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Berliner Bohème
03.10.2012, 13:58
Beitrag: #6
RE: Berliner Bohème
AUFBRUCH IN DIE MODERNE
Deutschland im späten Kaiserreich


Seit den 1890er Jahren gerieten Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur immer mehr in Bewegung. Die einen beklagten dies und wünschten sich die „gute alte Zeit“ zurück, die anderen befürworteten die Veränderung als Fortschritt. Der Begriff Moderne bildete sich um 1890 und galt seit der Jahrhundertwende als allgemeine Zeitbeschreibung. Unterstützt wurde dies durch die Tatsache, dass Wilhelm II. noch jung und aufgeschlossen gegenüber technischen Neuerungen war.
Erstens wurde Deutschland durch die Zweite Industrielle Revolution endgültig ein Industriestaat. Ab dieser Zeit arbeiteten mehr Menschen in der Industrie als in der Landwirtschaft. Die Industrie blühte (Die Produktion stieg zwischen 1871 und 1913 um das fünffache) Deutschland rückte international auf den dritten Platz hinter den USA und England auf, in der Elektro- und chemischen Industrie war man gar auf Platz 1. Eindrucksvoll ist auch die Entwicklung der Stahlproduktion. Sie stieg von 0,2 Millionen Tonnen im Jahre 1870 auf 6,6 Millionen Tonnen im Jahre 1900 und 18,9 Millionen Tonnen im Jahre 1913.
In Deutschland beschleunigten zweitens Wissenschaft und Bildung wie nirgendwo sonst die Industrialisierung: Während in England immer noch Handwerker aus ihrer Erfahrung schöpften, wurden in Deutschland Fachkräfte an Hochschulen ausgebildet. Zudem entstanden zahlreiche Großlabore. Erstmals ging es nicht mehr nur um Erfindungen, die man zu Geld machen konnte, sondern auch um Grundlagenforschung. Von 1901 bis 1918 wurde der Nobelpreis siebzehn Mal an deutsche Wissenschaftler vergeben: Siebenmal in Chemie, Sechsmal in Physik und viermal in Medizin. Aus Deutschland stammten beispielsweise die Relativitätstheorie, Plancks Erkenntnisse über die Quantenphysik, Robert Kochs Untersuchungen über Krankheitserreger und die Entdeckung der Röntgenstrahlen.
Drittens war die deutsche Volksschule auch im internationalen Vergleich außerordentlich weit entwickelt – 90 % der Kinder besuchten sie. 1880 war die Schulpflicht eingeführt worden, aber die Schüler sollen nicht „zu viel“ lernen: sie sollten treue Untertanen sein, mit den politisch – gesellschaftlichen Verhältnissen und ihrer eigenen Situation zufrieden. Kritik sollte gar nicht erst aufkommen. Die zukünftige Elite besuchte spezielle, höhere Schulen.
Viertens ist die rasante Entwicklung in Verkehr, Kommunikation und Kultur zu nennen. Zur Eisenbahn kam bald die Straßenbahn hinzu, in den 1890er Jahren wurden Auto und Fahrrad eingeführt. Das Telefon verbreitete sich zwar langsam, aber unaufhaltsam. Die Telegrafie sorgte dafür, dass man Signale drahtlos über weite Entfernungen übertragen konnte. Zudem wurde die Fotographie verbessert, der Film, das Kino, die Schallplatte und das Grammophon eingeführt. Kultur und Unterhaltung wurden nun auch für die unteren Schichten zugänglich. Kabaretts, Varietés, Konzertsäle, Schauspielhäuser und Opern öffneten. Warenhäuser schossen wie Pilze aus dem Boden.
Besonders in der Stadt war also eine rasante Entwicklung auszumachen. Auf dem Land begann während dessen in sehr kleinen Schritten die Technisierung.


IMPERIALISMUS, BALKANKRISE, WETTRÜSTEN
Deutsche Politik im späten Kaiserreich


Grundvoraussetzung für die politische Lage um 1900 war eine neue Erkenntnis der deutschen Außenpolitik um 1890. Die Regierenden, besonders der sehr am Militär interessierte Kaiser Wilhelm II., bekamen Angst, beim damaligen internationalen Wettrennen um die Kolonien zu kurz zu kommen, wenn nicht sofort gehandelt würde. Diese Einsicht prägte die ganzen folgenden Jahrzehnte: Dass Deutschland eine wichtige Macht in Europa war, war schon allein aufgrund seiner schieren geographischen und wirtschaftlichen Größe gegeben. Doch es musste auch eine Weltmacht werden, um neben den Nachbarn England, Frankreich etc. zu bestehen. Deshalb wurden in dieser Zeit Kolonien in Afrika und Asien erobert. Zeitgleich wurde eine große Flotte errichtet, die sowohl der Sicherung des Kolonialreiches als auch als Zeichen der Stärke dienen sollte. Die Bevölkerung war bei alldem mit Begeisterung dabei. Es schossen Vereine wie der „Deutsche Flottenverein“ aus dem Boden und die Gesellschaft glich sich immer mehr an das Militär an.
Um 1900 waren erste Kolonien erobert, doch man bemerkte, dass es bereits zu spät gewesen war: Die anderen Kolonialmächte waren bei weitem mächtiger und bedeutsamer als Deutschland mit seinen wenigen Kolonien. Deshalb versuchte man stetig, an neue Kolonien zu kommen und sich außenpolitisch wichtig zu machen. Man griff ungefragt bei internationalen Konflikten ein, stritt sich mit den anderen Mächten – allgemein führte man eine sehr aggressive Außenpolitik und spielte die eigene Macht hoch. Die anderen Länder beobachteten das mit Misstrauen, und nicht umsonst wird das Deutsche Kaiserreich heute von Historikern als „Nervöse Großmacht“ bezeichnet. Doch es war nicht nur heiße Luft, was das Deutsche Reich als Außenpolitik betrieb. Die immer größere Flotte wurde zu einer Anfechtung der Vorherrschaft Großbritanniens, das sich damals als alleinige Seemacht sah. Hinzu kam, dass Deutschland Kompromisse und Verhandlungen von vorne herein ablehnte. Es kam zum Wettrüsten, mit dem Ziel aller Beteiligten, die stärkste Macht der Welt zu sein.
Während dessen bildeten sich auch langsam die Fronten für den ersten Weltkrieg: Großbritannien vertrug sich mit den USA (1901) und Japan (1902) und schloss Bündnisse mit Frankreich (1904) und Russland (1907). So entstand die Triple Entente. Deutschland, aufgrund seiner Aggressivität von all diesen Verbindungen ausgeschlossen, suchte nach Partnern und fand schließlich nur Österreich-Ungarn und später Italien. Trotzdem mischte es sich immer weiter ein, in dem Gefühl, den anderen weit überlegen zu sein: Ein Beispiel sind die beiden Marokko-Krisen 1905 und 1911, bei denen Deutschland Kolonien in Nordafrika forderte und sich von Gegnern umzingelt sah. Nach der zweiten Marokko-Krise beschloss man, auch die Armee aufzurüsten, um sich bei Bedarf gegen diese Gegner wehren zu können. Nur weitsichtige Menschen sahen eine Katastrophe auf Europa zukommen, Wilhelm II. und seine Regierung rasselten weiter mit den Säbeln.
Innenpolitisch ist für diese Zeit charakteristisch, dass der Kaiser Wilhelm II. eine sehr große Macht übernahm und die Politik quasi alleine bestimmte. Der Reichskanzler, der unter dem Vorgänger Wilhelm I. noch für eine gemäßigte Politik gesorgt hatte, wurde zum Spielball des Herrschers. Trotzdem erfreute sich Kaiser Wilhelm einer großen Beliebtheit.



Um die wichtigsten politischen Umstände für die Zeit der Berliner Bohème zusammenzufassen:
1.) Deutschland wurde wirtschaftlich und technisch immer stärker und stärker und war bald vielerorts auf den oberen Plätzen der Weltrangliste angelangt.
2.) Deutschland war, was die Kolonien anging, hinter den anderen Mächten zurückgeblieben und konnte dieses Defizit nie ganz aufholen.
3.) Deutschland versuchte dies auszugleichen, indem es versuchte, weltweit die stärkste Flotte zu bekommen.
4.) Deutschland mischte sich sehr aggressiv in fast jede internationale Angelegenheit ein und „rasselte mit den Säbeln“.
5.) Die Gesellschaft war fanatisch mit dabei, sah sich als allen anderen Völkern überlegen und unterstützte die aggressiven Großmachtspläne vorbehaltslos.
6.) Durch all dies war es bald von Bündnissen mit anderen Ländern so gut wie ausgeschlossen und quasi isoliert.

Ich hoffe, dir bei der Vorbereitung deiner Hausarbeit geholfen zu haben.
Der Maxdorfer

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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Berliner Bohème - Tiberius - 24.09.2012, 15:20
RE: Berliner Bohème - Maxdorfer - 24.09.2012, 20:28
RE: Berliner Bohème - Tiberius - 24.09.2012, 22:23
RE: Berliner Bohème - Suebe - 25.09.2012, 20:12
RE: Berliner Bohème - Tiberius - 03.10.2012, 12:29
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RE: Berliner Bohème - Tiberius - 04.10.2012, 11:54

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