Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 1 Bewertungen - 5 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
10.11.2013, 20:49
Beitrag: #25
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(10.11.2013 12:46)913Chris schrieb:  In der Doku-Reihe "Die Briten" kam gestern noch ein interessanter Beitrag. Bei der "Peasant´s Revolt" Ende des 14.Jhs. wurde zum ersten Mal (noch vergeblich) gefordert, dass in England die Leibeigenschaft aufgehoben wurde. Hundert Jahre später gab es bereits genügend Freibauern (Yeomen), die sich einen Bogen leisten konnten, damit England die entscheidenden Schlachten von Crecy und Azincourt gegen die französischen Ritter gewinnen konnte.

D.h., dass in England schon 400 Jahre vor der Industriellen Revolution eine Bevölkerungsschicht entstanden war, aus der Unternehmer hervorgehen konnten. Diese Unternehmer engagierten sich vorerst noch in erster Linie als Händler und Zwischenhändler von landwirtschaftlichen Produkten wie z.B. Wolle und (Halb-)Fertigprodukten wie z.B. Tuch. Aber damit war der Grundstein gelegt für ein im 18.Jh. schon traditionsreiches und eingeführtes Unternehmertum, das noch dazu nicht an die Städte gebunden war und auf die Arbeitskraft der Landbevölkerung zurück greifen konnte. Auch hierin liegt mE ein Grund, warum die I.R. gerade in England ihren Anfang nahm.

VG
Christian

Im 14. und 15. Jahrhundert hat es einen grundlegenden Wandel in der Bevölkerungsstruktur Englands gegeben, den es in dieser speziellen Form in anderen europäischen Staaten nicht gegeben. Die größte demografische Katastrophe für England war die Pest von 1348/49 und die damit verbundene Reduzierung der Bevölkerung von 6 Mio. auf 3. Mio. Menschen, d.h. England verlor infolge der Pest 50 % der Bevölkerung. England hatte also einen höheren Bevölkerungsrückgang als die meisten anderen europäischen Staaten, die zwischen 1347 und 1352 Bevölkerungsverluste zwischen 25 % und 40 % zu beklagen hatten.

Nach dieser Katastrophe ist das bis dahin bestehende Feudalsystem zusammengebrochen. Die Bauern und Handwerker verließen ihre Herren und suchten entweder in einer Stadt oder bei einen anderen besser entlohnenden Herren ihr Auskommen. Das führte wiederum zur Verarmung eines großen Teils von Adligen, die sich und ihre Güter dem Schutz eines mächtigeren Adligen unterstellten. Diese mächtigen Adligen waren Angehörige der Königsfamilie, wie z.B. John of Gaunt, Herzog von Lancaster, Adelsfamilien wie die Mortimer, Mowbray, Pole oder Holland, Kirchenfürsten, aber auch bereits Aufsteiger aus der Kaufmannschaft wie William de la Pole. Infolge dieser Entwicklung bildeten sich mächtige Magnatenfamilien heraus, die ihre Macht auf ihre von ihnen entlohnte Gefolgschaft bauten.

Edward III. erkannte die Entwicklung und versuchte in den 1360/1370er Jahre durch drakonische Gesetze die Abwanderung der Bauern und Handwerker und die damit bedingte Verarmung von Teilen des Adels zu verhindern. Dies ist auch eine Ursache der „Peasant Revolt“ unter Wat Tyler im Jahr 1381. Die mächtige Stellung der Magnaten konnte der König nicht zurückdrängen. Die Magnaten selbst sicherten in wechselnden Allianzen ihren Machtzuwachs ab. Da sie einerseits in militärische Aktionen im Hundertjährigen Krieg gegen Frankreich eingebunden waren, anderseits sich in politischen Machtkämpfen am Hof des Königs verstrickten, hatten sie wenig Zeit (und wohl auch Interesse) ihre Güter selbst zu verwalten. Deswegen setzten sie Stewards bzw. Verwalter für ihre Güter ein. Diese Stewards stammten aus der Gefolgschaft der Magnaten und wurden nach ihren wirtschaftlichen und administrativen Fähigkeiten und natürlich nach ihrem Bildungsgrad ausgesucht.

Bei der häufigen (fast ständigen) Abwesenheit der Magnaten konnten sich diese Stewards zu Agrar-Unternehmern entwickelen. Sie produzierten vorwiegend landwirtschaftliche Produkte wie z.B. Bier, Fleisch oder Wolle, Arbeits- und Kriegspferde usw. Diese Agrar-Unternehmer fanden ihren wichtigsten Partner in der Londoner Kaufmannschaft, die z.B. Wolle nach Flandern exportierte und dafür wieder Tuch einkaufte. Dieses Bündnis führte auch dazu, dass jüdische, italienische oder Hanse-Kaufleute schrittweise vom englischen Markt verdrängt wurden.

Infolge des Hundertjährigen Krieges, aber vor allem der Rosenkriege verdünnte sich der Personalbestand der Magnatenfamilien. In diese Lücke rückten oft die inzwischen wirtschaftlich starken Verwalter, z.B. die Familien Neville, Woodville oder Howard, denen es auch gelang, ihre Töchter mit Angehörigen der Lancasters, Yorks oder anderer Magnaten zu verheiraten. Familienbündnisse wie zwischen den in den Hochadel aufgestiegenen Howards und den ursprünglich der Londoner Kaufmannschaft angehörenden Boleyns waren nicht ungewöhnlich. Auch die Tudors waren ursprünglich Gefolgsleute der Lancasters.

Wenn man mal die ganzen dramatischen Geschichten um die Angehörigen der englischen Aristokratie nicht weiter untersucht, steht zumindest fest, dass zum Ende des 15. Jahrhunderts eine neue, unternehmerisch denkende Oberschicht in England entstanden war, die im 16. Jahrhundert die englische Gesellschaft grundlegend umgestaltete (Tudor-Revolution). Der Aufstieg des Schmiedsohnes Thomas Cromwell zum Lordkanzler wird möglich. Die Familie seiner Schwester führte einen landwirtschaftlichen Großbetrieb, ihrem Nachfahren Oliver Cromwell gelang es die Monarchie zu stürzen.

Die Angehörigen der neuen Oberschicht waren gleichzeitig Politiker (egal ob Ober- oder Unterhaus), Großgrundbesitzer und Unternehmer, die sich nur ihren eigenen und wohl auch Englands Interessen verpflichtet fühlten. Als Beispiel kann man die Familie Dudley nennen. Dabei störte es die neuen Herren nicht, wenn z.B. infolge von Landvertreibungen tausende Bauern ihre Existenzgrundlage verloren und der soziale Frieden damit gefährdet war. Sie empfanden keine Empathie für die (ehemaligen) Bauern und Handwerker, die einerseits infolge eines drastischen Strafrechts, andererseits infolge drohender oder gar vollzogener Verelendung gezwungen waren, mobil zu sein. Dies führte dazu, dass in England stets genügend billige Arbeitskräfte zur Verfügung standen, die bereit waren, im Bergbau zu arbeiten oder auf See zu fahren und neue Gebiete zu kolonisieren usw. Diese effektive Ausbeutung von Menschen hat es damals nur in England gegeben und ist sicher auch ein Grund, dass die Industrielle Revolution in England begann.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
Protoindustrialisierung - Suebe - 08.11.2013, 18:11
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution - Sansavoir - 10.11.2013 20:49

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds