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Ausmorden einer Dynastie
18.01.2021, 22:43
Beitrag: #13
RE: Ausmorden einer Dynastie
Mir sind zufällig zwei Fälle aus dem Spätmittelalter untergekommen, bei denen es zumindest Hinweise gibt, dass mögliche Erben ausgeschaltet, vielleicht sogar beseitigt wurden. Es handelt sich um zwei Adelsfamilien, die relativ unbekannt sind.

Fall 1:
1418 starb Reichsgraf Friedrich (III.) von Ortenburg, mehr dazu unter dem folgenden Link auf der Regiowiki.AT. (OT: Die Regiowiki.AT ist eine auf Österreich ausgerichtete Variante der Wikipedia. Wie viele andere Wikis (Regiowiki Niederbayern, SalzburgWiki etc. wird sie von Wikipedia unter der Hand eher schief angesehen, aber gerade ich finde, dass diese "regionalen" Wikis oft ausgezeichnete Ergänzungen zu Wikipedia sind und manchmal auch interessante Alternativen bieten.)

Die im heutigen südlichen Österreich (in Kärnten) und in Slowenien gelegene Reichsgrafschaft Ortenburg (nicht identisch mit der bairischen (Reichs-)Grafschaft Ortenburg) wurde von König Sigismund als Lehen des Reiches eingezogen und an den Grafen Hermann von Cilli verliehen, dessen Herrschaftsgebiet sich damit verdoppelte. (Abgesehen davon, dass Sigismund damit seinen Schwiegervater förderte, verhinderte er so, dass die Grafschaft von Ortenburg letztlich an die Habsburger oder die Grafen von Görz kam. Dabei hätten die Grafen von Görz aufgrund ihrer Verwandtschaft zu den Grafen von Ortenburg durchaus einen guten Erbanspruch gehabt.)

Die Geschichtsforschung hat sich mit den Kärntner Grafen von Ortenburg bisher nicht wirklich beschäftigt. Die bisher beste Arbeit ist noch immer eine, die im 19. Jahrhundert in einem "regionalwissenschaftlichen" Jahrbuch als Aufsatzreihe publiziert wurde. Daher überrascht es auch nicht, dass es zum Ende der Grafen von Ortenburg in der Forschung bisher lapidar heißt, dass die Grafen mit diesem Friedrich ausstarben, dieser keine Nachkommen hatte und die Grafschaft daher an die Grafen von Cilli kam. Manchmal wird noch ein Erbvertrag angeführt, den die Ortenburger und die Cillier bereits viele Jahre früher geschlossen haben. Soweit die allgemein bekannten Fakten.

Den Erbvertrag dürfte es tatsächlich gegeben haben, 1420 wird er in der Urkunde genannt, die König Sigismund zur feierlichen Weitervergabe der Grafschaft (mit allen Details) damals ausstellen ließ. Hier wird ausdrücklich mit Verweis auf den Erbvertrag betont, dass es auch der Wille des letzten Grafen von Ortenburg gewesen wäre, dass ihn die Grafen von Cilli beerben.

Auf den ersten Blick scheint alles auch ganz plausibel, zudem der letzte Graf von Ortenburg in einem positiven Verhältnis zu König Sigismund gestanden haben dürfte. Nach seiner Wahl zum Herrscher des Römischen Reiches betraut Sigismund ihn zum Beispiel mit der Verwaltung des Patriachats von Aquileja für die Zeit, bis er und der Papst sich um die Neubesetzung des Patriarchaten gekümmert hätten. Bereits als König von Ungarn dürfte Sigismund mit ihm immer wieder zusammengearbeitet haben.
Friedrich von Ortenburg war zudem ein Schwager des Grafen Eberhard von Nellenburg, der als Vertrauter von Sigismund gilt und den Graf Friedrich 1417 mit seiner Stellvertretung auf dem Konzil von Konstanz betraut hatte, als er sich dort von König Sigismund seine Besitzungen und seinen Reichsgrafenstatus bestätigen ließ. Aus der Urkunde geht übrigens hervor, dass der letzte Ortenburger zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krank war, weswegen ihn der König ausdrücklich von seiner Anwesenheit für diese Bestätigung (oder Belehnung) suspendiert hat.
In dieser Urkunde um die Belehnung aus dem Jahr 1417 deutet sich außerdem an, dass Friedrichs Tod, der etwa ein Jahr später erfolgte, für König Sigismund (und wohl auch andere) durchaus nicht überraschend kam.

Wie gesagt - Version der bisherigen Geschichtsforschung lautet: ein Jahr später stirbt Graf Friedrich, hinterlässt keine Kinder / Erben / Nachkommen, Sigismund zieht als Herrscher des Heiligen Römischen Reiches seinen Besitz (als Reichsgrafschaft Ortenburg) als erlediges Reichslehen ein und belehnt damit Graf Hermann von Cilli und seine Familie. Das erzählt die Urkunde aus dem Jahr 1420.

Interessant sind in diesem Zusammenhang ber zwei weitere Urkunden (oder Dokumente?) von König Sigismund, beide aus dem Jahr 1418, ausgestellt einige beziehungsweise mehrere Wochen nach dem Tod es Grafen.

In der ersten Urkunde, ausgestellt einige Wochen nach dem Tod des Grafen, übernimmt Sigismund die Verwaltung und den Schutz der dessen Reichsgrafschaft. Hier ist ausdrücklich von noch unmündigen Kindern des Verstorbenen die Rede, in deren Interesse Sigismund in seiner Funktion als "römischer" König handelt.

Einige Wochen später bestätigt Sigismund dann aber seinem Schwiegervater, nachdem dieser zuvor die Grafschaft besetzt hatte, dass es so bleiben soll. Hier werden unmündige Kinder nicht mehr genannt.
Diese Urkunde deutet zumindest an, dass die Übergabe der Grafschaft an die Grafen von Cilli zunächst eine sehr zweifelhafte Sache gewesen sein dürfte. Vermittelt wird auf den ersten Blick der Eindruck, dass Sigismund von Graf Hermann in dieser Angelegenheit vor vollendete Tatsachen gestellt wurde und die Situation halt akzeptieren musste, was gut zu der älteren Forschung passt, die in Sigismund einen schwachen und passiven Herrscher sah, für dessen fragwürdige und zum Teil auch rechtswidrige Aktivitäten stets andere verantwortlich sind, die ihn dazu nötigen. Das steht im Gegensatz zu der neuere und neuesten Forschung, die in Sigismund inzwischen einen sehr erfolgreichen und tatkräftigen, politisch äußerst fähigen Herrscher sieht und Aktivitäten, die als rechtswidrig eingestuft werden können, gewöhnlich ausblendet, ins sogar Gegenteil verkehrt oder mit Berufung auf die politische Lage entschuldigt beziehungsweise sogar rechtfertigt. (Sigismund wird inzwischen sogar bei vielen Forscherinnen und Forschern neben seinem Vater Karl IV. zum bedeutendsten Herrscher des Mittelalters erklärt, wobei häufig bedauert wird, dass leider nicht er, sondern sein "unfähiger" Halbbruder Wenzel der ältere Sohn und daher Karls Nachfolger war.)

Für unsere Fragestellung ist die Einstufung von Sigismund damals und heute eher unwichtig. Interessanter scheint mir in unserem konkreten Fall, dass Sigismund und sein Schwiegervater gewöhnlich zusammenarbeiteten und auf einer gemeinsamen Linie agiert haben. Ich würde daher nicht ausschließen, dass es sich im Fall der Weitergabe der Grafschaft Ortenburg an Graf Hermann um eine Inszenierung gehandelt haben dürfte, bei der Graf Hermann die Grafschaft Ortenburg wohl im Einvernehmen mit Sigismund besetzt hat, um so die Lage zu schaffen, dass Sigismund scheinbar keine andere Wahl bleibt, als Hermann damit belehnen zu müssen. (Oder wurde Sigismund etwa doch von seinem Schwiegervater übertölpelt?)

Mit Blick auf Suebes Thema allerdings ist es natürlich die entscheidende Frage, warum in der ersten der drei Urkunden zum Tod und zur Nachfolge des Grafen von Ortenburg noch unmündige Kinder genannt sind und warum diese in den beiden späteren Urkunden nicht mehr erwähnt werden.

Dass die unmündigen Kinder im Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Urkunde, also innerhalb nur weniger Wochen rein zufällig verstorben sind, halte ich für eher unwahrscheinlich. Außerdem hätte dies in der zweiten Urkunde von 1418 und auch in der Urkunde von 1420 nicht weggelassen oder gar verschwiegen werden müssen.

Bleiben zwei Möglichkeiten:
Die 1. Möglichkeit: Als Friedrich von Ortenburg starb, hatte er keine Kinder oder sie waren nicht mehr am Leben. War die Angabe in Sigismunds ersten Dokument von 1418 etwa nur ein Irrtum oder beruhte sie auf einer Fehlinformation?

Und die 2. Möglichkeit: Wurden hier noch unmündigen Kinder um ihr Erbe gebracht und verschwanden aus der Geschichte, da sie Sigismund und seinem Schwiegervater im Weg standen?
...

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Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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