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Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Druckversion

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Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 12.11.2013 19:51

Wie wäre der 1. Weltkrieg verlaufen, wenn Deutschland keine große Flotte gehabt hätte?


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Sansavoir - 13.11.2013 00:59

(12.11.2013 19:51)Suebe schrieb:  Wie wäre der 1. Weltkrieg verlaufen, wenn Deutschland keine große Flotte gehabt hätte?

Diese Frage ist eigentlich nur bedeutend für die deutsch-britischen Beziehungen. Ich gehe davon aus, dass die deutsch-britischen Beziehungen untersucht werden sollen. Denn der erste Weltkrieg wurde militärisch zu Land entschieden und nicht zu See, außer Skagerak hatte die deutsche Flotte keine bedeutende Schlacht zu bestehen gehabt.

Fakt ist, dass Großbritannien ein nicht maritim aufgerüstetes Deutsches Reich nicht als potentiellen Kriegsgegner Nr. 1 betrachtet hätte. Seit der siegreichen Schlacht von Trafalgar im Jahr 1805 über die vereinigte französische und spanische Flotte behauptete sich Großbritannien als einzige Seemacht. Auf diesen Status wurde eifersüchtig gewacht.

Die britische Außenpolitik des 18. und des 19. Jahrhunderts bestand darin, dass ein Status Quo in Europa gewahrt wurde. Dabei bediente man sich eines Herrschaftssystems, das als europäische Pentarchie bezeichnet wurde. D.h. die britische Diplomatie bemühte sich um eine Machtbalance zwischen den anderen europäischen Großmächten Frankreich, Russland, Österreich und Preußen. Wichtig war, dass sich keine dieser Großmächte als Beherrscher Europas aufschwingen konnte, wie z.B. das napoleonische Frankreich. In den wechselnden Allianzen unterstützte Großbritannien meistens die scheinbar Schwächeren, denen dann bei einem zu großen Machtzuwachs die Unterstützung entzogen wurde. Dieses System sicherte die britische Vorherrschaft über Europa.

Ein weiterer wichtiger Punkt der britischen Politik war der Erhalt der alleinigen Seeherrschaft über die Weltmeere. Hier wurde keine Konkurrenz geduldet, mögliche Gegner wie die französische oder spanische Flotte wurden im 18. Jahrhundert hart bekämpft, so dass die britische Flotte bis zum Ende des 19. Jahrhundert keinen ernsthaften Gegner mehr hatte. Das änderte sich jedoch mit dem Aufbau der deutschen Flotte, aber auch der US-amerikanischen Flotte, wobei letztere bis dahin nur in der Karibik oder im Pazifik als Konkurrent der Briten in Erscheinung trat.

Die deutsche Flotte wurde von Anfang an als lästige Konkurrenz, jedoch nicht als Bedrohung angesehen. Im Deutschen Reich hatte der Aufbau eine vorrangige Stellung eingenommen, das Flottenprogramm war eine Kernkomponente der wilhelminischen Politik geworden. Aber zu Beginn des Ersten Weltkriegs war die britische Flotte der deutschen Marine zahlenmäßig weit überlegen.

Für die Briten bestand nicht das Problem, wie groß die deutsche Kriegsflotte war. Das Problem, um nicht zu sagen, die Katastrophe der britischen Außenpolitik bestand darin, dass 1871 mit der Entstehung des Deutschen Reiches das System der europäischen Pentarchie zusammenbrach und eine starke, eigenständige Macht in Zentraleuropa entstand, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke den britischen (sowie den russischen und französischen) Einfluss in der europäischen Politik zurückdrängte. Die Briten sahen ihre Möglichkeiten reduziert, die Balance des europäischen Gleichgewichts auszuloten. Sie betrachteten die Wirtschaftsstärke und den damit verbundene politische Machtzuwachs des Deutschen Reiches als das eigentlich Störende ihrer Politik, die deutsche Flotte symbolisierte dies nur für die Öffentlichkeit, obwohl sie tatsächlich nicht stark genug war, um auf Dauer gegen die Briten zu bestehen.

Was wäre geschehen, wenn das Deutsche Reich nicht sein ehrgeiziges Flottenprogramm umgesetzt hätte. Ich denke, die Briten hätten die Chance gehabt, ihre Außenpolitik neu auszurichten. D.h. die Briten hätten zwischen ihren Interessen in Afrika, Asien und Europa abgewogen und vielleicht Frankreich aufgrund dessen Konkurrenz in Afrika oder Russland aufgrund dessen Expansion in Mittelasien stärker als Gegner ihrer Interessen betrachtet. Ebenso hätte die Briten die US-Politik neu bewerten können, denn deren Außenpolitik in Lateinamerika hatte das Ziel, den Einfluss anderer Ausländer (also de facto den der Briten) dort zu beseitigen (Monroe-Doktrin). Die Briten hätten ihre Außen- und Kolonialpolitik emotionslos, vom historischen Ballast entledigt, modernisieren und ausloten können.

Das schließt aber nicht aus, dass die Briten die Existenz des Deutschen Reiches nach wie vor als ihr größtes Problem betrachtet hätten. Die mehr oder weniger konsequent antideutsche Politik der Briten seit 1871 (wenn man will: bis 1990) ist sicher eine Ursache des Niedergangs des britischen Weltreiches.


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 13.11.2013 16:29

Ich wollte tatsächlich den Beitrag der Flotte im Krieg diskutieren.

Aber dein Post ist natürlich Super.

Die letztlich für Europa so verhängnisvollen Folgen britischer "Gleichgewichtspolitik" habe ich eigentlich noch nie so gut zusammengefasst gelesen.


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Sansavoir - 14.11.2013 03:33

(13.11.2013 16:29)Suebe schrieb:  Ich wollte tatsächlich den Beitrag der Flotte im Krieg diskutieren.

Aber dein Post ist natürlich Super.

Die letztlich für Europa so verhängnisvollen Folgen britischer "Gleichgewichtspolitik" habe ich eigentlich noch nie so gut zusammengefasst gelesen.

Erstmal vielen Dank für das Lob.

Auch wenn ich mit meiner Meinung in der Minderheit sein könnte, ich halte nicht so viel von der kaiserlichen deutschen Flotte.

1. Zur Verteidigung der Küsten hätte eine kleinere Flotte ausgereicht.
2. Gegen die britische Flotte hätte die deutsche Flotte auf Dauer keine Chance gehabt.
3. Die Briten verfolgten eine Strategie, Schlachten zu vermeiden. Stattdessen riegelten sie mit ihrer Flotte verschiedene Handelsrouten/Seewege ab.
4. Die Deutschen konnten mit ihrer Flotte keine überseeischen Gebiete verteidigen wie z.B. Deutsch-Samoa
5. Die U-Bootflotte griff auch neutrale Staaten an, dies förderte die antikaiserliche Propaganda: Bethmann-Hollweg setzte schließlich durch, dass ab September 1915 der U-Bootkrieg nicht fortgesetzt wird. Dies passierte auch erst wieder 1917, als Bethmann-Hollweg entmachtet war.
6. Viele Schiffe der deutschen Flotte lagen über Monate in den Häfen. Dies führte dazu, dass die Matrosen mit revolutionären Gedankengut in Berührung kamen und dadurch radikalisiert wurden. Auch weil sie wussten, dass der Krieg nicht zu See entschieden wird und ihre Opfer umsonst wären.

Positiv am Bau der Flotte war natürlich, dass neue Technologien z.B. das Schweißen, usw. Anwendung fanden oder neue Stähle entwickelt wurden, die später auch im zivilen Bereich genutzt wurden.


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 14.11.2013 09:37

(14.11.2013 03:33)Sansavoir schrieb:  Erstmal vielen Dank für das Lob.

Auch wenn ich mit meiner Meinung in der Minderheit sein könnte, ich halte nicht so viel von der kaiserlichen deutschen Flotte.

1. Zur Verteidigung der Küsten hätte eine kleinere Flotte ausgereicht.
2. Gegen die britische Flotte hätte die deutsche Flotte auf Dauer keine Chance gehabt.
3. Die Briten verfolgten eine Strategie, Schlachten zu vermeiden. Stattdessen riegelten sie mit ihrer Flotte verschiedene Handelsrouten/Seewege ab.
4. Die Deutschen konnten mit ihrer Flotte keine überseeischen Gebiete verteidigen wie z.B. Deutsch-Samoa
5. Die U-Bootflotte griff auch neutrale Staaten an, dies förderte die antikaiserliche Propaganda: Bethmann-Hollweg setzte schließlich durch, dass ab September 1915 der U-Bootkrieg nicht fortgesetzt wird. Dies passierte auch erst wieder 1917, als Bethmann-Hollweg entmachtet war.
6. Viele Schiffe der deutschen Flotte lagen über Monate in den Häfen. Dies führte dazu, dass die Matrosen mit revolutionären Gedankengut in Berührung kamen und dadurch radikalisiert wurden. Auch weil sie wussten, dass der Krieg nicht zu See entschieden wird und ihre Opfer umsonst wären.

Positiv am Bau der Flotte war natürlich, dass neue Technologien z.B. das Schweißen, usw. Anwendung fanden oder neue Stähle entwickelt wurden, die später auch im zivilen Bereich genutzt wurden.


Zustimmung.

Meine These jedoch:
Ohne große Flotte wäre der 1. Weltkrieg für das Deutsche Reich spätestens 1916 endgültig verloren gewesen.

Gründe:
1. Die Dänen hatten 1914 ja noch durchaus eine offene Rechnung mit dem Reich. In Schleswig-Holstein war vorsichtshalber die "Nordarmee" aufmarschiert. Die Truppen verlegten Mitte August teilweise zur 8. Armee als willkommene Verstärkung gerade noch rechtzeitig zur Tannenberg-Schlacht, und an die Marne.
2. Auch Holland, Norwegen und Schweden wurden durch die Flotte in der Neutralität gehalten.

Fortsetzung folgt.


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 14.11.2013 10:37

Zustimmung.

Meine These jedoch:
Ohne große Flotte wäre der 1. Weltkrieg für das Deutsche Reich spätestens 1916 endgültig verloren gewesen. Idea

Gründe:
1. Die Dänen hatten 1914 ja noch durchaus eine offene Rechnung mit dem Reich. In Schleswig-Holstein war vorsichtshalber die "Nordarmee" aufmarschiert. Die Truppen verlegten Mitte August teilweise zur 8. Armee als willkommene Verstärkung gerade noch rechtzeitig zur Tannenberg-Schlacht, und an die Marne.
2. Auch Holland, Norwegen und Schweden wurden durch die Flotte in der Neutralität gehalten.

Fortsetzung folgt.


3. Die Flotte hat nachhaltig und bis Kriegsende die Ostseeeingänge für die Entente gesperrt. Und am Skaggerak dies auch für den weiteren Kriegsverlauf nochmals bestätigt. Als es der britischen Homefleet nicht möglich war, die deutsche Hochseeflotte auszuschalten.

4. Die Flotte, Goeben und Breslau, hat den Kriegseintritt des Osmanischen Reiches entscheidend mit herbeigeführt.

5. Durch die Sperre der Ostsee und der Dardanellen war das Zarenreich den Erfordernissen des "technisierten Krieges" nicht gewachsen. Lediglich 7% der Vorkriegseinfuhren kamen noch an, und noch weniger, nur 5 % der Vorkriegsausfuhren verließen noch Russland.

Wenn Russland durch England/Frankreich mit Rüstungsgütern hätte versorgt werden können, wäre das für die Mittelmächte negative Kriegsende viel früher eingetreten.


Summa sumarum:
Die Flotte hat die ihr gestellten Aufgaben im Rahmen der Möglichkeiten sehr gut erfüllt.Thumbs_up


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Sansavoir - 14.11.2013 23:59

Das sind natürlich wichtige Argumente für die kaiserliche Flotte. Aber wäre es nicht besser gewesen, der Krieg hätte schon 1916 beendet werden können?


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 15.11.2013 15:48

(14.11.2013 23:59)Sansavoir schrieb:  Das sind natürlich wichtige Argumente für die kaiserliche Flotte. Aber wäre es nicht besser gewesen, der Krieg hätte schon 1916 beendet werden können?


Mit dem Wissen des Nachgeborenen, sicherlich.


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Titus Feuerfuchs - 16.11.2013 07:10

(13.11.2013 00:59)Sansavoir schrieb:  
(12.11.2013 19:51)Suebe schrieb:  Wie wäre der 1. Weltkrieg verlaufen, wenn Deutschland keine große Flotte gehabt hätte?

Diese Frage ist eigentlich nur bedeutend für die deutsch-britischen Beziehungen. Ich gehe davon aus, dass die deutsch-britischen Beziehungen untersucht werden sollen. Denn der erste Weltkrieg wurde militärisch zu Land entschieden und nicht zu See, außer Skagerak hatte die deutsche Flotte keine bedeutende Schlacht zu bestehen gehabt. [...]
Auch wenn D keine großen Flotte gehabt hätte, bleibt die Frage offen, ob die Briten den deutschen Einmarsch ins neutrale Belgien geduldet hätten. Ich meine, nein. Ergo wären sie sowieso mit von der Partie gewessen...


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 16.11.2013 11:25

Ohne starke deutsche Flotte holen sich die Russen im Herbst 1914 Istambul und die Dardanellen. (Der Versuch 1908 hätte fast zu einen Krieg geführt.)
..... werden die Russen durch die Ostsee beliefert.
..... holen sich die Dänen Schleswig-Holstein "zurück".

..... finis Germaniae 1915


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 17.11.2013 14:16

Genau genommen wurde die Entente durch die britische "Nicht"-Ratifizierung des Londoner-Seerechtsabkommen entscheidend geschädigt.

Das Seerechtsabkommen, übrigens entstanden unter der Schrimherrschaft des damaligen britischen Außenministers Grey, hatte schon das Unterhaus durchlaufen.
Gescheitert ist es im House of Lords, vermutlich die letzte Entscheidung mit weltpolitischer Wirkung die im britischen Oberhaus gefallen ist.

These:
Die britische Blockade, vermeintlich das Mittel zum Sieg, hat die Kriegführung der Entente schwer geschwächt.
Und in der Folge die Welt entscheidend verändert. Hervorstechendes Merkmal ist neben der Entstehung der Sowjetunion der Verlust der britischen Weltmachtstellung.



RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - 913Chris - 17.11.2013 18:55

Kürzlich in einer Doku gesehen: Das erste britische Schlachtschiff, das einer deutschen Mine zum Opfer fiel, war die "Audacious" 1914. Der Verlust wurde von der RN geheim gehalten, so lang´s ging, weil man fürchtete, die deutsche Flotte würde sich zu einem Angriff verleiten lassen - Anfang des Krieges durchaus eine gefährliche Situation für die RN, weil viele wichtige Schiffe noch in der Umrüstung oder Reparatur waren und somit nicht einsatzfähig. Durch den Verlust der "Audacious" waren zu diesem Zeitpunkt RN und Reichsflotte fast gleichwertig - nur wussten die Deutschen nichts davon, und als sie davon wussten, war´s schon zu spät.

BTW: Der Kapitän des deutschen Hilfskreuzers "Berlin", der die Mine gelegt hatte, wurde daheim bestraft und durfte nie wieder ein Schiff führen. Er hatte das Minenlegen wegen starken Funkverkehrs der Briten abgebrochen und einen (erfolglosen) Kaperzug im Nordatlantik versucht...

VG
Christian


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 18.11.2013 21:24

(17.11.2013 18:55)913Chris schrieb:  Kürzlich in einer Doku gesehen: Das erste britische Schlachtschiff, das einer deutschen Mine zum Opfer fiel, war die "Audacious" 1914. Der Verlust wurde von der RN geheim gehalten, so lang´s ging, weil man fürchtete, die deutsche Flotte würde sich zu einem Angriff verleiten lassen - Anfang des Krieges durchaus eine gefährliche Situation für die RN, weil viele wichtige Schiffe noch in der Umrüstung oder Reparatur waren und somit nicht einsatzfähig. Durch den Verlust der "Audacious" waren zu diesem Zeitpunkt RN und Reichsflotte fast gleichwertig - nur wussten die Deutschen nichts davon, und als sie davon wussten, war´s schon zu spät.


Ich habe mir mal den zeitlichen Ablauf angesehen, kurz danach im November 1914 haben die Briten mehrere moderne Schlachtkreuzer in den Südatlantik geschickt, das dt. Kreuzergeschwader abfangen, die zuvor bei Coronel ein englisches Geschwader besiegt hatten.

Insgesamt war die Lage doch komplizierter. Wenn es eine Chance gegeben hätte, dann im November-Dezember 1914.
Aber, was man nie vergessen darf, die Briten brauchten keine Seeschlacht zur Aufrechterhaltung der Fernblockade. Exclamation

Skagerrak war der Versuch die deutsche Blockade der Ostsee zu brechen. Die Russen pfiffen da ja bereits auf dem vorletzten Loch.

Ich denke schon, dass die deutsche Flotte 14-18 ihre Aufgabe gelöst hat.Idea


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 19.11.2013 18:19

Man hat bei der Flottenführung 1911 sofort erkannt, dass die Briten auf die Fernblockade umstellten.
Es war auch klar, dass die dt. Hochseeflotte damit "ausmanövriert" war. Da man um die Fernblockade zu brechen, Schiffe mit deutlich höherer Seeausdauer gebraucht hätte.
Die Flottenleitung befürchtete aber, dass der "Thron" wackeln oder stürzen würde, wenn diese Fakten publiziert worden wären.

1914 wurde die Flotte bewusst geschont, insbesondere nach dem "Helgoland-Gefecht", da man davon ausging, dass der Krieg auf dem Land gewonnen werden würde, für den Landkrieg die Flotte keine entscheidenden Ergebnisse bringen könnte.
und die Flotte nach gewonnem Krieg eine weltpolitische Rolle spielen würde.

Quelle: MGFA "Deutsche Militärgeschichte 1848-1939"


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 22.11.2013 21:17

Es ist bemerkenswert.

Die Flotte hat ganz zweifellos entscheidend dazu beigetragen, dass Russland 1917 zusammenbrach.
Damit wäre ein positives Kriegsende in Sicht gewesen.

ABER:
Man hatte inzwischen den unbeschränkten U-Bootkrieg erklärt, die USA hatten die diplomatischen Beziehungen abgebrochen.
In diesem Moment, insbesondere da Russland mit der Februar-Revolution absehbar aus dem Krieg ausscheiden würde, hätte man den unbeschränkten U-Bootkrieg halt wieder nach Prisenordnung führen sollen.
Die USA umgehend informieren, und der Grund für den Kriegseintritt wäre zuerst mal entfallen.

Diese Rolle der Flotte kam bisher in dem 3nd noch nicht zur Sprache.
Der U-Bootkrieg in der Form, der die USA zum Feind machte, war halt auch der Flotte geschuldet.


RE: Beitrag der deutschen Flotte zum 1. Weltkrieg - Suebe - 26.11.2013 10:59

(25.11.2013 22:14)Köbis17 schrieb:  
(22.11.2013 21:17)Suebe schrieb:  [...]
ABER:
Man hatte inzwischen den unbeschränkten U-Bootkrieg erklärt, die USA hatten die diplomatischen Beziehungen abgebrochen.
In diesem Moment, insbesondere da Russland mit der Februar-Revolution absehbar aus dem Krieg ausscheiden würde, hätte man den unbeschränkten U-Bootkrieg halt wieder nach Prisenordnung führen sollen.
Die USA umgehend informieren, und der Grund für den Kriegseintritt wäre zuerst mal entfallen.
[...]

Meinst Du wirklich, die USA wäre mit der nicht Ausführung eines unbeschränkten Uboot-Krieges nicht in den Krieg eingetreten?
Wirtschaftlich war doch die USA 1914 auf keinen Krieg vorbereitet, wenn sie massiv ab 1917 in den Krieg eintrat nicht nur mit Soldaten sondern auch mit Frachtschiffen, konnte diese wirtschaftliche Vorleistung wohl kaum noch gestopt werden.
Ich denke, da war der Uboot-Krieg, ob nun beschränkt oder unbeschrängt, nur noch Mittel zum Zweck. Die Art der Stärke des Uboot-Krieges spielte dabei keine Rolle mehr.

Frankreich - England haben 1914 für 600 Mill. dollar aus den USA Waren bezogen.
Deutschland und ÖU für 170 Mill. Dollar bis 1916 war dieser Handel auf nahe Null gesunken.
England-Frankreich lagen inzwischen auf 3 Milliarden US-Dollar Warenbezug aus den USA.
Dass die von dem her natürlich schon auf Seiten ihrer Debitoren (Forderungen) waren ist unbestritten.
Aber die deutsche Minderheit in den USA hatte nicht geringen Einfluss. Und Wählerstimmen!
Es ist auch ein qualitativer Unterschied, ob man Business macht, oder ob man seine Kinder aufs Schlachtfeld schickt.

Als im Februar die Kampfhandlungen im Osten aufhörten, hätte man halt noch schnell das Steuer herumwerfen sollen. Die US-Kriegserklärung kam erst im April.
Wie wären die Briten und Franzosen im Sommer 1917 dagestanden, ohne Verbündeten? Nicht meine Weisheit, sie stammt von Max von Baden.

Und nochmals:
Die völlig völkerrechtswidrige Durchführung der Blockade im 1. WK hat der Seite der Alliierten wesentlich mehr geschadet als den Mittelmächten.


Der Kriegseintritt des Osmanischen Reiches - Suebe - 04.12.2013 13:27

In der Folge der Balkankriege hatte das Osmanische Reich ausländische Militräberater geholt, Franzosen für die Gendarmerie, Briten für die Flotte und Deutsche für das Heer. Aber keine Russen! Das ganze wuchs sich zu einer ordentlichen Krise aus, können wir mal gelegentlich separat diskutieren, "Liman-Krise".

Um was es mir hier geht:
man hatte in England zwei "wunderschöne" Großkampfschiffe bestellt, die im Lauf des 1. Halbjahres 1914 fertig wurden.
Die Schiffe kosteten die damals immense Summe von 30 Millionen US-Dollar, das Geld war durch eine türkische Volksspende aufgebracht worden, im Prinzip hatte jeder anatolische Bauer gespendet.

Als das erste Schlachtschiff fertig wurde, im Mai 1914, machte man den Türken weiß, dass es Hinweise auf einen griechischen U-Boot-Angriff geben würde, sie sollen besser warten bis das andere Schiff auch fertig wäre. Inzwischen waren die ersten Raten für die Schiffe bezahlt.
Im Juli wurde dann das andere fertig, aber man "musste" Probefahrten verschieben, die Artillerie konnte nicht eingeschossen werden, usw. usf.
Ein türkischer Passagierdampfer mit den Besatzungen an Bord lag auf der Tyne, wartete auf die Übernahme. Schließlich erklärte der osmanische Admiral, er würde die Schiffe in Besitz nehmen, die osmanische Flagge hissen, und nach Hause dampfen. Intern gab es daraufhin eine britische Anweisung, dies nötigenfalls mit Waffengewalt zu verhindern.

Am 29. Juli 1914 erklärte Churchill die beiden Schlachtschiffe für requiriert.
(Dieser Ausdruck wurde wohl tatsächlich benutzt)
Am 4. August 1914 hat Grey (britischer Außenminister) dies der Osmanischen Regierung offiziell mitgeteilt, bedauert, bittet um Verständnis, usw. usf. und endet mit den Worten, dass der finanzielle Verlust des Osmanischen Reiches "gebührend berücksichtigt" würde. Kein Wort davon, dass die britische Regierung zumindest die bereits von den Türken geleisteten Zahlungen erstatten würden.


Der osmanische Kriegseintritt II - Suebe - 05.12.2013 11:13

1911 hatte Großbritannien ein Bündnisangebot des Osmanischen Reiches abschlägig beschieden.
Der Absagebrief Churchills enthielt den Passus, dass es für die Türkei trotz dieser Absage angebracht wäre weiterhin die Freundschaft Großbritannien zu suchen, jedenfalls solange England die Meere beherrschen würde.
Schon nach dem Krimkrieg gab es britische Meinungsäußerungen, dass man "auf das falsche Pferd gewettet" hätte.

Im Juli 1914 bemühte sich das Deutsche Kaiserreich sehr um ein Bündnis mit den Osmanen.
In der türkischen Regierung gab es verschiedene Meinungen, die einen neigten den Deutschen zu, die anderen eher den Briten, ein Teil war für Neutralität.
Allgemein gab es die Überzeugung, dass man auf gar keinen Fall sich der später unterliegenden Seite anschließen dürfe, da dies das Ende des Osmanischen Reiches bedeuten würde.
Den Ausschlag gab die Beschlagnahme der Schlachtschiffe.
Am 4. August unterschrieb man den Bündnisvertrag mit dem Deutschen Reich.

Dieser hätte die Türkei verpflichtet Russland den Krieg zu erklären.
Aber, man wusste in Konstantinopel halt noch nicht sicher, ob die Deutschen auch tatsächlich gewinnen würden. Und vorher ...

Inzwischen war das deutsche Mittelmeergeschwader unter recht dramatischen Umständen unterwegs, hatte algerische Häfen beschossen, die Briten und Franzosen rechneten mit weiteren Angriffen auf franz Truppentransporte, oder den versuchten Ausbruch in den Atlantik, oder dass sie zu den Österreichern in die Adria dampfen würden.,

Die Goeben und Breslau gingen jedoch in den Bosporus, man ließ sie nach einigem hin und her durch die Dardanellen einfahren.
Die Türken, man wollte nach wie vor neutral bleiben, kamen dann auf die Idee, dass die Schiffe als Ersatz für die in England beschlagnahmten, als gekauft deklariert wurden.
Die Entente verlangte die Ausreise der deutschen Besatzungen als Nachweis für die weitere Neutralität.

Die weiteren Ereignisse aus Wiki:
Zitat:Am 15. August kündigte die Türkei ihr Marineabkommen mit Großbritannien und verwies die britische Marinemission unter Admiral Arthur Limpus bis zum 15. September des Landes. Die Dardanellen wurden mit deutscher Hilfe befestigt, der Bosporus durch die in Yavuz Sultan Selim umbenannte Goeben gesichert, und beide Meerengen wurden am 27. September 1914 offiziell für die internationale Schifffahrt gesperrt. Am 29. Oktober griff Souchon unter osmanischer Flagge russische Hafenstädte an, während fast zeitgleich britische Einheiten vor Smyrna türkische Handelsschiffe angriffen. Am 2. November erklärte Russland der Türkei und am 12. November 1914 die osmanische Regierung der Triple Entente den Krieg.

Das Zarenreich war von ihren Verbündeten abgeschnitten und wurde in den nächsten Jahren damit zum Opfer der deutschen Flotte.

Was anzumerken ist: Das Osmanische Reich wäre ziemlich sicher ohne die Beschlagnahme der beiden Schlachtschiffe und ohne die darauffolgende Goeben/Breslau "Reise zum Bosporus" nicht in den 1. WK eingetreten.


RE: Der osmanische Kriegseintritt II - Sansavoir - 05.12.2013 13:13

(05.12.2013 11:13)Suebe schrieb:  Das Zarenreich war von ihren Verbündeten abgeschnitten und wurde in den nächsten Jahren damit zum Opfer der deutschen Flotte.

Was anzumerken ist: Das Osmanische Reich wäre ziemlich sicher ohne die Beschlagnahme der beiden Schlachtschiffe und ohne die darauffolgende Goeben/Breslau "Reise zum Bosporus" nicht in den 1. WK eingetreten.

Durchaus möglich. Aber hätte das Osmanische Reich wirklich bis zum Ende des 1. Weltkriegs neutral bleiben können? (Arabischer Aufstand, Lawrence, Balfour-Doktrin / Armenien)


RE: Der osmanische Kriegseintritt II - Suebe - 05.12.2013 13:48

(05.12.2013 13:13)Sansavoir schrieb:  Durchaus möglich. Aber hätte das Osmanische Reich wirklich bis zum Ende des 1. Weltkriegs neutral bleiben können?

Ich denke schon.

Zitat:(Arabischer Aufstand, Lawrence, Balfour-Doktrin / Armenien)

das waren alles britische Aushilfen, der Tatsache geschuldet, dass die Dardanellen nicht zu durchbrechen waren.

Ich behaupte mal, dass Balfour, Lawrence und Feisal das Ende der britischen Weltstellung um 50 Jahre beschleunigt haben. Und, die Briten wussten das, als sie das Streichholz zündeten.

Hätten sie den Türken Zucker irgenwohin geblasen, statt ihnen zwei Schiffe zu klauen....