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Osmanen: Aufstieg und Abwehrstrategien:
22.01.2016, 02:28
Beitrag: #71
RE: Osmanen: Aufstieg und Abwehrstrategien:
Hätte Mehmed II. die Schlacht von Otranto gewonnen, wäre die Herrschaft Ferrantes im Königreich Neapel zusammengebrochen. Eine weitere Folge wäre, dass das seit 1454 bestehende politische Gleichgewicht in Italien aus den Fugen geraten wäre, ähnlich wie es dann 1494 mit dem Einmarsch der Franzosen unter Karl VIII. tatsächlich geschah. Ob Venedig, Florenz, Mailand und Rom zu einem gemeinsamen Handeln gegen die Osmanen bereit und auch fähig gewesen wären, ist eher anzuzweifeln.

Trotzdem möchte ich einige Möglichkeiten ausloten, obwohl alles nur Spekulation sein kann.
1480 war Sixtus IV. Papst. In einer Situation, in dem die Osmanen praktisch vor der Haustür des Papstes standen, wäre ein Kompromisskandidat wie Innozenz VIII. nie Papst geworden. D.h. bereits 1484 wäre ein tatkräftiger und gut vernetzter Mann Papst geworden. Das wäre entweder Rodrigo Borgia oder Giulio della Rovere gewesen, die beide später als Alexander VI. bzw. Julius II. selbst Papst geworden. Für Alexander VI. spricht seine einflussreiche Stellung als Vizekanzler, für Julius II. spricht, dass er der Neffe Sixtus IV. war und dieser Papst hätte Julius II. als kriegerischen Nachfolger designiert. Der Papst wäre möglicherweise in Rom geblieben, eventuell hätte er seinen Sitz nach Norditalien verlegt. Einer fremden Macht hätte er sich nicht ausgeliefert, eine Rückkehr nach Avignon, im Machtbereich des französischen Königs halte ich für ausgeschlossen.

Eine interessante Spekulation ist, welchen Weg Ferdinand von Aragon gegangen wäre. Würde er eher der traditionellen aragonischen Außenpolitik folgen, wäre das zu Ungunsten der Union mit Kastilien gegangen. Hätte Ferdinand nach 1480 die Rückeroberung Süditaliens und Sizilien favorisiert, dann hätten sich die spanische Einigung und die Eroberung Granadas verzögert. Die Mittelmeeraktiviäten Aragons hätten dann auch bedeutet, dass nicht Kolumbus Amerika entdeckt, sondern ein Portugiese oder ein Seefahrer in portugiesischen Diensten.

Die Osmanen hätten nach einem Sieg bei Otranto die Adria und Aegeis beherrscht. D.h. Venedig hätte seinen Handel nur mit Duldung der Osmanen führen können. Ob diese daran interessiert wären, ist fraglich, aber nicht auszuschließen. Venedig als Verbündete hätte einerseits bedeutet, dass der Nordosten Italiens kontrolliert würde und die Osmanen ein Aufmarschgebiete hätten, um weitere Feldzüge zu starten. Andererseits wäre Venedig der geeignete Partner gegen Ungarn und die Balkanstaaten.

Eine weitere Frage ist, welche Rollen Geheimorganisationen wie die sizilianische Mafia oder die neapolitanische Camorra usw. genommen hätten? Hätten sie sich im Untergrund weiter behaupten können oder nicht. Welchen Weg wären sizilianische oder neapolitanische Barone gegangen? Wären Sie ein Teil der osmanischen Elite geworden? Möglich ist, dass diese Familien einen Teil der Söhne nach Istanbul, den anderen nach Rom oder einer anderen christlich gebliebenen Stadt geschickt hätten, um so auf beide politischen Optionen gesetzt hätten.

Wir werden es nicht wissen. Oft wird behauptet, dass Mehmeds II. Niederlage bei Belgrad (1456) die osmanische Expansion auf dem Balkan für 70 Jahre verzögert hätte und erst die siegreiche Schlacht bei Mohacs (1526) die osmanische Expansion fortsetzte. Eine siegreiche Schlacht von Otranto hätte für Italien und Südosteuropa eine große Gefahr bedeutet. Denn es ist anzunehmen, dass nach der Sicherung des eroberten Süditalien die Expansion weiter fortgeschritten wäre. Hier kann man auch spekulieren, ob sich nach dem Tod Mehmeds II. im Jahr 1481 die Osmanen durch interne Machtkämpfe zwischen Bajezid II. und Cem geschwächt hätten oder auf die Bruderkriege verzichtet wurde. Eine Reichsteilung halte ich aber für unmöglich. Aber es ist vorstellbar, dass Cem eine privilegierte Statthalterschaft über Süditalien/Sizilien erhalten hätte.

Abschließend stellt sich die Frage, was wäre aus den Johannitern geworden. Der Ritterorden hätte sich nicht seinen Standort nach Malta gewechselt, denn dies hätten sicher die Osmanen nicht geduldet. Das Argument, dass die Malteser den Angriffen der barbareskischen Piraten widerstanden hatten, zählen nicht. Ein Süditalien und/oder Sizilien besitzender osmanischer Sultan hätte ein viel stärkeres Potential zur Verfügung gehabt, als z.B. Chaireddin Barbarossa. Der Orden hätte sich demnach nach seinem Weggang auf Rhodos woanders niederlassen müssen, möglich ist im Umfeld des o.g. kriegerischen Papstes.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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