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Richard I. - tatsächlich ein Homosexueller?
26.01.2020, 17:20
Beitrag: #1
Richard I. - tatsächlich ein Homosexueller?
In den 1990er-Jahren veröffentlichte eine junge, deutsche Autorin einen historischen Unterhaltungsroman über Alienor von Poitou (Aquitanien): "Die Löwin von Aquitanien", der (zumindest nach einer Sichtung der Rezensionen bei Amazon) noch immer gerne gelesen wird.

In diesem Roman ist Richard Löwenherz eindeutig homosexuell und zusätzlich noch in eine unglückliche Liebesbeziehung mit seinem Gegenspieler Philippe Auguste verstrickt.

Dass die Quelle für diese Idee nicht ein seriöses historisches Fachbuch war, sondern das Theaterstück "Der Löwe im Winter" des amerikanischen Autors James Goldman (1927-1998) oder wohl eher dessen Verfilmung mit Katherine Hephurn und Peter O'Toole (Richard wurde übrigens in diesem Film vom damals noch jungen Anthony Hopkins gespielt, und König Philipp war Timothy Dalton) dürfte außer Frage stehen, zudem Tanja Kinkel in ihrem Nachwort auch angibt, dass der Film ihr als eine Inspirationsquelle gedient hat. Es ist übrigens nicht uninteressant, dass Tanja Kinkel in ihrem Nachwort sich dazu, dass Richard bei ihr homosexuell ist und den französischen König liebt, äußert. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch der Meinung, dass Richards Homosexualität nicht historisch ist und sie ihn im Roman nur deshalb homosexuell sein lässt, weil das für den Roman eine spannenden Konstellation bietet.

Aus dramaturgischen Aspekten ist ihre Überlegung für mich nachvollziehbar. Das Motiv, dass ein Herrscher in einen Gegenspieler, den er bekämpft und der seine Familie und ihn vernichten will, verliebt ist, bietet jedenfalls Konfliktpotential. Allerdings scheitert das Ganze in Kinkels Roman an der Umsetzung.

Mit Blick auf die damalige Romanlandschaft ist allerdings recht interessant, dass Kinkels homosexueller Richard eine positive Figur war. Denn bis dahin waren homosexuelle Figuren im historischen Romanen (und auch in gewissen Filmen) fast immer Negativfiguren oder zumindest zweifelhafte Akteure gewesen.

Eine negative Sicht auf König Richard war zwar vor den 1990er-Jahren bereits zu finden, aber eher vereinzelt (und mit angeblicher Homosexualität) hatte sie nie zu tun.
Richard Harris zum Beispiel spielte im historischen Abenteuerfilm "Robin und Marian" (1976, mit Sean Connery und Audrey Hephurn) den alt gewordenen König als Psychopath, was aber durchaus zum Thema des Films passt.
In Österreich hat sich in der Sage um den Sänger Blondel und die Burg Dürnstein ebenfalls eine Richardfigur erhalten, die eher negativ erscheint, denn die Gründe für seine Gefangensetzung und das Lösegeld, dass er für seine Freilassung zahlen muss, sind hier eine gerechtfertigte Rache dafür, dass Richard den Landesfürsten Leopold schwer beleidigt hat. In einem Jugendroman, den ich in meiner Schulzeit gelesen habe und der dieses Thema aufgreift, wird Richard als eingebildeter Wicht gezeigt, der noch sehr glimpflich davonkommt.
Doch dürfte es sich dabei um Einzelfälle beziehungsweise um eine lokale Tradition handeln.

Ob nun Richard tatsächlich ein Homosexueller war oder nicht, auffällig ist jedenfalls, dass in den Jahrhunderten zuvor (also vor dem Schauspiel "Der Löwe im Winter") offensichtlich nie in der Kunst jemand die Idee hatte, Richard als Homosexuellen zu zeigen, das auch nicht durch indirekte Hinweise. Entweder findet sich Richard in einer Rolle, in der seine sexuelle Ausrichtung unwichtig ist (zum Beispiel "der gute König" in den Robin Hood-Versionen oder im "Ivanhoe" von Walter Scott, wo er sich nach seiner heimlichen Rückkehr vom Dritten Kreuzzug noch als "schwarzer Ritter" noch eine "Abenteuer-Tour" gönnt.

Im historischen Roman "Der Talisman" von Walter Scott (Anfang des 19. Jahrhunderts), der auf dem Dritten Kreuzzug spielt, ist Richard als frisch verheirateter Ehemann dargestellt, der in seine Ehefrau noch sehr verliebt ist. In der Barockoper von Georg Friedrich Händel ist er ebenfalls in seine Verlobte verliebt und ein Mann zwischen zwei Frauen. In der "Rettungsoper" von Modest Grétry hat er eine fiktive Geliebte, nach der er sich auf einer Burg bei Linz sehnt.

Für mich stellt sich die Frage, warum die Vorstellung eines homosexuellen Richards inzwischen längst von den meisten für einen Fakt gehalten wird, obwohl es dafür keine eindeutigen Belege gibt und die Indizien, die auf eine solche Sicht hin angeführt werden, auch ganz andere Interpretationen zu lassen.

Die Frage erscheint mir insofern auch interessant, als Richard nicht der einzige Herrscher ist, dem seit dem 21. Jahrhundert Homosexualität unterstellt wird.

(Um eines aber klarzustellen, Homosexualität ist leider nicht immer sehr heikles Thema: Ich habe auch keine Probleme damit, wenn Richard oder auch andere Herrscher in Wirklichkeit tatsächlich Homosexuelle waren, das ist ihre private Angelegenheit, mir geht es nur um die Frage, warum der "homosexuelle Herrscher" inzwischen sozusagen eine Modeerscheinung ist.

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Josephine Tey, Alibi für einen König
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Richard I. - tatsächlich ein Homosexueller? - Teresa C. - 26.01.2020 17:20

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