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Henri Rochette
17.10.2012, 19:03
Beitrag: #2
RE: Henri Rochette
Über Henri Rochettes Herkunft, Kindheit und Jugend ist nicht viel (um nicht zu sagen nichts) bekannt. Er wurde ungefähr 1879 geboren. Zuerst war er Kellnerlehrling in einem Salon in Melun (einer Kleinstadt, die 50 Kilometer von Paris entfernt liegt). Als nächstes verkaufte er an einem Bahnhof kleine Produkte für die geschäftigen Reisenden. Zwischendurch arbeitete er bei einem Friseur. Welche Stationen er genau durchlief und in welcher Reihenfolge, ist ebenso unklar.
Doch dann zog es ihn in die Hauptstadt der Republik, wo er zuerst eine Handelsschule besuchte. Nach deren Abschluss schloss er sich dem Finanzschwindler Berger an. Aber dieser war trotz seines Könnens schlussendlich erfolglos und musste Bankrott gehen. Da nutze Rochette die Chance und kaufte das Unternehmen für lächerliche 5000 Franken. Um diese Summe bezahlen zu können, hatte er eine Stenotypistin geheiratet, die eine ausreichende Mitgift in die Ehe brachte.
In früheren Jahren hatte er eine Erbschaft (Geld und etwas Immobilienbesitz) Finanzleuten übertragen, die ihm versprochen hatten, es zu mehren. Doch es waren allesamt Betrüger gewesen, und das Geld war im Nu verflogen gewesen. Für ihn eine Katastrophe, denn seine gesamten Ersparnisse hatten sich in Luft aufgelöst. Doch eines hatte er aus dieser Pleite gelernt: Wenn man es richtig anstellt, kann man es mit etwas Sinn für gute Geschäfte schnell zum Erfolg bringen. Bei Berger hatte er das nötige Know-How erworben. Also begann er damit, Firmen zu „gründen“, die in Wirklichkeit nur heiße Luft waren:
Im Laufe der Jahre entstanden auf diese Weise 13 Aktiengesellschaften: Die erste war 1900 die „Heila-Glühstrumpffabrik“. Weitere folgten. Er stieg scheinbar in die verschiedensten Branchen ein und machte dabei immer mehr Umsatz: Beim Crèdit Minier waren es noch 500.000 Franken, bei den Lavina-Kohlegruben derer schon zwei Millionen, die Banque Franco-Espagnole war schlussendlich zehn mal so viel wert. Dabei wandte er die geschicktesten Tricks an: So nannte er eine Aktiengesellschaft „Rio-Tenerido-Mine“. Der Name wurde an der Börse immer wieder mit der berühmten „Rio-Tinto-Mine“ verwechselt, sodass auch dieses Geschäft blühte.
Die Pläne wurden immer waghalsiger, zumal aus jeder Unternehmung ein voller Erfolg wurde: Aus dem Nichts hatte er auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn 60.000.000 Franken in Umlauf gebracht, die sich solcher Beliebtheit erfreuten, dass sie schon bald mehr als drei Mal so viel – 200 Millionen Franken (!) wert waren. Sein größter Erfolg war jedoch eine Zeitung, deren Fokus auf dem Finanzwesen lag. Diese hatte eine richtige Redaktion und Angestellte, doch manipulierten diese die Texte so, dass alles zu einer einzigen Werbekampagne für Henri Rochette und seine Firmen wurde. Sie wurde in allen Provinzen Frankreichs mit Begeisterung gelesen, und brachte tausende Kleinbürger um ihr sauer erspartes. Fünf weitere Zeitungen waren ebenfalls von ihm beherrscht. Zudem konnte er mit seinen „Kontakten“ zu den höchsten politischen Persönlichkeiten des Landes prahlen.
Seine Sparbriefe erregten größtes Interesse bei der Unter- und Mittelschicht. Das Geld, das eingefordert wurde, stammte aus anderen Projekten. Die französische Bankenaufsicht viel ebenfalls voll auf seine gefälschten Bilanzen hinein. Seine Geschäfte konnten ungestört Filialen in 40 französischen Städten errichten. Doch es waren nicht nur Kleinbürger, Handwerker und Bauern, die so in den Ruin getrieben wurden: Auch hochgestellte Persönlichkeiten waren dabei – das war es ja, was den Umfang und die Bedeutung dieses Skandals ausmachte. Insgesamt investierten 40.000 Personen in die Projekte, denn bei einem solchen Reichtum an „florierenden Geschäften“ konnte da ja gar nichts falsch gemacht werden.
Angeblich soll er aber in Privatsachen ganz anders gewesen sein: Er führte eine vorbildliche Ehe mit seiner Frau, kaufte ihr eine Villa bei Biarritz und baute seinem Vater einen Alterswohnsitz. Er trank und rauchte nicht und ging selten in die Öffentlichkeit. Doch trotzdem beherrschte er sie wie kein anderer.
Rochettes letzte Schwindelgesellschaft war eine Fabrik, in der laut den offiziellen Angaben viele tausend Arbeiter sein sollten. Tatsächlich waren da nur ein paar Dutzend Heizer, die den Kessel immer neu befüllten und so die Schornsteine am Rauchen hielten. Die nichtsahnenden Aktionäre waren sich sicher, dass ihre Geschäfte blühten. Es gab nur einen Menschen, der nicht aufhörte ihn zu bekämpfen, den Unternehmer und Flugzeugfabrikanten Deperdussin, der ebenfalls ein Finanzgenie war. Als nächstes plante Rochette laut eigenen Aussagen, das Pariser Nahverkehrsnetz völlig umzukrempeln und es dem New Yorker U-Bahn-System anzugleichen. Diese Aufgabe hätte ihm sicher eine Milliarde (!) Franken verschafft. Zur Erinnerung: Er war gerade 29 Jahre alt!

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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Henri Rochette - Maxdorfer - 17.10.2012, 19:02
RE: Henri Rochette - Maxdorfer - 17.10.2012 19:03
RE: Henri Rochette - Maxdorfer - 18.10.2012, 20:23
RE: Henri Rochette - Maxdorfer - 18.10.2012, 20:25

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