Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Das Zurückfallen des Morgenlandes - Diskussion zum G/Geschichteheft 8/2014:
22.08.2014, 02:56
Beitrag: #23
RE: Das Zurückfallen des Morgenlandes - Diskussion zum G/Geschichteheft 8/2014:
Die gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa sind schon oben genannt wurden. Trotzdem versuche ich mich erst einmal weiter mit der Entwicklung der Seldschuken und den Osmanen bis zur Eroberung von Konstantinopel (1453) zu beschäftigen.

Gerald hatte ja oben auch die Seldschuken und die Osmanen genannt. Zu den Seldschuken möchte ich nicht allzu viel schreiben, ich denke, dass ihr Untergang mit den vielen Teilungen ihres Reiches bzw. der Teilreiche zu tun hat. Die historische Bedeutung der Seldschuken besteht hauptsächlich nur darin, dass sie 1071 in der Schlacht von Mantzikert die Byzantiner besiegt haben und als Folge ihres Sieges erstens Turkvölker nach Kleinasien eindringen konnten und zweitens ein Vorwand für die Kreuzzüge gefunden wurde. Ich habe den Eindruck, dass bereits nach dem Tod von Malik Schah und seines Wesirs (1092) erste Stagnations- bzw. Zerfallserscheinungen auftraten. Ansonsten wäre der Erfolg des 1. Kreuzzuges nicht denkbar. Offensichtlich konnte sich im Seldschuken-Reich keine dauerhafte Zentralmacht etablieren, Tughrul Beg († 1063) oder Alp Arslan († 1072) mussten starke Persönlichkeiten gewesen sein, die nur durch ihre Autorität das Reich zusammenhielten. Gab es solche Persönlichkeiten nicht, traten sofort Zerfallserscheinungen auf. Letztlich ist das eine logische Folge des Fehlens von zentralen Institutionen, aber auch davon, dass die Seldschuken den Großteil lokaler und regionaler Herrscher beließ, ihr Reich sowieso nur ein loser und von Teilungen geschwächter Verband war.

Deshalb wende ich mich dem bereits 1081 abgespalteten Reich der Rum-Seldschuken bzw. dem Sultanat von Ikonion (Konya) zu. Dieses Reich, das sowohl gegen die Kreuzfahrer als auch gegen die Byzantiner kämpfte, sollte man als Vorläufer und Wegbereiter des Osmanischen Reiches sehen. Dieses Reich der Rum-Seldschuken besaß eine hohe Kultur, allerdings wurde es auch durch Erbteilungen geschwächt. Dass die Erbteilung von 1186, nach der zehn Söhne Teilreiche bekamen, folgenlos blieb, lässt sich mit der Krise in Byzanz, den 3. und 4. Kreuzzug erklären. Jedenfalls gelang es einen der Brüder, Kai Chosrau I., das Reich wieder zu vereinigen. Ein sehr fähiger Regent war offensichtlich der zwischen 1220 und 1237 herrschende Aladin Kaikobad, dem es einerseits gelang die anrückenden Mongolen oder die von ihnen verdrängten Kiptschaken zu besiegen, andererseits behauptete er sich auch gegen das Kaisserreich Nikaia. 1243 unterlagen jedoch die Rum-Seldschuken den Mongolen, seitdem waren sie mehr oder weniger bedeutungslose Vasallen der Il-Khane. 1307 löste sich das Sultanat der Rum-Seldschuken auf.

Doch zu dieser Zeit begann die Geschichte eines neuen türkischen Staatswesens. Infolge mongolischer Überfälle wanderte um 1234 ein onghusischer (turkmenischer) Familienverband unter Führung von Ertugrul nach Kleinasien ein. Aladin Kaikobad, der Sultan der Rum-Seldschuken wies Ertugrul und seinem Clan ein Grenzfürstentum (Bithynien) zu, in dem sie Bevölkerungsverluste auszugleichen hatten und in dem sich die Neuankömmlinge vor allem gegen mongolische Angriffe behaupten mussten, dann aber auch aus eigenem Ermessen Angriffe gegen das byzantinische Reich Nikaia starteten. Ertogrul war formell ein Vasall der Rum-Seldschuken, die wiederum Vasallen der Il-Khane waren. Anfänglich wird seine Stellung eher mit der eines Kommandeurs einer Grenztruppe in Bithynien vergleichbar gewesen sein, am Ende seiner Tage hatte er sich jedoch als Herrscher seines Gebietes etabliert. Er muss ein umsichtiger Herrscher gewesen sein, der geschickt das Wegbrechen der Rum-Seldschuken als politische Macht zu seinen Gunsten ausnutzen konnte. Begünstigt durch seine lange Lebens- bzw. Herrschaftszeit (* um 1200) konnte er ein Staatswesen mit 1500 km2 Fläche aufbauen, das er 1281/82 seinem Sohn Osman vererbte.

Ich denke, man braucht nicht darüber zu diskutieren, dass die Geschichte von Osman I., Orchan I. und Murad I. eine Erfolgsgeschichte war. Warum? Ein Grund des Aufstieges ist natürlich in der Schwäche der unmittelbaren Nachbarstaaten zu sehen. Das Sultanat der Rum-Seldschuken löste sich 1307 auf, die Byzantiner hatten ihre Probleme mit Bulgaren oder mit Roger Flor und seiner Katalanischen Kompanie, die sie ursprünglich selbst ins Land geholt hatten. Ein weiterer Grund ist natürlich, dass Osman I. auch bereit war, gegen Byzanz Krieg zu führen. Während seiner Herrschaft konnte er sein Territorium von 1500 km2 auf 18000 km2 ausweiten, also seinen Herrschaftsbereich auf das Zwölffache vergrößern. Dabei konnten die Christen der eroberten Gebiete mit Toleranz rechnen, die etwa knapp die Hälfte der Bevölkerung stellten. Die andere, knappe Hälfte waren turkmenische Nomaden. Der Rest der Bevölkerung waren Militärsklaven, die in ihrem Rang zwischen Osman und den christlichen Einheimischen bzw. den türkischen Nomaden standen. Die Christen (Bauern, Handwerker, Kaufleute) waren außerdem steuerpflichtig, die turkmenischen Nomaden mussten eine Wehrpflicht erbringen.

Am Wichtigsten erscheint mir jedoch die Einführung des Timarsystems, die Variante des osmanischen Lehenssystem, in der einem Reitersoldaten (Sipahi) ein Gut zugeteilt wurde, wo dieser für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für das Eintreiben der Steuern oder für die Ertragssteigerung der Ernten verantwortlich war. Der Sipahi war nicht Besitzer des Lehens, sondern er wirkte nur als Vertreter des Sultans, dem fast 90 % des Landes gehörte. Deshalb musste der Sipahi alle Einnahmen, abzüglich seiner festgelegten Ausgaben fürs Pferd, für seine Familie und für sich den Sultan überlassen. Dieses System gewährte einem starken, durchsetzungsfähigen Sultan ständige Einnahmen, ein schwacher Sultan scheiterte jedoch an der Schwerfälligkeit des Systems. Umgedreht war es sicher auch so, dass ein Sultan, dem es gelang die Sipahi zu korrekten und pünktlichen Abrechnen zu zwingen, ein handlungsfähiger Herrscher wurde.

Ein weiterer wichtiger Grund für den Aufstieg der Osmanen war, dass die Machtübergabe von Ertogrul auf Osman I. (1281/82) bzw. von Osman I. auf Orhan I. (1324/26) ohne Blutvergießen verlief, der neue Herrscher wahrscheinlich noch zu Lebzeiten des alten zum Sultan ernannt wurde.

Orhan I. gelang es, das Reich von 18.000 km2 auf fast 100.000 km2, also etwa auf das Sechsfache zu vergrößern. Erstaunlich ist, dass Orhan drei griechische Frauen geheiratet hat, darunter je eine Tochter der byzantinischen Kaiser Andronikos III. und Johannes VI. Kantakuzenos. Da sein älterer Sohn Suleiman, der Eroberer von Rumelien, vor ihm starb, folgte ihm ein jüngerer, Sohn Murad I. im Jahr 1359, ebenfalls ohne Komplikationen. Murad I. konnte bis zu seiner Ermordung nach der Schlacht auf dem Amselfeld im Jahr 1389 das Reich von 100.000 km2 auf 500.000 km2 ausdehnen, also auf das Fünffache. Während seiner Herrschaft wurde das Timarsystem verfeinert, mehrere Kleinlehen (Timar) wurden einem Großlehen (Siamet) unterstellt. Außerdem wurden unter Murad aus ehemaligen Christen die Janitscharen gebildet. D.h. der Sultan konnte eine schlagkräftige Infanterie-Berufsarmee nutzen.

Bayezid I. begann seine Herrschaft mit der Ermordung seines Bruders Yakub. Er begründete damit die Tradition des Brudermordes, die bis ins 17. Jahrhundert bei den Osmanen gebräuchlich war. Inwieweit diese Brudermorde den Staat stabilisierten oder schadeten, ist durchaus diskutabel. Bayezid I. konnte sich bei seinem Brudermord auf das Handeln seines Vaters Murad berufen, der einen seiner rebellierenden Söhne grausam umbringen ließ. Die Brudermorde wurden gerechtfertigt, weil sie angeblich die Herrschaft des fähigsten Nachkommen gewährleisteten. Das heißt, man entschied sich ganz bewusst gegen traditionelle Thronfolgeregelungen wie die Primogenitur oder das Senioriatsprinzip, die ebenfalls nicht garantieren konnten, dass das Staatswesen einen fähigen Herrscher bekam. Dass diese Brudermorde das Reich ein paar Jahre schwächte und vor allem nicht garantierte, dass der Beste, sondern nur der Skupelloseste die Nachfolge antrat, wurde erst sehr spät begriffen. Insgesamt gesehen war Bayezid I. ein erfolgreicher Herrscher, er eroberte Bulgarien und er schlug 1396 ein unter dem Kommando von Sigismund von Luxemburg stehendes Kreuzfahrerheer vor Nikopolis. Aber er musste sich auch der Guerilla-Taktik des walachischen Woiwoden Mircea des Alten beugen und er erlitt 1402 in der Schlacht von Ankara gegen Timur Lenk eine vernichtende Niederlage, die zu seiner Gefangenschaft führte, in der er 1403 verstarb.

Diese Niederlage gegen Timur leitete die erste Krise des Osmanischen Reiches ein. Die Frage ist, warum diese Krise überwunden werden konnte und letztendlich ohne Folgen blieb. Ein Grund dafür ist, dass die Europäer genügend eigene Probleme (Bürgerkrieg zwischen „Burgunder“ und „Armagnacs“ in Frankreich, Konzil von Konstanz, Fortführung des Hundertjährigen Krieges, Hussiten, Aufstieg von Polen/Litauen u.a.) zu lösen hatten und deswegen die Schwäche der Osmanen nicht ausnutzen konnte. Der Hauptgrund ist meines Erachtens aber, dass Timur nicht seinen Sieg ausnutzte, um weiter gegen die Osmanen oder gar gegen Byzanz vorzugehen. Timur ist sowieso sehr schwer einzuschätzen. In jüngerer Zeit wird versucht, ihm nicht nur als Zerstörer, sondern auch als Förderer von Kultur zu sehen. Das fällt mir aber schwer zu akzeptieren, da ich den Eindruck habe, dass sich die Zerstörungen in Persien oder im Zweistromland nachhaltiger auswirkten, als seine kulturellen Leistungen in Samarkand oder Buchara. Außerdem schaffte es Timur nicht, staatliche Institutionen zu schaffen, was wiederum auch seinem Reich nach seinem Ableben (1405) in eine Krise bescherte.

Spätestens in den 1440er Jahren hatten die Osmanen ihre Reichskrise überwunden. Man kann sich nicht dem Eindruck erwehren, dass besonders unter Murads II. zweiter Herrschaft (1446–1451) und dann unter Mehmed (seit 1451) eine besondere Tatkraft gezeigt wird, als ob man bewusst zeigen wollte, wir haben die Krise überwunden! Mehmed reformierte die Janitscharen und andere militärische Einheiten, bereits unter Murad II. wurden aus Europa Kanonengießer abgeworben, so dass Mehmed II. eine Artillerie aufbauen konnte. Ebenso schufen die beiden Sultane eine Flotte aus gemieteten und eigenen Schiffen auf, der Angriff auf die Reste des Byzantinischen Reiches, das sich seit Jahrzehnten als Insel im osmanischen Meer behauptete, war nur eine Frage der Zeit. Schließlich fiel Konstantinopel am 29. Mai 1453. Europa hatte jedoch Glück, dass 1456 ein weiterer Vormarsch der Osmanen nach Europa durch den Sieg der ungarischen Armee unter Janos Hunyadi verhindert wurde. Hunyadi war ein „alter“ Gegner der Osmanen, der ihnen 1444 in der Schlacht bei Warna und 1448 in der (2.) Schlacht auf dem Amselfeld unterlag. Trotz der Niederlage vor Belgrad bestand keine Gefahr für die Osmanen, die Timuriden schwächten sich erneut durch Thronkämpfe und Auseinandersetzungen mit den Usbeken, mit den Aq Koyunlu oder mit den Kara Koyunlu (Qara Qoyunlu).

Ich werde mal sehen, dass ich über die weitere Geschichte der Osmanen zeitnah schreiben kann.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
RE: Das Zurückfallen des Morgenlandes - Diskussion zum G/Geschichteheft 8/2014: - Sansavoir - 22.08.2014 02:56
Spalltungen im Lager der Seldschuken: - WDPG - 01.09.2014, 11:37

Möglicherweise verwandte Themen...
Thema: Verfasser Antworten: Ansichten: Letzter Beitrag
  Kämpfende Dynastien, weitere Beispiele - Diskussion zum G/Geschichteheft 11/2014: WDPG 9 15.941 24.09.2022 17:13
Letzter Beitrag: Teresa C.
  „Meine“ Römerstadt – Diskussion zum G/Geschichteheft 10/2014: WDPG 21 41.673 04.04.2015 00:05
Letzter Beitrag: Paul
  Friedliche Heldentaten von Herrschern - Diskussionen zum G/Geschichteheft 12/2014: WDPG 6 12.244 29.01.2015 03:28
Letzter Beitrag: Sansavoir
  Die Zukunft der Beneluxstaaten – Diskussionen zum G/Geschichteheft 09/2014: WDPG 11 20.133 14.09.2014 21:14
Letzter Beitrag: Sansavoir
  Revolution, der finanzielle Faktor - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014: WDPG 9 16.393 26.07.2014 18:47
Letzter Beitrag: Sansavoir
  35. Jähriges Jubiläum - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014: WDPG 5 11.092 10.07.2014 23:56
Letzter Beitrag: WDPG
  Klimabedingte Krise im 17. Jahrhundert? - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014: WDPG 30 52.900 09.07.2014 17:13
Letzter Beitrag: Suebe
  Stadtbrände - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014: Maxdorfer 16 24.860 30.06.2014 12:17
Letzter Beitrag: Suebe

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds