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Böhmen unter Karl IV.
10.06.2012, 05:17
Beitrag: #2
RE: Böhmen unter Karl IV.
(04.06.2012 00:40)Viriathus schrieb:  Kommen wir zur Frage: Kann man in diesem Zusammenhang also von einem böhmischen Herrschaftsbereich sprechen, welcher das Kaiserreich umfasste? Sozusagen ein Großreich unter böhmischer Führung?

Deine Frage ist nicht ganz einfach mit "ja" oder "nein" zu beantworten. Es ist auf alle Fälle richtig, dass zu Zeiten Karls IV. Prag eine besondere Rolle spielte (Universität gegr. 1348, Handel). Prag war nicht nur die bedeutendeste Stadt Böhmens, sondern auch des Reiches. Ich würde sogar behaupten, dass Prag während der Herrschaft Karls (des Friedenskaisers) eine größere Bedeutung als Paris oder London hatte, da beide Städte sich infolge des Hundertjährigen Krieges nicht weiter entwickeln konnte.

Die Bewertung der Goldenen Bulle von 1356 erfolgt ja oft kontrovers. Während im 19. Jh. Karl die Schwächung der Zentralmacht vorgeworfen wurde und er als "Erzstiefvater des Reiches" bezeichnet wurde, wertet man heute die Goldene Bulle als Geburtsstunde des deutschen Föderalismus.

Grundsätzlich muss Karls Herrschaft als König von Böhmen anders bewertet werden als sein Wirken als Kaiser. Zum Königreich Böhmen gehörten neben den eigentlichen Böhmen (einschl. der heutigen Oberlausitz) auch die Markgrafschaft Mähren und seit 1335 bzw. 1348 Schlesien. Karl wuchs zwar am Hofe der französischen Könige auf, kehrte aber 1333 auf Wunsch des böhmischen Adels nach Böhmen zurück. Dort übernahm er während der häufigen Abwesenheit seines Vaters die Aufgaben eines Regenten, so dass er bereits in sehr jungen Jahren Regierungserfahrung besaß. Ein Problem für ihn war, dass in Böhmen und Mähren kein Lehnsrecht westeuropäischen Zuschnitts existierte und diese Länder vom Dualismus König (Markgraf) und Landherren geprägt waren. Deswegen begann Karl, ihn besonders nah stehende Adlige mit wichtigen Ämtern zu betrauen. Damit widersetzte er sich dem Hochadel, der bisher diese Ämter oft innerhalb der eigenen Familie vererbte.

Karls neu ausgestattete Amtsträger wurden mit der Verpflichtung zum Dienst an der gemeinsamen Sache motiviert. Symbolisch sind dafür die Gründung der Universität Prag und der Prager Neustadt (1348) zu nennen. Damit setzte Karl ein Zeichen für den Neuanfang nach der wechselvollen Herrschaft seines Vaters Johann von Luxemburg. Er förderte deshalb gezielt den böhmischen Landespatriotismus und betonte seit seiner Herrschaftsübernahme im Jahr 1346 die Sonder- und Vorrangstellung des Königreiches Böhmen und seiner Nebenländer innerhalb des Heiligen Römischen Reiches.

Karls wichtige Mitstreiter waren Ernst von Pardubitz, Johann von Neumarkt und sein Bruder Johann Heinrich (Jan Jindrich). Erstere unterstützten ihn bei der Kodifikation des Landrechtes, letzterer fungierte als Markgraf von Mähren und loyaler Regent von Böhmen während Karls Abwesenheit. Der wohl von Pardubitz und Neumarkt erarbeitete "Codex Maiestatis nostrae" ("Maiestas Carolina") sollte die Macht des Königs stabilisieren, ohne den König selbst an die Gesetze zu binden und es solllte die Macht der böhmischen Magnaten eingeschränkt werden. Die Vorlage des Gesetzesentwurfs wurde 1355 nicht vom Landtag bestätigt und 1356 musste Karl einen Aufstand der böhmischen Magnatenfamilie Rosenberg niederschlagen. Dies führte dazu, dass Karl und seine Söhne von 1356 bis 1419 keinen Generallandtag der Vertreter aller böhmischen Länder einberief. Inwieweit diese Politik für die Hussitenkriege im 15. Jh. mitverantwortlich ist, würde momentan den Rahmen sprengen. Ebenso gab es 1356 in Böhmen keine Konflikte zwischen Tschechen und Deutschen.

Kommen wir zum Reich: Mit der Goldenen Bulle von 1356 wurde u.a. auch die Wahl zum römisch-deutschen König geregelt. Karl beabsichtigte damit, dass zukünftige Reichsangelegenheiten nicht mehr von ausländischen Mächten gesteuert werden. Dies ist erstaunlich, da seine eigene Wahl vom Papst Clemens VI. und dem französischen König Philipp VI. gefördert wurde und Karl deswegen als Pfaffenkönig galt. Für ihn galt es, die Gefahr eines Gegenkönigtums abzuwenden. Er selbst musste sich als Gegenkönig gegen Ludwig IV. den Bayer behaupten und nach dessen Tod seinen Gegenkönig Günther von Schwarzburg bekämpfen. Und ihm waren sicher die Ereignisse des Interregnums bekannt. Diese Erfahrungen bewogen ihn, eine eindeutige Königswahl durchzusetzen. Damit war er auf die Hilfe der Fürsten angewiesen. Er bestimmte drei geistliche Herrscher (die Erzbischofe von Köln, Mainz und Trier) und vier weltliche Herrscher (König von Böhmen, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen-Wittenberg und den Markgraf von Brandenburg) zu Kurfürsten. Die Festlegung erfolgte einerseits nach traditionellen Ämtern (z.B. wurde der Erzbischof von Trier als Erzkanzler von Burgund bestätigt), andererseits nach persönlichen Machtinteressen (Karl besaß als König von Böhmen selbst eine Kurstimme, sein damaliger Schwiegervater war der Pfalzgraf bei Rhein). Die Habsburger bekamen keine Kurstimme und die bayrischen Wittelsbacher bekamen nur für die Markgrafschaft Brandenburg eine Kurstimme. Damit beabsichtigte Karl die Wahl eines Angehörigen dieser Dynastien zu verhindern oder zumindest zu erschweren. 1373 erwarb Karl die Markgrafschaft Brandenburg, damit besaßen die Luxemburger zwei Kurstimmen.

Man kann schon sagen, dass Karl verschiedene Wege zur Festigung seiner Macht bzw. zur Ausschaltung seiner Konkurrenten im Reich ging. Neben seiner Basis in Böhmen beabsichtigte er in der Mark Brandenburg einen zweiten Pfeiler im Reich aufzubauen. So förderte er z.B. die an der Elbe liegende Stadt Tangermünde als Handelsplatz. Karl verfolgte noch weitere Projekte, die ihm finanziell überforderten. In den 1350-er Jahren förderte er die Entwicklung der Oberpfalz und von ihm erworbene Gebiete in Franken, das sog. Neuböhmen, zur Festigung des Handelsweges Prag-Nürnberg. Dieses Projekt wurde dann zugunsten der Förderung Brandenburgs nicht mehr weiter verfolgt.

Ich denke schon, dass Karl von Böhmen aus die Reichsangelegenheiten kontrollierte und gestaltete. Ihm war aber bewusst, dass er keine Zentralmacht (wie z.B. Otto I. oder Friedrich Barbarossa) durchsetzen konnte. Deswegen war er bereit, Macht abzugeben. Praktisch herrschte zuzeiten Karls eine Oligarchie bestehend aus den Kurfürsten und ein paar mächtigen Dynastien (Habsburger, Wittelsbacher u.a.), wobei Prag als politisches und wirtschaftliches Zentrum gelten kann

Interessant ist auch, dass Karl durch "Erbverbrüderungen" mit dem Erzherzog von Österreich und mit dem König von Ungarn die Idee des späteren Habsburgerreich vorwegnahm. Dagegen erkannte er nicht die vom Herzogtum Burgund ausgehende Gefahr für die Westgrenze des Reiches.

So das war es ersteinmal.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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