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Germanische Mythologie
09.04.2013, 17:48
Beitrag: #2
RE: Germanische Mythologie
Aufschlußreich für die Mythologie der Germanen scheint mir zu sein, dass das Heiligtum sich von den Drei-Matronen-Heiligtümern der Ubier im Süden wie auch von den "Herkules"-/Kriegergott-Heiligtümern („Hercules Magusanus“ laut Tacitus) der Bataver im Norden unterschied.
Irgendein Gott, der eine Verehrung in oder durch Bäume (im Zentrum des Heiligtums scheint eine Esche gestanden zu haben) erforderte und das Backen sowie logischerweise auch den Verzehr von Broten, muss dort verehrt worden sein.
Das Heiligtum weist neben den von dir genannten Eigenschaften noch zwei wichtige Aspekte auf:
Es ist von den Römern offenbar gezielt und nachhaltig zerstört worden, und es hat eine einzigartige Lage: Völlig abseits jeder Siedlung (typisch für germanische Heiligtümer), an einer wichtigen Straßenkreuzung und mit Blick auf eine eventuell heilige Quelle. Christoph Reichmann, der Autor deiner Quelle aus 1991 und Leiter des Museum Burg Linn vermutet sogar, dass die Quelle der Ort eines älteren Heiligtums der Sugambrer gewesen sei, und das Elfrather Heiligtum quasi den „Neubau“ dieses Heiligtums darstellte, nachdem die Sugambrer ihre Siedlungssitze verlagert hatten. Jedenfalls lassen die fehlenden Begleitbauten darauf schließen, dass das Heiligtum nur zu bestimmten rituellen Anlässen aufgesucht wurde und nicht z.B. eine dauerhafte Betreuung durch Priester kannte, die dann Wohnungen nahe beim Heiligtum gebraucht hätten.
Reichmann geht in seinem Beitrag der Frage nach, welcher Gott in dem Elfrather Heiligtum – gerade außerhalb des laut Tacitus ubischen Gebiets – verehrt worden sein könnte. Zur Beantwortung dieser Frage holt er erst einmal weit aus und liefert dabei quasi einen „Grundkurs germanische Religion“, den ich euch nicht vorenthalten möchte (danke an Paul für diese Quelle!):
Reichmann klamüsert anhand des Futhark-Gedichtes – nach ihm eine Art „gesamtgermanisches Glaubensbekenntnis“ - auseinander, dass es bei den Germanen drei von ihm so genannte "Konfessionen" gegeben haben muss, deren Bezeichnungen (Istväonen, Ingväonen, Hermionen) Tacitus lediglich missverstanden habe als Stammesbezeichnungen. Laut dem Autor existierten im gesamten Germanengebiet die drei "Konfessionen" nebeneinander. Laut deiner Quelle waren die Sugambrer/Cugerner Istväonen (ebenso wie die Franken, zu denen die Sugambrer später gehörten), die eine aus der ursprünglichen weiblichen Götterdreiheit eine männliche Götterdreiheit gemacht hatten, bestehend aus Mondgott, Sonnengott und zeugendem Göttersohn.
Tacitus berichtet: „Sie - die Germanen - preisen in alten Liedern, dies ist die einzige Art der Erinnerung und historischen Überlieferung bei ihnen, den Gott Tuisto, der aus der Erde geboren ist. Ihm schreiben sie den Sohn Mannus zu, als Ahnherrn und Begründer des Volkes, dem Mannus wiederum drei Söhne, nach deren Namen sich die dem Meere am nächsten wohnenden
lngvaeonen, die in der Landesmitte Herminonen und die übrigen lstvaeonen nennen.“ Tacitus merkt allerdings an, dass diese Dreiteilung nach Religion nicht so stimmen kann: Denn, so Reichmann, „der Mythos von Tuisto [hat] keineswegs eine regionale Dreiteilung der Germanen zum Inhalt (…), sondern allein eine religiöse Dreiteilung. Die nach den Mannus Söhnen benannten drei religiösen Gruppen waren nicht gleichzeitig auch politisch entsprechend organisiert. Sie wohnten nicht zusammen, sondern die zerstreut siedelnden Stämme hatten sich - meist - einer dieser drei Richtungen angeschlossen. Es war eben nur so, daß sich zur Zeit des Tacitus an der Küste besonders viele oder besonders einflußreiche Stämme zu den lngvaeonen rechneten und so fort. Genau betrachtet, gab es jedoch in allen Teilen des Landes alle drei Richtungen nebeneinander. In diesem Sinne erwähnt Tacitus auch an anderen Stellen immer wieder ganz bestimmte Stammesgottheiten.“ Allen drei „Konfessionen“ sei gemeinsam, so Reichmann, dass sie drei Grundprinzipien verehrten: 1. die den Gott gebärende Erde, 2. den Vatergott Tuisto und 3. den ebenfalls zeugenden Göttersohn Mannus. Dabei setzten die einzelnen „Konfessionen“ unterschiedliche Schwerpunkte: Die lngvaeonen setzten die gebärende Erde an die Spitze, die lstvaeonen den Vatergott Tuisto und die Herminonen den Göttersohn Mannus.

Die Ingväonen gingen von einem durch Sonne und Mond gesteuerten immerwährenden „Kreislauf des Lebens“ aus, der dem Sommer-Winter-Jahreszyklus entsprach. Der dritte Gott stand dabei für das Prinzip „Ewigkeit“.


Die Istväonen verehrten offenbar Blitz und Donner sowie eine "Sohn-des-Schöpfergottes"-Figur, die ihrerseits wieder lebensspendend oder vielmehr lebenserhaltend gewesen sein muss und daher als Feuer-und-Wasser-Gott verehrt wurde. Blitz- und Donnergott entsprechen dem von Tacitus genannten "obersten Gott" der Istväonen, nämlich Tuisto. Der Blitzgott alleine entspricht Ziu, dem späteren Tyr der nördlichen Germanen. Der Göttersohn als Dritter im Bunde wurde interessanterweise durch ein als Todessymbol zu wertendes Kreuz gekennzeichnet (der Querstrich als Symbol für den Übergang zwischen Leben und Tod, der Längsstrich als Symbol für den Lebensbaum), als Gegenstück zum Kreis als Symbol der ewigen Wiederkehr von Leben und Sterben bzw. Sommer und Winter (wofür die anderen beiden Götter standen).
Leben wurde nach Vorstellung der Istväonen weiter gegeben, indem Erzeugnisse der Natur gegessen wurden und so in eine andere Lebensform überführt wurden - wohl Hintergrund des rituellen Verzehrs von Broten im Elfrather Heiligtum und eine Verbindung zum späteren nordischen Gott Baldur.
Dieser Baldur stellte bei den Istväonen als zweiter "Konfession" der Germanen den Göttersohn der Göttertrias dar, in dessen Heiligtümern das Brotbacken und -verzehren fest zum Ritus gehörte. Auch das Pferd spielte eine gewisse Rolle bei den Istväonen; Reichmann führt dies auf die Ähnlichkeit der Wörter für „Ewigkeit“ („ewa“) und „Pferd“ („ehwaz“) zurück. Sogar der Name der Franken solle darauf zurückgehen: Reichmann konstruiert eine Ethymologie aus dem Wort für (einen Pferdefuß) verrenken („wrankija“). Mir persönlich fallen da die Geschichten von Wodan/Odin als Heiler von Verrenkungen ein…

Für die Herminonen wiederum war die Eibe („iwaz“; vgl. „Ehwaz“ = Pferd!) DER Baum des Lebens; als solcher hat sich die Eibe noch bis in die Edda gehalten.
Der Göttersohn heißt bei den Hermionen Mannus und ist der "menschliche" Gott, der zwischen Feuer und Wasser als schöpferischen und bildenden Urkräften („Vätern“) steht. Er bildet das Zentrum der hermionischen „Konfession“ und kämpft für das Wohl der Menschen. Aus seinem Namen leitet Reichmann auch die Wörter „Mensch“ und „Mann“ ab.

Nachdem Reichmann dies alles erläutert hat, kommt er zu seinem eigentlichen Thema zurück, der Deutung des Heiligtums von Krefeld-Elfrath. Er führt Beispiele dafür an, dass aus Brot gebackene Götterbilder z.B. von Baldur verzehrt wurden. Dazu gehörte das Mahlen, und zwar mit Hilfe von Stößeln, die ähnlich wie Hammer aussahen – laut Reichmann der Ursprung von Thors „Götterhammer“ Mjölnir (wörtlich „der Zermahler“ oder “Zermalmer“!).
Im Unterschied zu den – laut Reichmann älteren – Istväonen betonten die Ingväonen die Bedeutung der Weiterverarbeitung von Naturprodukten durch menschliche Kraft. Erst dies hätte die natürlichen Produkte wirklich geheiligt. Das Anschwellen des Brotes beim Backen sei als „Wachsen“ gedeutet worden.
Im Weltenbaum seien alle drei „Konfessionen“ vereinigt gewesen: Die Ingväonen hätten sich in der Wurzel wiedergefunden, die Istväonen in der „den Himmel berührenden“ Krone und die Herminonen im beide verbindenden Stamm. Der Baum hätte dann für die usrprüngliche allgermanische Religion mit Gestirnsgöttern gestanden. Die Ingväonen stellten dabei ihre Göttertrias weiblich dar, die Istväonen männlich. Nachdem noch die – nach Reichmann ursprünglich ingväonischen – Ubier Vaesar ihre Hauptgötter als weiblich geschildert hatten, tuachen im Mittelalter all diese Mond- und Sonnengöttinnen in männlicher Form auf. Reichmann folgert daraus, dass die istväonische Richtung sich allgemein durchgesetzt habe.
Auf die ingväonische Konfession der Ubier führt Reichmann im übrigen auch zurück, dass die Ubier den Römern und generell allem Neuen viel aufgeschlossener gegenüber standen als z.B. ihre istväonischen Nachbarn, die Sugambrer. Als diese nach langen und harten Kämpfen mit den Römern schließlich zu unterliegen drohten, änderten sie sogar ihren Namen in Cugerner.
Die Bataver mit ihrem von den Römern Herkules genannten Hauptgott Magusanus stellen nach Reichmann die herminonische „Konfession“ dar. Magusanus wäre demnach der Name für die gesamte herminonische Göttertrias aus Mannus, einem Feuergott und einem Wassergott.
Im Elfrather Heiligtum ist wohl eine ähnliche Gottheit verehrt worden. Reichmann identifiziert diesen Gott als den vom römischen Usurpator Postumus in Münzen verewigten Gott „Hercules Deusoniensis“. Der Beiname stellt nun allerdings die Abwandlung eines Ortsnamens dar. Der vom benachbarten Köln aus sein gallisches Sonderreich regierende Postumus bezog sich dabei wohl auf einen Ort, der von Hieronymus zum Jahr 370 oder 373 erwähnt wird: Auf „Deuso“ oder „Deuson“, das laut Hieronymus in „fränkischem Gebiet“ lag. Die Franken saßen damals aber am Niederrhein, und zwar rechtsrheinisch. Elfrath war überdies um 370 schon zerstört. Reichmann vermutet nun, dass sich Postumus wie auch Hieronymus auf frühere Zeiten beziehen und dies mit ihren zeitgenössischen Zuständen in Verbindung bringen. Denn, wie oben schon erwähnt, die Sugambrer, auf deren Gebiet der Vorläufer des Elfrather Heiligtums gelegen haben dürfte, waren zu Hieronymus´ Zeiten schon in den Franken aufgegangen. Sie waren aber 8 v.Chr. nach ihrer Niederlage gegen die Römer zwangsumgesiedelt worden, und zwar auf linksrheinisches Gebiet – Elfrath liegt linksrheinisch. Da Elfrath auf eine rechtsrheinisch liegende Quelle in der Nähe des heutigen Duisburg ausgerichtet scheint, hält Reichmann diese Quelle als Vorläufer des Elfrather Heiligtums und auch als Träger des Ortsnamens „Deuso“. Der „Gott von Deuso“ (= Deusoniensis) wäre demnach zu Postumus´ Zeiten quasi „im Exil“ (Reichmann) verehrt worden.
Postumus jedenfalls scheint den Gott von Elfrath gefördert zu haben. Logischerweise wurde Elfrath nach dem Untergang des Postumus zerstört, ebenso logischerweise nicht von Franken, die Elfrath ja als Heiligtum nutzten, sondern von deren Gegnern, den Römern.

VG
Christian
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Germanische Mythologie - Paul - 09.04.2013, 03:13
RE: Germanische Mythologie - 913Chris - 09.04.2013 17:48
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