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Rätsel-Lösungen und "Vertiefendes"
04.12.2023, 13:02
Beitrag: #29
RE: Rätsel-Lösungen und "Vertiefendes"
Nach meinem letzten Rätsel, siehe http://www.forum-geschichte.at/Forum/sho...1&page=41, wurde ich von Suebe gebeten:

(26.11.2023 22:28)Suebe schrieb:  Bitte mehr bei "Vertiefendes"Rätsel, von dem habe ich noch nie gehört.

Dieser Aufforderung komme ich gerne nach.
Der Gesuchte war der "Wiener" Rudolf Slatin, im Volksmund seinerzeit der "Pascha aus Hietzing"

Als Jugendliche las ich sämtliche Bücher von Karl May, die ich in unserer Bibliothek ausleihen konnte. Daher las ich auch die "Mahdi-Trilogie" (erstmals publiziert 1891-1893) in der dreibändigen Ausgabe "Im Lande des Mahdi" ("Menschenjäger", "Der Mahdi", "Im Sudan"). Diese Buchserie, in der Kara Ben Nemsi (in der Urfassung noch ein Ich-Erzähler, der ein Alter-Ego von Karl May ist) mit einem Diener bzw. Begleiter auf Reise im Sudan ist und dabei zwei böse Sklavenhändler und ihre Komplizen ausschaltet. Zu diesen gehört in Band 2 ein Fakir, der sich für den Mahdi hält. Der titelgebende "Mahdi", eigentlich Muhammad Ahmad ibn as-Sayyid Abdallah (1844-1885) ist bei Karl May nur eine negative Nebenfigur (ein Betrüger), die Geschehnisse spielen einige Jahre vor dem nach ihm benannten Mahdi-Aufstand (1881-1899). Das Buch habe ich fertig gelesen, weil ich alles von Karl May lesen wollte. Besonders gefallen hat es mir damals nicht, da war ich schon lieber "in der Wüste", in den "Schluchten des Balken" und vor allem im "Wilden Westen".

Einige Jahre später war dann eine gute Zeit für mich, als im Fernsehen, das ich damals noch genutzt habe, eine Zeitlang (und nicht nur zu Weihnachten) Monumentalfilme gesendet wurden. In einem von diesen ging es um den Mahdi-Aufstand und der hat mich wesentlich mehr beeindruckt als die Romane von Karl May: "Khartoum" (1966) mit Basil Dearden als Regisseur, Charlton Heston als Gordon Pascha / Charles George Gordon (1833-1885) und Lawrence Olivier als Muhammad Ahmad (Mahdi).
Ralph Richardson war William Gladstone und Richard Johnson hatte als fiktiver Colonel Stewart die Aufgabe, von einem Kritiker Gordons zu dessen Anhänger zu werden, wodurch dem Filmpublikum eine Annäherung an den von Charlton Heston als ziemlich verschlossen gespielten "Helden" (der keineswegs als strahlender Held präsentiert wird) zu erleichtern.

Einige Zeit später hatte mich jemand auf die Idee gebracht, mir alle Wiener Bezirksmuseen anzusehen. (Ich war damals gerade nach Wien übersiedelt. Die Wiener Bezirksmuseen sind Heimatmuseen. Jeder Wiener Bezirk hat ein eigenes Heimatmuseum. Da Wien 23 Bezirke hat gibt es dort 23 dieser Museen, von denen ich mir damals 22 angesehen habe. Eines fehlt, es war wegen Umbauarbeiten geschlossen.)

Und dort entdeckte ich zufällig im Bezirksmuseum Hietzing, dass es zum Mahdi-Aufstand auch einen Bezug zu Wien gibt. Der von Charles Gordon eingesetzte Gouverneur von Darfur war zur Zeit des Mahdi-Aufstandes ein gewisser Slatin Pascha. Dieser Mann, sein eigentlicher Name war Rudolf Slatin, stammte aus Ober St. Veit, das zum Zeitpunkt seiner Geburt eine eigene Ortsgemeinde war und heute zu Hietzing gehört. Daher die volkstümliche Bezeichnung vom "Pascha aus Hietzing", obwohl Rudolf Slatin eigentlich aus Ober St. Veit war. (An den früheren Vorort erinnert in Wien heute noch eine UBahn-Station.)

Im Wesentlichen deckt sich der Lebenslauf des historischen Rudolf Slatin, um den es in meinem Rätsel gegangen ist, mit dem, was ich auch im Rätsel angeführt habe. Er stammte aus einer jüdischen Familie, die konvertiert war. Dass er später, noch bei der Verteidigung von Darfur während des Mahdi-Aufstandes, um die Einnahme der Stadt zu verzögern, zum Islam konvertierte, dürfte ihm nach der Einnahme von Darfur das Leben gerettet haben. Von einigen europäischen Zeitgenossen wurde er allerdings dafür scharf kritisiert. Es ist müssig, zu spekulieren, inwieweit für seine religiöse Einstellung seine Herkunft eine Rolle gespielt hat.

Rudolf Slatins Vater war ein bürgerlicher Kaufmann. Der Umstand, dass er allerdings für seine Heirat eine besonders prestigeträchtige Kirche wählte, könnte ein Indiz dafür sein, dass die Familie durchaus so etwas wie Standesbewusstsein besaß. Nach dem Tod seines Vaters brach Rudolf Slatin die Schule ab und suchte sich eine Stelle außerhalb seines Geburtslandes. Um 1877 machte er die Bekanntschaft von Eduard Schnitzer / Emin Pascha (1840-1892), Arzt und zu dieser Zeit Mitarbeiter von Charles Gordon.

Wenig später wurde Rudolf Slatin zur k.u.k. Armee einberufen und musste daher in seine Heimat zurückkehren. Das verhinderte seinen Plan, Eduard Schnitzer in den Sudan zu begleiten und die Möglichkeit einer persönlichen Begegnung mit Charles Gordon. Rudolf Slatin dürfte auf Eduard Schnitzer einen guten Eindruck gemacht haben, denn auf dessen Empfehlung hin erhielt er 1879 von Charles Gordon ein Angebot, als Kolonialbeamter im Sudan tätig zu werden.

Im April 1881 wurde Rudolf Slatin bereits Gouverneur der gesamten Großprovinz Darfur. Als wenig später der Mahdi-Aufstand ausbrach, verteidigte er Darfur zunächst für die Engländer und konnte die Einnahme für mehrere Monate herauszögern. 1883-1895 war er in Gefangenschaft der Mahdis und später von dessen Nachfolger, wobei er offensichtlich mehr daran interessiert war, zu überleben, als den Helden zu spielen. (Was ihm von Seiten eines anderen deutschen Gefangenen später ziemliche Kritik einbrachte.)

1895 konnte Rudolf von Slatin schließlich flüchten. Bei dieser Flucht bzw. Befreiung spielte der britische General Reginald Wingate (1861-1953) eine Rolle, mit dem Slatin später auch persönlich befreundet gewesen sein dürfte.

Über seine Gefangenschaft verfasste Rudolf Slatin bald nach seiner Flucht / Befreiung das Buch "Fire and Sword in the Sudan" (publiziert 1896), das später ins Deutsche übersetzt wurde. Das Buch war zu seiner Zeit ein Bestseller und die ideale Propaganda für die britische Regierung, die zu dieser Zeit bereits eine endgültige Niederschlagung des Mahdi-Aufstandes zu planen begonnen hatte. Andererseits galt es in der Geschichtsforschung früher auch als wichtiger, wenn gleich parteiischer Augenzeugenbericht. Jedenfalls sollte sich die Publikation für Rudolf Slatin selbst auszahlen, die Tantiemen waren in seinen letzten Lebensjahren noch eine schöne Aufbesserung seiner Rente.
(Bereits einige Jahre zuvor hatte übrigens der Südtiroler Missionar Josef Ohrwalder, der zu Beginn des Mahdi-Aufstandes gefangen genommen war, nach seiner Flucht einen Bericht über seine Zeit als Gefangener publiziert. Josef Ohrwalder und Rudolf Slatin hatten sich während der Gefangenschaft kennen gelernt.)

Am 21. März 1895 wurde Rudolf Slatin in Kairo durch den Khediven von Ägypten zum Pascha erhoben und zum Oberst der ägyptischen Armee befördert. Damit dürfte er (zumindest nach Wikipedia) zu dieser Zeit den höchsten Rang eines Nichtbriten in der anglo-ägyptischen Armee besessen haben. Rudolf Slatin machte 1897-1898 den Nil-Feldzug zur Rückeroberung Khartums mit und nahm im Nachrichtendienst von Reginald Wingate am Dongola-Feldzug Kitcheners gegen die Mahdisten (1896) teil. Er war noch einige Jahre im Sudan tätig. Von der britischen Krone, aber auch vom österreichischen Kaiser erhielt er mehrere Auszeichnungen.

Allerdings war es ihm wegen des Ersten Weltkrieges nicht vergönnt, sich ins Privatleben zurückzuziehen, nachdem er im Schatten des Ersten Weltkrieges eine junge Adelige geheiratet hatte. Sie starb bereits wenige Jahre später an einer Krankheit. Aus dieser Ehe hatte Rudolf, inzwischen Freiherr von Slatin, eine Tochter, um deren Zukunft er in seinen letzten Lebensjahren sehr besorgt war.

Im Ersten Weltkrieg war er als österreichischer Leutnant Leiter der Kriegsgefangenenhilfe des österreichischen Roten Kreuzes. Der Krieg bedeutete jedenfalls eine schwere Belastung seiner Beziehungen zur britischen Krone-

Seine letzten Lebensjahre dürfte Rudolf Slatin in Meran verbracht haben. Nach seinem Tod (6. Oktober 1932) kehrte er als Toter in seinen Heimatort zurück und fand auf dem Wiener Friedhof von Ober St. Veit seine letzte Ruhestätte. 1951 wurde die Slatingasse in Wien-Hietzing nach ihm benannt. Im dortigen Heimatmuseum zählte er, zumindest noch vor zwanzig Jahren, zu den wichtigen Hietzingern und Hietzingerinnen.

Quellen außer Wikipedia:
* Hartwig A. Vogelsberger: Slatin Pascha. Zwischen Wüstensand und Königskronen. Styria, Graz / Wien / Köln 1992, ISBN 3-222-12113-3
Online abrufbar sind die Artikel im Österreichischen Biographischen Lexikon (ÖBL) und im Deutschen Biographischen Enzyklopädie (DBE) sowie die Zusammenfassung des inzwischen verstorbenen Wiener Lokalhistorikers Felix Steinwendtner, dazu die Links:
* https://www.biographien.ac.at/oebl_12/350.pdf (ÖBL)
* https://www.deutsche-biographie.de/gnd11...ndbcontent (DBE)
* https://www.1133.at/document/view/id/148 (Felix Steinwendtner)

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