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verlässliche Jahreszahlen?
05.04.2021, 13:39
Beitrag: #17
RE: verlässliche Jahreszahlen?
Ich habe festgestellt, dass die Überprüfung der Datierungen (und die Abstimmung der Quellen, aus denen sie sind dazu) sogar recht aufschlussreich ist, wenn es gilt, historische Geschehnisse auf ihre Zulässigkeit und Glaubwürdigkeit zu hinterfragen. Jedenfalls ist es mir inzwischen schon mehrmals untergekommen, dass viele Geschehnisse gar nicht so, wie sie überliefert sind und in der Geschichtsforschung dargestellt wurden, stimmen können.

Häufige Beobachtungen, die ich bisher für Geschehnisse aus dem Mittelalter gemacht habe:

- Das Geschehnis um eine bestimmte Person kann so nicht stattgefunden haben, weil er oder sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht vor Ort gewesen sein kann. Das betrifft auch Ereignisse mit längerer Dauer (wie zum Beispiel Reichstage, Konzile, Romzüge, Kriegszüge, längere Feiern etc.), an denen diese Personen gewöhnlich als Teilnehmende wenigstens für einen Zeitraum belegt sind. Dennoch habe ich einige Fälle entdeckt, wo etwas nicht stimmen kann, sei es, dass die Person längst abgereist war oder noch gar nicht angekommen oder das, worum es geht, bei der belegten Begegnung noch gar nicht zur Debatte gestanden haben konnte.

In einem Fall war es übrigens auch ein Rechnungsbuch, das einige Hinweise dazu lieferte, dass ein Geschehnis, wo das Opfer immerhin einige Zeit vor Ort war, so nicht stattgefunden haben kann, wie es ein Chronist überliefert hat, auch wenn die Geschichtsforschung seine Darstellung bis heute als Fakt einstuft. Zusammen mit einem Brief, in dem ein persönliches Treffen von Opfer und Täter belegt ist und der eine genaue Datierung ermöglicht, legt nahe, dass diese Geschichte erfunden ist. Eine Reihe weiterer Beobachtungen, die sich aus Urkunden ergeben, könnten als Bestätigung gesehen werden.
(Rechnungsbücher gelten inzwischen als eine der noch zuverlässigsten Quellen, vielleicht weil die dortigen Fehler und Unrichtigkeiten eher kleine Gaunereien sind und gewöhnlich nichts mit Politik und weltgeschichtlichen Entscheidungen zu tun haben. Aber leiden sind sie im Gegensatz zu Chroniken und Historien keine prickelnden Quellen.)

- Manchmal verrät auch bereits die chronische Reihenfolge der überlieferten Geschehnissen, dass da etwas nicht stimmen kann. Wenn eine Person zum Beispiel für eine Tat bestraft wird, die sie erst viele Monate später begangen hat, kann doch etwas nicht stimmen. Wenn ein Projekt (zum Beispiel eine Eheschließung) bereits verwirklicht war, ehe es vorgeschlagen und die Verhandlungen dazu in die Wege geleitet wurde, hat das Ganze wohl auch einen Haken.

Mein Lieblingsbeispiel ist der genaue Zeitpunkt, wann eine bestimmte Stadt erobert wurde. Recherchiert habe ich das, weil ich es für eine stimmige Romanszene benötigte, bei der es nicht nur um einen schlüssigen Handlungsablauf für den Roman ging, sondern um die Klärung, was tatsächlich hinter diesem historischen Geschehnis geschehen ist.
Es ging zwar nicht um den genauen Tag der Eroberung, aber es kam mich für mich tatsächlich darauf an, dass richtige Jahr zu haben, und auch der Monat war für mich wichtig, weil im Zusammenhang mit einem anderen Geschehnis, das auf diese Eroberung folgte, die Jahreszeit nach der gängigen Überlieferung eine Rolle gespielt hat. (Es macht eben doch auch einen Unterschied, ob etwas im Sommer oder im Winter geschehen ist.)
Die Angaben in der Sekundärliteratur waren widersprüchlich, auch die urkundlich belegten Angaben widersprachen sich. Hier konnte ich mir schließlich insofern helfen, als ich meinen Urlaub damals an einem Ort verbrachte, von wo ein Ausflug in diese Stadt mit Öffis machbar war. Die Stadt hatte zu meinem Glück ein sehenswerten Stadtmuseum und dort habe ich auch die Frage mit allem Drumherum für mich klären können.

Persönlich halte ich die Methode die Zuverlässigkeit der Überlieferung in der Geschichtsforschung zu überprüfen, in dem ich sehe, ob die überlieferten Daten einen glaubwürdigen und sinnvollen Handlungsablauf belegen, für recht brauchbar.

Eine weitere Methode, die ich gerne zur Überprüfung von historischen Geschehnisse verwende, ist ein Blick auf den geographisch-historischen Rahmen. Auch hier habe ich schon einige interessante Beobachtungen gemacht.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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verlässliche Jahreszahlen? - RoW - 20.02.2013, 09:18
RE: verlässliche Jahreszahlen? - Teresa C. - 05.04.2021 13:39

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