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Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
14.02.2016, 22:33
Beitrag: #7
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
Ich habe den Eindruck, dass die Vorstellungen der meisten Menschen zur Geschichte vor 1900 aus dem 19. Jahrhundert sind, die gerade in der populären historischen Sekundärliteratur und auch in den historischen Unterhaltungs- und Trivialromanen bis in die Gegenwart tradiert werden. Es gibt zwar aus dem ausgehenden 20. und dem 21. Jahrhundert eine ganze Menge neuere, quellenfundierte Fachliteratur, aber ich habe leider auch den Eindruck, dass die nur von sehr wenigen gelesen wird, die das Interesse an Geschichte tun, und nicht nur aus beruflichen oder ausbildungsrelevanten Gründen tun müssen.

Allerdings lebte Przemysl Ottokar II. im 13. Jahrhundert, und was die Sicht auf ihn betrifft, finde ich, dass wir diese 400-500 Jahre Überlieferung bis ins 19. Jahrhundert nicht einfach übersehen sollten.

Bei den Zeitgenossen hatte Przemysl Ottokar II. jedenfalls keine so schlechte Presse, allerdings wurde er keineswegs nur positiv gesehen. Nach der Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen hat sich zumindest im heutigen deutschen Sprachraum sein Bild eindeutig "negativisiert", was sicher darauf zurückzuführen ist, dass er eindeutig der Verlierer und Rudolf I. der Sieger war.

Fakt ist aber, bis zum Beginn ihrer jahrhundertlangen Herrschaft über das Königreich Böhmen im 16. Jahrhundert hatten die Habsburger da nicht das Alleinige sagen, und auffallend ist, dass auch zeitweilige Gegner der Habsburger mit Wirken im Königreich Böhmen (Luxemburg, Wittelsbach-Pfalz z. B.) keineswegs eine andere Sicht auf Przemysl Ottokar II. gefördert haben.

Mir sind auch keine Werke bekannt, aus denen hervorgeht, dass sder "tschechische" Nationalismus des 19. Jahrhunderts den Böhmenkönig sich entdeckt hätte, wie das z. B. bei den Ungarn mit einem Matthias Corvinus der Fall war.

Diese Sicht auf den Böhmenkönig ist umso auffallender, als seine Herrschaft durchwegs nicht nur Niederlagen aufweist, er eindeutig kein Versager war (wofür auch spricht, dass die Nachfolge seines Sohnes in Böhmen und Mähren auch nach seinem Tod keineswegs in Frage gestellt war, und er zu Lebzeiten lange sehr erfolgreich war, zudem noch einiges hinterließ, was zumindest spätere Generationen als positiv hätten wahrnehmen können.

Hat ihn eigentlich die "preußische" Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die eindeutig als "antihabsburgisch" zu sehen ist und das Bild der meisten Habsburger bis in die Gegenwart geprägt hat, zu rehabilitieren versucht?

Wie auch immer - es scheint mir doch etwas zu einfach, für sein "negatives" Nachleben in seinem Fall ausschließlich eine "prohabsburgische historische Sicht" verantwortlich zu machen.

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Hat der Meinhardinische Familienzweig der Grafen von Görz und Tirol heute tatsächlich vor allem als Gründer Tirols einen so guten Ruf? Zwar gibt es inzwischen zu den Grafen von Görz-Tirol eine wissenschaftliche Monographie:
Wilhelm Baum: Die Grafen von Görz in der europäischen Politik des Mittelalters, 2000,
aber ich habe trotzdem den Eindruck, dass sowohl der meinhardinische, als auch der albertinische Familienzweig heute völlig vergessen sind oder nur mehr einigen Fachleuten etwas sagen.

Das dürfte auch für Meinhard IV. von Görz / Meinhard II. von Tirol der Fall sein, der immerhin Herzog von Kärnten wurde. Sein Sohn Heinrich dürfte heute ebenfalls unbekannt sein, einzig dessen Tochter Margarete "Maultasch" (die Herkunft des Nachnamens ist bis heute nicht eindeutig geklärt) scheint noch eine gewisse Bekanntheit zu haben.

Ist es a nicht etwas seltsam, dass die Beurteilung von den beiden nur mit Rücksict auf Meinhard IV. / II. thematisiert wird?

Hinzu kommt noch - inwieweit kann bei beiden tatsächlich von Scheitern gesprochen werden.

Gut, Heinrich von Görz-Tirol, Herzog von Kärnten und gefürsteter Graf von Tirol, konnte sich als König von Böhmen nicht durchsetzen und verlor die böhmische Krone letztlich an seinen Schwager. Wie dieser, Johann von Luxemburg, war auch er (in 1. Ehe) mit einer Schwester von Wenzel III. verheiratet. Seine Herrschaft über das Herzogtum Kärnten und die Grafschaft Tirol konnte er allerdings halten, aber wenn jemand keine Söhne zeugen kann, ist das wohl ihm als Versagen anzulasten. (Versagen setzt für mich eigentlich voraus, dass jemand etwas durch Fehler verschuldet hat.)

Pech für ihn, dass er letztlich keine Sohn hinterließ, Pech für ihn, dass König / Kaiser Ludwig IV. der Bayer nicht wollte, dass die von ihm und Johann von Böhmen angestrebte Lösung: Nachfolge des Schwiegersohnes, nicht zulassen wollte. (Politisch betrachtet aus der Sicht Ludwig IV. nachvollziehbar.)

Pech für den Albertinischen Familienzweig, der in diesem Fall zumindest Erbansprüche auf Tirol gehabt hätte, dass er gegen die drei mächtigsten Dynastien (neben Luxemburg-Böhmen und Wittelsbach-Bayern noch Habsburg-Österreich), die das Erbe von Heinrich für sich gewinnen wollten, keine reelle Chance hatte.
Aber solches Pech hatten auch andere Dynastien in dieser Zeit.

Erstaunlich ist eher, dass es dem Luxemburgern zunächst gelang, zumindest die Herrschaft über Tirol zu behaupten, Pech für sie, dass sie die Landstände letztlich nicht für sich gewinnen konnten und die Ehe zwischen Johann Heinrich von Luxemburg und Margarethe von Tirol gründlich schief ging, was nebenbei eine "Ehescheidung" zur Folge hatte, bei der reihenweise Schmutzwasche gewaschen wurde, wie man heute so schön sagt.
Und wie heute auch leider auch oft der Fall - dass hatte dann zur Folge, dass der Ruf der Eheleute schwer beschädigt wurde. Er hatte danach größte Mühe, den Ruf, impotent zu sein, wieder los zu werden (eine weitere Eheschließung für ihn wurde erst in Betracht gezogen und letztlich auch verwirklicht, nachdem es ihm gelungen war, mit der Zeugung eines unehelichen Sohnes sozusagen den Beweis zu liefern, dass er zumindest nicht gänzlich impotent war), und bis heute wird ihm sexuell gestörtes Verhalten in seiner ersten Ehe nachgesagt. Die ihr nachgesagte monströse Hässlichkeit und der fragwürdige Lebenswandel (zu dem es in zeitgenössischen Quellen, die seriös scheinen, keine Hinweise gibt) dürften ebenfalls mit dieser "Ehescheidung" zusammenhängen.

Immerhin konnten sich Margarethe von Tirol und ihr zweiter Ehemann Ludwig der Brandenburg, Markgraf von Brandenburg und später Herzog von (Ober-)Bayern (der Sohn von Ludwig IV.) in Tirol trotz widriger Umstände, wie Interdikt und Kirchenbann (als Folge von parteiischen Päpsten, die mit den Luxemburgern / Karl IV. sozusagen "verbandelt" waren) bis zu seinem Tod behaupten, was eigentlich nicht für Scheitern spricht. Margarethe Maultasch hätte wahrscheinlich eine bessere "Presse" in den späteren Jahrhunderten gehabt, wenn ihr Sohn und Nachfolger Meinhard III. nicht so jung gestorben wäre oder wenigstens legitime Nachkommen hinterlassen hätte. Dann wären sie und Ludwig der Brandenburger wohl als Begründer/in einer neuen Dynastie (und mit positiven Image, wie es so schön heißt) in die Geschichte eingegangen.

Jedenfalls liefert der Fall der Margarethe Maultasch ein weiteres Beispiel dafür, wie unter frag-würdigen Fakten eine historische Sicht für spätere Generationen entsteht.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert - Teresa C. - 14.02.2016 22:33

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