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Wer gründete Russland? Eine strittige Frage
22.12.2016, 15:32
Beitrag: #7
RE: Wer gründete Russland? Eine strittige Frage
Die Wurzeln des heutigen Russlands, aber auch der Ukraine und Weißrusslands liegen im Kiewer Rus. Die slawische Bevölkerung bezeichnete die Waräger als Rus, was Ruderer bedeutete. Ursprünglich war Rus die slawische Bezeichnung für die Fernhändler und Krieger aus Skandinavien. Der Unterschied zwischen Wikingern und Warägern soll in ihrer Herkunft liegen. Während Wikinger aus dem heutigen Norwegen stammten, waren die Waräger eher im heutigen Schweden (und Finnland) beheimatet. Es wird sicher Überschneidungen gegeben haben, eine strenge Trennung ist sicher nicht korekt. Seit dem 8. Jahrhundert nutzten die Skandinavier Flüsse wie Wolga, Don, Dnjestr oder Dnepr für ihre Handelsrouten nach Konstantinopel, aber auch nach Persien. Bereits im 9. Jahrhundert konnten die Waräger die einheimische Führungsschicht verdrängen und div. Staatsgebilde gründen. Die Rurikiden setzten sich schließlich als alleinige Herrscher durch. Das ist nicht unbedingt das Werk des Dynastiegründers Rurik († 879), sondern eher seiner Nachfolger. Hervorzuheben sind da Oleg der Weise († 912), der jahrelang die Regentschaft für Ruriks Sohn Igor führte und Igor ( † 945) selbst.

Unter der von 945 bis um 960 dauernden Regentschaft von Igors Witwe Olga († 969) wurden erste Versuche zur Christianisierung der Bevölkerung unternommen. Olga ließ sich 957 von Kaiser Konstantin VII. taufen und 959 bat sie Otto I. um Mithilfe bei der Christianisierung. Unter ihrem Sohn Swjatoslaw I. († 972) erfolgte jedoch eine Rückkehr zu den heidnische Gebräuchen. Swjatoslaw war ein kriegerischer Fürst, der das Gebiet des Kiewer Rus mit Unterstützung seiner Druschina (sinngemäß Gefolgschaft) erheblich erweiterte, Bulgarien eroberte und Byzanz bedrohte. 972 wurde Swjatoslaw von den Petschenegen ermordet. Sein Tod führte zu der ersten Staatskrise des Rus, die von Abspaltungen, Thronfolge- und Brüderkämpfen geprägt war.

Swjatoslaws jüngerer Sohn Wladimir I., seit 980 Großfürst von Kiew, konnte schließlich die Thronwirren beenden. 987 bat der byzantinische Kaiser Basileos II. Wladimir um militärische Hilfe gegen die Bulgaren. Wladimir gewährte diese Hilfe nicht, stattdessen belagerte er Konstantinopel. Schließlich einigte man sich, Wladimir bekam des Kaisers Schwester Anna zur Frau, in derer Gefolge jedoch Priester waren, die die Christianisierung des Kiewer Rus durchzuführen hatte. Mit Hilfe des Christentums bzw. der christlichen Priester gelang es den Kiewer Großfürsten einen sowohl von Byzanz als vom HRR anerkannten Staat aufzubauen. Da der Großfürst von Kiew im 11. und 12. Jahrhundert diesen Staat dominierte oder zumindest als Erster unter Gleichen anerkannt wurde, spricht man vom Kiewer Rus. Es hat aber zeitweise immer Abspaltung einzelner Teilfürsten wie die von Wladimir, Twer, Pskow, Nowgorod oder Halitsch gegeben. Bedeutende Großfürsten von Kiew waren z.B. Jaroslaw der Weise (reg. von 1019 bis 1054) oder Wladimir II. Monomach (reg. von 1113 bis 1125). Mit Wladimirs II. Nachfolgern vollzog sich der schleichende Niedergang des Kiewer Rus. Dieser Niedergang steht sicher auch im Zusammenhang mit dem Niedergang der Handelsstadt Kiew. Belege dafür sind die Verlegung des Sitzes der Großfürsten nach Wladimir oder Susdal und vor allem die Gründung Moskaus im Jahr 1147 durch den späteren Großfürsten Juri Dolguriki.

Der Kiewer Rus war kein Fremdkörper in der damaligen europäischen Staatenwelt. Der französische König Heinrich I. († 1060) heiratete in 2. Ehe Anna von Kiew († 1079), ihre Verwandte Praxedis von Kiew war von 1087 bis 1095 die zweite Ehefrau des Kaisers Heinrich IV. († 1106). Kunigunde von Weimar-Orlamünde (* um 1055) führte ihre erste Ehe von 1075 bis 10786/87 mit dem Teilfürsten Jaropolk von Wolhynien. Ich denke, solche Eheschließungen zeigen, dass der Kiewer Rus mit West- und Mitteleuropa vernetzt war.

Der mongolische Ansturm von 1238/40 führte zum Untergang des Kiewer Rus, aber auch zum Aufstieg des Großfürsten von Moskau bzw. der Stadt Moskau als neues Zentrum. Die Mongolen herrschten über die Teilfürsten, die Tributleistungen zu erbringen hatten. Alexander Newski sorgte mit seinen Siegen gegen Polen, Litauer oder den Deutschen Orden für den Fortbestand der russischen Fürstentümer. Iwan Kalita, von 1325 bis 1341 Moskauer Großfürst, gelang es den Sitz des Metropoliten von Kiew nach Moskau zu verlegen. Seine solide Regierung legte die Grundlage zur Überwindung der Mongolenherrschaft. Dmitri Donskoi († 1389), Iwan Kalitas konnte schließlich 1389 die mongolische Fremdherrschaft abschütteln. Diesen Zeitpunkt könnte man durchaus als Gründungsdatum von Russland bezeichnen. Dmitris Urenkel Iwan III. beanspruchte nach der Eroberung von Konstantinopel (1453) dessen Nachfolge als „Drittes Rom“. Seine Eheschließung mit Anna Palailogea, der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers sollte dies auch nach außen dokumentieren.

Eine sehr wichtige Persönlichkeit für die Entwicklung Russlands ist Iwan IV. (1530-1584), seit 1533 Grußfürst von Moskau und seit 1547 Zar. Er forcierte die Eroberung des heutigen Südrusslands, in dem er die Khanate aus der Konkursmasse der Goldene Horde beseitigte, unter seiner Herrschaft begann die Eroberung Sibiriens und er richtete die Reichserweiterung auch nach Westen, wie der Livländische Krieg oder die Zerstörung Nowgorods zeigten. Er setzte auch mit der Vernichtung von Teilen der Bojaren und dem Terror der Opritschnina unmenschliche Vorbilder für zukünftige russische Herrscher. Außerdem erlaubte er englischen Händlern (Moskowiter) über die deswegen extra gegründete Stadt Archangelsk die Ausfuhr von Rohstoffen, meist Holz. Allerdings legte Iwan mit seinem fahrlässigen Umgang, die Thronfolge zu regeln, die Grundlage für die bis dato größte Krise Russlands, die Zeit der Wirren, die erst 1613 mit der Thronbesteigung beendet werden konnte.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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RE: Wer gründete Russland? Eine strittige Frage - Sansavoir - 22.12.2016 15:32

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