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Eberhard im Bart als Produkt einer Übermutter?
05.03.2021, 21:04
Beitrag: #1
Eberhard im Bart als Produkt einer Übermutter?
Vielleicht ein Beispiel aus dem Mittelalter, das für eine Diskussion, das eine oder andere historische psychologisch zu beleuchten, geeignet sein könnte.
"Cherchez la femme ..."

Vor einiger Zeit habe ich einen unbekannten, älteren historischen Roman von einer gewissen Katharina Hoffmann gelesen: "Der reichste Fürst", publiziert Anfang der 1920er-Jahre. Offensichtlich war die Dame auch Jugendbuchautorin, im Schwäbischen beheimatet und katholisch, mehr habe ich über sie nicht herausgefunden.

Ihr Roman erzählt die Lebensgeschichte des Grafen und Herzogs Eberhard "im Bart", worauf auch der Titel verweist. Anders als heute war es damals in Romanen durchaus üblich das ganze Leben einer historischen Person von der Geburt / Jugend bis zum Tod zu erzählen, wobei die Darstellung sich durchaus an dem orientierte, was damals als historisch gesichert galt beziehungsweise widergibt, wie man sich das halt damals vorgestellt hat. Wie in vielen älteren historischen Romanen ist daher schwer zu entscheiden, ob historische Ungenauigkeiten, Unrichtigkeiten oder gravierende Fehler in Kauf genommen wurden, der Schlamperei geschuldet waren oder auf die damalige Sekundärliteratur beziehungsweise damaligen Zeitgeist und Wahrnehmung zurückzuführen sind. (Dass in den Buch einige historisch belegte Rahmenbedingungen unrichtig sind, ist allerdings für den Kontext dieses Threads nicht wichtig.)

Im Roman hat der spätere erste Herzog von Würtemberg eine Jugendgeliebte (Tochter eines Hofangestellten, Typus "braves Bürgermädchen"), deren Tod er tragisch verschuldet und die deswegen postum als vermeintliche Selbstmörderin kein christliches Begräbnis erhält. (In Wirklichkeit hat sie sich in der Gewitternacht nicht selbst getötet, sondern ist tödlich verunglückt.) Seine Mutter , die legendenumwobene Mechthild von der Pfalz, vermittelt Eberhard im Roman die Ehe mit Barbara, hier eine liebevolle, aber zarte Ehefrau und die einzige Tochter von Mechthilds bester Freundin. (Die Freundschaft der Mütter hat eindeutig keine historische Grundlage und historische Barbara von Mantua hatte mehrere Brüder und Schwestern, während sie im Roman geliebtes, einziges Kind ihrer Eltern ist).

Die Frau allerdings, die sozusagen fast das gesamte Leben von Eberhard bestimmt, ist aber seine Mutter Mechthild. Mechthild hat im Roman ihr Leben auf ihre Kinder und besonders auf Eberhard ausgerichtet. Als die würtembergischen Stände beziehungsweise der Schwager Ulrich ihr die Kinder wegnehmen und diesen verbieten, die Mutter Sonntags zu besuchen, ist sie völlig verzweifelt. Eberhard ist ihr ein und alles (das sind die anderen Kinder zwar auch, aber die werden nur namentlich genannt und haben in dem Roman auch keine wirkliche Rolle außer dass es sie gibt). Mechthild tut alles für ihren Sohn und seine Karriere, wobei sie sich selbst nicht schont. Noch aus der Ferne und von ihm getrennt, wacht sie im Roman über seinen Lebenswegs. Als er einige Dummheiten macht, sorgt sie per Post dafür, dass er ihr zu Liebe wieder auf den rechten Weg gerät. Einen Konflikt mit dieser dominanten Mutter, der aus heutiger Sicht eigentlich zu erwarten wäre, findet aber nicht statt. In allen Schwierigkeiten steht Mechthild bis zu ihrem Tod (also fast den ganzen Roman hindurch) Eberhard zur Seite, meistens sind es ihre Ratschläge, ihr Geld oder andere Aktivitäten, die ihm weiterhelfen. Eberhards Darstellung als "Muttersöhnchen" ist im Roman durchgehend positiv inszeniert. (Im Roman ist diese Mutter sozusagen das Beste, was Eberhard passieren konnte.) Allzu subtil ist die Autorin mit ihrer Verherrlichung einer Sohn-Mutter-Beziehung nicht, an einigen Stellen wird die die Mutterliebe dezidiert als herrlichste Form von Liebe, die es überhaupt gibt, bezeichnet, und auch die Darstellung enthält nichts, was sie vielleicht ansatzweise in Frage gestellt hätte.

"Württembergs geliebter Herr" - ein Muttersöhnchen oder gar der Beweis dafür, was Mutterliebe alles bewirken kann? (Mir war das persönlich zu viel des Guten, aber das ist vielleicht auch Geschmacksache.)

Bleibt natürlich die Frage - war der historische Eberhard tatsächlich ein Muttersöhnchen? Ist die "Übermutter" Mechthild als eine psychologische Interpretation für Eberhards Werdegang auch mit Blick auf das, was überliefert ist, vorstellbar? Oder wäre sie zwar mit Blick auf das, was historisch gesichert scheint, in dieser Rolle vorstellbar, hat aber den Nebeneffekt, dass sie Eberhard als "bewunderungswürdigen" Politiker weniger aufwertet als nachhaltig beschädigt?

Ich selbst vermute, dass eine heutige Autorin oder ein heutiger Autor, die Mutter Mechthild in ihrer Funktion als dominante Übermutter entweder entschärfen oder noch mehr und vor allem als zweifelhafte Belastung für den historischen Eberhard ausbauen würde, je nachdem, ob sie als positive oder negative Frauenfigur fungieren soll.

Allerdings war die dominante Übermutter im Film Anfang des 21. Jahrhunderts durchaus in Mode, Beispiele dafür sind der Alexanderfilm mit Angelina Jolie, der Jesusfilm mit Jeremy Sisto oder der Napoleonfilm mit Christian Clavier.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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