Kindheit und Jugend in Byzanz
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22.12.2012, 19:37
Beitrag: #1
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Kindheit und Jugend in Byzanz
Gruß in die Runde!
Hier poste ich meine Ausarbeitungen zu Kindheit und Jugend in Byzanz. Ich bin noch nicht ganz fertig, rechne aber mit vier Teilen. Viel Spaß beim Lesen, der Maxdorfer Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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22.12.2012, 19:39
Beitrag: #2
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
Kindheit in Byzanz - Teil 1: Geburt und Taufe
Geboren wurden Kinder in Byzanz meist zu Hause. Begannen die Wehen, wurde eine Hebamme gerufen, die dann die werdende Mutter bei der Geburt unterstützte. Die hygienischen Verhältnisse werden nicht allzu gut gewesen sein, denn die Wissenschaftler haben eine recht hohe Kindersterblichkeitsrate errechnet (wie genau weiß ich auch nicht). Totgeburten kamen ebenfalls nicht selten vor. Wenn das Kind aber überlebte, wurde es direkt abgewaschen und gestillt. Dafür gab es zwar theoretisch Ammen, doch waren diese keinesfalls die Regel. Die der Geburt folgende Woche diente der Erholung und dem Kräftesammeln von Mutter und Kind gleichermaßen. Nach Ablauf dieser sieben Tage wurde ein großes Fest gefeiert: Bekannte und Verwandte brachten ihre Gaben dem neuen Familienmitglied und seinen Eltern dar, meistens waren dies Lebensmittel, Früchte, aber auch Geld. Aber auch noch in der folgenden Zeit galt die Mutter als unrein und durfte das Haus nicht verlassen. Selbst der Besuch des Gottesdienstes war im strenggläubigen Ostrom in dieser Zeit nur in Ausnahmefällen wie z. B. der heiligen Kommunion erlaubt. Das Kind wurde schon nach wenigen Tagen getauft, meistens innerhalb einer Zeremonie mit dem engeren Familien- und Freundeskreis. Jemanden zum Paten seines Kindes zu machen, war eine gern genutzte Praxis, um nützliche Bindungen zu knüpfen, vergleichbar mit der Verheiratung der Kinder in späteren Jahren. Doch der Pate hatte auch ganz praktische religiöse Aufgaben: Er sollte wie heute noch das Kind in religiösen und theologischen Fragen unterrichten und als Ansprechpartner in Sachen des Glaubens dienen, hatte aber auch Verpflichtungen, wenn einer der oder beide Elternteile starb(en). Dann musste er mit für das Auskommen und die Ausbildung des Kindes bzw. Jugendlichen sorgen, letzteres aber auch, wenn die Eltern sich dies nicht leisten konnten. Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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23.12.2012, 17:16
Beitrag: #3
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
Diese 7-Tage-Regel, nach der das Kind erst der versammelten Verwandtschaft vorgestellt wurde, findet man in vielen Kulturen. Hintergrund war wohl die Einsicht, dass viele Kinder genau in diesem Zeitraum starben. Man wollte also keine falschen Hoffnungen wecken.
Erst nach dieser Frist (je nach Kultur zwischen drei und sieben Tagen) wurde das Kind auch üblicherweise erst mit einem Namen versehen... VG Christian |
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23.12.2012, 18:22
Beitrag: #4
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
(23.12.2012 17:16)913Chris schrieb: Diese 7-Tage-Regel, nach der das Kind erst der versammelten Verwandtschaft vorgestellt wurde, findet man in vielen Kulturen. Hintergrund war wohl die Einsicht, dass viele Kinder genau in diesem Zeitraum starben. Man wollte also keine falschen Hoffnungen wecken. Das klingt einleuchtend. Im Judentum fand die Beschneidung ja auch erst nach acht Tagen statt. Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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23.12.2012, 18:28
Beitrag: #5
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
Kindheit und Jugend in Byzanz – Teil 2: Spielzeug und Schulwesen
Für die Erziehung der kleinen Kinder war die Mutter verantwortlich. Man hat als Mädchenspielzeug einige Puppen gefunden, während die Jungen sich eher dem Ballspiel oder dem Umherkurven in kleinen Karren widmeten. Der Analphabetismus war übrigens gar nicht so weit verbreitet, die meisten Heranwachsenden bekamen schon in jungen Jahren anhand von Bibelstellen das ABC beigebracht. Staatliche Schulen gab es aber keine, nur derjenige, der es sich leisten konnte, schickte Söhne oder Töchter an Privatschulen oder in Klöster. Letzteres war aber nur möglich, wenn abzusehen war, dass der Schüler/die Schülerin später auch einmal ein Mönch/eine Nonne des Klosters sein würde. Einige Lehrer machten auch Hausbesuche, was aber noch einmal mehr kostete. Dieser Unterricht war quasi der grundlegende Unterricht, der im Alter von zwischen sechs und zehn Jahren stattfand und bei dem außer dem Lesen etwas Schreiben und die Grundlagen der Mathematik vermittelt wurden. Bei Jungen kam dies ganz im Sinne der damaligen Welt- und Gesellschaftssicht häufiger vor als bei Mädchen, bei denen die Entscheidung dazu bei den Eltern lag. Obwohl die Aufgaben der Frauen im Haushalt – entweder bei dessen Erledigung oder bei der Überwachung der Diener – lagen, war eine gewisse Bildung doch ein Heiratsanreiz für einen potentiellen Ehemann. Man kann davon ausgehen, dass in Konstantinopel und den Großstädten des Reiches ein Schulbesuch in der weiblichen Bevölkerung die Regel war. Es gab besonders in der Oberschicht in der spätbyzantinischen Zeit Frauen, die Lesestunden oder kulturelle Veranstaltungen planten und durchführten, die sich in der Welt der Belletristik wohlfühlten und Dichter sowie Schriftsteller finanziell unterstützten. Eine Frau jedoch wie die Prinzessin Anna Komnene, die selber schriftstellerisch und sogar geschichtsschreiberisch tätig wurde, ist die absolute Ausnahme. Höhere Schulen gab es nur sehr wenige, und selbst diese hatten einen schweren Stand. Die Gelehrten mussten sie ganz auf sich allein gestellt und ohne kirchliche oder staatliche Unterstützung führen. Dies ist der Grund, dass nur in der Hauptstadt Konstantinopel selber solche Oberschulen auftauchten – und auch das erst seit dem neunten Jahrhundert. Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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24.12.2012, 15:59
Beitrag: #6
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
Kindheit und Jugend in Byzanz – Teil 3: Neue Oberschulen und Großfamilien
In der Mitte des 9. Jahrhunderts nach Christus gründete der Caesar Bardas eine „Magnaura“ genannte staatliche Oberschule in Byzanz. Diese war sehr eng an die Kaiser und ihre Dynastie geknüpft und diente der weiteren Ausbildung zukünftiger Eliten und Würdenträger. Unterrichtet wurden in der antiken Tradition das trivium (Grammatik, Rhetorik und Philosophie) sowie das quadrivium (Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie). Wer an dieser Schule seine Jugend verbrachte, war ein Kandidat für höchste Ämter im Staat. Später initiierten Kaiser auch spezialisierte Schulen, die Experten auf einzelnen Fachgebieten hervorbringen sollten. So wurde Johannes Xiphilinos mit der Errichtung und Leitung einer Schule für Rechtswissenschaften und zur Ausbildung von Juristen beauftragt, Michael Psellos sollte eine Philosophenschule gründen. Dies nur einige Beispiele. Auf diese Weise wurde das kulturelle und geistige Leben in Byzanz enorm gefördert, doch nach recht kurzer Zeit schliefen die Institutionen allesamt wieder ein. Nichtsdestotrotz war Byzanz ein Zentrum antiken Wissens, denn obwohl die Bildungschancen an heutigen Maßstäben gemessen sehr niedrig waren, halten sie doch jedem Vergleich mit Mitteleuropa und den ehemaligen weströmischen Gebieten stand. Byzanz genoss im Mittelalter den Ruf einer Metropole von Wissenschaft und Geistesgrößen und wurde in einem Atemzug mit Bagdad oder Paris genannt. Nicht nur, dass die oströmische Kultur das frühchristliche Leben konservierte, antike Kultur und römisch-griechisches Wissen überlieferte oder sogar rettete und arabische Erkenntnisse in den christlichen Kulturraum hineintrug, es wirkte auch befruchtend auf Mitteleuropa, wo das Mittelalter doch vergleichsweise „dunkel“ war. Ab dem 11. Jahrhundert bahnte sich eine Wende im byzantinischen Familienleben an. Statt der dem modernen Menschen vertrauten Familie mit Mutter, Vater und den Kindern ging der Trend in Richtung der Großfamilien. Clans hielten zusammen, es bildete sich eine Familienidentität in einer Form, wie sie vorher nicht bestanden hatte, und längst nicht nur in der Oberschicht. Außerdem fanden zunehmend Heiraten mit Ausländern bzw. Ausländerinnen statt, die die traditionelle byzantinische Familie nicht selten veränderten. Hinzu tritt ein intensiver Austausch mit dem Westen im Zuge der Kreuzzüge. Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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27.12.2012, 13:37
Beitrag: #7
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
Kindheit und Jugend in Byzanz – Teil 4: Das späte Byzanz. Fazit.
Als Griechenland im Kampf mit den Makedonen zugrunde ging, fasste Aristoteles die gesamten philosophischen Erkenntnisse vergangener Jahrhunderte zusammen. Als die römische Republik zum Scheitern verurteilt war, lebten ihre eifrigsten Verfechter. Und so war auch der Existenzkampf von Ostrom, als sich Byzanz verzweifelt gegen Byzanz zu verteidigen suchte und seine Kaiser auf eine demütigende Weise über Jahrzehnte persönlich an europäischen Höfen um Unterstützung zu betteln hatten, eine Zeit der kulturellen Spätblüte. In der eifrigen und konzentrierten Besinnung auf alles, was ihre einstige Größe ausgemacht zu haben schien, gaben die Gelehrten alles an ihre Nachfolger auf kulturellem Gebiet weiter. Zuhauf schafften Reisende wie der Italiener Guarino Guarini alte Handschriften nach Italien, ließen sie übersetzen und leisteten somit ihren nicht unbedeutenden Beitrag zur Renaissance, zur Neuzeit und zur Entwicklung in Richtung Moderne. Zusammenfassend: Die Kindheit in Byzanz war sehr religiös geprägt und spiegelte voll und ganz die oströmische Orthodoxie wieder, die mit ihrem sehr eigenen Charakter die eine Säule der Gesellschaft war. Byzantinische Bildung hatte währenddessen zwar keine Masse an Geistesgrößen und großen wissenschaftlichen Leistungen hervorgebracht, reichte aber aus, um das antike Erbe bis in die Neuzeit zu erhalten. Sie war der zweite wichtige Wesenszug dieses statischen Gebildes Byzanz, da sie – wie das große Ganze, das oströmische Reich – nichts anderes war als das letzte Kapitel der römisch-griechischen Kultur, ein Nachglanz der Antike. Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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27.12.2012, 13:40
Beitrag: #8
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
Als Ergänzung empfehle ich da noch einen Aufsatz zur „Bildungsgeschichte von Byzanz“: http://janeden.net/bildungsgeschichte-de...ers-byzanz
Zum Thema gibt es auch die Dissertation von Despoina Ariantzi mit dem Titel „Kindheit in Byzanz: Emotionale, geistige und materielle Entwicklung im familiären Umfeld vom 6. bis zum 11. Jahrhundert“. Kostet im offiziellen Buchhandel zwar fast 110 Euro, ist aber auch in der ursprünglichen Fassung als pdf unter http://othes.univie.ac.at/6586/1/2009-08-26_9808275.pdf erhältlich. Mir selbst fehlte die Zeit, sie durchzulesen oder größere Abschnitte als Quelle für meinen Beitrag zu übernehmen, aber sie gab mir doch einige wichtige Anregungen, worauf hiermit verwiesen sein soll. Als kleinen und interessanten Einstieg in die Alltagswelt von Byzanz empfehle ich: Mabi Angar/Claudia Sode: Byzanz. Ein Schnellkurs. Dumont Verlag. Kostet nicht viel, ist aber auch kein dicker Wälzer. Die politische Geschichte wird auf nicht einmal 20 Seiten abgearbeitet, worauf sehr interessante Einführungen zu Gesellschaft, Kultur, Alltag, Religion etc. folgen. Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch) |
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08.11.2017, 09:14
Beitrag: #9
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RE: Kindheit und Jugend in Byzanz
Wenn ich Antiquar wäre, wäre ich nur an alten Sachen interessiert. Aber ich bin ein Historiker und deshalb liebe ich das Leben. Also würde ich davon bleiben ...
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