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Übersichtlichkeit im Historischen Roman - die Personennamen
05.02.2017, 00:19
Beitrag: #3
RE: Übersichtlichkeit im Historischen Roman - die Personennamen
(04.02.2017 03:20)Sansavoir schrieb:  Mit den Kose- bzw. Dutznamen habe ich auch meine Schwierigkeiten, vor allem wenn ich nicht weiß, ob diese Personen tatsächlich so genannt wurden oder ob es üblich ist, diese Kosenamen zu verwenden.

Für mich ist das Problem auch, dass Namensformen eine Bedeutung haben. Es macht für mich sehr wohl einen Unterschied, ob ein Kosename auf der Handlungsebene, bei Gedankengängen oder im Dialog Verwendung findet. Meghan finde ich nicht nur unglücklich, weil der Name eigentlich eher gegenwärtig ist. Es stellt sich die Frage, ob nicht eine Margaret Beaufort (oder Margarete Beaufort) und eine Marguerite d'Anjou (oder eventuell Margareta von Anjou) mehr Sinn gemacht hätten.

Bei Henry V. wäre zu Gunsten der Autorin anzuführen, dass sich z. B. die Bezeichnung Harry für Henry V. bei Shakespeare findet, dies allerdings nur in der Tragödie "Henry IV" und im Dialog, nicht aber im Personenverzeichnis.
Allerdings kommt hier wohl auch zum Tragen, dass es sich um englische Namensformen handelt. Im Deutschen wäre hier vielleicht Heinrich und Henrick möglich.

(04.02.2017 03:20)Sansavoir schrieb:  Eine interessante Lösung findet man in Romanen, die sich mit französischer Geschichte beschäftigen. Da werden oft die Titel zum Unterscheiden verwendet, z.B. Heinrich/Henri von Guise ist dann oft nur "Guise", Heinrich/Henri III. bis zu seiner Thronbesteigung "Anjou" und Heinrich/Henri IV. bis zu seiner Thronbesteigung meist "Navarra", seltener "Bourbon" - dies ist meist für seinen Vater Antoine de Bourbon vorbehalten. Soweit ich weiß, redeten sich (Hoch-)Adlige in Frankreich untereinander mit ihrem Titelnamen an. Im HRR ist dies nicht üblich - somit nicht verwendbar in historischen Romanen.

Das mit den Titeln finde ich in den französischen Romanen auch interessant, allerdings glaube ich nicht, dass es für das HRR funktionieren würde. Ich weiß nicht, wie es da dir oder anderen ergeht, aber mich würde es nicht überzeugen, wenn z. B. Friedrich der Siegreiche als Pfalz oder Ludwig IX. als Landshut und Albrecht III. als München bezeichnet würde.

Erschwerend kommt bei mir allerdings auch hinzu, dass ich die Personenbezeichnungen, Namen und anderes auch gerne für die Dramaturgie einsetze, um z. B. Beziehungen (und auch ihre Entwicklunen und Veränderungen) zwischen Figuren zu verdeutlichen und zusätzliche Informationen einzubauen. Hinzu kommt noch die Perspektive sowie der Unterschied zwischen Öffentlichkeit und Zusammensein unter sich. Da gibt es so viele Möglichkeiten, die als Autor/in genützt werden können, solange die Absicht besteht, mit einem Buch oder einer Geschichte Geld zu verdienen.

Bei dem Beispiel mit Friedrich dem Siegreichen hätten sich für mich folgende Bezeichnungen angeboten, um klar zu machen, dass die Erzählerfigur den Pfalzgrafen meint und nicht den Kaiser Friedrich III. oder sächsischen Kurfürsten Friedrich II.:
- Unterschiedliche Namensschreibungen (wo allerdings abzuklären wäre, wer Friedrich bleiben darf) und wie weit die Umbenennung gehen kann: Friedrich, Friederich, Friedreich, Friedenreich, Friederik - für mich nicht wirklich befriedigend, zudem hier auch gleich eine gewisse Bewertung und Gewichtung mitspielt.
- Ein Kosename passt ebenfalls nicht, da die Erzählerfigur zwar nichts gegen den Pfalzgrafen persönlich hat, aber mit ihm zu diesem Zeitpunkt auch nicht so eng befreundet, dass ein Kosename glaubwürdig gewesen wäre.
- Eine Möglichkeit ist natürlich, wenn bekannt ist, wie jemand sich selbst geschrieben hat, z. B. Unterschrift auf Urkunden etc. (Allerdings, die Urkunden mit dem Namen zu zeichnen, war im 14. und 15. Jahrhundert noch keineswegs durchgehende Praxis und lässt sich nur für bestimmte Personen nachweisen.)
- Eine Möglichkeit wäre dann noch die Standesbezeichnung oder die Herkunftsbezeichnung, z. B. der Pfalzgraf, der Pfälzer etc., allerdings ist das unpersönlich, verweist auf Distanz. Eine Bezeichnung wie der Herr Wittelsbach oder der Wittelsbacher und auch der Pfälzer ist zudem auch mit einer gewissen Abwertung verbunden.
- Bei Beinamen ist zu berücksichtigen, seit wann jemand so genannt wurde bzw. ob der Beiname nicht erst nach dessen Tod entstanden ist. Daneben ist auch hier Abwertung oder Bewunderung (also eine Wertung) zu beachten. Friedrich der Siegreiche hatte seinen Beinamen zu dem Zeitpunkt, wo meine Handlung spielt, noch gar nicht, und der "böse" Fritz dürfte er damals auch noch nicht gewesen sein. (Allerdings, wenn das Buch gut ist, ein Spitzname, Kosename oder Beiname einfallsreich genutzt wird oder es es eine zwar fiktive, aber überzeugende oder zumindest für die Handlung schlüssige Erklärung der Autoren/innen gibt, ist das für mich schon in Ordnung.)

Erschwerend kommt noch die Erzählperspektive hinzu: Solange nur eine bestimmte Person erzählt, mag die Verwendung eines Kosenamens oder einer eigenwilligen Schreibform oder des Titels bzw. der Burg, Familie einleuchtend sein, aber wenn es mehrere Erzählperspektiven habe, gehört das für mich auch berücksichtigt.

Was "Games of Thrones" als Buch und/oder Serie betrifft, glaube ich, dass viele Buch und Film nicht als historische Geschichte, sondern als Fantasy sehen, obwohl ich selbst finde, dass die Fantasy-Elemente im Rahmen dessen sind, was ich für ein "realistisches" Mittelalter noch vorstellen kann. (In den klassischen Islandsagas kommen z. B. immer wieder übernatürliche Elemente, Figuren etc. vor, z. B. Wiedergänger, Hexen / Zauberer, Untiere, aber sie sind so in die Handlung eingebaut, dass es für das Spätmittelalter reell gewesen sein könnte.

Ich habe außerdem den Eindruck, dass viele Leser/innen gar nicht wirklich die vielen Nuancen, Finessen, das enorme historische Wissen des Autors und seine Fähigkeit, mit verschiedenen Perspektiven zu spielen, durch deren Verwendung die Geschehnisse zu hinterfragen, zu relativieren etc. wirklich würdigen. Offensichtlich ist es GRRM tatsächlich in den ersten Büchern gelungen, einen Spagat zwischen anspruchsvoller Unterhaltung und einfachen Lesergeschmack zu schaffen. (Ähnliches dürfte auch bei "Der Name der Rose" der Fall gewesen sein.) Es gibt genug Unterhaltung für die Leserschaft, die sich nur oberflächlich unterhalten will, sodass die vielen zusätzlichen Details und vor allem die philosophischen Einschübe von ihnen übersehen werden.

Was dein Hinweis mit den Merowingern betrifft, an den Namen liegt das sicher nicht, jedenfalls nicht an den meisten Namen. (Bei Dagobert und Brünnhilde könnte ich mir allerdings vorstellen, dass die sofortige Assoziation mit Walt Disney und Richard Wagner ein Hemmnis ist.)

Ein Problem könnte allerdings sein, dass der jetzige Buchmarkt beim historischen Roman nur mehr sehr einfach gestrickt ist.

Komplexe Figuren sind nicht erwünscht, zumindest habe ich einige Buchkritiken zu interessanten historischen Romanen gelesen, wo Leserschaft Folgendes bemängelte: Fehlen eines Schurkens bzw. einer fiesen Hassfigur. In einem Fall würde kritisiert, dass der Gegenspieler des Helden die einzige Figur war, mit der Leserin mitfiebern konnte, was in ihren Augen ein schweres Manko war, ich persönlich aber bei diesem Buch als besondere Qualität empfunden. (Endlich einmal ein Buch, wo für den historischen Helden ein ebenfalls historischer Gegenspieler ausgewählt war, der mit seiner Geschichte, seinem Hintergrund und seinen Handlungen einen idealen und auch historisch interessanten und vorstellbaren Gegenpart bot. Hinzu kam noch, dass die Rollen Held und Schurke hier keineswegs festgelegt waren. Mit umgekehrter Rollenverteilung hätte die Geschichte auch funktioniert.)

Bei den Merowingern gibt es keine "starken" weiblichen Lichtgestalten, Radegunde und Chrodechilde zum Beispiel dürften schon aufgrund ihrer Rollen als Heilige der katholischen Kirche für diesen Part nicht in Frage kommen. Brunichilde und Fredegunde bieten sich zwar als starke Frauen an, sind aber beide keine Lichtgestalten, und "nette" Frauen wie Gailswintha sind Opfer und keine starken Frauen. Chilperich könnte zwar ein brauchbarer Schurke sein und würde sich vielleicht sogar zur fiesen Hassfigur reduzieren lassen, aber er ist für einen Widerling zu erfolgreich. Sigibert würde vielleicht als strahlender Held noch durchgehen, aber er stirbt aber zu bald, sodass es nicht viel bringt, das obligate Happyend zu schaffen, indem die Handlung noch vor seinem Tod endet.

Und für fiktive Heldinnen und Helden dürfte die Zeit und die Merowingerfamilie als "Arbeit- und Auftraggeber" nicht ergiebig sein. Eine Wanderhure oder ein Söldner fehlt da doch der passende Hintergrund. Zudem fehlt es vielleicht auch an touristischen Anhaltspunkten.

Meine Vermutung, vielleicht liege ich falsch.

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Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: Übersichtlichkeit im Historischen Roman - die Personennamen - Teresa C. - 05.02.2017 00:19

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