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Bismarck und Hitler
18.08.2014, 03:19
Beitrag: #3
RE: Bismarck und Hitler
Bismarck war kein Wegbereiter von Hitler, er steht in einer Reihe der Gründer von Nationalstaaten, wie z.B. Washington, Cavour / Garibaldi, Pilsudski, Mannerheim, Masaryk u.a., die man natürlich schwer miteinander vergleichen kann, da sie zu unterschiedlichen Zeiten und unter unterschiedlichen Voraussetzungen handelten. Einen Garibaldi oder einen Cavour stellt man ja auch nicht als Wegbereiter Mussolinis dar. Ein Wegbereiter kann man meiner Meinung nur als direkter Zeitgenosse sein bzw. als ein mehr oder weniger zeitlich naher ehemaliger Machthaber oder Meinungsführer. In diesem Fall lässt sich über Hindenburg als Wegbereiter Hitlers diskutieren, in Spanien kann man z.B. trotz vieler Unterschiede die Regierung von Primo de Rivera (1923 bis 1930) als wegbereitend für Francos Diktatur (1936/39 bis 1975) bezeichnen.

Inwieweit Bismarck Deutschland geholfen oder geschadet hat, sollte man ganz nüchtern sehen. Für die Entwicklung der deutschen Staaten stand die nationale Einheit an der Tagesordnung. Die ersten demokratischen Versuche 1848/49 scheiterten, die überlebenden Revolutionäre emigrierten zum großen Teil. Die ungelöste Frage der nationalen Einheit bestand weiterhin und Bismarck war seit 1862 als preußischer Ministerpräsident bereit, dieses Problem skrupellos, mit geschickter Politik und drei Kriegen zu lösen. Hätte er es nicht gemacht, wäre Deutschland nicht zu einer bedeutenden Industriemacht aufgestiegen. Inwieweit einzelne Staaten des Deutschen oder Norddeutschen Bundes dies geschafft hätten, ist eine andere Sache. (mal von Österreich-Ungarn und Preußen abgesehen)

Einen Zusammenhang zwischen Bismarck und Hitler sehe ich nur darin, dass Bismarck eine komplizierte Außenpolitik konzipierte, die von seinen Nachfolgern nicht verstanden wurde und demnach nicht fortgesetzt wurde, was wiederum zum 1. Weltkrieg führte. Und ohne den 1. Weltkrieg und seine Nachkriegsjahre hätte es keine politische Karriere Hitlers gegeben. Marek stellte schon richtig fest, Bismarck war der erste Reichskanzler, Hitler der letzte.

Marek sprach schon oben an, wie Bismarck die zwei wichtigsten innenpolitischen Konflikte löste. Das Erteilen von Sozialleistungen war auf alle Fälle richtig. Hätte er dies nicht getan, hätte sich die Arbeiterschaft radikalisiert. Er war aber nicht der Erfinder dieser Sozialversicherung, es hat m. E. schon Unternehmer wie Borsig oder Krupp gegeben, die soziale Leistungen ihren Arbeitern zahlten. Ebenso gab es Sozialversicherungen, ich denke es war in Baden und Sachsen, (nagelt mich nicht fest, ich finde das Buch momentan nicht)

Gedanken muss man sich darüber machen, ob die Einführung der Sozialversicherung dazu führte, dass die Bevölkerung Sozialleistung einfach vom Staat forderte, egal ob man diese braucht oder der Staat sie zu leisten vermag. Denn Hitler „beruhigte“ nach der Machtergreifung seine Anhänger, als auch Teile ehemaliger Gegner mit einer bis dahin nicht gekannten Ausschüttung von Sozialleistungen, die de facto vom enteigneten jüdischen Eigentum und während des Krieges von den besetzten Ländern finanziert wurde. Das heißt jetzt nicht, dass Bismarck für die Einführung der Sozialversicherung verteufelt werden soll, denn zu seiner Zeit war die Versorgung von Kranken und Alten ein Problem, da die traditionellen Dorf- und Familiengesellschaften auseinander fielen und diese Aufgabe einer modernen Industriegesellschaft gelöst werden musste. Letztlich ist dieses Thema immer noch nicht gelöst.

Das zweite innenpolitische Problem war der so genannte Kulturkampf mit der katholischen Kirche. Hier unterscheiden sich Bismarck und Hitler erheblich. Bismarck sah sich hier in der Rolle des preußischen Protestanten oder protestantischen Preußen, der sich einerseits gegen die katholischen Polen und andererseits gegen die katholischen Süddeutschen behaupten wollte, beiden unterstellte er Separatismus. Ebenso fürchtete er die Einflussnahme Roms in der Schulpolitik und seit der Sozialenzyklika Leos XIII. auch die Einflussnahme der Kirche auf die Arbeiterschaft. Seine Politik war der Angst geschuldet, einen Staat im Staate zu haben, den er nicht kontrollieren bzw. den er keine Weisungen geben kann. Das Militär war zwar auch ein Staat im Staate, aber es fügte sich Bismarck. Inwieweit die Gegnerschaft zum Vatikan seiner freundschaftlichen Politik gegenüber Italien geschuldet war, weiß ich nicht.

Fakt ist, die Konkordate Preußens und Badens, an dem Kardinal Eugenio Pacelli (später Papst Pius XII.), in den 1920er Jahren Nuntius für Deutschland maßgeblich Anteil hatte und die Lateran-Verträge Mussolinis ebneten bzw. ermöglichten erst Hitlers Kirchenpolitik, die zum Reichskonkordat von 1933 führte. Soweit ich weiß, ist dieses Konkordat heute noch wirksam. Es wäre aber nicht zustande gekommen, wenn sich der Vatikan nicht mit dem italienischen Staat ausgesöhnt hätte.

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Bismarck und Hitler - Regenbogensonne - 17.08.2014, 17:06
RE: Bismarck und Hitler - Marek1964 - 17.08.2014, 20:56
RE: Bismarck und Hitler - Sansavoir - 18.08.2014 03:19
RE: Bismarck und Hitler - Maxdorfer - 29.08.2014, 14:32

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