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das "Aussterben" von Hochadelsfamilien
24.07.2020, 01:05
Beitrag: #23
RE: das "Aussterben" von Hochadelsfamilien
(23.07.2020 19:57)Suebe schrieb:  
(19.07.2020 13:44)Teresa C. schrieb:  Ich frage mich, ob für die meisten dieser Adelsfamilien wirklich das Aussterben in "männlicher" Linie das Ende war. Das Beispiel der Pfalzgrafen von Tübingen zeigt auch, dass die Familie als sie endet, jedenfalls ihre Glanzzeiten längst hinter sich hatte.

Bei den Grafen von Zimmern war es anders, von eben erst erklommenen Höhen der Ausklang...

aus Wiki
Zitat: 1563 starb der Besitzer von Oberndorf, Graf Froben Christoph […]. Alle seine Besitzungen fielen an seinen einzigen Sohn Wilhelm, Grafen und Herrn zu Zimmern, Herrn zu Wildenstein und Meßkirch, der noch vor seines Vaters Absterben, mit dessen Bewilligung, am Donnerstag nach St. Ulrich (4. Juli) die Huldigung von Stadt und Herrschaft einnahm und alle ihre Briefe und Freiheiten bestätigte. […].

1580 den 18. Mai wurden dem Grafen Wilhelm, der den Titel eines österreichischen Hofmarschalls erhalten hatte, als weitere Verstrickung und Lokspeise alle seine österreichischen Mannlehen und Pfandschaften als freies Erbeigenthum überlassen, doch mit der Bedingung, daß er nichts davon veräußern, und alle im Falle des Erlöschens des Mannstamms der Grafen von Zimmern […] an Österreich heimfallen soll. […] Dem getäuschten Grafen hätten endlich die Augen aufgehen sollen, als Erzherzog Ferdinand 1591 seinem Sohn Markgraf Carl von Burgau die Anwartschaft auf alle von Graf Wilhelm von Zimmern inhabende östreichische Pfandschaften und Lehen ertheilte. […] Allein die Hände waren dem alternden Grafen durch den Vorgang v. J. 1580 gebunden!

1594 im September starb Graf Wilhelm, dieser letzte männliche Zweig der Freiherrn und Grafen von Zimmern, unter deren Herrschaft Oberndorf 134 Jahre gestanden war, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen.

Da hat es den Anschein, dass sich ein Erzherzog als Erbschleicher betätigte

Der Graf Wilhelm hatte 8 überlebende Tanten, auf die sich das restliche Erbe verteilte.

Sehen wir uns den Artikel einmal etwas näher an, der Link dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_von_Zimmern

Zunächst erfahren wir, dass abzusehen war, dass die Ehe kinderlos bleiben wird, weswegen Graf Wilhelm hohe Ämter am Hofe des Erzherzogs Ferdinand II. von Tirol auf Schloss Ambras bei Innsbruck erhält. ("auf Schloss Ambras bei Innsbruck" ist zwar eigentlich in diesem Kontext unnötig, aber damit ist immerhin klar, um welchen Habsburger es sich handelt). Eine direkte Referenz, wo diese Behauptung her hat, fehlt. Auffällig ist auch, dass nichts Konkretes über die Ehe hier steht, nicht einmal, wann sie eigentlich geschlossen wurde. Wie lange war er bereits verheiratet? Nicht einmal die Herkunft der Ehefrau wird genannt. Es wäre auch sicher interessant, zu wissen, ob das Paar tatsächlich keine Kinder hatte oder diese bereits als Säuglinge starben, die Ehefrau mehrere Fehl- oder Totgeburten hatte etc.

Dann wird wortwörtlich aus einer Chronik, also einem Geschichtsbuch aus dem 19. Jahrhundert, zitiert. Sekundärliteratur aus dem 19. Jahrhundert (1836), gut, aber der Begriff Chronik verweist eher auf eine Zeitquelle oder ein literarisches Werk, ist also nicht unproblematisch. Davon abgesehen geht es offensichtlich in dieser Chronik um Oberndorf? Andererseits aber scheint es doch, dass Graf Wilhelm nicht nur Besitz in Oberndorf hatte, wie seine Titel zeigen: Grafen und Herrn zu Zimmern, Herrn zu Wildenstein und Meßkirch. Dass seine österreichischen Mannlehen und Pfandschaften alle auf Oberndorf beschränkt waren, das würde doch bedeuten, dass dieser Besitz nicht allzu groß gewesen ist. Daneben entsteht der Eindruck, 1563 war Graf Wilhelm Besitzer von Oberdorf (freies Eigen), 1580 dagegen wurde alles erst freies Eigen.

Ich frage mich außerdem, wo hier eine Täuschung vorlag.
Graf Wilhelm führt den Titel eines österreichischen Hofmarschalls, das deutet daraufhin, dass er de facto oder de forma entweder Hofmarschall von Erzherzog Ferdinand (II.) war oder einem anderen Habsburgerhof zugehörig. Es geht also um landesfürstliche Beziehungen. Andererseits ist die Sekundärliteratur 19. Jahrhundert und zu dieser Zeit wurde gewöhnlich überhaupt nicht zwischen Kaiser, Reich und Landesfürst entschieden. Der Hofmarschall könnte sich also auf den Hof des Kaisers ebenfalls beziehen.

1580 erhält Graf Wilhelm ein offensichtlich verlockendes Angebot. Alle österreichischen Mannlehen und Pfandschaften werden ihm als freies Erbeigenthum überlassen, dies allerdings unter der Bedingung, dass er nichts davon veräußern darf und dass alle diese Besitzungen wieder an das Haus Österreich zurückfallen, wenn er keine männlichen Nachkommen hat.

Das bedeutet also, dass das Haus Österreich landesfürstliche Besitzungen, die ihm (und somit nicht dem Reich gehören) ihm als "freies Eigen" überlässt. Zurzeit verfügt er zwar bereits über diese Besitzungen, aber noch gehören sie offiziell dem Haus Österreich. Einen Teil hat er zu Lehen, wobei die Bezeichnung Mannslehen bedeutet, dass diese Lehen an seine Söhne vererbt werden dürfen. Die Pfandschaften bedeuten wiederum, dass ihm oder seinem Vorfahren das Haus Habsburg Besitzungen gegen Geld überlassen hat. (Entweder handelt es sich um Pfänder, mit deren Einkünften sich der Kredit ablöst oder um Sicherstellungen bis das Geld zurückgezahlt ist.)

Das bedeutet aber. Bisher gehören die Besitzungen (Mannslehen, Pfandschaften) dem Haus Österreich-Habsburg und sie sind nur vorübergehend in seinem Besitz. Mit der Umwandlung in freies Eigen ändert sich das, sie werden tatsächlicher Besitz von ihm und seiner Söhne und Enkel.

Ist es denn wirklich ein Betrug oder eine Erbschleicherei, wenn das Haus Österreich-Habsburg sich zumindest als Gegenleistung die Option einer Rückgabe über den Erbweg offenhält und eine Bedingung stellt, mit welcher verhindert werden soll, dass Teile dieses Geschenkes veräußert werden.

Immerhin, selbst wenn der Graf keine Sohn hat, so ist er nun auf Lebzeiten der Besitzer dieser früheren Mannslehen und Pfandschaften und bezieht daraus Einkünfte, kann sie wirtschaftlich nutzen (beziehungsweise ausbeuten) etc.

Eine Täuschung ist da für mich nicht erkennbar.
Dass beide Parteien nicht gewusst haben, worauf sie sich einlassen, kann ich mir nicht vorstellen. Wenn der Graf Ämter wie das Marschallsamt bekleidet, wird er sicher kein ungebildeter Hinterwäldler gewesen sein. Doch auch den Habsburgern muss klar gewesen sein, welches Risiko sie dabei eingingen.

Hätte der Graf Söhne und die wieder Söhne gehabt, wären die früheren österreichischen Mannslehen und Pfandschaften, nun mehr Besitz von ihm und seinen Söhnen, für die Habsburger vermutlich auf Dauer verloren gewesen. Abgesehen davon, hätten mehrere Söhne eine Teilung zur Folge gehabt und desto mehr Zeit vergeht, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die ursprünglichen Verträge letztlich doch noch wirksam werden können. (Nebenbei hätten auch die Habsburger aussterben können oder eine Änderung der politischen Verhältnisse hätte neue politische Möglichkeiten eröffnen können.)

Warum eigentlich musste Graf Wilhelm hilflos zusehen, dass Erzherzog Ferdinand 1591 seinem Sohn Markgraf Carl von Burgau die Anwartschaft auf alle früheren österreichische Pfandschaften und Lehen, die jetzt Graf Wilhelm von Zimmern als "freies Eigen" gehörten, sicherte. Das macht eigentlich nur Sinn, wenn Graf Wilhelm, der keine Söhne hatte, sie gerne jemand anderen vermachtet hätte. Aber warum wird diese Person nicht wenigstens genannt, wenn es sie tatsächlich gegeben hätte.

Offensichtlich betraf das Ganze wirklich nur jene Teile seines Erbes, die zuvor den Haus Habsburg-Österreich gehört hatten, da der Besitz, der nichts mit dem Kaiser und dessen Familie zu tun hatte, letztlich an Verwandte fiel.

Interessant ist übrigens, dass hier nur von Erzherzog Ferdinand und seinem Sohn die Rede. Dieser war keineswegs berechtigt, ohne die Zustimmung der übrigen Familienmitglieder dem Grafen von Zimmern Besitzungen des Hauses Österreich-Habsburg zu schenken, in dem er solche, die an den Grafen bereits verliehen und verpfändet waren, in "freies Eigen" für ihn umwandelte.

Und auch um seinem Sohn Karl diese Gebiete nach dem Rückfall an das Haus Habsburg-Österreich durch den Tod des Grafen zu sichern, erforderte die Zustimmung der übrigen Familienmitglieder und jedenfalls des Familienoberhauptes.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
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Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: das "Aussterben" von Hochadelsfamilien - Teresa C. - 24.07.2020 01:05

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