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Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Druckversion

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Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Teresa C. - 20.08.2016 21:03

In einem zeitgenössischen Roman (nach meiner persönlichen Einstufung im Grenzbereich zwischen Trivial- und Unterhaltungsliteratur) meint die Autorin im Nachwort, dass es ihr ein großes Anliegen war, zu zeigen, wie schlecht es den Frauen (selbst den hochadeligen Frauen) im Mittelalter ergangen ist, wozu sie das Beispiel von Sabina von Bayern gewählt hat. Die Autorin geht davon aus, dass das Schicksal Sabinas typisch für eine Frau ihrer Zeit war. Aber ist das tatsächlich der Fall?

Dafür, dass die Ehe zwischen Sabina und Ulrich ausgesprochen schlecht war, gibt es doch recht überzeugende Belege.

Trotzdem aber stellt sich zumindest für mich die Frage, wie typisch diese Ehe für ihre Zeit war. Erlaubt uns diese Ehe einen Blick hinter die "Kulissen" und zeigt uns, wie es damals in fürstlichen Ehen (und nicht nur dort) wirklich zugegangen ist, weil hier ausnahmsweise einmal (politisches) Interesse bestand, nichts zu vertuschen, oder eine Vertuschung nicht möglich war, was die Autorin in ihrem Nachwort auch annimmt. Oder dürfte es sich dabei um einen Ausnahmefall handeln?

Im 14. und 15. Jahrhundert und noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts sind kaum zulässige Informationen zu fürstlichen Ehen überliefert, die eindeutig belegen würden, dass die eine oder andere Ehe recht unglücklich war bzw. ist dieses Thema vielleicht auch noch nicht aufgearbeitet. (Dort, wo von einer unglücklichen Ehe oder zweifelhaften ehelichen Dingen berichtet wird, dürfte es sich in den meisten Fällen um Klatsch bzw. symbolisch ausgeschmückte Erfindung von Zeitgenossen handeln, zum Teil auch nur um gezielt eingesetzte Rhetorik im Zusammenhang mit Propaganda bzw. parteiischer Berichterstattung.

Sachquellen, soweit sie zugänglich sind, so z. B. Rechnungsbücher sind in diesem Fall nicht allzu ergiebig, ebenso Korrespondenzen.

Hinzu kommt noch, dass eine Menge zum fürstlichen Eheleben erst im 18. und 19. Jahrhundert durch Historiker-Interpretation entstanden ist, und in der populärwissenschaftlichen Geschichtsforschung ist die Vorstellung einer unglücklichen Ehe ohnehin beliebter als von der Ehe, in der sich die Eheleute recht gut arrangiert haben.

Als Beispiel dafür könnte die Ehe zwischen Kaiser Maximilian I. und Bianca Maria Sforza angeführt werden, die als Paradebeispiel für eine unglückliche Ehe gilt. Wie die populärwissenschaftliche Autorin in Grössing in der Kronenzeitung zitiert wird: Sie brachte ihm das Geld und er machte sie nicht glücklich, eine Meinung, die sich auf etwas anderem Niveau und zu Lasten von Bianca Maria auch bei Wiesflecker findet. Wie aber eine neuere Arbeit (Sabine Weiss: Die vergessene Kaiserin, 2010) zeigt, dürfte es sich in diesem Fall zwar um keine Traumehe gehandelt haben, insgesamt aber scheint diese Ehe doch letztlich besser als gewesen zu sein, als uns in den meisten Büchern weisgemacht wird. (Vielleicht eine Bestätigung für Weiss: Bianca Marias Statue findet sich unter den "Schwarzmandern", die am Maximilian-Kenotaph in der Hofkirche in Innsbruck sozusagen auf "Wache" sind.)

Erst im 16. Jahrhundert und 17. Jahrhundert finden wir dann Ehen, die eindeutig unglücklich waren oder unglücklich endeten, z. B. Anna von Sachsen (Ehefrau von Wilhelm von Oranien) oder Sidonia von Sachsen (Ehefrau von Herzog Erich II. zu Braunschweig-Lüneburg (1528–1584).

Hängt das damit zusammen, dass zu dieser Zeit eine bessere Quellenlage war und dass es nicht mehr möglich war, schlechte Ehen zu vertuschen oder hatte das mit veränderten gesellschaftlichen Strukturen zu tun.

Ein Beispiel, wie schwierig es ist, wirklich abzuschätzen, ob eine Ehe im 14. oder 15. Jahrhundert unglücklich war, ist die Ehe zwischen Georg von Bayern-Landshut und Hedwig (Jadwiga) von Polen. Die Argumente für eine unglückliche Ehe sind in den letzten Jahren von der neueren Forschung gründlich widerlegt wurden. So ist z. B. inzwischen nachgewiesen, dass Hedwig keineswegs nach Burghausen abgeschoben wurde, sondern dass Burghausen damals der Wohnsitz der Herzoginnen von Bayern-München war und dass es zu dieser Zeit durchaus noch üblich war, dass Fürstinnen nicht ständig gemeinsam Hof mit ihrem Ehemann hielten. (Freilich, ob die Ehe nun glücklich war, lässt sich daraus auch nicht belegen.)

Eines vorweg, ich bin sicher, dass wir heute sicher nicht mehr in vielen Fällen entscheiden können, wie glücklich bzw. unglücklich so manche Ehe im Mittelalter tatsächlich war.

Eine eindeutige Beantwortung dieser Frage ist wohl kaum möglich, aber was ist euer Eindruck diesbezüglich.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Triton - 20.08.2016 22:25

Das weiß man doch nicht einmal heute von außen, wie glücklich zwei Menschen miteinander sind.

Heute, wenn Scheidungen und Trennungen normal geworden sind, ist man oft überrascht wenn man erfährt, dass Beziehungen intern ganz anders gewesen sein müssen als nach außen demonstriert.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Bunbury - 21.08.2016 00:13

Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass solche Ehen wirklich glücklich waren. Einfach deshalb nicht, weil eine freie Entfaltung der Persönlichkeit beider Ehepartner nicht möglich war. Beide waren doch sehr viel mehr Repräsentanten und nicht Personen, von denen gewisse Pflichten erwartet wurden, ob die dahinterstehende Personen das nun gut fanden oder nicht- der Druck muss mitunter immens gewesen sein.

Als "glücklich" dürfte gegolten haben, wem es gelungen ist, sich mit den Anfoderungen zu arrangieren.

Unglücklich gewesen sein dürften in der Regel aber vor allem einigermaßen intelligente Frauen, die es ohne jeden zweifel zu jener Zeit auch gegeben hat. (Ich meinte vor einiger Zeit in einem Artikel der Spektrum der Wissenschaft gelesen zu haben, dass Intelligenz eher über die Mütter vererbt wird.) Niemand kann glücklich sein, wenn man ihm nicht erlaubt, seine Fähigkeiten zu nutzen und sein Potential einigermaßen auszuleben...

Nicht aus historischer Sicht betrachtet, sondern aus psychologischer. Werte wandeln sich zwar, aber die grundlegenden Bedürfnisse nicht...


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Sansavoir - 21.08.2016 14:45

Ich denke, wir dürfen nicht mit unseren im 20./21. Jahrhundert geprägten Vorstellungen von glücklichen und unglücklichen Beziehungen auf die Ehen des Hochadels im Mittelalter schließen. Eine freie Entfaltung der Persönlichkeit war in der mittelalterlichen Welt nicht vorgesehen und wurde auch nicht erwartet. Wir wissen auch nicht, ob die ehelos Gebliebenen glücklich waren oder ob die in ein Kloster abgegebenen Töchter und Söhne mit ihren Schicksalen haderten oder nicht. Wer Angehöriger einer adligen Familie war, war in erster Linie nur eine Figur, die im Interesse der Dynastie zu handeln hatte. Darauf wurden Jungen und Mädchen schon im Kleinkinderalter vorbereitet. Adlige Kinder wurden häufig fremden Familien oder kirchlichen Institutionen zur Erziehung und Ausbildung überlassen. Damit wurden Netzwerke geschaffen, Bündnisse geschmiedet und Loyalitäten erzwungen.

Elisabeth von Thüringen kam 1211 als Vierjährige zur Familie ihres zukünftigen Ehemanns Ludwig IV. (1200–1227) kam. Diese Ehe schuf nicht nur familiäre Beziehungen zum König von Ungarn, sie muss vor allem als Bündnis der Landgrafen von Thüringen mit den Grafen von Andechs-Meranien betrachtet werden. Obwohl die Beziehung zu den Andechs keine Vorteile mehr brachte, heiratete Ludwig IV. 1221 die ursprünglich für seinen verstorbenen älteren Bruder vorgesehene Braut Elisabeth. Das kann nicht nur mit politischen Kalkül begründet werden, der ungarische König hätte den Landgrafen von Thüringen nicht langfristig schaden können. Ludwig wollte Elisabeth behalten, weil sie ihm gefiel. Nachdem er 1227 während der Vorbereitungen eines Kreuzzuges in Otranto starb, trauerte Elisabeth sehr lange. Deshalb kann man davon ausgehen, dass diese Ehe nicht unglücklich war. Was danach geschah, ist sicher tragisch, aber auch Alltag mittelalterlicher, adliger Frauen. Elisabeth war eine zwanzigjährige (hochschwangere) Witwe mit einem fünfjährigen Sohn, dessen Erbe verteidigt werden musste und einer dreijährigen Tochter. Da ging es eigentlich nur noch um das eigene Überleben und die Zukunft ihrer drei Kinder.

Der spätere Kaiser Karl IV. lebte von seinem 6. bis 12. Lebensjahr am Hof des französischen Königs Karl IV., dessen zweite Ehefrau Maria von Luxemburg eine Tante Karls war. Des späteren Kaisers erste Ehefrau Blanka von Valois war wiederum die Schwester des späteren französischen Königs Philipp VI., dessen Sohn Johann II. wiederum in erster Ehe mit Karls Schwester Guta von Luxemburg (Bonne de Luxembourg) verheiratet war. Man kann davon ausgehen, dass die Ehen zwischen Karl IV. von Frankreich und Maria von Luxemburg bzw. zwischen Karl (von Mähren) und Blanka von Valois nicht unglücklich waren. Allerdings starb Maria von Luxemburg als Neunzehnjährige bereits nach zwei Jahren Ehe. Die Ehe zwischen ihrem Neffen und Blanka von Valois dauerte etwa fünfzehn Jahre und endete durch den frühen Tod der Ehefrau im Alter von 31 Jahren. Obwohl aus bündnispolitischen Gründen geschlossen, muss zumindest Karl seine Frau geliebt haben. Das zeigt sich darin, dass er sie immer in ihren Konflikten mit ihren Schwiegereltern Johann von Luxemburg und dessen zweiter Ehefrau Beatrix von Bourbon verteidigte.

Dagegen kann man die Ehe seiner Schwester Guta/Bonne mit dem späteren Johann II. als unglücklich bezeichnet werden. Als Siebenjährige flüchtete sie mit ihrer Mutter Elisabeth von Böhmen nach Niederbayern. Später verlebte sie einige Jahre am Hofe des Markgrafen von Meißen. Nachdem sich dieser mit Kaiser Ludwig IV. einigte, wurde die böhmische Prinzessin nicht mehr benötigt und ihrem Vater Johann von Luxemburg übergeben. Dieser bereitete dann die politische Heirat mit dem potentiellen Thronfolger Johann, Herzog von Normandie vor, die ein weiterer Baustein Johanns pro-französischer Politik war.

Bonne wurde des Ehebruchs bezichtigt und ihr angeblicher Liebhaber Raoul d'Eu starb 1350 in einem Gefängnisturm. Irgendwie erinnert dieses Vorgehen an die Ereignisse an Ludwig X. und Philipp V. und ihren untreuen Ehefrauen. Deswegen können die Unterstellungen gegenüber Bonne nur ein Mittel sein, um diese Ehefrau loszuwerden. Ob sie 1349 ein Opfer der Pest oder eines Giftanschlags ihres Ehemanns wurde, ist strittig. Ihr ältester Sohn, der spätere, aber bereits 1338 geborene Karl V. musste sich zeitlebens gegen Gerüchte wehren, er wäre unehelich gewesen. Ob nun Bonne unglücklich war und mit ihrem Schicksal haderte oder an einem vom Gott gewollten Lebensweg glauben konnte, der im Jenseits belohnt würde, kann nur Spekulation sein. Fatalismus war sicher ein Selbstschutz, um im Mittelalter zu überleben.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Bunbury - 21.08.2016 18:37

(21.08.2016 14:45)Sansavoir schrieb:  Wir wissen auch nicht, ob die ehelos Gebliebenen glücklich waren oder ob die in ein Kloster abgegebenen Töchter und Söhne mit ihren Schicksalen haderten oder nicht. Wer Angehöriger einer adligen Familie war, war in erster Linie nur eine Figur, die im Interesse der Dynastie zu handeln hatte. Darauf wurden Jungen und Mädchen schon im Kleinkinderalter vorbereitet. Adlige Kinder wurden häufig fremden Familien oder kirchlichen Institutionen zur Erziehung und Ausbildung überlassen. Damit wurden Netzwerke geschaffen, Bündnisse geschmiedet und Loyalitäten erzwungen.

Damit wurde aber ein grundlegendes menschliches Bedürfnis befrieidgt- ein Bestandteil eines (sozialen) Netzes zu sein ist ein grundlegendes mesnchliches Bedürfnis- und dürfte zumindest für einen gewissen Teil an Glücksgefühlen gesorgt haben.

Das System hätte sich sicher nicht so lange erhalten, wenn nicht zumindest ein paar grundlegende Bedürfnisse befriedigt worden wären.

Problematisch war es wohl immer dann, wenn der vorgesehene Lebensweg überhaupt nicht zum Charakter des betreffenden paßte. Wenn ein stiller, in sich gekehrter Charakter als jüngerer Sohn /Tochter geboren wurde, konnte das Leben im Kloster durchaus eine annehmbare Alternative darstellen. Nicht aber, wenn der jüngere Sohn extrovertiert und lebenslustig war.

Und wenn der vorgesehene Lebensweg zum Charakter gar nicht paßte, dürften darunter wohl in aller erster Linie die nächsten Angehörigen/ Ehepartner gelitten haben. Es gab schließlich nicht die Möglichkeit, diesen Weg zu verlassen.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Triton - 22.08.2016 12:04

(21.08.2016 18:37)Bunbury schrieb:  Und wenn der vorgesehene Lebensweg zum Charakter gar nicht paßte, dürften darunter wohl in aller erster Linie die nächsten Angehörigen/ Ehepartner gelitten haben. Es gab schließlich nicht die Möglichkeit, diesen Weg zu verlassen.
Wenn die Familie am "falschen" Lebensweg schuld war, dann war es doch nur gerecht, wenn sie darunter auch gelitten hat.

Natürlich keine historische Quelle, aber es gibt ja den historischen Roman "Die Säulen der Erde" der im Mittelalter spielt und dazu noch im klerikalen Milieu. Ich hatte nicht den Eindruck dort, dass es die Geistlichen schlecht getroffen hatte und mit dem kargen, sittsamen Leben nahm man es dort auch nicht besonders ernst. Eine Familie durfte einen (1) Sohn in ein Kloster bringen, und dieser erfuhr dort eine Bildung und ein eher weniger körperlich schweres Leben als seine Geschwister, hatte also ein durchaus gutes Los gezogen.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Dietrich - 22.08.2016 18:18

(21.08.2016 14:45)Sansavoir schrieb:  Ich denke, wir dürfen nicht mit unseren im 20./21. Jahrhundert geprägten Vorstellungen von glücklichen und unglücklichen Beziehungen auf die Ehen des Hochadels im Mittelalter schließen.

Man muss ganz klar sagen, dass unsere Vorstellungen von einer "Liebesheirat" neuzeitlichen Datums sind. Noch weit bis ins 19. Jh. hinein waren in Deutschland wie in anderen Ländern "arrangierte Ehen" die Regel. Vater und Familie suchten für ihre Tochter den Mann aus, was sowohl im Bürgertum als auch beim Adel üblich war. Der Mann konnte sich zwar in der Regel freier entscheiden, doch akzeptierte auch er eine moralische Verpflichtung gegenüber seiner Familie im Hinblick auf die finanzielle Lage seiner künftigen Frau (Mitgift) und ihren sozialen Status.

Dass solche "arrangierten Ehen" unglücklicher waren als heutige Liebesheiraten, ist weder sicher noch erwiesen. Bei jeder Ehe blättert der erste Lack rasch ab und wenn man dann aus "Liebe" geheiratet hat, ist die Enttäuschung umso größer. Die Scheidungsquote in Deutschland beträgt heute nahezu 50%, was die Haltbarkeit sogenannter "Liebesheiraten" deutlich zeigt.

Von einer arrangierten Ehe erwarten die Ehepartnern von vornherein keine Wunder, und man muss im Gegenteil darüber staunen, dass viele solcher Ehen im Lauf der Jahrzehnte zufriedener, wenn nicht gar glücklicher verlaufen. Einmnal abgesehen von einem Scheusal als Ehemann, der seine Frau schlägt und missbraucht. Da ist sie heute in Bezug auf die Scheidung und Rechtslage natürlich meilenweit besser dran.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Suebe - 22.08.2016 19:35

Emanzipation Dietrich.
Zitat:Einmnal abgesehen von einem Scheusal als Ehemann, der seine Frau schlägt und missbraucht. Da ist sie heute in Bezug auf die Scheidung und Rechtslage natürlich meilenweit besser dran.
Inzwischen hört man immer öfter Scheusalen von Ehefrauen die ihre Männer schlagen mißbrauchen und hintergehen.
Confused


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Suebe - 22.08.2016 19:45

Mal wieder anekdotisch.

Im Spätmittelalter gab es bei mir "ums Eck" eine Niederadlige, gleichwohl zeitweilig überaus begüterte Familie die "Bubenhofen".

Als der Reichtum so ziemlich verprasst war, hat ein Balinger Wirt einen Bubenhofen-Sprößling zur Ehe mit seiner Tochter gezwungen.
Der Vater des "Zwangsverheirateten" hat sich gedreht und gewendet, geschrieben und insistiert, es hat alles nichts genutzt.
Ob es eine glückliche Ehe wurde? Darüber schweigen sich die Quellen leider aus.

Über was sich die Quellen auch ausschweigen, aber vielleicht kann mir einer der Cracks hier helfen,
wie konnte ein bürgerllicher Wirt, einen Adelssprößling zur Ehe "zwingen"?????


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Teresa C. - 22.08.2016 20:44

(22.08.2016 19:45)Suebe schrieb:  Als der Reichtum so ziemlich verprasst war, hat ein Balinger Wirt einen Bubenhofen-Sprößling zur Ehe mit seiner Tochter gezwungen.
Der Vater des "Zwangsverheirateten" hat sich gedreht und gewendet, geschrieben und insistiert, es hat alles nichts genutzt.
Ob es eine glückliche Ehe wurde? Darüber schweigen sich die Quellen leider aus.

Über was sich die Quellen auch ausschweigen, aber vielleicht kann mir einer der Cracks hier helfen,
wie konnte ein bürgerllicher Wirt, einen Adelssprößling zur Ehe "zwingen"?????

Zunächst einmal wäre nicht unwichtig zu wissen, ob es Hinweise gibt, wie der Bubenhofen-Sprößling zu dieser Ehe selbst stand. Wenn er und sein Schwiegervater sich da einig waren, könnte das durchaus ein Grund gewesen sein, dass die Ehe durchgesetzt werden konnte.

Vielleicht hatte der Wirt einfach die besseren Beziehung zur Stadtverwaltung als der Adelige.

Wie angesehen war die Familie Bubenhofen zu dieser Zeit und wie war es um ihre Beziehungen zu anderen Adelsfamilien bzw. zu deiner Heimatstadt bestellt?

Dass Adelige ins Bürgertum "abstiegen", dürfte keineswegs so gänzlich unüblich gewesen sein. Wenn wir davon ausgehen, dass sich wenigstens Schwiegersohn und Schwiegervater einig waren - vielleicht bot die Ehe mit der Wirtstochter trotz Standesunterschied dem Mann wesentlich interessante Zukunftsaussichten? Wenn wir berücksichtigen, dass seine Familie verarmt und er vielleicht ein jüngerer Sohn war, war diese Ehe für ihn vielleicht die einzige Chance, seinen eigenen Haushalt zu gründen und sein eigener "Herr" zu sein, was z. B. für ihn attraktiver gewesen sein könnte, als de facto zum Haushalt / Gefolge seines älteren Bruders gehören zu müssen, vor allem, wenn schon dessen Zukunft nicht mehr glänzend war.

Wie das Beispiel der Maria Belgica (Tochter von Manuel von Portugal und Emilia von Oranien-Nassau, die Eltern waren vor einiger Zeit Thema einer Frage im Jux-Rätsel-Thread) zeigt, sorgte ihre unstandesgemäße Heirat letztlich dafür, dass die anderen Schwestern de facto gar keine Möglichkeit auf Heiraten bekamen. Bei prekären Familienverhältnissen konnte also bereits "Fehlverhalten" eines Familienmitgliedes die Zukunft der anderen belasten.

Sollte der Bubenhofen-Sprößling die Tochter des Wirts verführt oder ihr gewisse Versprechungen gemacht haben, war es vielleicht für den Adeligen letztlich, wenn der Wirt in der Stadt das bessere Kontaktnetzwerk hatte, noch die billgere Option einer Heirat zuzustimmen, als Bußgelder zahlen zu müssen.

Der Adelige könnte auch bei dem Wirt hoffnungslos verschuldet gewesen sein.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Bunbury - 22.08.2016 21:05

(22.08.2016 12:04)Triton schrieb:  Wenn die Familie am "falschen" Lebensweg schuld war, dann war es doch nur gerecht, wenn sie darunter auch gelitten hat.
Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass die Familie Schuld war. Wenn, dann waren es eher die gesellschaftlichen Gepflogenheiten....

(22.08.2016 12:04)Triton schrieb:  Natürlich keine historische Quelle, aber es gibt ja den historischen Roman "Die Säulen der Erde" der im Mittelalter spielt und dazu noch im klerikalen Milieu. Ich hatte nicht den Eindruck dort, dass es die Geistlichen schlecht getroffen hatte und mit dem kargen, sittsamen Leben nahm man es dort auch nicht besonders ernst. Eine Familie durfte einen (1) Sohn in ein Kloster bringen, und dieser erfuhr dort eine Bildung und ein eher weniger körperlich schweres Leben als seine Geschwister, hatte also ein durchaus gutes Los gezogen.

Das hing es wohl vom Kloster ab- es gab sehr verschiedene Orden. Strengere und weniger strenge. Und auch arme und reiche. Von daher würde ich jetzt nicht ein Beispiel aus einem Roman als Blaupause für die Allgemeinheit ansehen... Auch wenn es sicherlich manchmal so war...
Und ich könnte mir gut vorstellen, dass das eine oder andere adelige Fräulein ein Leben als Nonne dem Eheleben vorgezogen hätte...


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Aguyar - 22.08.2016 22:08

Ich meine, Sansavor hat vollkommen Recht mit dem Standpunkt, dass sich die modernen Einschätzungen von glücklichen Beziehungen zur Beurteilung mittelalterlicher Verhältnisse und Vorstellungen nicht eignen. Und dies gilt nicht für die Ehen des Hochadels sondern auf für bürgerliche und bäuerliche Verbindungen. Liebe - was im Mittelalter meist mit "Minne" übersetzt wurde - war innerhalb einer Ehe nicht vorgesehen.

Und so kamen Liebesheiraten so gut wie nie vor, wie schon aus der Praxis der von Eltern und Familien nach politischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten arrangierten mittelalterlichen Eheschliessungen hervorgeht. Auch in den Ehen selbst herrschte wohl selten eine Liebesbeziehung zwischen den Gatten. Man gewöhnte sich mehr oder weniger an den von Eltern ausgesuchten Ehepartner, respektierte ihn, zeugte mit ihm die Kinder. Nicht nur im adligen, sondern auch im bürgerlichen Milieu waren arrangierte Ehen an der Tagesordnung obwohl zum Mindesten in der Theorie zeitweise die freie Partnerwahl möglich gewesen wäre. Auch hier galt die romantische Liebe als eine Leidenschaft, deren Flammen so schnell wie ein Strohfeuer verlöschen und die deshalb nicht geeignet sei, einer Ehe Dauerhaftigkeit zu verleihen. Als Albrecht Dürer Pfingsten 1494 nach vierjähriger Abwesenheit nach Hause zurückkehrte, erfolgte das nur auf ausdrücklichen Wunsch seines Vaters. Denn dieser hatte mit dem Bürger Hans Frey die Verheiratung seines Sohnes mit dessen Tochter Agnes ausgehandelt. Albrecht und Agnes gehorchten zwar ihren Eltern, fanden aber keinen Zugang zueinander und zeugten auch keine Kinder. Eine Ehe ohne den Willen der Eltern zu erzwingen, kam im Mittelalter selten vor und endete dann oftmals auch tragisch. Die Tragödie der Erzählung von „Romeo und Julia“ konnte durchaus reale Entsprechungen haben. Zudem ging, wenn man gegen den Willen der Eltern heiratete, das väterliche und das mütterliche Erbe verloren. So ist es ohne weiteres einleuchtend, dass richtige „Liebesehen“ wie beim Landgrafen Ludwig IV von Thüringen und der später heiliggesprochenen Elisabeth oder bei Heinrich von Braunschweig und Agnes im Mittelalter nicht häufig zu finden waren:

Die heilige Elisabeth (gest. 1231), eine Tochter des ungarischen Königs Andreas II (gest. 1235), wurde im Alter von vier Jahren mit dem ältesten Sohn des Landgrafen von Thüringen verlobt. Nach althergebrachter Sitte wuchs sie als Braut bei ihren zukünftigen Schwiegereltern auf. Mit 14 Jahren wurde sie nach dem Tod ihres Verlobten mit dessen Bruder Ludwig (gest. 1227) verheiratet. Mit 20 Jahren verlor sie ihren über alles geliebten Mann auf seinem Weg zum vierten Kreuzzug. Vier Jahr später folgte sie ihm.

Agnes, Tochter des Pfalzgrafen Konrad (gest. 1195) und Nichte von Friedrich I Barbarossa, hatte sich 1194 gegen den Willen ihres Vaters, aber mit Unterstützung ihrer Mutter mit Heinrich von Braunschweig, dem ältesten Sohn Heinrichs des Löwen, vermählt. Agnes und Heinrich waren schon als Kinder miteinander verlobt worden. Aus dieser von den Eltern bestimmten Verbindung entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Gefühl der Zuneigung und schliesslich der Liebe. Als Agnes dynastischerseits eine andere Heirat eingehen sollte, weigerte sie sich strikt und hielt zu ihrem Verlobten.

Eine berühmte Liebesbeziehung, welche im Mittealter grosse Aufsehen erregte, bestand zwischen dem Geistlichen Abaelard und der späteren Äbtissin Héloise. Petrus Abaelard, der berühmte Theologe und Scholastiker, wurde im Jahr 1079 als ältestes Kind eines Ritters Berengar und dessen Frau Lucia geboren. Unüblich für seinen Stand wurde er zu Hause eher wissenschaftlich geschult, als im Fechten, Jagen und Kämpfen unterrichtet. So war es nicht überraschend, dass Abaelard sich als junger Mann für die wissenschaftliche Laufbahn entschied. Als Scholastiker wurde er schon bald bekannt, geschätzt und von seinen Konkurrenten gefürchtet. Im Jahr 1117 wurde der inzwischen 38jährige Abaelard vom Kanoniker Fulbert als Hauslehrer dessen 18jährigen Nichte Héloise angestellt. Aus dem Lernen und Unterricht wurde allerdings nichts, denn beide verliebten sich ineinander. Abaelard beschrieb diese Zeit:
„In unserer Gier genossen wir jede Abstufung des Liebens, wir bereicherten unser Liebesspiel mit allen Reizen, welche die Erfinderlust ersonnen. Wir hatten diese Freuden bis dahin nicht gekostet und genossen sie nun unersättlich in glühender Hingabe, und kein Ekel wandelte uns an… Du (gemeint ist Héloise) weisst, in welche Schamlosigkeit wir durch meine zügellose Gier gerieten. Ich wälzte mich geradezu wie ein Tier in diesem Morast, sogar in der Karwoche und an den höchsten Festtagen, ohne auf die mahnende Stimme des Schamgefühls und der Gottesfurcht zu hören. Ich ging sogar so weit, dich durch Drohungen und Schläge des öfteren gefügig zu machen, wenn du nicht mithalten wolltest, wenn du dich zur Wehr setztest, soweit es deine schwache Kraft zuliess, und wenn du, das schwache Weib, mich batest, einmal zu verzichten…“

Etwa ein Jahr später war Héloise schwanger geworden. Auf Abaelards Veranlassung floh sie in diesem Zustand zu seiner Schwester in die Bretagne. Kurz darauf heirateten die beiden heimlich. Da Abaelard weiterhin wissenschaftlich tätig sein wollte und Wissenschaft resp. Theologie und Ehe nach damaliger Auffassung unvereinbar war, versteckte er Héloise kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohne Astrolabius im Jahr 1119 im Kloster Argenteuil. Héloises Onkel, der keine Ahnung von der Heirat hatte, glaubte, dass Abaelard seine Geliebte auf diese billige Weise loswerden wollte, geriet in Wut und liess Abaelard von angeheuerten Knechten ergreifen und kastrieren.

Héloise blieb weiterhin im Kloster und wurde, wie Abaelard es wünschte, Nonne. Eine unglückliche Nonne, die ihr ganzes Leben hindurch von der kurzen aber glücklichen Zeit mit ihrem Geliebten träumte:
„Die Liebesfreuden, die wir zusammen genossen, sie brachten so viel beseligende Süsse, ich kann sie nicht verwerfen, ich kann sie kaum aus meinen Gedanken verdrängen. Ich kann gehen, wohin ich will, immer tanzen die lockenden Bilder vor meinen Augen. Mein Schlaf ist nicht einmal sicher vor solchen Trugbildern. Sogar mitten im Hochamt drängen sich diese wollüstigen Phantasiegebilde vor und fangen meine arme, arme Seele so ganz und gar; aus reinem Herzen sollte ich beten, statt dessen verspüre ich die Reizungen meiner Sinnlichkeit. Ich kann nicht aufseufzen – und müsste es doch -, dass ich die Sünde begangen, ich kann nur seufzen, dass sie vergangen.“

Im Jahr 1129, Héloise war zur Priorin aufgestiegen, musste sie mit ihren Nonnen auf Befehl des Abtes von Denis das Kloster verlassen. 1135 erfuhr Abaelard von ihrem Schicksal und meldete sich nach 16 Jahren Schweigen zum erstenmal wieder bei Héloise, um ihr und ihren Schwestern sein Bethaus Paraklet mit dem dazugehörigen Besitz zu übereignen. Nach 16 Jahren Trennung begann der berühmte Briefwechsel zwischen den Beiden.

Héloise, die nie Nonne werden wollte und sich um ihr Leben betrogen fühlte, sparte nicht mit Vorwürfen ihm gegenüber. Aber auch ihre sexuellen Wünsche, ihre Sehnsüchte nach dem Mann, den sie in all den Jahren zu lieben nicht aufgehört hatte, füllten die Briefseiten. Auf Drängen Héloises kam es schliesslich auch zu Begegnungen zwischen den beiden, welche aber aufgrund Abaelards Verstümmelungen platonisch bleiben mussten.

Abaelard, der im Kloster Cluny lebte, hatte zwischenzeitlich Schwierigkeiten mit der Kirche bekommen, denn sein Gegenspieler Bernhard von Clairvaux liess ihn als Ketzer diffamieren und bewirkte zudem, dass erd durch Papst Innozenz II zum ewigen Schweigen verurteilt wurde. Am 21.April 1142 starb Abaelard im Alter von 63 Jahren in Châlon in Burgund, wo er kurz zuvor wegen eines Hautausschlages und wegen körperlicher Beschwerden hingeschickt worden war. Bestatte wurde er im Kloster Paraklet, in dem Héloise als Äbtissin wirkte und ihn nun endlich für immer bei sich hatte. Am 15. oder 17. Mai 1163 / 1164 starb auch sie.

Ebenfalls tragisch endete eine andere mittelalterliche Liebesehe, welche aufgrund der extremen Standesunterschiede der Eheleute damals erheblichen Staub aufgewirbelt hatte. Es handelte sich um den einzigen Sohn des Herzogs Ernst I von Bayern-München (gest. 1438), den späteren Herzog Albrecht III (gest. 1460) und die Augsburger Baderstocher Agnes Bernauer. Das Liebes- und Eheverhältnis begann um 1430. Die erste Begegnung fand vermutlich um die Fasnachtszeit 1428 im Stadtbad von Augsburg statt. Im Juli 1432 jedenfalls wohnte Agnes in Albrechts Burg in München. Auch eine Tochter Sibylla war bereits aus dieser Beziehung hervorgegangen. Eine Nachfolge auf den Herzogsstuhl von Bayern-München für einen Sohn aus dieser ehe war jedoch nach adligem Standes- und Geblütsrecht undenkbar, nicht nur, weil Agnes eine Nichtadlige war sondern als Baderstochter sogar noch bei den sozialen Randgruppen einzustufen war. Da Albrecht zudem noch der einzige Sohn von Ernst I war, liess dieser, nachdem sich Agnes nicht scheiden lassen wollte, seine Schwiegertochter in Straubing gefangen nehmen und in einem Schnellverfahren des Liebens- und Schadenszaubers anklagen. Seinen Sohn hatte er zuvor mit einer List – er lud ihn zu einem Jagdvergnügen ein – weggelockt. Agens wurde am 12. Oktober 1435 als Hexe ertränkt und am 6. November 1436 heiratete Albrecht III, diesmal standesgemäss und nach dem Wunsch seins Vaters, Anna, die Tochter des Herzogs Erich von Braunschweig.

In der mittelalterliche Gesellschaft und dabei namentlich in der höfischen Adelswelt war der Glaube an die Unvereinbarkeit von Liebe und Ehe regelrecht verankert. Ein Künder dieser Anschauung war Andreas Capellanus (um 1182 – 1187 beurkundet), Kaplan des französischen Königs Ludwigs VII des Frommen. Geprägt vom Minnezeitalter schrieb die Tochter von Ludwig VII, die Gräfin Marie von Champagne, in einem auf den 1. Mai 1174 datierten Brief: „Wir verkünden und setzen unverrückbar fest, dass die Liebe ihre Macht nicht zwischen zwei Eheleuten entfalten kann.“ Die Gräfin argumentierte, dass nur Liebende sich einander freiwillig hingäben, Eheleute unter dem Zwang gegenseitiger Pflichterfüllung lebten.
Die Vizegräfin Ermengarde von Narbonne entschied als Minne-Richterin in der Frage, ob eine Dame nach ihrer Eheschliessung ihre vorehelichen Liebschaften beibehalten könne, dahingehend: „… eine neueingegangene Ehe beende nicht die frühere Liebe.“ Der Cheftheoretiker der höfischen Minne, Andreas Capellanus, formulierte in seinem Buch „De amore“: „Die Ehe ist kein ausreichender Grund, sich der Liebe zu entziehen.“ Auch Abaelard und Héloise, das wohl tragischste Liebespaar des Mittelalters, lebte in der gleichen Auffassung. In seiner Leidensgeschichte, der „Historia calamitatum“, bekannte Abaelard, Héloise habe sich, nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes geweigert, seine Ehefrau zu werden. Ihre Begründung: „dass es ihr lieber sei und für meinen Ruf besser, wenn sie meine Geliebte und nicht meine Ehefrau heisse, damit ich allein durch Liebe ihr erhalten bliebe und nicht der Zwang des Ehebandes mich an sie bände.“

Vor dem Hintergrund des durch des Minneideals geprägten Zeitgeist musste die erwähnte Liebesheirat zwischen Ludwig IV von Thüringen und Elisabeth von Ungarn 1221 muss die höfische Welt in grenzenloses Staunen versetzt haben. In diesem Zusammenhang wird auch der hämische Ausruf einer thüringischen Hofdame verständlich, welche Elisabeth spöttisch zugerufen haben soll: „Sie liebt ihren eigenen Ehewirt.“ Der Kaplan Berthold hingegen berichtete:

„Da offenbart der edle Fürst seinen getreuen Mannen seinen Entschluss und verstopfte den boshaften Kläffern den Hals, so dass von da an niemand wagte, törichte Reden zu führen wegen der Hochzeit und dem Beilager des Fürsten mit Sankta Elisabeth. Es wagte auch niemand mehr, etwas dagegen zu planen, denn die Hochzeit war bestimmt nach Gottes Anweisung und Willen, darum konnte menschliche Bosheit und Torheit nicht hindern. Nun merket, wie es diesem jungen keuschen Fürsten nicht nach Gold und Silber gelüstete, als er zur Ehe schritt, wie es ihm böse, falsche Räte rieten.“

Auch wenn es im Mittelalter kaum Liebesehen gab, so heisst das nicht, dass es kein Gefühl für Liebesbeziehungen an sich gegeben hätte und auch in der mittelalterlichen Literatur waren Liebesgeschichten zahlreich vertreten. Als die berühmtesten mittelalterlichen Liebesgeschichten des Mittelalters dürfen wohl Minneromane „Tristan und Isolde“ und „Lancelot und Ginevra“ angesehen werden. Das Epos Tristan und Isolde wurde 1220 von Gottfried von Strassburg begonnen und nach seinem Tod von Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg zu Ende geschrieben. Das Epos Lancelot und Ginevra wurde um 1225 von einem Unbekannten in altfranzösischer Prosaform verfasst. In beiden Epen, die im adligen Milieu spielen, handelt es sich, ganz in der Minnetradition, um eine unerlaubte Beziehung zwischen einer verheirateten Frau und ihrem ritterlichen Liebhaber. Und wie fast alle mittelalterlichen Liebesgeschichten endet sie tragisch. Auch der Liebesgeschichten von Christin von Pisan in ihrem Werk „Das Buch von der Stadt der Frauen“ und der Erzählung der Fürstentochter Ghismonda und dem Knappen Guiscardo von Boccaccio fehlt das Happy-End. Die Liebe war natürlich immer auch körperlich gemeint, auch wenn man angesichts des im Hochmittelalter ausbrechenden Minnekults das Gegenteil annehmen würde. In dem aus dem 13. Jahrhundert stammenden Werke „Carmina Burana“ wurden fünf Stufen in der Liebe genannt: Anblick, Gespräch, Berührung, Kuss und Geschlechtsakt, der „actus“.

Vor der realen, ausserhalb der Literatur sich abspielenden Liebe warnte Christine von Pisan allerdings ihre Geschlechtsgenossinnen immer wieder, insbesondere von der „unvernünftigen Liebe“, den – wie sie es nannte – „oberflächlichen und selbstsüchtigen Ränken verliebter Männer“. Erotik und Zärtlichkeit gehörten ihrer Meinung nach nur in die eheliche Beziehung. Jedes Sich-Einlassen auf eine schwärmerische Liebe nach dem Vorbild der höfischen Romane schade dem Ruf der Frau und gefährde ihre soziale und wirtschaftliche Stellung. Die Warnung war durchaus angebracht, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass bei einem Ehebruch ausschliesslich die Frau als verantwortlich galt.

Dass Liebesbeziehungen und Liebesgefühle im Mittelalter nicht nur ein literarisches Motiv waren beweist auch eine Anleitung zum Abfassen von Liebesbriefen aus dem 12. Jahrhundert. Entdeckt wurde das lateinische Werk aus Pergament von Forschern der Universitá di Siena in der Biblioteca Capitolare in Verona. Es trägt den Titel „Modi Dictaminum“ und ist ein Leitfaden für das Briefeschreiben.
In einem Kapitel gab der Verfasser, ein gewisser Guido, ein Geistlicher aus Casentino in der Toscana, Ratschläge, wie eine Herzensbotschaft fachgerecht zu Papier zu bringen sei. Dabei riet er zu allerlei romantischen Formulierungen – so wie diese: „Meine Liebe zu dir ist so tief, dass ich sie mit Worten nicht auszudrücken vermag, könnte auch jede Membran meines Körpers sprechen.“

Des Weiteren legt er Verehrern ans Herz, die Schönheit der Angebeteten in phantasievolle Bilder zu fassen und sie beispielsweise mit der Pracht wertvoller Edelsteine zu vergleichen. Als angemessnen Gruss empfahl er: „Ich schicke dir so viele Grüsse, wie es Fische im Meer gibt."

Besonders bemerkenswert ist, dass der mittelalterliche Experte in Liebesfragen auch Ratschläge für seine weibliche Leserschaft bereit hielt – spannend ist dies deshalb, weil Guidos Überlieferung damit beweist, dass es bereits im 12. Jahrhundert auch Frauen gab, die des Lesens und Schreibens kundig waren – jedenfalls in Italien.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Bunbury - 23.08.2016 10:36

(22.08.2016 22:08)Aguyar schrieb:  Ich meine, Sansavor hat vollkommen Recht mit dem Standpunkt, dass sich die modernen Einschätzungen von glücklichen Beziehungen zur Beurteilung mittelalterlicher Verhältnisse und Vorstellungen nicht eignen. Und dies gilt nicht für die Ehen des Hochadels sondern auf für bürgerliche und bäuerliche Verbindungen. Liebe - was im Mittelalter meist mit "Minne" übersetzt wurde - war innerhalb einer Ehe nicht vorgesehen.

Es ist wohl ein Überbleibsel der Romantik, dass eine glückliche Ehe mit Liebe in Verbindung gebracht wird. Und vielleicht weil ich eine Frau bin, weise ich ausdrücklich darauf hin, dass ich das nicht tue.

Glücklich ist- völlig unabhängig von allen anderen Einzelumständen, Wert und Moralvorstellungen- derjenige dessen grundlegende Bedürfnisse nach Nahrung, Schutz und Wärme gedeckt sind und der ansonsten ein Leben lebt, das seinen Neigungen entspricht. (Und ansonsten hänge ich eh der Überzeugung an, dass Glück vor allem davon abhängt, wie man eine Situation betrachtet).
Eine Ehe, die das ermöglicht hat, dürfte als einigermaßen "glücklich" gegolten haben. Viele adelige Frauen, deren Männer sich eine Mätresse nach der anderen zulegten, litten nicht unbedingt unbedingt unter Liebeskummer (auch wenn es moderne Autoren historischer Romane gerne so darstellen), sondern eher darunter, wie sehr ihr Gatte damit seinen Mangel an Respekt ihr gegenüber bewies- je offener es tat, um so schlimmer. Es bewies, dass seine Frau nichts wert war, außer vielleicht dass sie ihm Geld oder wichtige Verbindungen gebracht hatte und dass er sie darüber hinaus als Mensch verabscheute. Und mit diesem Gefühl wird niemand glücklich.

Gegenseitiger Respekt dürfte zu jener zeit viel mehr zu einer glücklichen Beziehung beigetragen haben als Liebe.
Tut es vermutlich noch heute....


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Bunbury - 23.08.2016 10:39

(22.08.2016 22:08)Aguyar schrieb:  Besonders bemerkenswert ist, dass der mittelalterliche Experte in Liebesfragen auch Ratschläge für seine weibliche Leserschaft bereit hielt – spannend ist dies deshalb, weil Guidos Überlieferung damit beweist, dass es bereits im 12. Jahrhundert auch Frauen gab, die des Lesens und Schreibens kundig waren – jedenfalls in Italien.

Soweit ich weiß, gab es auch in England eine im Mittelalter eine Phase, in der Frauen recht ungehindert einem Beruf nachgehen und ein Handwerk ausüben konnte. Das muss so um 1200-1350 herum gewesen sein....


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Suebe - 23.08.2016 12:22

(22.08.2016 20:44)Teresa C. schrieb:  ./.,/,
Dass Adelige ins Bürgertum "abstiegen", dürfte keineswegs so gänzlich unüblich gewesen sein. Wenn wir davon ausgehen, dass sich wenigstens Schwiegersohn und Schwiegervater einig waren - vielleicht bot die Ehe mit der Wirtstochter trotz Standesunterschied dem Mann wesentlich interessante Zukunftsaussichten? ./.

Der Adelige könnte auch bei dem Wirt hoffnungslos verschuldet gewesen sein.

Grund meiner Nachfrage ist ein ähnlicher Fall in meiner Ahnentafel. Aus der selben Zeit.
Da hat ein Wirt (mein Vorfahr) eine Blaublütige, die dann auch noch auf die Welfen zurückzuführen ist, geehelicht.
Leider kenne ich diesen Fakt noch nicht so lange, und bis dato blieb mir keine Zeit mal nachzuforschen.
Wobei, mir ist der Fakt nicht selbst untergekommen, ich habe ihn von einem der mit mir eine gewisse Ahnengleicheit hat, der die herausfand Und irgendwie vermute ich stark, dass da nichts zu finden ist, sonst hätte der, oder auch einer der anderen Familienforscher längst schon "jubiliert".
Es wird wohl einfach keine belastbaren weiteren Fakten über das Faktum der Eheschließung hinaus geben.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Triton - 23.08.2016 20:30

(23.08.2016 10:36)Bunbury schrieb:  Viele adelige Frauen, deren Männer sich eine Mätresse nach der anderen zulegten, litten nicht unbedingt unbedingt unter Liebeskummer (auch wenn es moderne Autoren historischer Romane gerne so darstellen), sondern eher darunter, wie sehr ihr Gatte damit seinen Mangel an Respekt ihr gegenüber bewies- je offener es tat, um so schlimmer. Es bewies, dass seine Frau nichts wert war, außer vielleicht dass sie ihm Geld oder wichtige Verbindungen gebracht hatte und dass er sie darüber hinaus als Mensch verabscheute. Und mit diesem Gefühl wird niemand glücklich.

Gegenseitiger Respekt dürfte zu jener zeit viel mehr zu einer glücklichen Beziehung beigetragen haben als Liebe.
Das verstehe ich nun wieder nicht, bei einer reinen Zweckheirat ist es doch wurscht, was der Partner macht wenn nicht zugegen. Und ich behaupte einmal, Männer dürften hier eher pragmatisch vorgegangen sein und reine Mätressenbeziehungen geführt haben, die niemand groß interessieren während Frauen wohl grundsätzlich ernsthafter seitenspringen.

Also eine emotionslose Zweckehe führen und dann auch noch treu, brav und sittsam sein, damit der Partner sich nicht herabgesetzt fühlt, wer soll damit glücklich sein? Und je mehr kontrolliert und verboten wird, desto mehr wendet man sich natürlich vom Zweckpartner ab und empfindet ihn als Tyrann.

Bis vor so 20, 30 Jahren gab es für Politiker ein Privatleben, was diese nach Hörensagen auch weidlich ausgenutzt haben. Merkwürdigerweise galt die damalige Politikerkaste als wesentlich fähiger, schillernder, charismatischer als die braven Ehemänner heute, für die schon Techtelmechtel mit Praktikantinnen das Karriereende bedeuten können.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Teresa C. - 23.08.2016 21:14

Es wäre aber auch zu überlegen, ob nicht Fremdgehen des Ehemannes für manche Ehefrau keine so schlechte Lösung war, solange die eigenen Position bzw. das Ansehen dadurch nicht ernsthaft gefährdet war. Das war für sie vielleicht sogar angenehmer, als wenn er "brav" ist und sie daher ständig zur Verfügung zu stehen hat.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Triton - 23.08.2016 21:33

Gibt es nicht heute noch im BGB einen Rechtsanspruch auf Vollzug der Ehe und das sogar mit dem entsprechenden Tamtam drumrum, also für den Fordernden erfüllend?
Dieser Anspruch stammt sicher noch aus einer Zeit, in der Trennungen unüblich waren.


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Bunbury - 24.08.2016 09:54

(23.08.2016 20:30)Triton schrieb:  Das verstehe ich nun wieder nicht, bei einer reinen Zweckheirat ist es doch wurscht, was der Partner macht wenn nicht zugegen.

Vorausgesetzt, er ist nicht zugegen. Aber es sind genpügend Beispiele adeliger Ehen überliefert, wo der Herr Gemahl (König oder Fürst) im Beisein seiner Ehefrau einer anderen den Hof gemacht hat. Und dann wird es demütigend.

(23.08.2016 20:30)Triton schrieb:  Und ich behaupte einmal, Männer dürften hier eher pragmatisch vorgegangen sein und reine Mätressenbeziehungen geführt haben, die niemand groß interessieren während Frauen wohl grundsätzlich ernsthafter seitenspringen.

Und ich behaupte mal, das ist ein Gerücht. Ob ein Mann pragmatisch mit seiner Mätressenbeziehung umgegangen ist, dürfte zum einen von der Art der Mätresse abgehangen haben. Wenn die ihre Rolle akzeptiert hat, war es wohl okay. Aber wenn die Madame diesen Weg als einzigen hatte, um selbst zu Macht und Einfluss zu gelangen, sah die Sache anders aus. Madamde De Montespan ist da nur ein berüchtigtes Beispiel. Anna Boleyn ein anderes...
Und es hängt natürlich stark davon, wie nazissitisch die Neigungen des Mannes waren. Und bei einem Fürsten ist eine narzisstische Veranlagung durchaus wahrscheinlich. Auch aus psychologischer Sicht...
Ich gebe aber zu, dass es durchaus auch viele Arrangements gab, die gut funktionierten.

(23.08.2016 20:30)Triton schrieb:  Also eine emotionslose Zweckehe führen und dann auch noch treu, brav und sittsam sein, damit der Partner sich nicht herabgesetzt fühlt, wer soll damit glücklich sein? Und je mehr kontrolliert und verboten wird, desto mehr wendet man sich natürlich vom Zweckpartner ab und empfindet ihn als Tyrann.

Hier hast du meine volle Zustimmung.
Kommt dann noch dazu, dass Frauen in adeligen Ehen auch auf die Funktion einer Gebärmaschine reduziert wurden, deren Wert einzig und allein davon abhing, einen Erben zu gebären, bei dem sie zu der damaligen Zeit immer ein hohes Sterberisiko einging... Dann fällt es schwer zu glauben, dass die Mehrzahl der Damen mit der allgemeinen Situation zufrieden gestellt war. Dagegen aufzubegehren wagten sie allerdings nicht, denn schließlich bekamen sie von frühester Kindheit an eingeimpft, dass das ihre Strafe dafür war, dass Eva Adam den Apfel gab...



(23.08.2016 20:30)Triton schrieb:  Bis vor so 20, 30 Jahren gab es für Politiker ein Privatleben, was diese nach Hörensagen auch weidlich ausgenutzt haben. Merkwürdigerweise galt die damalige Politikerkaste als wesentlich fähiger, schillernder, charismatischer als die braven Ehemänner heute, für die schon Techtelmechtel mit Praktikantinnen das Karriereende bedeuten können.

Ja, wir sind mittlerweile schon richtig viktorianisch spießig und verlogen....


RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Suebe - 24.08.2016 19:44

(23.08.2016 21:14)Teresa C. schrieb:  Es wäre aber auch zu überlegen, ob nicht Fremdgehen des Ehemannes für manche Ehefrau keine so schlechte Lösung war, solange die eigenen Position bzw. das Ansehen dadurch nicht ernsthaft gefährdet war. Das war für sie vielleicht sogar angenehmer, als wenn er "brav" ist und sie daher ständig zur Verfügung zu stehen hat.


Geht man davon aus, dass die hormonelle Steuerung im grundsätzlichen männlic-weiblich ähnlich ist, entwickelt sich für die Frau aber ein echtes Problem.
Denn, hat nicht ein wittelsbacher Herzog rein auf den Verdacht hin gleich den Henker kommen lassen. Hinterher wurde er fromm und hat bitter bereut.
Was aber halt auch niemanden mehr lebendig macht.