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Herrscher und Krankheiten bzw. Behinderte und Herrschaft
09.10.2016, 13:32
Beitrag: #1
Herrscher und Krankheiten bzw. Behinderte und Herrschaft
Ein heikles Thema, das ich vor einiger Zeit in einem Jux-Rätsel gestellt hatte, galt zwei Reichsfürsten des Spätmittelalters, die beide nicht nur Zeitgenossen waren, sondern auch einige Zeit ihres Lebens eine schwere körperliche Behinderung hatten, was sie aber beide nicht gehindert hat, auch weiterhin politisch tätig zu sein. (Und beide dürften bei ihren Zeitgenossen durchaus angesehen gewesen sein.) Um ihr Nachleben bis nach 1945 war es dagegen etwas anders bestellt. Während König Johann von Böhmen (Johann der Blinde) eine zumindest fragwürdige "Presse" (wie auch andere Mitglieder seiner Familie) hatte, war Herzog Albrecht II. von Österreich (Albrecht der Weise oder Albrecht der Lahme) auch für spätere Generationen eine "Lichtfigur" (innerhalb seiner Familie).
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Dass eine körperliche Behinderung vielleicht tatsächlich den Ausschluss von der Herrschaft / Erbfolge etc. bedeutet hat, dafür habe ich keine wirklichen Belege gefunden. Immerhin fällt auf, dass es im Mittelalter keinen Herrscher gibt, von dem überliefert ist, dass er bereits zu Beginn seiner Herrschaft eine körperliche Behinderung hatte.

Der einzige mögliche Ausnahme, die mir untergekommen ist, könnte der norwegische König Inge Krogrugg (um 1135 - 1161) gewesen sein, der allerdings bereits als Kleinkind zum König ausgerufen worden war.

Im Frühmittelalter findet sich mehrmals der Fall, besiegte Gegner bei einem Machtkampf nicht töten zu lassen, sondern zu verstümmeln oder gar zu blenden, um sie so als Herrscher "untauglich" zu machen. Dass diese brutale Lösung keineswegs de facto ausreichte, einen Herrscher tatsächlich auszuschalten, zeigt sich z. B. am Beispiel des Karolingers Ludwig des Blinden.

Die Herrscher, denen eine körperliche Behinderung nachgesagt wurde, dürften sich diese erst im Laufe ihres Lebens zugezogen haben, sie waren also wohl sozusagen etabliert, wahrscheinlich der Grund, dass sich bei ihnen die Frage nach ihrer "Herrschaftsfähigkeit" nicht mehr stellte.

Immerhin fällt auf, dass eine angebliche oder tatsächliche körperliche Behinderung (oder Beeinträchtigung) gerne genutzt wurde, um einen Herrscher negativ darzustellen. Bekanntestes Beispiel dürfte Richard III. sein. Die Obduktion seines Skelettes hat zwar bestätigt, dass es für die Behauptung er wäre bucklig gewesen, tatsächlich eine Ursache gab, doch hat es den Eindruck, dass dieses körperliche Beeinträchtigung von späteren Generationen stark aufgebauscht wurde. (Dass Richard gewöhnlich am Schlachtfeld zu finden war und dort auch getötet wurde, dürfte ohnehin der Beweis sein, dass seine körperlichen Beeinträchtigungen nicht all zu schwer gewesen sein dürften.)

Von König Albrecht I. (HRR) erfahren wir, dass er wegen einer ärztlichen Fehlbehandlung (nachdem ein angeblicher Giftmordanschlag auf ihn verübt worden war) ein Auge einbüßte, was ihm in der Legendenbildung späterer Feinde seiner Dynastie das Image eines einäugigen, düsteren Bösewichtes einbrachte.

Dagegen war das Image seines gleichnamigen Sohnes, der Herzogs Albrecht II. von Österreich, der viele Jahre seines Lebens an einer schmerzhaften chronischen Polyarthritis litt, wesentlich besser. (Die Krankheit ist inzwischen wissenschaftliche belegt, ich persönlich aufgrund der überlieferten Symptome eigentlich auf eine Multiple Sklerose getippt.) Abgesehen davon, dass ihm ein eher zweifelhafter Historiker im 20. Jahrhundert wegen seiner Bewegungsbeeinträchtigung "Impotenz" unterstellte (und seine zahlreichen Kinder auf zweifelhafte Selbsthilfe von Seiten der Ehefrau zurückführte, die er angeblich gedeckt haben soll), wurde er eigentlich als jemand dargestellt, der trotz seiner körperlichen Behinderungen erfolgreich Politik betreibt, mit anderen Herrschern eher gute Beziehungen hatte und die Länder und die Herrschaften seines Hauses durch die Übernahme der Herrschaft im Herzogtum Kärnten und der Grafschaft Pfirt wesentlich vergrößert.

In einer Chronik wird von einer Begegnung mit einem anderen, zu dieser Zeit ebenfalls bereits körperlich behinderten Zeitgenossen, König Johann von Böhmen (Johann dem Blinden) erzählt, die beide in eine unerfreuliche Lage bringt, als sie von ihren Gefolgsleuten versehentlich in einer Kammer zurückgelassen werden und wegen ihrer Behinderungen nicht imstande sind, diese selbst zu verlassen. König Johann ist nicht imstande, durch Tasten den Eingang zu finden, als Herzog Albrecht versucht, ihm den Weg dorthin zu beschreiben, und da der Herzog bewegungsunfähig ist, ist es ihm aber nicht möglich, den König zur Türe zu führen.
Es blieb den beiden somit nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis ihre Gefolgsleute endlich auf ihre Lage aufmerksam werden. In der Erzählung nehmen beide die Situation mit Humor, und das macht sie uns aus heutiger Sicht durchaus sympathisch.

Sind euch irgendwelche Herrscher im Mittelalter bekannt, die unter einer körperlichen Behinderung litten oder denen so etwas nachgesagt wurde, und welche Auswirkungen hatte es für diese?

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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Herrscher und Krankheiten bzw. Behinderte und Herrschaft - Teresa C. - 09.10.2016 13:32

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