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das "Aussterben" von Hochadelsfamilien
29.07.2020, 13:23
Beitrag: #28
RE: das "Aussterben" von Hochadelsfamilien
Nun, bei Kauf einer Herrschaft oder Übernahme war es durchaus üblich, auch die Schulden zu übernehmen. (Recht gut erforscht und auch als Aufsätz publiziert ist zum Beispiel die Lage der Grafschaft Hohenberg.) Was die vierzig unehelichen Kinder betrifft, die Erzherzog Siegmund der Münzreiche anerkannt haben soll, frage ich mich inzwischen, ob das nicht nur eine Behauptung ist, die so gar nicht stimmt. Zwar ist immer davon die Rede, aber bisher habe ich keine Urkunden dazu entdeckt, und dass der Erzherzog genau vierzig anerkannt hat - diese Zahl klingt doch sehr verdächtigt. Hinzu kommt, dass er eindeutig noch weitere uneheliche Kinder hatte, die anders versorgt wurden. (Um die Vaterschaft bei unehelichen Kinder anzuerkennen, war außerdem eine Voraussetzung, dass die Mutter den Status einer Freien hatte.)

Verstehen wir uns nicht falsch, ich möchte gar nicht bestreiten, dass Erzherzog Siegmund ein sehr lebenslustiger Herr war (wie übrigens auch Kaiser Maximilian I.) und kein Kostverächter, und offensichtlich hatte er Anstand genug, auch die Verantwortung für die Folgen zu tragen, aber ich vermute inzwischen, dass einiges auch im Nachhinein aufgebauscht wurde.

Abgesehen davon dürfte er sein Eheleben, er war immerhin auch zweimal verheiratet, ernst genommen haben. Nicht aus der Zimmern-Chronik, aber aus den Dokumenten um seine Abdankung wird jedenfalls deutlich, dass Maxiimilian ihm ausdrücklich sämtliche Dokumente zu bestätigen hatte, in denen es um die Einkünfte seiner zweiten Ehefrau, ihr Wittum etc. ging. Offensichtlich war er sich seiner Verantwortung als Ehemann durchaus bewusst.

Interessant ist schließlich, dass ihn die Welt der Sage und Legende, die freilich seit dem EU-Regime als verpönt gilt, trotz seiner unehelichen Kinder und seinem Fremdgehen übrigens auch aufrichtige Liebe und Zuneigung für seine erste Ehefrau unterstellt. (Da gibt es dieses Bergschloss an einem Alpensee, heute ist es eine schöne, idyllische Ruine, welches er der Sage nach für sie erbauen ließ, weil sie sich in Innsbruck nicht wohl fühlte und außerdem unter Heimweh litt.)

Vielleicht ist in diesem Fall auch etwas anderes zu beachten. Fremdgehen war keineswegs im Mittelalter ein Kavaliersdelikt, auch wenn das später so gesehen wurde. Paradebeispiel ist Karl VII. von Frankreich. Eine neuere Arbeit macht deutlich, dass sehr vieles, was über seine Beziehung zu Agnes Sorel behauptet wird, gar nicht stimmt, sondern offensichtlich die Rollen späterer Maitressen, inklusive der Entscheidung von Ludwig XIV. die Maitresse zu einem Hofamt zu machen, von der Geschichtsforschung auch auf ihn übertragen wurden.
Selbst aber in der Barockzeit, als es dank Ludwig XIV. als schick galt, sich eine Maitresse offiziell zu halten, war das bei den Habsburgern nicht der Fall. Der einzige Habsburger (Kaiser Joseph I.), bei dem sich Tendenzen in diese Richtung nachweisen lassen, hat interessanterweise den Ruf, er wäre ganz nach der Familie seiner Mutter (Haus Pfalz-Wittelsbacher) geraten und somit eigentlich gar kein typischer Habsburger gewesen.

Die Habsburger wirken bis in 19. Jahrhunderter als "prüde" und brave Biedermänner. Von fast keinem ist eine richtige Liebschaft außerhalb der Ehe bekannt geworden oder wenn es Belege dafür gibt, dann sind diese eher vage, offensichtlich wurde Fremdgehen mit Diskretion behandelt und dürfte für den Hofklatsch nicht prickelnd genug gewesen sein.

Ein paar Fälle, die offensichtlich als schmutzige Negativpropaganda einzustufen sind, gibt es zwar, aber hier ist auffällig, dass die Stories einem Schema F folgen, es fehlt ihnen eine persönliche Note oder es gibt sogar eine Vorlage, was ihre Aussagekraft und historische Zuverlässigkeit extrem beeinträchtigt.

Eheskandale sind bis ins 19. Jahrhundert ebenfalls kaum überliefert.

Es ist daher auch sicher kein Zufall, dass bekannte "Habsburger-Maitressen" wie zum Beispiel eine Barbara Blomberg, eben nicht wegen ihrer Zeit im Bett mit einem Habsburger bekannt wurden, sondern wegen langfristiger Folgen. Über die Beziehung dieser Barbara sind bis heute nur bekannt, dass sie Fakt ist und der ungefähre Ort und zeitliche Rahmen (Reichstag in Regensburg). Weitere Details sind nicht belegt, Barbara wäre heute völlig vergessen, wenn ihr Sohn es nicht zu einer Berühmtheit gebracht und sie als Witwe sich nicht statt einer Versorgung im Kloster eine Existenz als Gutsherrin erkämpft hätte.

Auch bei Maximilian hat die Liebesgeschichte mit der Ehefrau Maria die Jahrhunderte überdauert und nicht etwa die Beziehung zu einer seiner Geliebten.

Vor diesem Hintergrund wirkt ein Siegmund der Münzreiche als eine Ausnahmeerscheinung. Dazu kommt noch, dass er nicht zu den "Stammvätern" jenes Familienzweiges gezählt wird, von dem die Habsburger bis heute abstammen und auch keine Leistung erbrachte, mit der er sich sozusagen einen besonderen Platz im Familienstammbaum sichern konnte. Außerdem wurde er de facto abgesetzt, auch wenn ihm später erlaubt wurde, sozusagen zu Gunsten seines Neffen abdanken zu dürfen. Es bestand also später weder bei den Habsburgern, noch bei in der Geschichtsforschung Interesse daran, ihn als seriöses Familienmitglied oder herausragende Figur wahrzunehmen.

(Bei meinen eigenen Recherchen habe ich den Eindruck, dass sehr vieles, was ihm angelastet wird, gar nicht seine Schuld war, sondern mit Umständen zusammenhängt, die allerdings bisher nur zu gerne übersehen wurden. Mit Blick auf die aktuelle politische Lage unter dem EU-Regime wird sich das sicher nicht so schnell ändern, vielleicht überhaupt nicht mehr, da die aktuelle Forschung aus der Zeit des Nationalsozialismus und Kommunismus offensichtlich gelernt hat, und jetzt mit Forschungsergebnissen für alle Ewigkeit und "Zuzementieren" arbeitet.)

Was die Zimmersche Chronik betrifft, so wäre sicher sehr interessant, sie unter dem Aspekt Propaganda und Klatsch auszuwerten.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: das "Aussterben" von Hochadelsfamilien - Teresa C. - 29.07.2020 13:23

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