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Letzter Brief des bayerischen Märchenkönigs aufgetaucht!
27.08.2016, 11:16
Beitrag: #15
RE: Letzter Brief des bayerischen Märchenkönigs aufgetaucht!
Was Ludwigs Schlösser betrifft - ein Problem ist leider, dass sie nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden können und Fotografieverbot herrscht. (Auf Neuschwanstein habe ich von einem Fenster aus, dass gerade offen war, die in der Nähe gelegene Hängebrücke fotografieren dürfen, aber das wurde mir damals nur deswegen erlaubt, weil ich eben nur etwas außerhalb des Schlosses fotografiert habe.)

Zunächst einmal Neu-Chiemsee, dass Ludwig nach dem Vorbild von Versailles erbauen ließ, ist unvollendet und innen auch kaum eingerichtet. Ich selbst halte es für das Uninteressanteste der Schlösser, was sicher auch damit zusammenhängt, dass es nicht wirklich an das Vorbild heranreicht. Wäre es vollendet worden, wäre es vielleicht eine gelungene Klein-Imitation von Versailles geworden. Am interessantesten sind noch die Brunnen vor dem Schloss.

Linderhof, das einzige Schloss, das Ludwig vollenden konnte, und Neuschwanstein, sind dagegen, wirklich tolle und vor allem wunderschöne Bauwerke, die ideal in die Landschaft eingefügt wurden.

Dazu kommt noch Hohenschwangau (liegt gegenüber von Neuschwanstein), das Ludwig zwar nicht selbst erbaut hat, das aber von seinem Vater adaptiert wurde und wo er vor allem aufgewachsen ist. Auf Hohenschwangau sind alle Innenräume mit Szenen aus dem Mittelalter, aus Sagen und Legenden ausgestaltet, und wer diese "Historismus"-Malerei aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schätzt und sich außerdem für Geschichte, Literatur und Mythologie interessiert, kann sich auf Hohenschwangau nur sehr wohl fühlen. Nach der Besichtigung von Hohenschwangau war für mich vollkommen verständlich, wie der spätere Bayernkönig vieles gefunden hat, das ihn inspiriert haben dürfte.

Auf Neuschwanstein sind die meisten Räume, die zum Teil vollendet sind, mit Innenmalereien, die Szenen aus Wagner-Opern zeigen. (Zumindest für Wagner-Fans ein Muss.) Aber auch Technik-Freaks dürften hier fündig werden, gibt es hier z. B. einen Paternoster, mit dem der Tisch über mehrere Stockwerke befördert wurde und andere technische Finessen, die für die Entstehungszeit tatsächlich etwas Neues gewesen sein dürften.
(Aber Achtung! Schloss Neuschwanstein entspricht von der Höhe und seinen "Stockwerken" einem mehrstöckigen Haus und Lifte gibt es keine. Das Schloss ist eindeutig nichts für Menschen, die Gehprobleme haben.)

Linderhof wiederum erinnert von der Innengestaltung an ein Museum, die Gegenstände, die dort zu bewundern sind, sind wunderschön. Aber eines war deutlich für mich zu spüren: ein Museum, aber kein gemütliches Schloss, wo Besucher/in nur zu gerne mit Hausherr oder Schlossgeist eine Tasse Kaffee im schönen Salon trinken würde. Die Türen sind nach innen ausgerichtet.

Ludwigs Schlösser waren zu seinen Lebzeiten nur für ihn selbst bestimmt, nicht für Besucher/innen und andere Personen. Auf Schloss Linderhof sind z. B. noch zwei wunderschöne Pfau-Skulpturen zu bewundern, die wurden, wenn Ludwig dort war, vor dem Schloss aufgestellt, damit die Gärtner, das Schlosspersonal, das nicht für die direkte Bedienung des Königs zuständig war und die Bewohner/innen der Umgebung wussten: Jetzt ist König Ludwig dort, also haben alle das Schloss und die Umgebung zu meiden, um ihm nicht versehentlich über den Weg zu laufen. (Wobei es einiges über den König aussagt, dass er eben nicht, wie damals üblich, eine Fahne hissen ließ, sondern diese Pfaue aufstellte.)

Für mich war in Linderhof und Neuschwanstein sehr deutlich spürbar, dass sie als von der Außenwelt abgeschlossene Bauwerke angelegt wurden, was wiederum mit der Überlieferung, der König wäre extrem menschenscheu gewesen, übereinstimmt.

Soweit ich es, aufgrund der überlieferten, halbwegs sachlichen Informationen beurteilen kann (und meine Beobachtungen bei der Besichtigung seiner Königsschlösser sowie des Münchner Schlosses passt ebenfalls dazu), vermute ich, dass der Bayernkönig extrem introvertiert war und sich diese Veranlagung im Verlauf seines Lebens offensichtlich extrem verstärkt hat.

Zumindest nach meinen Beobachtungen haben es Menschen, die extrem introvertiert sind, auch in unserer heutigen Gesellschaft sehr schwer, gerade dann, wenn es ihnen nicht möglich ist, das irgendwie im Gegenwart anderer zu überspielen und wenn sie auch keine wirklichen Möglichkeiten haben, den Kontakt mit anderen Menschen zu vermeiden. Im besten Fall werden sie als Sonderlinge belächelt, im schlimmsten Fall systematisch fertig gemacht, und das vor allem dann, wenn sie jemanden in die Quere geraten (z. B. Konkurrenz am Arbeitsplatz) oder als "Bedrohung" empfunden werden. Solche Menschen so zu nehmen, wie sie halt einmal sind, oder sie wenigstens in Ruhe zu lassen, damit (mein Eindruck) sind wir offensichtlich auch heute noch überfordert. Aber extreme Introversion ist keine psychische Krankheit.

Der Bayernkönig fällt jedenfalls durch Verhalten auf, das von dem abweichen, was als Norm gesehen wird, und er befindet sich in einer Position, wo es leicht ist, sich Feinde zu machen. Hinzu kommt noch, dass er offensichtlich nicht auf Auseinandersetzungen aus war, solange er machen konnte, was er wollte.

Die Frage, ob Ludwig II. geistesgestört war, dürfte wohl davon abhängen, ob jemand davon überzeugt ist oder nicht. Denn er oder sie wird sich wohl auf jenen Argumente und Belege versteifen, die seine Meinung bestätigen, und es scheint für beides Belege zu geben.

Beispiel 1: Dass Ludwigs Schlossbaustellen eine Menge Geld kosteten, ist Tatsache. Allerdings soll er die Kosten aus seinem eigenen Vermögen bestritten haben, womit eigentlich die Staatsfinanzen nicht gefertet waren. Auch zur "Kreditwürdigkeit" Ludwigs scheint es widersprüchliche Belege zu geben.

Beispiel 2: Ludwig zeigte sich schon seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite soll er aber die Regierungsgeschäft schriftlich erledigt haben, und seine Aufenthaltsorte dürften doch bekannt gewesen sein. Einerseits ist die schriftliche Variante sicher für eine Herrschaft nicht ideal, andererseits steht das aber im Widerspruch zu der Behauptung, dass Ludwig II. seine Regierungsgeschäfte nicht mehr ausgeübt hat.

Aber auch, wenn Ludwig II. tatsächlich geistesgestört war, stellt sich noch immer die Frage, ob seine "Absetzung" bzw. "Wegsperrung" wirklich notwendig war. Zumindest ist nichts überliefert, dass er nicht mehr imstande gewesen wäre, sein Leben selbst zu gestalten, und Belege dafür, dass er für seine Umgebung eine Gefahr war (z. B. wegen Gewaltakten), dürfte es auch nicht geben.

Was die angeblich nicht mehr erledigten Regierungsgeschäfte betrifft, merkwürdig an der ganzen Sache ist jedenfalls, dass nicht erst einmal versucht wurde, Ludwig zu einer Abdankung zu bewegen.

Aus heutiger Sicht ist jedenfalls verdächtig, dass z. B. für die Begutachtung eben nicht der Leibarzt einvernommen wurde, und offensichtlich auch keine Personen aus dem direkten Umfeld des König befragt wurden. Für die Erstellung des Gutachtens wurde es nicht einmal für nötig erachtet, dass die Psychiater den König erst einmal "besuchen", um sich vor Ort eine Meinung zu bilden.

Wie auch immer, der Fall um den Bayernkönig ist jedenfalls eine recht verdächtige Sache.

Ich glaube übrigens nicht, dass Ludwig II., wo er jetzt auch immer sein mag, sehr glücklich darüber ist, dass seine Schlösser heute als Touristenattraktion "missbraucht" werdenBig Grin, aber darüber kann er zum Glück für den Tourismus in Bayern nicht mehr entscheiden.Tongue

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Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: Letzter Brief des bayerischen Märchenkönigs aufgetaucht! - Teresa C. - 27.08.2016 11:16

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