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Portugal – Ein Land am Rande Europas
26.08.2012, 03:17
Beitrag: #41
RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas
Ich denke, dass eine Kurzbiografie über Salazar in diesen Thread passt.

António de Oliveira Salazar

Salazar wurde am 28. April 1889 in dem kleinen Dorf Santa Comba Dãno im Dãno-Tal nordöstlich von Lissabon als Sohn eines Gutsverwalters geboren. Er verbrachte unter einfachen Verhältnissen eine glückliche Kindheit, die vor allem von den Wertbegriffen der römisch-katholischen Religion bestimmt war. 1900 wird er in das Priesterseminar in Viseu aufgenommen, wo er bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr Unterricht von den Jesuiten erhält. Um Volkswirtschaft und Jura zu studieren, besucht Salazar ab 1910 die Universität in Coimbra. Seinen Lebensunterhalt konnte er noch während des Studiums mit diversen Lehraufträgen finanzieren. Bereits 1916 unterrichtete Salazar selbst als Professor für Volkswirtschaftskunde in Coimbra. Bald galt er als ein anerkannter Finanzexperte, so dass er 1928 von Präsident Carmona (1869–1951) zum Finanzminister ernannt wurde.

Aufgrund der Weltwirtschaftslage konnte sich Salazar als Finanzexperte profilieren, de facto stieg er mit seiner Finanzdiktatur zum mächtigsten Mann in Portugal auf. Begünstigt wurde dies durch die bereits 1926 erfolgte Abschaffung von demokratischen Grundrechten, wie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit oder dem Verbot von Streiks. Schließlich übergab 1932 Präsident Carmona, der 1926 die erste portugiesische Republik beseitigte und durch eine Militärdiktatur ersetzt hatte, die Regierungsgeschäfte auch formal an Salazar. Als Premierminister verabschiedete dieser 1933 eine neue Verfassung, die ihm die Grundlage für einen autoritären, ständisch orientierten Staat, dem „Estado Novo“ bot. So konnten beispielsweise nur noch 16 % der Bevölkerung die von ihm gegründete und geleitete Einheitspartei „União Nacional“ wählen. Diese Einheitspartei blieb bedeutungslos, sie war keine Massenpartei wie die NSDAP. Sie diente neben Armee und Sicherheitskräften nur zur Rekrutierung von Staatsbeamten, wobei ein Aufstieg in die höhere Beamtenlaufbahn auch ohne deren Mitgliedschaft möglich war.

In den frühen 1930-er Jahren orientierte sich Salazar innen- und außenpolitisch an den italienischen Diktator Benito Mussolini. 1939 näherte er sich dem spanischen Diktator Franco, mit dem er den „Iberischen Neutralitätspakt“ schloss. Portugal nahm nicht am Zweiten Weltkrieg teil. Salazar duldete, ähnlich wie Franco, die Teilnahme einzelner Freiwilliger an der Seite Hitler-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, das Land hielt aber an seiner Neutralität fest. 1943 gewährte Salazar den Alliierten die Nutzung der Azoren-Flughäfen. 1949 wurde Portugal NATO-Mitglied.

Im September 1968 erlitt Salazar einen Schlaganfall, der ihn infolge der linksseitigen Lähmung arbeitsunfähig machte. Zum neuen Premierminister wird Marcello Caetano ernannt, der dieses Amt bis zum Sturz des Regimes begleitete. Salazar lebte seitdem in seinem Geburtsort, wobei er zeitweilig glaubte, noch Ministerpräsident Portugals zu sein. Am 27. Juli 1970 starb er in Lissabon.

Heute werden die Urteile und Bewertungen über den Politiker António de Oliveira Salazar sehr kontrovers diskutiert. Während einige Historiker Salazar für einen klerikal-faschistischen Diktator und Unterdrücker seines Volkes halten, schätzen andere an ihm, dass Portugal während seiner Regierung einen gewissen Wohlstand erlangte, internationales Ansehen gewann und nicht am Zweiten Weltkrieg teilnahm. Salazar war die zentrale Figur des von 1926 bis 1974 bestehenden Regimes in Portugal. Obwohl er nur von 1932 bis 1968 als Premierminister amtierte und einem Staatspräsidenten formal unterstand, wird oft die gesamte Ära des Regimes als Salazar-Diktatur verstanden.

Richtig ist, dass es Salazar gelang, den Finanzhaushalt zu sanieren, die Verwaltung effektiver zu organisieren und die Korruption zu minimieren. Ebenso nahm er nicht an der Seite Hitler-Deutschlands am Zweiten Weltkrieg teil. Antisemitismus blieb ihm zeitlebens fremd, nach Portugal geflüchtete Juden konnten sich in Sicherheit fühlen. Dagegen setzte er seine politischen Vorstellungen rigoros mit Hilfe seiner Geheimpolizei PIDE, einschließlich lückenloser Zensur und, wenn nötig, mit Gewalt durch. Politische Gegner wurden beseitigt, so 1965 General Humberto Delgado, der in Spanien unter nie ganz geklärten Umständen ermordet wurde. Ebenso wurden die Unabhängigkeitsbewegungen in den portugiesischen Kolonien rücksichtslos unterdrückt. Schließlich führten die noch unter Salazar begonnenen Kolonialkriege zur Destabilisierung des Regimes.

Ein wichtiger Unterschied des Salazar-Regimes gegenüber vergleichbaren Diktaturen wie in Spanien (Franco) oder Italien (Mussolini) war, der völlige Verzicht auf Massenveranstaltungen bzw. Massenmobilisierungen, Personen-/Führerkult und Indoktrination. Salazar setzte auf Ruhigstellung mittels subtiler Rechtssprechung oder direkter Gewalt, seit den 1950-er Jahren wurden tatsächliche oder potentielle Unruhestifter unter Zwang in die Kolonien versetzt. Unterstützung erhielt sein Regime von der katholischen Kirche, besonders unter den Päpsten Pius XI. und Pius XII., von Großgrundbesitzern und vom teilweise subventionierten Mittelstand.

Privat lebte Salazar sehr zurückgezogen und spartanisch. Er lehnte jeglichen Personenkult ab und trat auch Freunden und langjährigen Mitarbeiter reserviert gegenüber. Als engste Vertraute galt vor allem in seinen letzten Lebensjahren seine Haushälterin Dona Maria.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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02.09.2012, 16:26
Beitrag: #42
RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas
Es folgt nun der vorerst letzte Beitrag von mir zum Thema. Nicht ausgeschlossen aber, dass ich später noch weitere Beiträge als Ergänzung zufüge.


Der aktuelle Beitrag übrigens ist auf dem Stand von ca. 2007. Von der Finanzkrise war da noch nicht die Rede.


Der Einfluss Europas auf Portugal

Sowohl Jorge als auch Schlör nehmen Bezug auf die Veränderung Portugals infolge des Beitritts zur Europäischen Union. Ich möchte hier erläuternd darauf Bezug nehmen und abwägen, was die EU Portugal gebracht hat und bringt und was vielleicht noch besser gemacht werden kann oder sich negativ auswirkt.

Ist Europa der von Jorge angesprochene Ort von Freiheit, Frieden und gesellschaftlichem Gleichgewicht? Oder präsentiert sich Europa als kalte Gleichmacherin, wie Schlör es teilweise empfindet?
Fest steht, dass Portugals Beitritt sehr erfolgreich verlief und Portugal wirtschaftlich eine gute Entwicklung genommen hat. So wurden die von Jorge angesprochenen Investitionsgelder (vgl. Jorge 184) für Brücken und Straßen nutzbringend angelegt. Das Ergebnis sind zum Beispiel moderne Schnellstraßen und eine neue Brücke über den Tejo (vgl. Fritz-Vannahme, 1). Auch die geringe Arbeitslosigkeit von unter fünf Prozent und das seit der EU - Mitgliedschaft von 50% auf 70% gesteigerte Bruttoinlandsprodukt sprechen für das Land. Die Wirtschaft wächst ebenfalls stärker als in anderen EU-Staaten (vgl. Fritz-Vannahme, 1). Doch nicht überall ist die Modernisierung angekommen: Das Telefonnetz zum Beispiel ist veraltet und hat Lücken (vgl. Fritz-Vannahme, 1).
Nur als Gleichmacherin, wie Schlör sie erlebt (vgl. Schlör, 39), tritt die EU bei den Portugiesen selbst anscheinend nicht auf, denn vom Landstrich, der vor der Revolution und dem Beitritt geographisch zwar in Europa, gesellschaftlich und politisch jedoch außerhalb lag (vgl. Jorge 184), ist nicht mehr viel übrig. Man scheint in ein zutiefst europäisch geprägtes Land geraten zu sein (vgl. Fritz-Vannahme, 1). Die Portugiesen fühlen sich heute als Teil Europas. Anders als der Student, den Jorge schildert (vgl. Jorge 184), der sich erst in Paris in Europa fühlt, spricht heute niemand mehr von Europa als Reiseziel (vgl. Fritz-Vannahme, 3). Dennoch hat Europa auch negative Folgen. Neben den Fischerbooten mit den „falschen Maßen“ hat Portugal viel grundlegendere Probleme. Das Land am Meer importiert seinen Fisch aus Spanien. Die traditionellen Fischer sind in die Städte abgewandert. Das Land mit dem höchsten Fischverbrauch pro Kopf kann kein Kapital aus seiner Lage schlagen (vgl. Fritz-Vannahme, 3). Hier eröffnet sich eines der großen Probleme, die Subventionen der EU zeigten zwar in den Städten ihre Wirkung, doch das Hinterland wurde teilweise vergessen. Des Weiteren wurde die Bildung vernachlässigt. Portugal hat mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen und bekommt zudem Konkurrenz aus Osteuropa. Und auch die Investitionen in bessere Straßen können dieses Problem nicht lösen (vgl. Fritz-Vannahme, 3). Ob Europa geholfen hat, den Schock der Moderne, der im Zuge der Revolution und der Annäherung an Europa auf die Portugiesen zukam, abzufangen, ist umstritten (vgl. Fritz-Vannahme, 1; Jorge, 184f.). Klar ist aber, dass ein Wandel stattfand, der Portugal in eine neue, moderne Zeit entließ.

Es bleibt abzuwarten, wie Portugal nach der EU-Osterweiterung weiterarbeiten kann. An den selbstbewussten Plänen des Landes und seiner Bevölkerung, die schon häufiger eine emotionale Geschichte erlebt hat (vgl. Jorge, 185), wird es sicherlich nicht liegen.

Der vernetzte Mensch von heute gerät in Gefahr,
die globalisierte Welt als eine Ansammlung von Zitaten zu erleben.

Doug Mack
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