Gesellschaftskritische Sachbücher
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18.10.2012, 21:22
Beitrag: #1
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Gesellschaftskritische Sachbücher
So, ich habe mich dazu entschieden, dann doch eher einen breiten Thread anzulegen anstatt nur das entsprechende Buch zu besprechen.
Bevor ich im nächsten Beitrag dazu übergehe, das Buch zu besprechen, um das es hier geht, möchte ich gewissermaßen ein Vorwort schreiben. Manchmal macht man eine Beobachtung und wundert sich darüber, kann diese Beobachtung aber nicht erklären. So geht es mir seit Jahren in Schottland. Dort liegen in einem kleinen Fischerdorf an der Nordostküste vier kleine Ferienhäuser auf einem Grundstück, jeweils ausgerüstet mit sechs Betten. Die Schotten haben im Gegensatz zu uns immer zur gleichen Zeit Ferien, und unser kleiner Ferienort ist so idyllisch gelegen, daß man immer wieder gerne hin kommt. Dort gibt es eine Reihe Kinder, die so gewissermaßen miteinander groß geworden ist. Graham, der kleinste, war vor fünf Jahren noch ein Baby. Alistair, der älteste, steckt mittlerweile mitten in der Pubertät. Und Jahr für Jahr konnten wir Eltern das gleiche beobachten: Die Kinder spielten. Vom kleinsten (ja, auch Graham spielt seit zwei Jahren mit) bis zum Ältesten spielten sie miteinander. Fußball, Fangen, Verstecken. Das einzige Spielzeug- ein Ball. Kein Nintendo, kein I-Pod. Den haben die meisten zwar dabei, und bei schlechtem Wetter kommt er auch mal zum Einsatz, aber nur, wenn es wirklich heftig regnet. Ansonsten sind sie draußen und spielen. Alle miteinander. Abend für Abend. Jahr für Jahr. Dieses Jahr dachte ich ja wirklich, der größte würde nicht mehr mitspielen. 15 ist er jetzt- und wenn ich an die 15 jährigen hier vor Ort denke, dann konnte ich mir nicht vorstellen, daß er noch mitspielen würde. Daneben gedacht. Er spielte noch immer mit, Fangen, Verstecken und Fußball. Es fiel mir auf, aber ich konnte es mir irgendwie nicht erklären. Es sah so anders aus, wie diese Kinder im Alter von 5 -15 miteinander spielten, so anders wie das, was man hier so sieht. Und dann fiel mir das Buch in die Hand, das ich im nächsten Beitrag besprechen will. Und dann wußte ich, was anders war. Dort oben, in dem kleinen Fischerdorf in Schottland, wollte keines der Kinder "cool" sein. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.10.2012, 22:33
Beitrag: #2
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Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit (I)
Der Untertitel des Buches lautet "Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun" können. Erschienen ist es im August 2011, aber anscheinend war ich die erste, die sich das Buch in unserer Stadtbücherei ausgeliehen hat. Mein Stempel ist jedenfalls der erste. Ich werde es wohl auch nicht schaffen, es in einem Zug vorzustellen, weil es ziemlich komplex ist und nicht ein Thema nach dem anderen aufgreift, sondern von immer anderen Blickwinkeln auf die immer wieder gleichen Mechanismen stößt.
Im ersten Abschnitt beschäftigt sich Susanne Gaschke mit dem Bild, das Marketingstrategen von der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen entwerfen. Ich habe es im "Muttersprachen- Thread schon einmal angesprochen", daß die Bezeichnung "Kids" aus der Werbung stammt und ein ganz anderes Bild vermitteln soll als "Kind." Während Kinder noch als schützenswert, nicht allwissend, impulsiv und nicht alles überschauend wahrgenommen werden, gelten "Kids" als Cool, souverän und kompetent. Die Werbung unterstellt ihnen fortwährend Kompetenz. Kids kennen ihre Marken, Kids wissen was sie wollen, Kids wissen was gut für sie ist- und vor allem, sie sind wesentlich kompetenter als ihre Eltern, was die Nutzung von Medien angeht. Ganz gezielt verbreiten die Marketingstrategen das Bild von Kindern, die den vollen Durchblick haben und ihre eigenen Kaufentscheidungen treffen können. Gleichzeitig werden jedoch Eltern, Lehrer oder andere Autoritätspersonen wie Polizisten als Spaßverderber, spießig und irgendwie von gestern dargestellt. Gaschke weist nach, daß Werbung für Kinder darauf abzielt, die Autorität von Eltern und Lehrern permanent zu untergraben, um für die Kinder Konsumfreiheit zu erzeugen. So, und jetzt stelle ich fest, daß ich so müde bin, daß ich keinen sinnvollen Satz mehr schreiben kann, von daher vertage ich mich auf morgen. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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21.10.2012, 13:42
Beitrag: #3
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(18.10.2012 21:22)Bunbury schrieb: Und dann wußte ich, was anders war. Dort oben, in dem kleinen Fischerdorf in Schottland, wollte keines der Kinder "cool" sein. Das kann aber nicht alles sein. Wir waren dieses Jahr mal wieder auf dem Harmannschlag bei Waging am See in Urlaub. Auch dort dasselbe Bild: In unserer ersten Woche waren da 10 Kinder, zwischen 2 und 12 Jahren. Ein Junge, der Rest Mädchen. Und alle spielten alles miteinander. Toben in der Spielscheune, hüpfen auf dem Trampolin, diverse Fahrzeuge ausprobieren, Rennen um den Hof herum... Gut, dachte ich mir, sind halt fast alles Mädels. Aber in unserer zweiten Woche, nachdem außer uns alle Gäste gewechselt hatten, wieder dasselbe: Diesmal war die Jüngste 3 Jahre alt, der Älteste 15. Drei Jungs insgesamt, dazu sieben Mädchen. Und alle spielten miteinander! An der Coolness kann´s nicht gelegen haben, der 15jährige war ziemlich cool (zumindest benahm er sich so). Bis er mit den Jüngeren zusammenkam, es ihm alleine langweilig wurde und er nach Beschäftigung suchte. Er fand sie in der "Betreuung" der Jüngeren. Er hat auf sie aufgepasst, mögliche Unfallszenarien vorhergesehen und verhindert, er hat mit ihnen getobt und Quark gemacht. Zwischendurch mal mit Bruder und/oder Vater Tischtennis gespielt und auf dem Zimmer verschwunden (Fernseher und E-Spielzeug), aber dann kam er wieder und machte weiter. Ich tippe eher auf Langeweile und auf das Neue als Faktor, warum auch ältere Kinder und sogar Jugendliche mit Jüngeren spielen. Ein oder zwei Wochen lang geht das. Ob´s auch länger geklappt hätte, wage ich hingegen zu bezweifeln... VG Christian |
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21.10.2012, 14:00
Beitrag: #4
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
Bei uns klappt es immer drei Wochen, und das jedes Jahr. Und irgendwie freuen sie sich immer darauf.
Wir haben uns ja lange unterhalten, der Vater des Ältesten der Bande. Und der sagte mir dann auch, er hätte immer das Gefühl, daß sein Jüngster (der älteste der truppe ist der jüngste der Familie) die Zeit immer genießt, um sich vom Gruppenzwang der gleichaltrigen zu erholen... Aber Tatsache ist der Zwang, sich in immer früheren Jahren immer erwachsener verhalten zu müssen, eines der Probleme, die in dem Buch beschrieben werden. (Sorry, Leute, ich wollte es ja schon längt weiter besprochen haben. Aber mir macht der neue PC zu schaffen....) Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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21.10.2012, 14:09
Beitrag: #5
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
Ich bin bislang auch nicht so wirklich davon überzeugt, dass es an der "coolness" der Kinder liegt.
Ich bin so aufgewachsen, wie du es beschreibst. In einer neuen Hochhaussiedlung an einer kaum befahrenen Straße und ständig war ein Rudel Kinder zwischen 1 und 17 Jahren 'uf dr Gass'. Es war völlig normal, dass wir ständig draußen und zusammen waren. Aber, es war auch immer jemand da, mit dem man spielen konnte. Heute ist das nicht mehr überall der Fall. Wir wohnen beispielsweise am Stadtrand, aber der Verkehr ist schon groß genug. Kleinere Kinder kann man nicht unbeaufsichtigt nach draußen lassen und größere Kinder sind häufig von ihren schulischen und außerschulischen Aktivitäten derart eingespannt, dass sie wenig Zeit zum Spiel mit anderen finden. Ich denke, es sind mehrere Faktoren, die hier wirken: - Wohnsituation: auf den kleineren Dörfern kommen die Kinder schon recht früh im ganzen Flecken rum, in den Städten geht das nicht. Da müssen sich die Kinder schon direkt miteinander verabreden, oder aber man muss als Erwachsener die Kinder auf den nächsten Spielplatz begleiten, wo man dann den Nachmittag äußerst sinnvoll zubringen kann..... - Straßenverkehr: Das Verkehrsaufkommen nimmt beständig zu. Selbst in Randlagen und reinen Anwohnerstraßen ist ein langsames und rücksichtsvolles Verhalten von Autofahrern nicht mehr gewährleistet. Hier muss immer jemand aufpassen. - schulische und außerschulische Aktivitäten: Der Trend geht immer mehr zur Ganztagesschule. Diese Kinder fallen für Nachmittagsveranstaltungen schon mal aus. Den Eltern wird dann auch immer in den Ohren gelegen, dass die Kinder mindestens eine außerschulische sportliche Betätigung sowie mindestens eine musische Förderung benötigen. Dann müssen ja noch die ganzen Therapien (Logo- Ergo- etc.) abgearbeitet werden und nicht zu vergessen, die Mathe-Nachhilfe. Soll heißen, die Kinder haben heutzutage einen Terminplan jenseits von Gut und Böse. Das liegt tatsächlich an der Gesellschaft. Denn da ist ein riesiger Markt, der gefüttert werden will. - Gefährdungspotential: Auch ein Effekt, der sich auf die veränderte Medienlandschaft zurückführen lässt. Die ständige Bedrohung durch Übergriffe Erwachsener gegenüber Kindern. Pädophile, Kindermörder und Entführer hat es schon immer gegeben und den meisten Eltern war diese Gefahr auch schon immer klar. Aber dadurch, dass kaum eine Woche vergeht, in der nicht mindestens ein Kind vermisst wird, oder unter entsetzlichen Umständen zu Tode kam und wir immer fast eins zu eins davon erfahren, wird uns Eltern diese Gefahr massivst ins Bewusstsein gerufen. Nirgends und in keinem Alter ist ein Kind wirklich sicher. Viele lassen ihre Kinder daher nicht mehr unbeaufsichtigt draußen spielen. - verändertes Spielverhalten: Erst jetzt kommt mMn das veränderte Spielverhalten von Kindern und Jugendlichen als direkte Konsequenz aus den oben genannten Faktoren ins Spiel. Wenn man auf das eigene Zimmer oder die Wohnung beschränkt ist, keiner der Freunde heute für einen Zeit hat und unten auf der Straße auch niemand ist, mit dem man spielen könnte, dann ist natürlich ein Gameboy, eine Wii oder einfach die Glotze ein Segen. Dass das dann zum Selbstläufer wird, also der Gameboy reizvoller als eine Verabredung mit Freunden werden kann, versteht sich dann von selbst. Jetzt spielt natürlich auch die Coolness ein Rolle, bzw. der Geldbeutel der Eltern.... LG Uta nicht ärgern, nur wundern... |
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21.10.2012, 14:48
Beitrag: #6
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
Bei uns ist wenig Verkehr, wir dürften den ganzen Tag raus und mit vielen anderen Kindern spielen...
... wenn es viele andere Kinder gäbe. Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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21.10.2012, 21:25
Beitrag: #7
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(21.10.2012 14:48)Maxdorfer schrieb: Bei uns ist wenig Verkehr, wir dürften den ganzen Tag raus und mit vielen anderen Kindern spielen... Das ist natürlich sehr schade für euch. Das ist in meinem Wohnviertel allerdings ähnlich, das Viertel ist zwischen 1980 und 1990 entstanden, die Leute sind zwischen 50 und 70 Jahre alt. Meine Kinder fanden vor 20 Jahren immer andere zum spielen. Jetzt ist ein junges Ehepaar zugezogen, 2 Kinder 6 und 4 Jahre alt. Allein auf weiter Flur. Die Jüngsten sonst sind bereits im Kippenalter 15-17. Ich denke aber, das ist in 5 Jahren doch schon wieder anders. Mein Älteste ist Grundschullehrerin. Originalton: Projekttage und Wochen sind heute überhaupt kein Problem mehr. Eine Wiese am Waldrand genügt, da entdecken die so viel, was sie noch nie gesehen haben. Liegt aber vielleicht doch auch daran, dass die Eltern voller Angst sind, was alles passieren könnte, und die Kinder gleich gar nicht allein an den Waldrand gehen lassen? "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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21.10.2012, 22:01
Beitrag: #8
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(18.10.2012 21:22)Bunbury schrieb: Dort oben, in dem kleinen Fischerdorf in Schottland, wollte keines der Kinder "cool" sein.Ich glaube auch, dass das der stärksten Grund ist, warum alle Kinder miteinander spielen. Der Gruppenzwang und dadruch auch das Bedürfnis "cool" zu sein fällt weg und die Kinder können sich "lockerer" verhalten. "Auflehnung ist das heiligste aller Rechte und die notwendigste aller Pflichten."
Marquis de La Fayette
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21.10.2012, 22:06
Beitrag: #9
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(21.10.2012 14:09)Uta schrieb: Ich bin bislang auch nicht so wirklich davon überzeugt, dass es an der "coolness" der Kinder liegt.War denn damals das Bedürfnis "cool" zu sein schon so ausgeprägt wie heute ?? Mein Eindruck ist nämlich, dass der Gruppenzwang und damit das Bedürfnis "cool" zu sein immer stärker wird. Wird besonders deutlich bei den Fünftklässlern, denn der Anteil der "coolen" Fünftklässler wird immer größer. "Auflehnung ist das heiligste aller Rechte und die notwendigste aller Pflichten."
Marquis de La Fayette
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22.10.2012, 10:39
Beitrag: #10
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
Danke, Annatar für diese Ausführungen.
Ich habe das letztes Jahr hautnah miterlebt, als mein Ältester von der Grundschule- in der man noch Kind sein durfte- auf die weiterführende Schule wechselte, wo der Druck "cool" zu sein, plötzlich da war. Es mußten "coole" Klamotten sein, die Filme, die er bis dahin gesehen hatte waren "uncool", alles war pltözlich enorm uncool. Da wollte er in der Schule mithalten, aber nachmittags spielte er dann mit völlig neuer Begeisterung mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Playmobil oder Lego. Stundenlang. Was für mich bedeutet, daß das Bedürfnis, mit Lego oder Playmobil zu spielen, durchaus vorhanden ist. Aber bitte nicht mit Klassenkameraden. Das ist uncool. Schlimm, eigentlich. Vor allem- mit wem soll mein Jüngster dann speieln, wenn der auf die weiterführende Schule geht? (Ich hoffe, heute abend schaffe ich es mit der restlichen Besprechung....) Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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22.10.2012, 11:40
Beitrag: #11
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
Du wirst noch merken, dein Jüngerer macht sowieso alles viel früher und schneller als dein Älterer.
Das ist aber bei Geschwistern ganz natürlich. Hat eben alles Vor- und Nachteile der Jüngere oder Ältere zu sein. Der vernetzte Mensch von heute gerät in Gefahr,
die globalisierte Welt als eine Ansammlung von Zitaten zu erleben. Doug Mack |
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22.10.2012, 13:05
Beitrag: #12
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(22.10.2012 10:39)Bunbury schrieb: Danke, Annatar für diese Ausführungen. Die Pubertät beginnt heute mit ca. 9 Jahren und endet mit ca. 30! Das macht die ganze Angelegenheit für die Eltern absolut nicht leichter! Für die Kinder/Heranwachsenden aber halt auch nicht. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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22.10.2012, 21:24
Beitrag: #13
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(22.10.2012 13:05)Suebe schrieb: Die Pubertät beginnt heute mit ca. 9 Jahren und endet mit ca. 30!Jein. Die Pubertät kann mit neun Jahren beginnen, muss sie abe rnicht und tut dies auch in der mehrzahl der Fälle nicht. Außerdem endet sie mit 21 (bei Jungen und 16 (bei Mädchen). "Auflehnung ist das heiligste aller Rechte und die notwendigste aller Pflichten."
Marquis de La Fayette
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22.10.2012, 21:28
Beitrag: #14
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(22.10.2012 10:39)Bunbury schrieb: Danke, Annatar für diese Ausführungen.Bitte. Ich bon noch nahe genug an der "Quelle" und hab so meine Beobachtungen gemacht. (22.10.2012 10:39)Bunbury schrieb: Ich habe das letztes Jahr hautnah miterlebt, als mein Ältester von der Grundschule- in der man noch Kind sein durfte- auf die weiterführende Schule wechselte, wo der Druck "cool" zu sein, plötzlich da war. Es mußten "coole" Klamotten sein, die Filme, die er bis dahin gesehen hatte waren "uncool", alles war pltözlich enorm uncool. Da wollte er in der Schule mithalten, aber nachmittags spielte er dann mit völlig neuer Begeisterung mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Playmobil oder Lego. Stundenlang. Was für mich bedeutet, daß das Bedürfnis, mit Lego oder Playmobil zu spielen, durchaus vorhanden ist.Es ist schlimm. Den Kindern bleibt keine Möglichkeit mehr ihre Kindheit voll auszuleben. "Auflehnung ist das heiligste aller Rechte und die notwendigste aller Pflichten."
Marquis de La Fayette
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22.10.2012, 21:43
Beitrag: #15
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(22.10.2012 11:40)Viriathus schrieb: Du wirst noch merken, dein Jüngerer macht sowieso alles viel früher und schneller als dein Älterer.Glaub ich nicht. Mein kleiner Burder macht auch nicht alles früher als ich. "Auflehnung ist das heiligste aller Rechte und die notwendigste aller Pflichten."
Marquis de La Fayette
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22.10.2012, 22:25
Beitrag: #16
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RE: Gesellschaftskritische Sachbücher
(22.10.2012 21:28)Annatar schrieb: Es ist schlimm. Den Kindern bleibt keine Möglichkeit mehr ihre Kindheit voll auszuleben. Stimmt. Der Eindruck zwängt sich mir seit einem guten Jahr förmlich auf. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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22.10.2012, 23:12
Beitrag: #17
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Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit (II)
Nach ihren einleitenden Thesen wendet sich die Autorin nun der Entwicklung von Kindern zu. Sie beschreibt die einzelnen Entwicklungsschritte, die Kleinkinder bis in die Mitte der Pubertät durchlaufen, um die Fähigkeiten zu entwickeln die letztendlich jeder von einem jungen Erwachsenen erwartet, z.B. Konzentrationsvermögen und Arbeitsfähigkeit, die Fähigkeit, Bedürfnisse aufschieben und begonnene Aufgaben zu Ende zu führen. Sie führt aus, daß sich diese Entwicklung eben nicht elektronisch beschleunigen läßt, so wie das Leben der Erwachsenen inzwischen beschleunigt ist.
Detailliert und anhand zahlreicher Beispiele legt Gaschke dar, mit welchen Strategien die Werbewirtschaft gezielt in die Entwicklung der Kinder eingreift, um sie zu Konsumenten zu machen und eben auch die Entwicklung der Kinder behindert, z.T. auch verhindert. Denn- so ihre Hauptthese- die Industrie will eben keine kritischen jungen, Erwachsenen, sondern sie möchte das ständig auf die sofortige Befriedigung der Bedürfnisse ausgerichtete Kleinkind erhalten. Und so legt sie recht überzeugend dar, warum Aufmerksamkeitsdefizite ebenso zunehmen wie die mangelnde Bereitschaft, sich durch etwas durchzubeißen und eine begonnene Arbeit auch zu Ende zu führen und warum viele jugne Erwachsene nicht im Stande sind, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse aufzuschieben. Ebenso detailliert beschäftigt sie sich mit dem heutigen Spielzeug, das ihrer Meinung vor allem dazu beiträgt, das freie, kreative Spiel der Kinder zu unterbinden und ihnen z.B. in Form von Harry- Potter oder Star-Wars Themenwelten die Drehbücher zu den Spielfiguren schon vorgibt. Höchst kritisch beschäftigt sie sich mit dem vierlorts verbreiteten elektronischen Spielzeug und kommt am Ende zu der Frage, ob es wirklich wünschenswert ist, daß Kinder mit Spielzeug ausgestattet sind, daß sie dazu erzieht, die Befehle von Maschinen zu befolgen. Bestenfalls lernen die Kinder, passiv zu sein, gesagt zu bekommen, was sie zu tun haben, aber Eigeninitiative bleibt dabei auf der Strecke. Im nächsten Abschnitt wendet sie sich der Bedeutung der Medien zu. Anstatt zum wiederholten Male die Frage aufzugreifen, ob Fernsehen und Computerspiele für die Entwicklung schädlich sind, kehrt sie die Frage auf höchst originelle Art und Weise um, in dem sie sagt, daß es bisher niemand geschafft hat zu beweisen, daß Fernsehen der Entwicklung von Kindern förderlich wäre. Wieder sehr detailliert beschäftigt sie sich mit den einzelnen Medien und ihren Strategien und zeigt auf, mit welchen Mitteln Medien dazu beitragen, Kinder an bestimmte Produkte oder Produktserien zu binden. Sie räumt mit der Vorstellung der "medienkompetenten Kids" gründlich auf, in dem sie aufzeigt, daß die meisten Kinder eben keine Ahnung davon haben, wie die Medien funktionieren, sondern daß sie sie lediglich bedienen können. Kritisch setzt sie sich mit den Botschaften der Medienunternehmen, nach denen der Schulunterricht reformbedürftig sei (wird regelrecht z.B. durch Microsoft in Statements veröffentlicht) auseinenander. Aussagen wie diese schüren insbesondere bei der vom Anstieg bedrohten Mittelschicht die ständige Angst, die Bildung sei nicht gut genug, was sich in einer förmlichen Explosion der Förder- und Bildungsangebote wiederspiegelt. Weitere Aussagen der Art, moderner Unterricht mache Spaß und sei weniger qualvoll, weckt die Illusion, Wissen lasse sich ohne Anstrengung erwerben. Natürlich fehlt auch der Blick auf das Elternhaus nicht. ja, natürlich, es sind die Eltern, die in letzter Konsequenz die Verantwortung für das Kaufverhalten ihrer Kinder haben. Aber Gaschke vertritt die Auffassung, daß Eltern gerade damit heutzutage überfordert sind. Sie beschreibt den beruflichen Alltag vieler Eltern heute als extrem beschleunigt und gehetzt. Am Arbeitsplatz werden schnelle Entscheidungen verlangt, die einen Erwachsenen auf ein Aktionslevel heben, von dem sie nach Ende der Arbeit nicht so schnell wieder herunterkommen. Kinder jedoch verlangen nach Langsamkeit und Geduld, weil ihre Entwicklung eben nicht so temporeich verläuft, und viele Eltern sind mit dem Spagat zwischen diesen beiden Extremen schlicht weg überfordert. Auf die stereotype Aussage, Eltern seien alleine verantwortlich für das Kaufverhalten ihrer Kinder, stellt sie die Gegenfrage, wie oft Eltern am Tag dem Kind, das sie lieben, eigentlich "nein" sagen sollen. (eine gute Frage, wie ich finde. denn irgendwann, nach dem 15 Nein, sagt man einfach ja, damit man kein Neinsager ist.) Im letzten Teil des Buches zeigt die Autorin Wege auf, wie Eltern Konsumfallen umgehen können. Viele dieser Tipps sind gut und einfach umzusetzen, aber sie zeigen letztendlich auch, daß es eine gesellschaftspoltische Aufgabe ist, die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Kinder die Möglichkeit haben, sich so zu entwicklen, daß sie am Ende zu verantwortungsvollen Persönlichkeiten heranwachsen können. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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22.10.2012, 23:41
Beitrag: #18
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Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit (III)
Kurzzusammenfassung der Thesen:
1. Die Werbewirtschaft und Industrieunternehmen haben Kinder und Jugendliche vor allem als "Zielgruppe" definiert, die es zum Konsumenten machen will. 2. Dazu werden die Kinder dem Zwang ausgesetzt, "cool" zu sein, was bedeutet, die richtigen Dinge zu besitzen. 3. In Werbespots oder auf Kindern ausgerichtete Fernsehserien werden Erwachsene, Lehrer und andere Autoritätspersonen immer lächerlich gemacht und ihre Autorität untergraben. 4. Gewisse Eigenschaften, die Kinder als junge Erwachsene aufbringen müssen, werden durch die Konsum- Strategien der Werbewirtschaft behindert, so z.B. die Konzentrationsfähigkeit oder die Fähigkeit, die Bedürfnisbefriedigung aufschieben zu können. 5. Die Kinder werden durch die Art des heutigen Spielzeugs zur Passivität erzogen. 6. Das heutige Spielzeug bedient zunehmend Geschlechterrollen und bietet immer weniger geschlechtsneutrales Spielzeug. 7. Forderungen nach der "Modernisierung" des Bildungswesens rufen den Förderungswahn der Mittelschicht hervor, das Kind wird zum "Produkt", das es zu optimieren gilt. Letztendlich kann ich jedem, der sich mit der Entwicklung von Kindern beschäftigt, nur nahelegen, sich mit diesem Buch auseinanderzusetzen, auch wenn es einige Schwächen in der Struktur aufweist. Viele Beobachtungen, die ich im Laufe der letzten Jahre mit Kindern und in deren Umfeld gemacht haben, finden durch dieses Buch eine Erklärung, und viele Zusammenhänge sind überzeugend. Ich habe mir die Mühe gemacht und mir die eine oder andere für Eltern eher unerträgliche Kinderserie angesehen- und festgestellt, daß es in der Tat so ist, daß sie den Kindern erzählen, ihre Eltern und Lehrer wären Idioten und nicht ernst zu nehmen. Ich habe mir Werbespots für Kinder angesehen und festgestellt, daß sie wirklich in so kurze Sequenzen geteilt sind, daß man sich fragt, wie irgendjemand auf den Gedanken kommen kann, daß dies Kinder in ihrer Konzentrationsfähigkeit eben nicht stört. Mir persönlich gefällt es ja generell, wenn der bilinguale Kindergarten dadurch in Frage gestellt wird, daß man fragt, ob Kinder wirklich schon mit sechs Jahren fließend Englisch sprechen müssen oder ob das Ende der weiterführenden Schule dafür nicht ausreichend ist. Kurz gesagt, ein Buch, daß in letzter Konsequenz alle Mißstände anspricht, die wir ja hier auch schon festgestellt haben, und zum Teil auch neue Erklärungen dafür anbietet. Daß sie sich letztendlich vor allem auf die Seite der überforderten Eltern stellt, mögen viele Eltern als sehr wohltuend empfinden, und es ist auch nicht so, daß sie die Eltern von jeder Veranwortung frei spricht. Größtes Manko des Buches ist aber meines Erachtens, daß sie die Eltern als Konsumenten größtenteils außen vorläßt, aber dies hätte den Rahmen des Buches wohl gesprengt. Es ist keine umfassende Erklärung, aber es ist ein Erklärungsansatz, der weiter zu verfolgen wäre. "Die Eltern sind an allem schuld" hat uns bisher nicht wirklich weiter gebracht... Und @Suebe: Da drin steht auch eine nette These, warum ausgrechnet männliche Hauptschüler die größten Schwierigkeiten haben... (und es liegt nicht allein am Schulsystem) Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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