Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
das "Aussterben" von Hochadelsfamilien
23.07.2020, 18:25
Beitrag: #20
RE: das "Aussterben" von Hochadelsfamilien
Chroniken halte ich nicht gerade für besonders zuverlässig. Zum Beispiel ist auffallend, wenn mehrere Chroniken miteinander verglichen werden, dass es da offensichtlich gewisse Erzählcodes gibt. Wichtig war auch, unterhaltsam zu erzählen, was natürlich die Zuverlässigkeit beeinträchtigt. Die aktuelle Forschung tendiert zwar eher dazu, Chronisten ihre Fehler schön zu reden (war falsch informiert, woher er hätte er das genauer wissen können, konnte die Zusammenhänge doch nicht durchschauen, brachte halt etwas durcheinander, wusste davon nur vom Hörensagen etc.), aber ich bin inzwischen auf einige Fälle gestoßen, wo die beabsichtigte Verfälschung doch die glaubwürdigste und sinnvollste Erklärung für die Beweggründe des Chronisten sein dürfte. Und wenn selbst Urkunden Inszenierungen dienen können, die immerhin als recht zuverlässig gelten, sind Chroniken doch wesentlich problematischer. Am zuverlässlichsten sind noch die Rechnungsbücher, da lag Josephine Tey ("Die Tochter der Zeit") bereits in 1950er-Jahren richtig.

Bei Kaiser / König Sigismund vor allem verdächtig für mich, dass Königin Barbara zwar einiges nachgesagt wird, aber Konsequenzen mit nachhaltiger Wirkung sind nicht überliefert oder gar belegt. Bei dem "Sigismund-Fan" Eberhard Windecke kommt zwar eine vorübergehende Bestrafung von Barbara vor, sie wird nach Sopron verbannt, wo sie unter elenden Umständen einige Zeit dahinvegetiert (sogar schmutzige Kleider muss sie tragen), dann aber wird sie nach einem Kniefall ihrer Tochter von Sigismund wieder in Gnaden aufgenommen. Allerdings hat diese Bestrafung einige Details, bei denen mir mein gesunder Menschenverstand sagt, dass es so nicht gewesen sein wird.

Liest man dagegen keine Chroniken, sondern Berichte und Briefe, die so nebenbei etwas über den Alltag an einem Hof vermitteln, entsteht ein etwas anderer Eindruck. Wird außerdem berücksichtigt, wie viele Räume eine Herrscherresidenz hatte, wie viele Menschen für dort belegt sind etc., berücksichtigt man, die ganzen Hofämter, entsteht eher der Eindruck, dass es damals kaum so etwas wie Privatsphäre gab.

---------------------------
Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
RE: das "Aussterben" von Hochadelsfamilien - Teresa C. - 23.07.2020 18:25

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 3 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds