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Eberhard im Bart als Produkt einer Übermutter?
10.03.2021, 23:32
Beitrag: #9
RE: Eberhard im Bart als Produkt einer Übermutter?
(07.03.2021 17:29)Sansavoir schrieb:  Ich denke, dass es falsch ist, Mechthild als Übermutter bzw. Eberhard als Muttersöhnchen darzustellen. Im 15. Jahrhundert haben Hochadlige ihre persönliche Lebensplanung der dynastischen Politik unterordnen müssen. Mechthild wurde als junge Frau mit vier Kindern Witwe, also brauchte sie einen Beschützer für sich und ihre Kinder bzw. für das Land Württemberg-Urach. Deswegen heiratete sie den habsburger Albrecht VI. und nachdem dieser gestorben war, war Eberhard volljährig. Der war halt so klug, seine Mutter in die Politik einzubinden. Sein letztlich politisch erfolgreiches Wirken zeigt, dass er keine schlechte Lösung gefunden hat.

In einem Roman könnte so eine Sicht, wenn sie überzeugend und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen umgesetzt ist, eine interessante Geschichte ergeben. Was die Historizität betrifft, können psychologische Überlegungen im besten Fall bei einer Annäherung interessante Ansätze liefern, allerdings sollten sie mit Vorsicht und ohne Deutungshoheit angewendet werden.

Bei Mechthild und Eberhard ist schon auffällig, dass beide offensichtlich auch in der Forschung häufig gemeinsame Aufmerksamkeit erfahren, wobei die Bilder, die bisher von Mechthild gezeichnet wurden, auch stark von der momentanen Sicht der Geschichtsforschung von Frauen abhängig sind.
Das Klischee, dass Frauen im Mittelalter rechtlos waren, aber über das Ehebett und auf indirekten Wegen über einen Mann Einfluss nahmen, ist bis heute verbreitet. Da sich solche nicht öffentlichen Zugänge gewöhnlich gar nicht mit Quellen belegen lassen, ist sehr vorteilhaft. Zudem dann die Chancen einer Verbreitung dieser Vermutung ausgezeichnet sind, und etwas, was mehrmals gelesen wurde, bereits als Tatsache gesehen wird. (Das auch dann, wenn das mehrmalige Lesen nur dem Umstand geschuldet ist, dass die Forscherinnen und Forscher von einander abgeschrieben haben. Heute kommt noch hinzu. Sobald eine Vermutung in einem populärwissenschaftlichen Geschichtsbuch publiziert wurde, ist sie für Wikipedia auch dann gültig, selbst wenn Urkunden und Quellen dem widersprechen oder andere Sekundärliteratur Gegenteiliges zumindest andeutet. Die Möglichkeit, auf Fragwürdiges in einem Wikipedia-Artikel hinzuweisen, ist von der Wikipedia-Führung, selbst wenn sich da zu in der Forschungsliteratur Indizien finden, sogar offiziell verboten.)

Bestes Beispiel dafür ist bei Mechthild die Gründung der Universität Freiburg. Für ihre Rolle als Mitbegründerin oder tatsächliche Gründerin gibt es keine urkundlichen Belege. Die baugeschichtlichen Belege, die gerne angeführt werden, dürften erst Jahre später entstanden sein.

Dafür, dass Mechthild die treibende Kraft hinter ihrem Ehemann war, gibt es keine Belege. Es gibt aber auch keine Belege, dafür, dass sie es nicht war.

Dass sie immerhin wegen Einkünfte aus einer Kirchenpfründe, welche Albrecht zur Dotierung der Universität bestimmt hatte, mit dieser prozessierte, ist belegt. Das dürfte als Indiz eher für die Theorie sprechen, wonach sie an der Gründung der Universität nicht beteiligt war.

Auch der Umstand, dass die Universität Freiburg ihre ersten Professoren aus Wien und nicht aus Heidelberg bezog, dürfte als Indiz eher gegen Mechthild als Gründerin, Mitgründerin oder Initiatorin sprechen.

Der Standort übrigens ebenfalls - für Mechthild wäre vermutlich eine Universitätsgründung in Rottenburg am Neckar oder einem anderen wichtigeren Ort in ihrem Wittum sicher interessanter gewesen.
Dass ein anderer Standort als Freiburg im Breisgau durchaus im Rahmen des Möglichen gewesen wären, deuten die Verhandlungen um die päpstliche Erlaubnis an. Für die Kurie jedenfalls wies Freiburg als Standort für eine Universität erhebliche Mängel auf. (Auch wenn diese vor allem deswegen hervorgehoben wurden, da die Kurie Interesse hatte, das Universitätsprojekt in Freiburg zu verhindern, da sie in ihm eine gefährliche Konkurrenz für ein anderes Universitätsprojekt gesehen haben dürfte.)

Da die Gründungsurkunde der Freiburger Universität das Modell für die Gründungsurkunde der Tübinger Universität war, ist ein Zusammenhang zwischen den beiden Universitätsgründungen sehr wahrscheinlich. Mechthild war zudem an der Gründung der Tübinger Universität tatsächlich beteiligt. (Dafür gibt es urkundliche Belege.) Aber ist das wirklich ein Indiz dafür, dass Mechthild auch an der Freiburger Universität beteiligt war?

Könnte Eberhard nicht selbst diese Idee gehabt haben oder vielleicht seine Räte?
Interessant ist auch, dass sich an Eberhards Hof Personen wie Georg von Ehingen findet, die zuvor bereits am Hof seines Stiefvaters Albrecht zu finden waren. Natürlich ist es verlockend, in Mechthild das Bindeglied zu sehen. Aber vielleicht brauchte Eberhard dazu nicht seine Mutter.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Aufsatz, auf den uns Suebe verwiesen hat und den übrigens bereits bekannt habe. Die Überlegungen dafür, dass Mechthild in den letzten Jahren ihrer Ehe in eine Liebesbeziehung mit einem verheirateten Adeligen verstrickt war und ihr Sohn diese mit einer materiellen Abgeltung für den Liebhaber beendete, wirkt sehr glaubwürdig. Dennoch sind es leider nur Indizien, auf denen diese Annahme aufbaut. Sie zeigt aber auch, wie wenig gesichert eigentlich die bisherigen "Mechthild-Bilder" sind.

Hätte sich Mechthild ohne Eberhard auf ihren Witwensitzen wirklich nicht halten können? War es wirklich Eberhard, der Mechthild dazu verführte, ihr Wittum ihm zu überlassen? Oder spielte Mechthild dabei doch eine aktivere Rolle.

Tatsache ist, dass sie in ihrem Testament Eberhard zu ihrem Universalerben einsetzte. Aber wen hätte sie sonst zu ihrem Haupterben machen können?

Nach seiner Volljährigkeit war Eberhard sozusagen der Familienchef seiner Linie. Nachdem Tod seines Onkels brachte er es zum Familienchef im Haus Württemberg. Mechthild, die etwa zu jenem Zeitpunkt, als Eberhard volljährig wurde, zum zweiten Mal verwitwete, hatte aus ihrer zweiten Ehe keine Kinder. (Hinzu kommt noch, dass die Stellung ihres zweiten Ehemannes innerhalb seiner Herkunftsfamilie durchaus brüchig war.) Eberhard war damit Mechthilds nächster männlicher Verwandter.

Auffällig ist, dass Mechthild bis zu ihrem Tod immer wieder Heidelberg besuchte, die Kontakte zu ihrer Herkunftsfamilie also nicht völlig aufgegeben hat. Wäre es vorstellbar, dass sie zumindest ihre Herkunftsfamilie gegen die Familie, in die sie in erster Ehe eingeheiratet hatte, ausspielte, um so ihren eigenen Handlungsrahmen und ihre eigenen Stellung zu sichern. Indem sie sich in zweiter Ehe mit einem Mann verheiratete, der einerseits vom Status her ihrer Herkunftsfamilie ebenbürtig war, andererseits aber weder zu dieser noch zu der Familie ihres ersten Ehemannes zugehörig, dürfte sich Mechthild noch ein weiteres Standbein gegen die Herkunftsfamilie und die Verwandten ihres ersten Ehemannes geschaffen haben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es Mechthild um ihren eigenen politischen und persönlichen Spiel- und Freiraum ging oder ob sie so die Stellung ihrer Kinder zu sichern versuchte.

Wollte sie so die Stellung ihrer Kinder sichern, stellt sich wiederum die Frage, ob dies aus Mutterliebe geschah oder aus Berechnung, um über die Stellung der Kinder ihre eigenen Position zu sichern.

Zu den Verwandten ihrer beiden Ehemänner (besonders mit den Brüdern ihrer Ehemänner) dürfte sie, soweit sich das beurteilen lässt, keineswegs gute Beziehungen gehabt haben.

Mein Eindruck ist, dass sie jedenfalls eine gute Netzwerkerin war. Es stellt sich auch die Frage, ob Eberhard als Reichsfürst später nicht von diesem Kontaktnetzwerk profitiert hat.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: Eberhard im Bart als Produkt einer Übermutter? - Teresa C. - 10.03.2021 23:32

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