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War es vielleicht doch ein Mord?
08.02.2022, 00:59
Beitrag: #6
RE: War es vielleicht doch ein Mord?
(04.02.2022 20:05)Bunbury schrieb:  Mich würden die Antworten interessieren, die Kamenzin gegeben hat.

Manuel Kamenzin geht in seinem wissenschaftlichen Buch auf verschiedene Aspekte ein. Dabei spielt auch eine Rolle, wie im Mittelalter ein guter Tod aussah, und plötzlich zu sterben, im schlimmsten Fall ohne Beichte, Sterbesakramente etc. galt eindeutig nicht als "guter" Tod. Kamenzin vergleicht auch Chronikberichte, und es ist interessant, zu sehen, wie Chronisten so etwas gelöst haben, wobei allerdings nicht immer eindeutig klar ist, ob es sich um eine Erfindung handelt oder vielleicht Realität war.

1.)
So gibt es zum Beispiel einen Chronistenbericht, nach dem König Albrecht I. bei seiner Ermordung, ehe er starb, noch die Absolution erhielt und das durch keinen geringeren als den Bischof von Speyer. In diesem Fall dürfte ziemlich klar sein, dass das der Chronist wohl erfunden haben wird oder so eine Geschichte im Umlauf war, um davon abzulenken, dass König Albrecht doch ziemlich sicher die kirchlichen Segnungen nicht erhalten hat. Zwar ist Albrecht dadurch, dass er ermordet wurde, weitgehend "entschuldigt" (zumindest kann sein plötzlicher Tod nicht von Gott gewollt gewesen sein), aber die fehlenden Sakramente dürften für die damalige Zeit für Albrechts Anhänger doch ein gewisse Problem bedeutet haben.

Ein Chronist bietet bei seinem Bericht über den Tod von Kaiser Ludwig (IV.) dem Bayern, der auf der Jagd plötzlich tot umfiel und sich dazu noch im Kirchenbann befand, eine Geschichte an, die vielleicht auch nur erfunden ist, aber im Unterschied zu Albrecht und dem Bischof von Speyer zumindest vorstellbar wäre. Ein Bauer, der zufällig alles beobachtet hat berichtet, dass er, als er dem Kaiser helfen wollte, noch mitbekommen hat, dass dieser im Sterben die Jungfrau Maria angerufen hat.

2.)
Für politische Gegner war ein plötzlicher Tod durchaus vorteilhaft für Propaganda. Allerdings auch für die Gegenseite, da Krankheit bei einem Streit um eine Würde oder Amt durchwegs ein Ausschließungsgrund war. Wenn bei mehreren Kandidaten einer während des Kampfes zu kränkeln begann, machte es also durchwegs Sinn, das geheim zu halten, und wenn das mit seinem Tod endete, dürfte sein plötzlicher Tod nur für die, die darüber nicht informiert waren, plötzlich gewirkt haben.

Paradebeispiel dürfte hier der Welfe Heinrich der Stolze sein - einerseits kam sein plötzlicher Tod König Konrad III. äußerst gelegen, konnte er doch als göttliches Zeichen interpretiert werden. Hat Konrad III. ein wenig nachgeholfen?

Ebenso ist es aber vorstellbar, dass Heinrich der Stolze schon länger krank war und seine Anhänger es geheim gehalten haben, weil eben der Kampf noch nicht endgültig entschieden war und er mit einem kranken Heinrich nicht hätte fortgeführt werden können.

Und eine dritte Möglichkeit besteht auch noch: für Konrad III. konnte der plötzliche Tod des Welfen ein göttliches Zeichen sein, wenn er sich aber als Mord herausstellen sollte, war er das jedenfalls nicht mehr.
(Eigene Überlegung angeregt durch den "pumperlgesunden" Heinrich den Stolzen von Sabine Ebert nach Lektüre der als Große Barbarossa-Saga verkauften Buchserie von ihr, die für mich aber weder eine große Saga, noch eine gute Buchreihe war, sondern nur Quatsch beziehungsweise Werbung für die Hebammen-Serie beziehungsweise eine Hebammen-Restl-Verwertung.)

3.)
Nachdem sich der spätere Kaiser Karl IV. zum Gegenkönig hatte wählen lassen (von den Stimmen der weltlichen Fürsten, die er erhielt, bekam er eine von seinem Vater und eine von seinem Großonkel) und gekrönt worden war (vom richtigen Erzbischof, aber am "falschen" Ort (beziehungsweise am inzwischen für "Gegenkönige" üblichen Ort) und ohne die Reichskleinodien), dürfte er zunächst einmal überhaupt nichts unternommen haben, um Ludwig auszuschalten.
Stattdessen musste er erst einmal seinen Vater nach Crézy begleiten und nach seiner Rückkehr ins Reich zusehen, dass er es in aller Heimlichkeit schaffte, in sein Königreich Böhmen zu reisen.
In der Folge hat es den Anschein, dass er dort abwartete, bis sich das Problem mit Kaiser Ludwig von selbst löste, der immerhin zu dieser Zeit bereits über 60 Jahre gewesen sein dürfte.

Über den plötzlichen Tod Ludwigs stammt von ihm eine erste Mitteilung, und da stellt er das so da, als wäre Ludwig gerade im Begriff gewesen, den Kampf gegen ihn aufzunehmen, als ihn ein plötzlicher Tod ereilte. Nach seiner Darstellung ist Ludwig nicht einfach gestorben, sondern sein Tod war von Gott gewollt, um dem Reich einen neuen Krieg um die Krone zu ersparen und zu zeigen, dass Karl der rechtmäßige König ist.

Die Mordgeschichte um den Tod Ludwigs, die einige Chronisten, die pro Ludwig sind, überliefert haben, sieht Kamenzin als eine Gegenpropaganda. Indem sie Ludwigs Tod als Mord darstellen, stellen sie klar, dass sein plötzlicher Tod nicht Gottes Wille und somit auch kein Gottesurteil war. (Denn wenn Gott etwas will, muss der Mensch nicht nachhelfen.)

Nach dieser Mordversion soll ihm eine adlige Dame, in den meisten Versionen eine namenlose Herzogin von Österreich, ein Gift verabreicht haben. Als Ludwig dessen Wirkung zu spüren begann, soll er sich auf die Jagd begeben haben, umso das Gift wieder aus seinem Körper zu bekommen.
Für mich sind zwei Dinge an dieser Geschichte merkwürdig: das Motiv der Herzogin wird nicht genannt (es findet sich auch nicht die Information, dass sie vom Teufel besessen war und somit nach Mittelaltervorstellung gar kein Motiv benötigte) und dass Ludwig auf die Jagd reitet, nachdem er merkt, dass sie ihn vergiftet hat, kommt mir nicht sehr plausibel vor. (Wurde das zu seiner Zeit anders gesehen.)

Kamenzin hält es für vorstellbar, dass eine solche Geschichte auch der Ablenkung diente. Denn durch die Mordgeschichte verlagert sich die Aufmerksamkeit vom Toten auf den angeblichen Mörder oder die angebliche Mörderin und das eröffnet weitere Sichträume, sodass letztlich vom tatsächlichen Todesfall abgelenkt wird.

Spannend ist es, dass sich Kamenzin nicht nur mit Berichterstattung beschäftigt sondern dass er immer wieder auf Parallelen, Zusammenhänge und Unterschiede verweist. So findet sich zum Beispiel einiges, was die Berichterstattung über den Tod von Ludwig dem Bayern betrifft, auch schon bei Friedrich dem Schönen oder Heinrich VII., bei dem die aus damaliger Sicht wohl anrüchigste Mordwaffe eingesetzt wird. So soll er vom Beichtvater mit einer vergifteten Hostie ermordet worden sein.

Allerdings beschäftigt sich Kamenzin nicht nur mit Mord, sondern auch mit einer Reihe anderer Aspekte - Grabstätten (wo wollten die Könige und Kaiser selbst begraben werden), Zeremonien etc. (warum ließ sich Friedrich II. in der Kutte eines Zisterziensers beisetzen), der plötzliche Tod, tödliche Verletzungen (der Schädel des ermordeten König Philipps, der ihm nach den Mitteilungen der Chronisten gespalten wurde, weist jedenfalls nicht diese Verletzung auf - warum behauptet das der Chronist) etc. etc.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: War es vielleicht doch ein Mord? - Teresa C. - 08.02.2022 00:59

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