherie als Zufluchtsort und Exodus

„Lisboa: prachtvolles Theater der Emigration“ (Schlör, 37). So beginnt Schlör seine Ausführungen zu Lissabon als Tor zur Welt. Auf der einen Seite liegt Afrika, auf der anderen, im Westen, Amerika: ein idealer Platz den Kontinent zu verlassen. Die Seefahrer und Entdecker waren auf der Suche nach Reichtum und neuem Land (vgl. Kap. 3.2. und 3.3.). Zur Zeit des Nationalsozialismus jedoch entzogen sich hier viele Menschen den Fängen der Gestapo, entweder um zu bleiben oder um weiterzureisen.

Fast 100000 Emigranten flohen aus dem Machtbereich der Nationalsozialisten über Frankreich und Spanien nach Portugal beziehungsweise Lissabon. Darunter auch namhafte Intellektuelle wie Heinrich Mann.
Nach dem Aufenthalt in Frankreich, das teilweise besetzt war, und Spanien, das durch den Bürgerkrieg ebenfalls keinen sicheren Aufenthaltsort bot, war Portugal das erste Land, indem sich die Flüchtlinge sicher fühlten. Das Land war nicht durch Kriege gezeichnet und fast nichts erinnerte an Verwüstungen oder Kriegsalltag, wie zum Beispiel Sperrstunden (vgl. von zur Mühlen, 115). Dies führte unweigerlich dazu, dass viele Emigranten Portugal durchweg positiv beurteilten. Die Diktatur Salazars (vgl. Kap. 3.8.) wurde wenig beachtet. Von manchen Emigranten wurde er sogar gegen Angriffe in Schutz genommen (vgl. von zur Mühlen, 115). Ein Grund dafür mag sein, dass sich Salazar anders als die anderen europäischen Diktatoren präsentierte. Portugal war weder stark militärisch geprägt noch gab es Personenkult oder Aufmärsche (vgl. von zur Mühlen, 116). Die schlimmere Gefahr wurde von den Flüchtenden also verständlicherweise jenseits der Grenzen des kleinen Staates gesehen.
Trotz dieser erträglichen Innenpolitik flohen die meisten Emigranten zunächst ins näher gelegene Ausland (Niederlande oder Frankreich). Erst als das faschistische Deutschland in diesen Staaten einmarschierte, rückte das kleine, weit entfernte Land am Atlantik in den Blickpunkt der Auswanderer (vgl. von zur Mühlen, 121). Zunächst emigrierten mehrheitlich jüdische Bürger aus den besetzen Gebieten und Deutschland nach Portugal. Obwohl sich die jüdischen Flüchtlinge sehr gut in den Arbeitsmarkt integrieren konnten und Portugals Wirtschaft wuchs (vgl. Kap. 3.8.), stellten sich mit der zunehmenden Anzahl soziale Probleme ein. Die Flüchtenden wurden von den jüdischen Gemeinden in Lissabon, Faro, Porto und Braganza unterstützt (vgl. von zur Mühlen, 124f.).
Viele Emigranten zogen nach der Ankunft in Portugal weiter in Portugals damalige Kolonien. Außerdem reisten zahlreiche Emigranten in die USA oder nach Südamerika aus. Hier zeigt sich, dass Portugal zu dieser Zeit durchaus ein Tor zur Welt war (vgl. von zur Mühlen, 155).
Der spanische Bürgerkrieg unterbrach in den folgenden Jahren den regen Flüchtlingsstrom, der sich aber bald wieder einstellte und Portugal vor innenpolitische Probleme stellte. Im Jahr 1938 wurden einige Emigranten abgewiesen und mussten zurückkehren. Anders als in anderen Länder, die Flüchtlinge aufnahmen, gab es in Portugal zwar keinen Antisemitismus, da in Portugal seit dem siebzehnten Jahrhundert kaum noch Juden lebten (vgl. Kap. 4.1.), dennoch hatte auch die portugiesische Bevölkerung Angst vor Überfremdung (vgl. von zur Mühlen, 128f.).
Portugals Rolle im Zweiten Weltkrieg war neutral geprägt und die Politik versuchte erfolgreich, sich aus allen Konflikten herauszuhalten (vgl. von zur Mühlen, 130f.).
Dennoch rettete die Regierung alle portugiesischen Juden, die sich im Deutschen Reich aufhielten, und trat später noch als Vermittler bei anderen Nationen auf.

Schlörs Ausspruch, Lissabon sei ein prachtvolles Theater der Emigration, scheint durchaus angebracht. Die Emigranten in ihrer kulturellen Vielfalt und Verschiedenheit müssen manchen der einheimischen Portugiesen teilweise wie Schauspieler in einem Theater oder vielleicht auch wie Figuren in einer Tragödie vorgekommen sein.