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Hitler und die deutsch-französische "Erbfeindschaft"
04.03.2015, 18:13
Beitrag: #2
RE: Hitler und die deutsch-französische "Erbfeindschaft"
Vorab: Ich gehe davon aus, dass du dich in der gymnasialen Oberstufe (12/1) befindest, richtig? Oder bist du noch in der 9.Klasse?

(04.03.2015 14:39)christoph schrieb:  Auszug aus "Mein Kampf" ist gegeben:

"Erst wenn dies in Deutschland vollständig begriffen sein wird, daß man den Lebenswillen der deutschen Nation nicht mehr bloß in passiver Abwehr verkümmern lässt, sondern zu einer endgültigen aktiven Auseinandersetzung mit Frankreich zusammenrafft und in einen letzten Entscheidungskampf mit deutscherseits größten Schlußzielen hineinwirft: erst dann wird man imstande sein, das ewige und an sich so unfruchtbare Ringen zwischen uns und Frankreich zum Abschluß zu bringen [...]"

Aufgabenstellung: Lesen Sie das Zitat aus Adolf Hitlers "Mein Kampf" und beantworten Sie die Fragen.

1. Erläutern Sie die Motivgrundlage Hitlers bezüglich seiner Sicht des deutsch-französischen Verhältnisses. (4 BE)
Die Motive sind m.E.
- dass der "Lebenswillen der deutschen Nation (..) in passiver Abwehr verkümmer(t)". Das bisherige Verhalten der deutschen Regierung - offensichtlich ist das Bemühen gemeint, den Versailler Vertrag zu erfüllen - wird verurteilt als "bloß passive Abwehr", die dem deutschen Volk schade und dazu führe, dass es weniger bzw. keinen "Lebenswillen" mehr habe.
- das "Ringen zwischen uns und Frankreich" ist laut Hitler "unfruchtbar", es kostet also nur Kraft, bringt aber nichts (und zwar interessanterweise beiden Seiten!). Außderm dauert es schon "ewig", Hitler vertritt also die These von der sog. "Erbfeindschaft".
- nur ein gewaltsamer und für Deutschland siegreicher Abschluss dieses Ringens, den sich Hitler nur militärisch vorstellen kann, kann den Kampf zwischen den beiden Staaten beenden. Dazu muss sich aber Deutschland Kriegsziele setzen, die so weitreichend wie möglich sind, vermutlich einerseits um anschließend in Frankreich zum Nachbarn zu haben, das sich nicht mehr wehren bzw. das keinen Angriff auf Deutschland mehr starten kann (im Grunde denkt Hitler also genauso wie die französischen Politiker, die auf einem für Deutschland möglichst harten Versailler Vertrag bestanden haben), andererseits um für Deutschland einen möglichst hohen Kampfanreiz zu schaffen.

Zitat:Hitler vertritt die Auffassung einer deutsch-französischen „Erbfeindschaft“, die seiner Ansicht nach bereits seit langer Zeit andauert. Er ruft zu einem Angriffskrieg gegen Frankreich auf, um die angebliche Feindschaft – das jahrhundertelange „Ringen“ (Z. 5) – ein für alle mal durch einen Sieg über Frankreich und die anschließende Unterwerfung zu beenden.

Du hast die Aspekte "ewiges Ringen" und "Angriffskrieg kann Kampf ein für alle mal beenden". Es fehlen die Aspekte "Ringen ist unfruchtbar" und "Passivität schwächt Deutschland". In meinen Augen ist die Frage nur halb beantwortet, daher hier: 2 BE

(04.03.2015 14:39)christoph schrieb:  2. Erörtern Sie, ob das angesprochene "ewige Ringen" auf geschichtlichen Tatsachen beruht. (9 BE)


Ausführung (eine dialektische Erörterung war nicht erlaubt):

Zitat:Bis zu den napoleonischen Koalitionskriegen wurden die Konflikte in Europa in der Regel zwischen den verschiedenen Adelshäusern ausgetragen. Erst mit dem Aufstieg des Nationalismus entstanden zu jener Zeit erste Ressentiments gegen die deutsche bzw. die französische Nation, in Frankreich nahmen diese nach der vernichtenden Niederlage Napoleons im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts rasch zu. Im französischen Volk entstanden immer größere Feindseligkeiten gegen die Deutschen, die französische Regierung versuchte schließlich das Volk zu beschwichtigen, indem die alte Idee vom Rhein als natürlicher Grenze Frankreichs wieder ins Spiel gebracht wurde. Es entstand die Rheinkrise, die wiederum auf der deutschen Seite zu einer Nationalisierung der Massen führte, die sich insbesondere in der „Rheinliedbewegung“ niederschlug. Spätestens bis zum deutsch-französischen Krieg hatte sich die gegenseitige Rivalität zu einem Mythos – jenem von der „Erbfeindschaft“ –entwickelt, welcher in Frankreich nach der Niederlage gegen Deutschland weiter zunahm und auch die beiden Weltkriege „befeuerte“. Hitler hat also Unrecht, denn die gegenseitigen Ressentiments und der gegenseitige Wettstreit Deutschlands und Frankreichs entwickelten sich erst mit dem anschwellenden Nationalismus ab dem 19. Jahrhundert. Von einem „ewigen Ringen“ kann also kaum gesprochen werden.

Wie viele Punkte (BE) hättet ihr mir jeweils gegeben?
Wichtige Punkte zur Entstehung der These von der "Erbfeindschaft" wären:
- die Reaktion der Deutschen auf die napoleonischen Eroberungen und auf die siegreichen Befreiungskriege waren einerseits das Entstehen eines "deutschen" Nationalismus und andererseits die daraus folgende Sicht der Franzosen als Feinde "der" Deutschen. Der Beginn der deutsch-französischen Ressentiments ist also in die Zeit ab 1806 zu setzen. Ein "ewiges Ringen" setzt aber voraus, dass beide Staaten länger als 115 Jahre (1806-1925) miteinander kämpfen.

Eigentlich wäre hiermit die Frage schon beantwortet. Zur Verdeutlichung, dass die "Erbfeindschaft" tatsächlich von Napoleons Sieg bei Jena/Auerstedt bis zu Hitlers "Mein Kampf" andauerte, könnte man noch kurz die Entwicklung der "Erbfeindschaft" in diesem Zeitraum skizzieren (wie du das ja auch getan hast):

- in der Romantik vertiefte sich diese Einschätzung seitens der Deutschen
- Rheinkrise und deutsche Rheinlieder als Reaktion auf die Beanspruchung der Rheingrenze seitens Frankreichs
- die Entstehung des Bismarckreiches löste in Frankreich Ängste vor einem übermächtigen Nachbarn aus und führte bei den Franzosen zu antideutschen Einstellungen
- der Ausgang des Krieges von 1870/71 mit erzwungener Abtretung Elsass-Lothringens an Deutschland löste eine massive antideutsche Stimmung in Frankreich aus. Spätestens jetzt waren auch die Franzosen Anhänger der Theorie von der "ewigen Feindschaft".
- aufgrund dieser Einstellung und der wilhelminischen Außenpolitik gerieten die beiden Staaten bis zum 1.Weltkrieg immer wieder aneinander, was die beiderseitigen Gefühle füreinander gewiss nicht verbesserte.
- die Beinahe-Niederlage der Franzosen im 1.Weltkrieg und der erbittert geführte Grabenkrieg an der Westfront hatte zur Folge, dass Frankreich auf sehr harten Bedingungen für Deutschland bestand, als man darin ging, den Versailler Vertrag zu formulieren.

Du sprichst in deiner Antwort zwar "beide Weltkriege" an (von denen einer zum Zeitpunkt der Abfassung von "Mein Kampf" noch gar nicht stattgefunden hatte), dennoch würde ich sagen, du hast die Antwort im Großen und Ganzen richtig hingekriegt. Ich habe keine Ahnung, was dein Lehrer erwartet bzw. wie ihr das Thema im Unterricht bearbeitet habt, aber ich würde sagen, dass folgende Punkte aufgeführt werden müssten:
- Beginn der "Erbfeindschaft" ca. 1806. (1 BE)
- Anwachsen und Andauern der negativen nationalistischen Gefühle bzw. Konflikte bis 1925 mit den Stationen Romantik in Deutschland (1 BE), Rheinkrise (1 BE), deutsche Einigungskriege (1 BE), deutsch-französischer Krieg (1 BE) mit deutscher Annexion Elsass-Lothringens (1 BE), außenpolitische Auseinandersetzungen bis 1914 (1 BE) und Erster Weltkrieg (1 BE), Versailler Vertrag und seine Rezeption in Deutschland und Frankreich (1 BE).
Das ergibt insgesamt 9 BE.
Du hast nicht erwähnt die Schlacht von Jena/Auerstedt und die Romantik in Deutschland (hast hier nur Frankreich berücksichtigt, was aber auch 1 BE rechtfertigt), die deutschen Einigungskriege als Auslöser antideutscher Gefühle in Frankreich, den Versailler Vertrag. Ergibt insgesamt 3 BE abzug, also 6 BE auf diese Aufgabe.

Ich hätte dir also auf beide Aufgaben insgesamt 8 von 13 BE gegeben. Das sind etwas mehr als 61% (nach meiner Rechnung 61,5%) der erreichbaren BE, heißt also 7 Punkte = Schulnote 3-

Wenn dein Lehrer z.B. die Formulierung mit den Weltkriegen als zu schwamming eingeschätzt hat, könnte es sein, dass er dir sogar noch eine oder zwei BE abgezogen hat, damit würdest du sogar noch im "Vierer" (6 Punkte) landen.
Ich muss gestehen, dass ich beim ersten Lesen deine Ausführungen - besonders zur zweiten Aufgabe - besser eingeschätzt habe, nachdem ich aber jetzt eine "Musterlösung" entworfen habe (zugegebenermaßen im Schnellschussverfahren), hat sich dieser Eindruck relativiert.

Solltest du erst die 9.Klasse besuchen, dürfte man natürlich nicht so streng benoten, aber wie gesagt, ich gehe davon aus, dass du in der Oberstufe bist.
Was hast du denn tatsächlich bekommen?

VG
Christian
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RE: Hitler und die deutsch-französische "Erbfeindschaft" - 913Chris - 04.03.2015 18:13

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