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Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
19.11.2012, 11:09
Beitrag: #22
RE: Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
Kinder- und Jugendkaiser des römischen Reiches, Teil I.

Im dynastischen System der frühen Kaiserzeit (zirka 1. Jahrhundert nach Christus) kam es immer wieder vor, dass der Sohn oder ein jüngerer Verwandter eines regierenden Herrschers de facto unbestrittener Kronprinz war und vielleicht sogar offiziell zum Mitkaiser erkoren wurde. Der Grund ist klar: Im römischen Reich galt die eigene Familie viel, und besonders die Oberschicht führte ihre Wurzeln auf möglichst bekannte und geschätzte Helden, wohlmöglich sogar auf Götter zurück. Dementsprechend wollten die meisten Kaiser auch ihrer Familie die Macht erhalten und eine Herrscherdynastie gründen oder fortführen. Dazu war es ein grundlegender erster Schritt, die Nachfolge auf einen Familienangehörigen zu übertragen, wenn man schon keinen Sohn hatte. Offiziell gab es nämlich gar kein Erbkaisertum. Der Imperator musste sich in der Regel der Unterstützung der Armee, des Senates und des Volkes von Rom versichern, dann war er anerkannt. Deswegen war man gezwungen, schon zu Lebzeiten den Thron für seine Familie zu sichern. Das Optimale war natürlich immer ein direkter (männlicher) Nachkomme, doch wenn dies aus irgendeinem Grund nicht gegeben war, tat es auch eine Adoption eines relativ nahen Verwandten. Aber im Gegensatz zu späteren Zeiten waren die Verhältnisse noch ziemlich ruhig. Ein vom verstorbenen Kaiser Adoptierter wurde meistens ohne Probleme akzeptiert.
Ein Prinz lebte mit seinen Brüdern und Schwestern irgendwo in einem Palast. Seine Eltern sah er zwar täglich, doch bei weitem nicht häufig. Die Hauptfiguren in seinem Leben waren Bedienstete, beispielsweise griechische Sklaven oder Freigelassene. Als Kleinkind hatte er eine Amme (nutrix), später einen Erzieher (nutritor). Im weiteren Verlaufe der Jugendjahre kamen Lehrer hinzu, die für das nötige Grundwissen sorgten. Insgesamt waren die Prinzen aber im elterlichen Palast auf dem Palatin eher Nebensache. Sie galten als lästig, zeitraubend und störend, und nur wenn sie schon etwas älter und artig waren, durften sie beim abendlichen Bankett neben Mamas und Papas Liege hocken. Und überhaupt waren sie auch nicht besonders häufig. Es wurde zwar viel adoptiert, aber leibliche und auch noch legitime Kinder hatte ein Kaiser selten. Kinder von der Ehefrau gab es nicht zu oft, schließlich wollte man ja die Kaiserin nicht allzu sehr belasten. Illegitime Kinder wurden wiederum nicht anerkannt, schon allein, weil auch die Gesellschaft dies nie getan hätte. Deswegen lebten die dann irgendwo bei ihrer Mutter. Außerdem waren viele Kaiser schon in einem zu reifen Alter, um minderjährige Söhne zu haben, ihre Nachkommen hatten sich schon etwas abgenabelt und waren nicht mehr auf Eltern angewiesen.
Wenn junge Männer Kaiser wurden, waren es oft solche wie Caligula oder Nero: Ersterer kam an die Macht, weil es sonst keine männlichen Überlebenden der Dynastie gab, die in Frage kamen, letzterer, weil seine Mutter ihren zweiten Ehemann dazu überredete, ihn zu adoptieren, und er nach dessen Tod sich gegen seinen Halbbruder durchsetzen konnte. Hatten Kaiser leibliche Söhne, kamen sie oft durch unglückliche Umstände oder bei irgendwelchen Machtkämpfen ums Leben. Angehörige der kaiserlichen Familie, ob sie nun auf den Thron kamen oder nicht und auch wenn sie nicht direkt Söhne ihres Vorgängers waren, hatten aber allermeistens ein ausgeprägtes Machtbewusstsein, das dann in Richtung Herrschsucht gehen konnte. Von frühester Jugend an waren sie ranghöher als alles, was sie umgab, was keine gute Voraussetzung für die Bildung einer freundlichen und nahbaren Persönlichkeit ist. Bei dem Herrschaftsantritt konnte sich solch ein Charakter durchaus in Tyrannei wandeln, derartige Auswüchse bei Caligula, Nero, Commodus, Domitian oder Caracalla wurden schon viel diskutiert.
Quasi alle Kaiser, die im heutigen Bewusstsein und bei den antiken Schriftstellern negativ dargestellt wurden (was nicht alles falsch sein kann), waren Verwandte von Vorgängern kamen jung an die Macht. Caligula war 25, Nero 17, Domitian 30 und Elegabal 16. Commodus stand kurz vor seinem 19. Geburtstag, Caracalla vor seinem 23. Sie alle waren zumindest gegenüber Senatoren oder anderen Menschen unfreundlich bis unverschämt. Es wird sicher nicht wenig mit ihrem geringen Alter zu tun haben. Eine positive Ausnahme ist Kaiser Titus (79-81), der sich zu Beginn seiner Regierungszeit radikal zum Guten wandelte. Er umgab sich mit fähigen Beratern und änderte sein ausschweifendes Leben. Aber er war auch schon 30, als sein Vater an die Macht kam. Umso besser ging es Rom auch in der Zeit der Adoptivkaiser, als ein alternder Herrscher einen auch schon reifen Nachfolger – der nicht aus der eigenen Familie stammte – auswählte und dann an Sohnes statt annahm. Nach dieser Periode, die grob mit dem 2. Jahrhundert nach Christus übereinstimmt, kam wieder ein Herrscher an die Macht – Septimius Severus (193-211), dem es gelang, eine Dynastie zu gründen. Seine Söhne Geta und Caracalla zerstritten sich nach seinem Tode auch prompt, bis Geta von seinem Bruder ermordet wurde.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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RE: Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter - Maxdorfer - 19.11.2012 11:09
Ergänzung zu Gordian III - WDPG - 01.12.2012, 14:12

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