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Kämpfende Dynastien, weitere Beispiele - Diskussion zum G/Geschichteheft 11/2014:
15.11.2014, 22:18
Beitrag: #7
RE: Kämpfende Dynastien, weitere Beispiele - Diskussion zum G/Geschichteheft 11/2014:
In gewisser Weise muss man auch die russischen Thronkämpfe im 17. und 18. Jahrhundert dazu zählen. Nach dem Tod des jungen, aber kränklichen Zaren Fjodor III. (1661–1682) fiel die Herrschaft auf seinen Bruder Iwan V. und seinen Halbbruder Peter I., beide waren jedoch noch minderjährig und somit nicht regierungsfähig. In dieser Situation übernahm deren ältere Schwester Sofia mit Hilfe der Strelitzen die Regentschaft, die sie klug und auch mit eiserner Hand führte. Dies war auch notwendig, im 17. Jahrhundert war die Herrschaft der Romanows noch nicht gefestigt, oft versuchten Adlige die Zarenmacht zu neutralisieren, so unter Fjodor III. oder unter dessen Vater Alexei. 1689 verbündeten sich die Gegner Sofias unter Peters Mutter Natalia Naryschkina, sie entmachteten Sofia, diesmal wieder mit Unterstützung der Strelitzen. Seitdem herrschten offiziell Iwan V. als „Erster Zar“ und Peter I. als „Zweiter Zar“, tatsächlich herrschten jedoch ihre Mütter, die sich erbittert bekämpfen. Während der 1666 geborene Iwan V. sich als nicht regierungsfähig erwies, begann sein sechs Jahre jüngerer Bruder schrittweise oppositionelle oder besser gesagt „neue Leute“ an sich zu binden, mit deren Hilfe er nach dem Tod seiner Mutter († 1694), spätestens jedoch nach dem Tod seines Halbbruders († 1696) die Macht an sich riss. Als wichtigstes Ereignis muss dabei die blutige Niederschlagung eines erneuten Strelitzenaufstandes im Jahr 1698 betrachtet werden und die danach erfolgte Auflösung der Strelitzen. Dadurch konnte sich Peter I. als autokratischen Herrscher durchetzen.

Für die russische Geschichte erwies es sich als problematisch, dass der regierungsunfähige Iwan V. aus seiner Ehe mit einer Praskowja Saltykowa, die zur Bojarenoberschicht gehörte, mehrere Töchter hatte, darunter Katharina Iwanowna (1691–1733), die mit dem Herzog Karl Leopold von Mecklenburg verheiratet war und Anna Iwanowna (1693–1740), die mit dem Herzog von Kurland verheiratet war und seit 1711 als junge Witwe das Herzogtum verwaltete. Peter hatte zwar mit der Adligen Jewdokia Lopuchina (1665–1731) ebenfalls einen Sohn, den Thronfolger Alexei (1690–1718), der im Dunstkreis seiner traditionell denkenden Mutter aufwuchs und sich dadurch als Gegner der Reformen seines Vaters etablierte. Komplizierter wurde die Situation auch dadurch, dass Peter seine erste Frau verstieß und seit 1703 mit der Litauerin Marta Skawronska (1684–1727), einer früheren Magd, liiert war, die wiederum die ehemalige Geliebte von Peters wichtigsten Mitarbeiter Alexander Menschikow war, der sie jedoch dem Zaren bereitwillig überließ. Marta trat zum russisch-orthodoxen Glauben über und nannte sich seitdem Katharina. Von ihren zwölf Kindern erreichten nur zwei das Erwachsenenalter, Katharina Petrowna (1708–1728), die mit Peter Ulrich, Herzog von Holstein-Gottorp verheiratet wurde und Elisabeth (1709–1762).

Peter I. litt seit spätestens 1724 an Blasenkrebs. Er wusste also, dass er bald sterben würde und sein Tod eine Gefahr für sein umstrittenes Reformwerk werden kann. Erschwerend für die Thronfolge war auch, dass er der jüngere Bruder war und die Nachkommen seines älteren Bruders Iwan V. durchaus Ansprüche auf seine Nachfolge hätten. Ein Gesetz zur Thronfolgeregelung gab es nicht, der Nachfolger wurde vom Vorgänger bestimmt und hatte nur Chancen anerkannt zu werden, wenn er ein ehelicher Sohn war. Den hatte Peter 1725 nicht mehr, da Alexei bereits 1718 an den Folgen seiner Haftstrafe verstorben war. Als Kompromiss entschied sich Peter I. für Alexeis Sohn minderjährigen Sohn Peter (1715–1730), der unter der Regentschaft von Katharina und Menschikow stehen sollte. Katharina und Menschikow hielten sich jedoch nicht an der Vorgabe Peters, Menschikow rief sofort nach dem Tod Peters († 1725) Katharina als Zarin aus, der minderjährige Peter wurde eher als „Zweiter Zar“ oder Thronfolger behandelt. Katharina I. und Alexander Menschikow versuchten das Reformwerk Peters fortzusetzen, stießen dabei aber auf erheblichen Widerstand. Nach dem Tod Katharinas wurde schließlich der minderjährige Peter zum Zaren gekrönt. Als Berater sollten ihm offiziell Menschikow und Anna und Elisabeth, die beiden Töchter von Peter und Katharina, dienen. Aber Elisabeth zeigte kein Interesse an Politik und Anna verließ Russland an der Seite ihres Mannes. Sie starb bereits 1728 in Kiel an den Folgen der Geburt ihres Sohnes Peter, dem späteren Zaren Peter III.

Menschikow versuchte Peter II. an sich zu binden, indem er versuchte, ihm mit einer seiner Töchter zu verheiraten. Peter II. versuchte jedoch der Kontrolle des übermächtigen Menschikows zu entkommen, er näherte sich Adelsgruppen wie den Dolgurukis oder den Golyzin, mit deren Hilfe er Menschikow 1727 entmachten und verbannen konnte. Seine Unabhängigkeit erlangte er aber nicht, stattdessen geriet er verstärkt unter den Einfluss der Dolgurikis, die eine restaurative Politik einleiten wollten. Aber Peter II. starb bereits Anfang 1730, kurz vor der Hochzeit mit einer Angehörigen der Dolguruki verheiratet werden sollte.

Der Tod Peters II. bedeutete, dass die Dolguruki, die erst seit 1727/28 die tatsächlichen Machthaber in Russland waren entmachtet wurden. Als neue Machthaber etablierte sich ein Triumvirat von deutschen bzw. baltendeutschen Aufsteigern infolge der Reformen Peters I. Sie brachten Peters Nichte bzw. Iwans V. Tochter Anna Iwanowna auf den Thron, deren Herrschaft wegen der deutschen Günstlinge in der russischen Geschichtswissenschaft als besonders schwarze Zeit gesehen wird. Tatsächlich zeigten die deutschen Machthaber Heinrich Ostermann, Burkhard Christoph von Münnich und Erst Johann von Biron staatsmännisches Geschick, insbesondere das Verhältnis zu Österreich verbesserte sich und der Anschluss an Europa wurde fortgesetzt.

Nach dem Tod der Zarin († 1740) folgte ihr gerade geborener Großneffe als Iwan VI. für den Biron als Vormund eingesetzt wurde. Iwan VI. (1740–1764) war der Sohn von Anna Leopoldowna (1718–1746) und Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1714–1774).
Anna Leopoldowna war wiederum die Tochter von Katharina Iwanowna, der älteren Tochter von Iwan V. und Karl Leopold von Mecklenburg. Sie sollte offiziell die Regentschaft für ihren Sohn Iwan VI. führen. Inzwischen zerbrach das Triumvirat infolge persönlicher Rivalitäten, aber es kam auch zu Zerwürfnissen zwischen der Regentin und den Günstlingen ihrer Vorgängerin. Ihre Gegner konnten die bisher sich unpolitisch gebende Tochter Peters I., Elisabeth, gewinnen, die schließlich im Dezember 1741 die Macht erklomm. Anna Leopodowna und Anton Ulrich gingen in die Verbannung nach Sibirien, der Säugling Iwan VI. wurde in die Schlüsselburg gebracht, wo er 1764 völlig isoliert verstarb, möglicherweise wurde sein Tod von Katharina befohlen, die in den geistig zurückgebliebenen und verwahrlosten Mann einen gefährlichen Konkurrenten sah. Anna Leopoldowna und Anton Ulrich lebten bis 1746 zusammen in Sibirien, auf Anweisung Elisabeths wurde Anna nach Archangelsk gebracht, wo sie gleich nach ihrer Ankunft verstarb. Ihr Witwer blieb in Sibirien bei seinen Kindern, obwohl ihm mehrmals eine Rückkehr angeboten wurde. Er verstarb fast erblindet im Kreise seiner Kinder in Sibirien, vielleicht war Anton Ulrich der tapferste Welfe!
Seine und Annas Kinder verließen jedoch nach 1780 Russland in Richtung Deutschland oder Dänemark.

Die neue Zarin Elisabeth kümmerte sich rasch um die Thronfolge. Sie bestimmte ihren Neffen Peter Ulrich von Holstein-Gottorf (1728–1762), Sohn ihrer Schwester Anna Petrowna, zum Nachfolger. Als Ehefrau wählte sie Sophie von Anhalt-Zerbst (1729–1796) aus, deren Mutter ebenfalls eine Holstein-Gottorf war. Sophie nahm nach ihrem Übertritt zum russisch-orthodoxen Glauben den Namen Katharina an und interessierte sich im Gegensatz zu ihrem Mann Peter für die russische Lebensweise. Die Zarin erwartete vom Thronfolgerpaar nichts, außer Nachwuchs. Dieser konnte natürlich nicht entstehen, weil sich das Paar hasste und sich aus dem Wege ging. Als Katherina nach ungefähr 10 Jahren einen Jungen gebar, den späteren Paul I. (1754–1801), war es nicht klar, ob dessen Vater Peter oder Katharinas Liebhaber Sergej Saltykow war. Das war aber der Zarin Elisabeth egal, sie nahm Katharina ihren Sohn weg und sorgte für dessen Erziehung und Ausbildung. Nach dem Tod Elisabeths († 1762) wurde Peter III. Zar. Er beendete den Krieg mit Preußen und kümmerte sich um einige Reformen, bevor er im Juli 1762 gestürzt wurde und starb. Nach der vierunddreißigjährigen Herrschaft Katharinas II. wurde Paul I. Zar. Er legte Thronfolgebestimmungen fest, nach denen Frauen von der Thronfolge ausgeschlossen wurde.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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RE: Kämpfende Dynastien, weitere Beispiele - Diskussion zum G/Geschichteheft 11/2014: - Sansavoir - 15.11.2014 22:18

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