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Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
11.01.2013, 03:30
Beitrag: #33
RE: Jugendliche Herrscher in Antike und Mittelalter
Abriss vom Leben der minderjährigen und jugendlichen französischen Königen des Mittelalters

Teil 3

2. Verhängnisvolle Regentschaften

2.2 Karl VI. (* 1368, König von 1380 bis 1422) und Karl VII. (* 1403, König von 1422 bis 1461)

Die Regierungszeit Karls VI. stellt in ihrer Gesamtheit eine der größten Staatskrisen Frankreichs dar. Karl VI. war der älteste Sohn von Karl V. (* 1338, König von 1364 bis 1380) und dessen Ehefrau Johanna von Bourbon (1338–1378). Aufgrund einer psychischen Erkrankung konnte Karl VI., den die ältere deutsche Literatur auch „den Wahnsinnigen“ nennt, nur in den Jahren von 1388 bis 1392 selbstständig regieren. Der Ausfall des Königs führte dazu, dass sich rivalisierende Adelsblöcke bildeten, die sich heftig bekämpften. Höhepunkt war der zwischen 1410 und 1413 stattfindende Bürgerkrieg zwischen den „Bourguignons“ und den „Armagnacs“ . In der Schlacht von Azincourt 1415 unterlag ein französisches Ritterheer englischen Bogenschützen. Dies führte dazu, dass in den Folgejahren Frankreich von englischen oder dessen verbündeten burgundischen Truppen beherrscht wurde. Nur der frühe Tod des englischen Königs Heinrich V. (1387–1422) verhinderte die Ersetzung der Dynastie Valois durch das Haus Lancaster.

Ein sehr interessanter Punkt ist, dass um 1400 unbeliebte und unfähige Könige wie der englische König Richard II. (1367–1400) oder der deutsche König Wenzel (1361–1419) einfach abgesetzt wurden und durch einen fähigeren Kandidaten ersetzt wurden. In Frankreich stand dagegen die Absetzung des Königs nie auf der Tagesordnung. Dies lag einerseits daran, dass Karl während seiner vier tatsächlichen Herrschaftsjahre sehr beliebt war. Andererseits propagierten viele Gelehrte und Dichter die Unantastbarkeit des gesalbten Königs. Damit wurde die Institution des Königtums propagierend gefördert und gefestigt. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Person des Königs trotz seiner Regierungsunfähigkeit und trotz der bis dahin größten Staatskrise Frankreichs in der Bevölkerung akzeptiert war.

2.2.1 Die Minderjährigkeit Karls VI.

Karl VI. wurde 1380 als Zwölfjähriger zum König gekrönt. Er hatte das Pech gehabt, dass es seinem seit 1378 verwitweten Vater Karl V. nicht gelungen war, einen fähigen und loyalen Regenten zu finden. Die Frage der Regentschaft war ungeklärt geblieben. Dies führte dazu, dass Karls Onkel die Macht an sich rissen. Dies waren die Brüder seines Vaters - Ludwig I. von Anjou (1339–1384), Johann von Berry (1340–1416) und Philipp von Burgund (1342–1404) - sowie der Bruder seiner Mutter – Ludwig II. von Bourbon (1337–1410). Noch bevor der junge König gekrönt wurde, beraubte ihn Ludwig von Anjou, um seine Anwartschaft auf das Erbe der Königin Johanna I. von Neapel (1326–1382) zu finanzieren. Nicht weniger skrupellos waren die anderen Herzöge, so dass das Erbe des umsichtig wirtschaftenden Karls V. bereits nach zwei Jahren aufgebraucht war. Unsinnige Maßnahmen der Herzöge, wie drastische Steuersenkungen, denen wiederum noch drastischerer Steuererhebungen folgten, führten zu zuerst lokal begrenzten Aufständen von Kaufleuten und Handwerkern, die sich schließlich über das ganze Land ausbreiteten. Schließlich sahen die Angehörigen der Pariser Stadtarmut ihre Chance für Raub, Plünderung und Mord.

Dies führte schließlich dazu, dass die Regenten im Januar 1383 begannen, das Land mit äußerst brutalen Mitteln zu befrieden. Steuerrecht und Gewalt der Krone waren wieder durchgesetzt. Gleichzeitig gelang es Herzog Philipp von Burgund und seinen Schwiegervater Ludwig von Flandern einen Aufstand der flandrischen Städte Gent und Brügge blutig zu unterdrücken. 1384 konnte Philipp unangefochten sein flandrisches Erbe übernehmen. Damit entstand ein für den König gefährlicher Machtblock im Osten Frankreichs. Der Herzog von Berry konnte dagegen als Gouverneur des Languedocs einen vom Grafen von Foix unterstützten Partisanenkrieg nicht erfolgreich beenden.

Seit 1385 setzte sich Philipp von Burgund als dominierende Persönlichkeit des Regentschaftsrates durch. In der Folgezeit wurden die königliche und burgundische Politik abgestimmt. Dies geschah nicht zum Nachteil der Krone, da zu dieser Zeit noch eine Interessenidentität zwischen König und Herzog bestand. Am 12. April 1385 heiratete der burgundische Erbe Johann (1371–1419) - später Johann Ohnefurcht genannt - die Wittelsbacherin Margarethe von Bayern-Straubing-Holland und seine jüngere Schwester Margarethe (1374–1441) ehelichte Herzog Wilhelm von Bayern-Straubing-Holland (1365–1417). Gemäß dieser burgundischen Politik vermählte sich Karl nur wenige Wochen nach der Doppelhochzeit von Cambrai mit Elisabeth von Bayern-Ingolstadt (1372–1435), die in der Geschichte unter dem Namen Isabeau de Bavière bekannt und (nicht ganz zu Unrecht) verleumdet wurde. Fairerweise muss man Isabeau zugestehen, dass sie weder auf die politische Aufgabe einer Regentin, noch auf den Umgang mit einem wahrscheinlich an Schizophrenie leidenden Ehemann vorbereitet wurde. Ungünstige Eigenschaften, wie ihre Leichtlebigkeit und Verschwendungssucht oder das Fehlen einer eigenen Meinung runden das negative Image der Königin ab.

Am 3. November 1388 verkündete der inzwischen zwanzigjährige König den Beginn seiner selbständigen Regierung. Der aus seinen Onkels bestehende Regentschaftsrat wurde aufgelöst. Als Berater dienten ihm so genannte „Marmousets“ , dies waren Leute aus dem niederen Adel oder dem Bürgertum, die dem König geeignet erschienen, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Damit folgte er dem Regierungsstil seines Vaters. Diese Marmousets, der Begriff galt ursprünglich als Schimpfname, waren die Vorläufer des späteren französischen Robenadels. Karl VI. konnte als eigenständiger König politische Erfolge, wie die Aussöhnung mit dem Grafen von Foix verzeichnen. Außerdem fungierte er sehr sorgsam für sein Mündel Karl von Tarent (1380–1404), dem jüngsten Sohn seines Onkels Ludwig I. von Anjou.

2.2.2 Der regierungsunfähige König

Dieser Abschnitt behandelt die Regierungsunfähigkeit Karls VI. aufgrund seiner psychischen Krankheit. Komplexe Themen wie der Bürgerkrieg zwischen Anhängern des Hauses Burgund und des Grafen von Armagnac sowie das Fortsetzen des Hundertjährigen Krieges seit 1415 werden nur kurz dargestellt.

Erstmals trat Karls Erkrankung am 5. August 1392 auf, als Karl völlig unerwartet seine Umgebung bedrohte und seinen Bruder Ludwig von Orleans erdolchen wollte. Insgesamt musste der König 43 Schübe seiner Krankheit erdulden. Karl litt wahrscheinlich an einer mit Verfolgungswahn verbundene Schizophrenie. Perioden der Klarheit wechselten mit aggressiven oder depressiven Phasen, wobei Karl in den ersten Jahren das Ausmaß seiner Krankheit erfasste. Die aggressiven und depressiven Phasen gingen mit völligen Realitäts- und Identitätsverlust einher, der König wurde von Todesvorstellungen gepeinigt und war nicht mehr gewillt, Nahrung aufzunehmen und Körperpflege zu betreiben. Von 1415 bis zu seinem Tod im Jahr 1422 dämmerte der König nur noch dahin. Ihm zur Seite wurde die robuste und aufopferungsvolle Odette de Chamdivers gestellt, die einerseits die gesteigerten sexuellen Bedürfnisse des Königs zu befriedigen hatte (!), andererseits für dessen Pflege und Versorgung verantwortlich war. Diese „petite reine“ (kleine Königin) war über viele Jahre die einzige Person, die Zugang zum König während dessen aggressiven und depressiven Phasen fand. Sie gebar ihm auch seine einzige uneheliche Tochter.

Die Aufgaben einer Regentin übernahm Isabeau de Bavière. Ihr zur Seite wurde ein Regentschaftsrat gestellt, dem sowohl Karls Onkels Philipp von Burgund und Johann von Berry als auch Karls Bruder Ludwig von Orleans (1372–1407) angehörten. Ein schwer zu lösendes Problem der Regenten war der Umgang mit dem König während seiner klaren Perioden. Ludwig von Orleans überredete schließlich die Königin dazu, bei ihrem Ehemann zu bleiben, um ihn gezielt von seinen politischen Aufgaben als König abzuhalten. So lebte während seiner lichten Momente der König als Privatier mit seiner Frau zusammen, während Ludwig die Regierungsgeschäfte führte. Die Folge des trauten Beieinander war, dass die Königin sieben ihrer insgesamt zwölf Kinder zwischen 1392 und 1407 gebar, darunter die beiden Dauphins Ludwig (1396–1415) und Johann (1398–1417), die spätere englische Königin und Stammmutter der Tudors Katharina (1401–1437) und den späteren König Karl VII. (1403–1461).

Da Ludwig von Orleans, seine Frau Valentina Visconti (1368–1408), ihre vier gemeinsamen Kinder, darunter Karl (Charles) von Orleans (1394–1465), der zwischen 1415 und 1440 als Gefangener im Londoner Tower lebte und Ludwigs unehelicher Sohn Johann (Jean), Graf von Dunois (1402–1468) oft mit der Königsfamilie zusammenlebten, nährte dies viele Gerüchte. Eins der vielen Gerüchte besagte, dass die Italienerin Valentina Visconti den König verhext hätte, ein anderes Gerücht behauptete, dass Ludwig von Orleans der Vater von Isabeaus jüngeren Kindern wäre. Außerdem beschrieben die Quellen Isabeau als schlechte Mutter, die die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder ihrer Schwägerin überließ, während sie sich nur ihren Vergnügungen widmete.

Die von Ludwig von Orleans betriebene Isolation des Königs wurde besonders vom Burgunder Herzog Philipp und seinem Sohn Johann Ohnefurcht beargwöhnt. Zu einem offenen Ausbruch der Feindseligkeiten kam es jedoch erst nach dem Tod des alten Herzogs von Burgund, vor allem nachdem Ludwig begann, mehrere Herrschaften aufzukaufen. Er erwarb sich damit Rechte auf das Herzogtum Luxemburg, womit er den Burgundern versagte oder zumindest erschwerte, ihre oberen (Herzogtum und Freigrafschaft Burgund u.a.) und niederen Lande (de facto das heutige Belgien und die Niederlande) zu vereinigen. Die seit ca. 1402 erfolgte alleinige Kontrolle der königlichen Finanzen durch Ludwig von Orleans führte ebenfalls zum Verdruss der Burgunder, denen sich schließlich unzufriedene Pariser Bürgerstände, wie z.B. die sehr einflussreiche Zunft der Metzger anschlossen.

Am 23. November 1407 ließ Johann Ohnefurcht seinen verhassten Rivalen Ludwig von Orleans in Paris umbringen. Da Johann seinen Gegner (nicht zu Unrecht) beschuldigte, gemeinsam mit der Königin die Staatskasse geplündert zu haben, ließ er dem Leichnam die rechte Hand abhacken. Dies war bis dahin in Frankreich unüblich, es wird angenommen, dass Johann diesen türkischen Brauch während seiner Teilnahme am Kreuzzug gegen die Türken von 1396 kennen gelernt hatte.

Die Ermordung Ludwigs von Orleans führte zu einer wesentlichen Änderung der politischen Ausrichtung. Die politisch isolierte Isabeau verband sich kurz entschlossen mit ihrem bisherigen Gegner, der damit begann, politische Gegner aus den Reihen der Marmousets zu beseitigen. So wurde u. a. der Finanzfachmann Jean Montaigu öffentlich hingerichtet. Die Machtergreifung Johanns von Burgund führte zum Wechsel der adligen Bündnisse. Im Süden formierte sich das Bündnis zwischen Anhängern des Hauses Orleans, an deren Spitze formal der minderjährige Sohn Ludwig - Karl von Orleans (1394–1465) - tatsächlich aber dessen Schwiegervater Bernard VII., Graf von Armagnac (1360–1418) stand, der auch Schwiegersohn des Herzogs von Berry war. Da der Graf von Armagnac sich zuerst als militärischer, ab 1410 – nachdem die Friedensbemühungen des Herzogs von Berry gescheitert waren - auch als politischer Führer dieser Gruppierung behauptete, nennt man diese nach ihm „Armagnacs“ . Diese Gruppierung führte von 1410 bis 1413 den Bürgerkrieg gegen die Fraktion der Burgunder, seit 1415 kämpfte sie gegen Engländer und Burgunder, denen sie 1418 unterlagen.

Herzog Johann Ohnefurcht kontrollierte das Leben von Isabeau und Karl VI., den er der Pariser Bevölkerung öfters zeigte. Da das Volk Anteilnahme am Schicksal und der Krankheit des Königs nahm, wurde Karl bis ca. 1415 relativ häufig der Öffentlichkeit präsentiert. So rief Karl VI. 1413 aus Geldnot die Generalstände ein, die dann der Herzog von Burgund in seinem Interesse manipulierte. Seit 1415 verschlechterte sich die Gesundheit des Königs und seine drei jüngeren Söhne traten mehr in den politischen Vordergrund, worüber ich im nächsten Abschnitt schreiben werde.

Literatur

* Ehlers / Müller / Schneidmüller (Herausgeber), Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888–1498, Verlag C.H. Beck München, 1996, ISBN 3-406-40446-4

* Jean Markale; Isabeau de Bavière. Die Wittelsbacherin auf Frankreichs Thron, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München, Ungekürzte Ausgabe, August 1997, ISBN 3-423-30633-5

Ende des 3. Teils

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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Ergänzung zu Gordian III - WDPG - 01.12.2012, 14:12
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