Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 1 Bewertungen - 5 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
21.11.2012, 21:34
Beitrag: #24
RE: Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
Kinder- und Jugendkaiser des römischen Reiches, Teil III.

Der letzte der „Soldatenkaiser“ dieser Zeit war Diokletian (284-305), der das Reich grundlegend reformierte und ein völlig neues Regierungssystem schuf: Die Tetrarchie (Viererherrschaft). Dabei regierte im Osten und im Westen des Imperiums je ein Kaiser, der wiederum einen Unterkaiser ernannte. Wenn dieser nach 20 Jahren abdankte, rückte der dieser nach und ernannte einen neuen Unterkaiser. Die Kinderherrschaft war damit prinzipiell verhindert, und es kamen auch erst wieder jüngere Männer an die Macht, als das System nur ein Jahr nach der Abdankung seines Begründers unterzugehen begann. Konstantin I. (306-337) begründete die Konstantinische Dynastie, in der nach ihm seine drei Söhne gleichzeitig regierten (neuerliche Reichsteilung), bis einer nach dem anderen starb. Nun begann der letzte Akt im Drama des römischen Reiches.
Das Heer erhob Valens (364-378) zum Kaiser, dieser regierte die östlichen Provinzen. Als Herrscher über den Westen ernannte er seinen Bruder Valentinian I. (364-375). Nach dem Tod dieser beiden kamen ihre Söhne auf den jeweiligen Thron. In Westrom der vierjährige Valentinian II. (375-392), dem aufgrund seiner Jugend der immerhin sechzehnjährigen Gratian (375-383), sein Halbbruder, an die Seite gestellt wurde. Valentinian II. war grundsätzlich als Kaiser mündig, wurde aber natürlich beeinflusst und beraten. Neben seiner Mutter Regina und dem Bruder Gratian waren dies außer dem jeweiligen Kaiser des östlichen Reichsteils der Bischof Ambrosius und der Franke Bauto. Der Grund für dieses Kinderkaisertum war, dass die Bedeutung des dynastischen Denkens für die römischen Kaiser seit den Severern zwar gesunken, in jüngerer Zeit aber wieder gestiegen war. So kam es, dass im letzten Jahrhundert des römischen Reiches nicht mehr erfahrene oder zumindest erwachsene und reife Heerführer, sondern immer öfter Jugendliche oder kleine Kinder auf den Thron kamen.
Nach Valentinians II. Tod übernahm Theodosius I., der Nachfolger des Valens im Osten, auch den Westteil und war damit der letzte Herrscher, der das gesamte römische Reich regierte. Doch schon 395 starb auch er und teilte sein Herrschaftsgebiet unter seine beiden Söhne Arcadius (395-408), der von Konstantinopel aus den Osten reagierte, und Honorius (395-423), der die Residenzen des Westens bezog. Arcadius, der ältere, war knapp 18 Jahre alt, stand aber trotzdem unter dem beherrschenden Einfluss des Rufinus; Honorius war 11. Sein wichtigster Berater war Stilchio, der aber später auch abgewechselt wurde. Auch als erwachsener Mann wurde Honorius nie ganz erwachsen, und wenn er auch nicht in der Welt aus Schwelgen im Reichtum und Exzessen lebte wie einige vor ihm, so nahm er doch die Lage nie wirklich ernst. Sein Lieblingshahn „Roma“ bedeutete ihm mehr als die gleichnamige Stadt, die seinen Launen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Als man ihm nach der furchtbaren Plünderung Roms die Schreckensnachricht vom Untergang des „ewigen Rom“ meldete, war er sichtlich erstaunt – er habe Roma doch erst am Morgen höchstpersönlich gefüttert.
Beide Brüder hinterließen nach ihrem (relativ frühen) Tod wieder minderjährige Erben. Honorius Nachfolger war (nach einem Intermezzo durch den Usurpator Johannes, 423-425) Valentinian III., der im Alter von 6 Jahren den Thron bestieg – beim Tod seines Onkels Honorius war er sogar erst 4 gewesen. Neben seiner Mutter Galla Placidia führten der Heermeister Felix und der Herrscher des römischen Afrika Bonifatius die Regierungsgeschäfte. 433 konnte der Heermeister Aetius seine Konkurrenten ausschalten und regierte fortan das Reich. Valentinian III. lebte hinter Palastmauern und mischte sich nur selten in die Politik ein, auch wenn er nicht gänzlich desinteressiert war. Arcadius Sohn und Nachfolger im Ostreich war Theodosius II., der mit sieben Jahren an die Herrschaft kam. Seine Mutter war bereits vier Jahre vorher an einer Fehlgeburt gestorben, sodass der Junge quasi ohne Familie dastand – außer vier Schwestern. Einige Quellen berichten, der Vater habe dem Perserkönig aufgetragen, seinen Sohn zu beschützen. Dieser habe auch tatsächlich einen Vormund nach Konstantinopel entsandt und jedem, der den Kindkaiser bedroht, den Krieg angekündigt. Ob das stimmt, ist fraglich. Belegt ist aber: Es gab mehrere Machtrivalitäten zwischen der Ehefrau und den Schwestern des Theodosius. Dieser selbst interessierte sich zeitlebens nicht sonderlich für die Politik, eher – was ein typisch byzantinischer Wesenszug werden sollte – für philosophische und religiöse Fragen. Nichts desto trotz gab er ein berühmtes Gesetzbuch heraus, den Codex Theodosianus.
Allgemein verbinden die Quellen mit dem Begriff eines Kindkaisers das Bild eines versteckt und eingemummt hinter Palastmauern lebenden und völlig weltfremden Herrschers, „der – politisch ohnmächtig und den Regierten entfremdet – ein Opfer der Günstlings-, Eunuchen- und Weiberregiments sei“ („Kinderkaiser“, Sp. 466 f. in: Der neue Pauly, Bd. 6). In wie weit das stimmt, ist fraglich, denn die Schriftsteller waren Römer, die in einer patriarchalischen, barbarenfeindlichen Welt lebten. Es ist aber zweifellos richtig, dass das Kindkaisertum die Persönlichkeitsbildung des Herrschers massiv beeinträchtigt hat und somit vielleicht verheerende Folgen für die römische Geschichte hatte.


Einzelbiographien zu Kindkaisern werde ich, wie eingangs erwähnt, vielleicht im Laufe der Zeit schreiben und einstellen.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
Ergänzung zu Gordian III - WDPG - 01.12.2012, 14:12
RE: Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter - Maxdorfer - 21.11.2012 21:34

Möglicherweise verwandte Themen...
Thema: Verfasser Antworten: Ansichten: Letzter Beitrag
  Aufwachsen in den Kulturen der Antike Maxdorfer 6 13.752 23.01.2013 18:38
Letzter Beitrag: 913Chris
  Kindheit und Jugend großer Herrscher Maxdorfer 5 19.288 19.01.2013 12:26
Letzter Beitrag: Maxdorfer

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds