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Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
30.11.2012, 15:18
Beitrag: #26
RE: Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
Abriss vom Leben der minderjährigen und jugendlichen französischen Königen des Mittelalters

Teil 2

2. Verhängnisvolle Regentschaften

Unter verhängnisvolle Regentschaften verstehe ich Regierungen, die wider den Interessen des Königtums als Institution regiert haben. Dies geschah im Zeitraum zwischen 987 und 1498 dreimal.

2.1 Philipp I. (* 1052, König von 1060 bis 1108)

Philipp I. wurde als ältester Sohn von Heinrich I. (*1009/10, König von 1031 bis 1060) und dessen dritter Frau Anna von Kiew (* um 1030; † 1075/89), einer Tochter des Großfürsten Jaroslaw von Kiew, geboren. Er wurde 1059 zum Mitkönig seines Vaters gewählt und geweiht. Ein Jahr später folgte er seinem Vater als jüngster französischer König des Mittelalters. Die Regentschaft wurde noch vom alten König auf Balduin V. von Flandern (1012–1067), der mit Adele (1009/14–1079), einer Schwester Heinrichs bzw. Tante Philipps verheiratet war, übertragen. Ihm zur Seite wurde die Mutter des jungen Königs gestellt, die aufgrund ihrer zweiten Ehe mit Rudolf IV., Graf von Valois noch im Jahr 1061 aus der Regentschaft ausscheiden musste. Tatsächliche Macht übte der französische König (oder der ihm vertretende Regent) nur in dem Gebiet von Paris bis Orleans, der so genannten Krondomäne, und den sie umfassenden Ring kirchlicher Provinzen der Erzbischöfe von Reims und Sens aus. In der älteren deutschen Literatur werden diese Stammländer der Kapetinger als Franzien bezeichnet, das wiederum fast identisch mit der heutigen Region Ile de France ist. Das heißt, etwa zwei Drittel des ehemaligen westfränkischen Reiches wurden von faktisch unanhängigen Herzögen oder Grafen beherrscht. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass zu Philipps Krönung in Reims nur Herzog Wilhelm VIII. von Aquitanien persönlich erschien. Einige der Magnaten entsandten Vertreter, die meisten, so auch Wilhelm von der Normandie, ignorierten das Ereignis und blieben den Krönungszeremonien fern.

Balduin V. von Flandern beherrschte eines der damals größten Fürstentümer. Er war einerseits für das so genannte „Kronflandern“ Lehensmann des französischen Königs, andererseits für „Reichsflandern“ Lehensmann des Kaisers bzw. des deutschen Königs. Durch geschicktes Lavieren zwischen den beiden Mächten erreichte der Graf von Flandern eine de facto Unabhängigkeit. Zusätzlich wurde diese Stellung durch Balduins Heiratspolitik gesichert. So war er selbst Schwager des französischen Königs Heinrich I. und Schwiegervater von Wilhelm, Herzog der Normandie. Während seiner Tätigkeit als Regent für den minderjährigen Philipp war Balduin V., Graf von Flandern, begünstigt durch die zeitgleiche Minderjährigkeit des deutschen Königs Heinrich IV., einer der mächtigsten Männer Westeuropas.

Balduin V. schaltete zuerst die ihm beigeordnete Königinmutter als Regentin aus. Anna von Kiew galt wegen ihrer bereits im Jahr 1061 geschlossene Ehe mit Rudolf IV. von Valois als potentielle Rivalin um die Macht. Ihre neue Ehe war für Philipp und Balduin nicht ungefährlich, denn die Gebiete des Grafen von Valois grenzten im Westen und Norden an Gebieten der Krone. Außerdem bestand die Gefahr, dass Rudolf die Verbindung zwischen Flandern und dem Kronland abschnitt oder zumindest kontrollierte. Dass Rudolf ein zu allen entschlossener, vor nichts zurück schreckender Politiker war, beweist, dass er, um eine Ehe mit Anna führen zu können, seine damalige Ehefrau verstoßen hatte und nachdem dies geschah, trotz Exkommunikation durch den Papst bis zu seinem Tod im Jahr 1074 ein unberechenbarer und gefährlicher Gegner des jungen Königs blieb.

Das schwerwiegendste Ereignis während Philipps Minderjährigkeit war jedoch die Eroberung Englands durch seinen Vasallen Wilhelm von der Normandie im Jahr 1066. Warum Balduin dies nicht zu verhindern versuchte, ist noch nicht eindeutig geklärt, vor allem weil dieser erhebliche Machtzuwachs der Normannen auch seinen eigenen Einfluss einschränkte. Eine Meinung dazu ist, dass der Realpolitiker Balduin seine Grenzen erkannte und so auch zulassen musste, dass viele seiner flämischen Vasallen sich den Normannen nach England anschlossen. Möglich ist auch, dass die päpstliche Unterstützung für Wilhelm den Grafen von Flandern abhielt, die Interessen seines Mündels zu vertreten. Fest steht, dass die Auseinandersetzungen mit dem Normannenherzog und dessen Erben zu einem zentralen Punkt in der Politik der französischen Könige wurde. Das Vasallentum der englischen Könige für französische Herrschaften sorgte für die nächsten Jahrhunderte für genügend Konfliktpotential zwischen Frankreich und England, das erst mit dem Ende des Hundertjährigen Krieges (1453) bzw. mit der Rückgabe von Calais (1559) beigelegt wurde.

Nach dem Tod Balduins übernahm Philipp 1067 selbst die Regierung. Eine Auseinandersetzung mit dem Herzog der Normandie wagte der Fünfzehnjährige noch nicht. 1068 gelang es ihm, erfolgreich in den Erbfolgestreitigkeiten im Anjou einzugreifen. So unterstützte Philipp den Anwärter Fulko „den Griesgram“ gegen dessen Kontrahenten, den seit 1060 herrschenden Gottfried „den Bärtigen“ . Die Hilfe war nicht uneigennützig, Fulko musste nach seinem Sieg Philipp Gebiete, wie das Gatinais, überlassen. Interessant ist auch, dass der Sieg Fulkos nicht nur auf die Unterstützung des Königs, sondern auch auf die Hilfe von Papst Alexander II. und der gegen Gottfried opponierenden Adligen begründet war.

Des Weiteren agierte Philipp im flandrischen Thronfolgestreit, der 1070 nach dem Tod Balduins VI. ausbrach. Hier kämpften Balduins minderjähriger Sohn Arnulf der Unglückliche (1055–1071) und dessen Onkel Robert der Friese (1033–1093) um die Macht. In dieser für ihren Sohn prekären Situation war Arnulfs Mutter Richilde von Hennegau († 1087) sogar bereit, den Truchsess Wilhelms des Eroberers, William FitzOsbern (1020–1071) zu heiraten, der im Übrigen ein Sohn des im Jahr 1040 ermordeten Haushofmeisters Osborn war. Zusätzlich wandte sich Richilde an den französischen König, dem sie für seine zu leistende Hilfe die Abtei Corbie in der Picardie versprach. Daraufhin entschloss sich Philipp, der Partei Arnulfs zu helfen. In der entscheidenden Schlacht von Cassel bei Dünkirchen am 22. Februar 1071 besiegte Robert der Friese die Verbündeten, der jugendliche Arnulf und sein Stiefvater William FitzOsborn fielen, Richilde geriet in Gefangenschaft und Philipp flüchtete mit seinen Truppen vom Schlachtfeld. Robert der Friese und Philipp schlossen daraufhin Frieden, wobei Philipp im Besitz des reichen Klosters Corbie belassen wurde. Um das neue Bündnis zu festigen, heiratete Philipp schließlich Roberts Stieftochter Bertha von Holland (1055–1093/94). Richilde konnte dagegen ihre Herrschaft für ihren zweiten Sohn Balduin II. (1056–1098) in der Grafschaft Hennegau mit Hilfe Wilhelms des Eroberers sichern.

Nach dem Ableben des zweiten Gatten († 1074) seiner Mutter Anna von Kiew gelang es Philipp das westliche oder französische Vexin zu erwerben. Rudolfs Sohn Simon entsagte 1077 seiner Herrschaft, damit zerfiel das von seinem Vater aufgebaute Herrschaftsgebiet. Philipp gelang es daraufhin das gesamte, also auch das normannische Vexin einzunehmen. Dies und die 1079 erfolgte Entsetzung der von Normannen belagerten, bretonischen Festung Dol waren die größten militärischen Niederlagen Wilhelms des Eroberers. Philipp erkannte jedoch die Grenzen seiner militärischen Mittel und verzichtete deswegen bis zum Tod Wilhelms († 1087) auf weitere militärische Auseinandersetzungen mit ihm. Stattdessen gelang es ihm, dessen Familie mit diplomatischen Mitteln zu entzweien und Wilhelms ältesten Sohn Robert Kurzhose (1054–1134) auf seine Seite zu ziehen.

Philipp konnte bereits in jungen seine Stellung als König festigen. Seine weitere Herrschaft war jedoch mit vielfältigen Kämpfen verbunden, so auch gegen die Päpste Gregor VII., Urban II. oder Paschalis II. Erschwerend dazu kamen persönliche Verfehlungen Philipps, so der Verstoß seiner Ehefrau Bertha im Jahr 1092 und der darauf folgende Raub der Bertrada, die damals mit dem Grafen von Anjou verheiratet war. Dieses Verhalten brachte ihm die Exkommunikation durch den Papst ein. In vielen Dingen ähnelte das Leben Philipps dem seines Zeitgenossen Kaiser Heinrich IV., die sich gegenseitig als Leidensbrüder betrachteten.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass Philipps Herrschaft eine Krise des französischen Königtums darstellte, die zum Teil mit den Ereignissen während seiner Minderjährigkeit, zum anderen Teil aber auch durch eigene politische Fehler begründet war. Ähnlich wie bei Heinrich IV. (1050–1106) war Philipps Herrschaft geprägt von den Auseinandersetzungen mit dem wieder erstarkten Papsttum, von der Reformbewegung der Kirche (Cluny) und vom Ersten Kreuzzug.

Literatur

* Ehlers / Müller / Schneidmüller (Herausgeber), Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888–1498, Verlag C.H. Beck München, 1996, ISBN 3-406-40446-4

* Joachim Ehlers, Die Kapetinger, Urban-Taschenbücher Band 471, W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Berlin Köln, 2000, ISBN 3-17-014233-X

- Ende des 2. Teiles -

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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